Achtundzwanzigste Geschichte

[23] geschah an einem der hat geheißen Bar Hadje, der kunnt die Träume gar wol auslegen, wenn einem ein Traum geträumt hat. Un wenn man ihm Geld zu Lohn gab, da legt er die Träume zum Guten aus. So ihm aber einer kein Geld zu Lohn gab, so legt er sie übel aus. Nu es träumt Abaje un Rowe jeglichen ein Traum. Abaje, der gab ihm Geld zu Lohn, daß er ihm sollt sein Traum auslegen, aber Rowe, der gab ihm kein Geld zu Lohn. Einsmal da hat ihnen geträumt der Posuk (die Schriftstelle): »Dein Ochsen, der wird werden geschächtet vor deinen Augen.« Zu Rowe sagt der Bar Hadje, »du wirst deinen Ochsen verlieren un wirst nit können dervon genießen von wegen Trauerkeit deines Herzens.« Aber zu Abaje sagt er: »Von wegen daß du wirst viel Arbeit haben, so wirst du einen Ochsen schächten. Aber du wirst davon nicht können essen wegen deine viel Assokim (Arbeit), aber du wirst trinken von wegen viel Freud deines Herzens.« Darnach sagten sie wieder: »Es hat uns heut geträumt, wie unsere Haustüren sind eingefallen.« Zu Abaje legt er's gar wol aus, aber zu Rowe sagt er: »Dein Weib wird dir sterben.« Die Träume träumten ihnen gar viel, daß ihnen zugleich geträumt hat. Rowe legt er sie übel aus, un zu Abaje legt er sie wol aus, weil er ihm zu Zeit hat viel Geld gegeben. Auf ein Zeit, da fahrt Rowe un Bar Hadje mit einander über ein Wasser. Wie der Bar Hadje aus dem Schiff steigt, da fiel ihm ein Sefer (Buch) aus seinem Busem. Da nahm es Rowe un leint draus (liest). Da stund in dem Buch all die Chalaumes (Träume), die gehn nach dem Maul nach, wie man sie den Menschen auslegt. Da sprach Rowe wider Bar Hadje: »Du Rosche (Bösewicht), westhalb hast du denn mein Traum allzeit zu Bösem ausgelegt, un Abaje hast du sie allzeit zu Gutem ausgelegt? Hätt ich dir allemal Geld zu Lohn gegeben, wie dir Abaje gegeben hat, so hättst du mir sie auch zu Gutem ausgelegt. Noch wollt ich dir alles mochel sein (verzeihen), sondern das bin ich dir nicht mochel, daß du mir hast gesagt mein Weib soll mir sterben. Gott soll seinen Willen darzu geben, daß du sollst werden überantwortet in die Hand von einem König, der kein Rachmones (Erbarmen) über dich soll haben.« Wie das Bar Hadje hört, da sagt er: »Was soll ich tun? Wir haben gelernt, die Klole (der Fluch) von einem Talmidchochom (Schriftgelehrten), die kommt auf einen, wenn schon er niks getan hat. Um wieviel mehr der Rowe, der mich hat zurechten geflucht, um wieviel mehr wird seine Klole (Fluch) auf mich kommen. Ich will gehn, un will im Goles (Verbannung) herumziehn. Denn wir haben gelernt, wenn einer herumzieht, so vergibt ihm der Heilige, gelobt sei er, seine Sünd.« Also zug er von hier weg bis gen Rom. Da er nun zu Rom war, da setzt er sich nieder vor das Haus eines Dieners des Königs, den man heißt[24] den Oberschatzmeister, der war einer, der dem König sein Auzor (Reichtum) mußt verwahren. Da träumt demselben Mann ein Traum, wie eine Nadel in seinen Finger stecht. Da ging er heraus un sagt wider den Mann Bar Hadje, wie ihm solches geträumt hat. Da fragt Bar Hadje ihn: »Hast du mir Geld zu Lohn zu geben, da will ich dir ihn bescheiden.« Da wollt der Mann ihm kein Geld zu Lohn geben. Da wollt ihm der Bar Hadje auch niks sagen. Die andere Nacht träumt ihm wieder, wie ihm ein Wurm in zwei Finger wär gekommen. Da sagt er es dem Bar Hadje wieder, was es bedeutet. Da sagt er wieder: »Gib mir Geld zu Lohn, da will ich dir's sagen.« Da wollt er ihm wieder niks geben. Da wollt ihm der Bar Hadje auch wieder niks sagen. Die dritte Nacht, da träumt ihm wieder wie ihm ein Wurm in die ganze Hand is gekommen. Da sagt er es wieder dem Bar Hadje, wie ihm geträumt hat. So wollt er wieder Geld zu Lohn haben. Leßof (schließlich) hat man ihm Geld gegeben zu Lohn, so hat er ihm bescheiden (beschieden) un hat zu dem Mann gesagt: wie ein Wurm is gekommen in des Königs Kleider, die er verwahrt hat, un hat sie gar verderbt. Un wie es nun der König gewahr war geworden, da schickt er nach dem Oberschatzmeister un gebot, man soll ihn töten, weil er seine Kleider so hat lassen verderben. Da sagt der Oberschatzmeister: »Westhalben will man mich töten, laßt denselbigen töten, der das gewußt hat un hat es nit gesagt. Ich hab es ja nit gewußt.« Da ließ man den Bar Hadje holen. Da hielt man es ihm vor: »Warum hast du es nit gesagt, bis an dem dritten Tag, bis man dir hat müssen Geld zu Lohn geben? Un die Kleider sind derweilen zuschanden gangen. Derhalben bist du wol wert, daß man dich soll töten.« Da ging man hin un buckt zwei Tannenbäum nieder un bindet an jeglichen Baum ein Bein un ließ die Bäum darnach wieder über sich schnappen, daß an einem jeglichen Baum ein Stück hängen blieb. Da war dem Rowe sein Fluchen an ihm bestätigt geworden. Derhalben soll jeglicher nit mit falschem Herzen umgehn, denn es bleibt doch am letzten nit bestehn un darnach hat er doch niks, der mehr so wie dem Bar Hadje auch is geschehn, daß er mit falschem Herzen is umgegangen.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 23-25.
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