Hundertachtundzwanzigste Geschichte

[120] geschah einem Menschen, der reitet allein bei Nacht un die Lewone (Mond) scheint gar hell die ganze Nacht. Un der Mensch reitet in der Midbor (Wüste). Da sah er kommen ein großes Heer, eitel Wagen voll mit toten Leuten un die Leute, die auf den Wägen saßen, die waren eitel tote Leute. Der Mann verwundert sich gar sehr darüber. Un wie er nun näher zu kam, da kennt er einen Teil von den Leuten, daß sie nun längst gestorben waren. Da fragt der Mensch die toten Leut: »Warum mußt ihr an dem Wagen so ziehn die ganze Nacht un ein Teil sitzen auf dem Wagen?« Da sagten sie wider: »Das müssen wir tun, denn das sind die Aweres (Sünden) die wir getan haben, auf Jener Welt. Da wir gelebt haben so haben wir viel Aseskeit (Frechheit) mit den Weibern getrieben. Derhalben müssen wir jetzunder an den Wagen ziehn bis wir gar müd werden. Darnach steigen sie herab un wir steigen hinauf. So ziehn sie auch so lang bis sie müd sind un das gewährt die ganze Nacht. Un wir haben Leut bei uns, die uns schlagen als wie das Vieh, das einen Wagen zieht. Derhalben, was ein Mensch für Aweres tut, das bezahlt man ihm auf Jener Welt. Darum soll man sich hüten vor Aweres (Sünden).«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 120.
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