Hundertzweiundfünfzigste Geschichte

[153] geschah: Rabbi Chanine, der nahm ein Weib, die gab ihm viel Geld un viel Gold un viel Edelsteine. Un er lernt allzeit Thauroh. Un all seine Knechte un Maiden die hielten ihn gar ehrlich mit essen un mit trinken, das beste, das sie konnten finden, un dienten ihm allzeit gar wol. Un wenn er gegessen un getrunken hat, da sprach er zu seinem Weib, du darfst dich nit lassen dünken, daß ich dir eppes von dem Deinem hab gegessen oder getrunken, oder daß du mir Essen gegeben hast. Neiert der Heilige, gelobt sei er, gibt es mir, darum, daß wir seine Thauroh lernen un um Sechus willen (das Verdienst) unserer Talmidim (Schüler). Da das sein Weib hört, da war sie gar zornig über ihren Mann. Aber sie laßt sich nix merken. Aber doch haben die Weiber lange Kleider an un[153] kurzen Sinn. Auf einen Tag sprach die Frau wider ihre Knechte un Maiden: »Was soll ich denn mit Meinem tan? Wenn ich ihm schon allezeit Gesottenes un Gebratenes bring, so helft es mir doch nix, un ich hab doch keinen Dank von ihm, un spricht allezeit, Gott gibt es ihm umwillen seiner Thauroh. Nun will ich sehn, ob ihm seine Thauroh wird zu essen geben, wenn ich es ihm nit bring.« Un nahm all das Essenspeis, das sie im Haus hat, un tragt es mit ihren Maiden aus dem Haus. Darauf haben unsere Chachomim (Weisen) nit umsonst gesagt: Lernen is gut bei einer Meloche (Arbeit, Handwerk), aber man muß auch die Sitten von der Welt lernen. Aber wo Thauroh is, un keine Meloche derbei, da hat die Thauroh keinen Bestand. Un wie nun Rabbi Chanine sitzt un lernt im Bethhamidrasch (Lehrhaus), da kam ein Schiff auf dem Meer herzufahren, das wollt schier unter gehn. Da schreiet das Volk: »Helf uns, du Gott, dessen Name gelobt ist, an den Rabbi Chanine glaubt. Helf uns, wenn wir dervon kommen, wollen wir Rabbi Chanine den Maaßer (den Zehnten) geben, von allem was wir in unserem Schiff haben.« Wie das Rabbi Chanine hört, da ging er in das Bethhamidrasch un tät Tefille auf sie. Un eh Rabbi Chanine war wieder aus dem Bethhamidrasch gegangen, da kamen die Kaufleute, die auf dem Schiff waren gewesen, un fielen Rabbi Chanine zu Fuß, un sprachen zu ihm: »Lieber Herr, komm mit uns in unser Schiff un nimm das Deine.« So ging Rabbi Chanine mit ihnen. So gaben sie ihm den Maaßer von allem, was im Schiff war, von Gold, Silber un Edelsteinen un von guten Essenspeis. Un er ließ alles heim tragen. Un wie er in sein Haus kam, da fand er keinen Menschen in seinem Haus. Un er wußt auch nit wo sie waren hingegangen. Da merkt er nun wol, daß sie von deswegen sind weggegangen, derweil er wider sie geredet hat von wegen das Essenspeis, daß er hat gesagt, sein Weib gibt ihm nix, neiert der Heilige, gelobt sei er, gibt es ihm derweil er Thauroh lernt. Da sagt Rabbi Chanine wider seine Talmidim: »Geht hin, dingt Knecht un Maiden un laßt uns eine köstliche Sude (Mahlzeit) zurichten.« Da täten es die Talmidim gar bald. Un er ließ bitten viel köstliche Talmidechochomim (Schriftgelehrte) zu der Sude (Mahlzeit) um zu essen un zu trinken. Un sie kamen zu ihm un waren gar fröhlich mit ihm. Un wie das sein Weib hört, da kam sie wieder heim. Da sie in das Haus kam, da fiel sie ihrem Mann Rabbi Chanine zu Füßen un bittet ihn, er sollt ihr verzeihen, daß sie aus dem Haus von ihm war weg gegangen. Un weiter sprach sie: »Gelobt sei Gott der Allmächtige, der euch derwählt hat um Thauroh zu lernen. Un die Thauroh hat wahr, was darinnen geschrieben steht.« Denn es steht in der heiligen Thauroh: von weitem bringt die Thauroh ihre Speise.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 153-154.
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