Sechzigste Geschichte

[54] geschah: Ein jeglicher Mensch, der soll gewarnt sein, daß er kein Brot auf der Erden warft oder auf der Erden liegen laßt, denn man möcht sonst auf das Brot treten. Darauf sagt der Abaje: »Vom ersten hab ich gemeint, man kehrt darum die Stub aus, wenn man gegessen hat, derwartend, daß es soll gar reintlich sein. Aber dernach hab ich gehört, es is darum, man möcht auf das Brot treten, wenn man nit sollt auskehren. Un wenn man auf das Brot tret, da kommt groß Armut dervon. Denn es war einmal ein Mann, dem ging der Sched (der Dämon, Geist), der über das Brot gesetzt is (der heißt Newil), gar hart nach, un vermeint dem guten Mann zu Armut gebracht zu haben. Denn er, meint er, sollt Brot lassen liegen, daß man sollt drauf treten. Einmal eßt der selbige Mann auf dem grünen Gras.« Da gedacht sich der Sched, der über die Armut gesetzt is: »Jetzunder will ich ihm beikommen, denn er kann die kleinen Bröckelich Brot nit aus dem Gras klauben un wird für gewiß drauf treten müssen.« Aber da der Mann gegessen hat, da nahm er eine Schaufel un stecht das Gras mit den kleinen Bröckelich heraus un werft es mit dem Gras in das Wasser hinein. Da hört der selbige Mann ein Stimm, das sagt: »Weh zu mir, daß mich der Mann hat so gezogen aus seinen Haus, da ich mein Wohnung da innen gehabt hab. Denn ich meint ihm beizukommen. Aber nun muß ich von ihm ablassen.« Derhalben soll man gewarnt sein, daß man kein Brot auf die Erd soll werfen oder liegen zu lassen, wiewol daß mir's jetzunder gar wenig achten. Darüber mancher gute Mann muß verschmachten.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 54.
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