Hundertsiebenundfünfzigste Geschichte

[159] geschah einem Bocher (jungen Mann), dem is ein böser Ruach (Geist) in ihm gekommen. Da hat man den Ruach beschworen, daß er sollt sagen, wie er heißt oder sein Weib. Un also oft als man ihn an sein Weib dermahnt, so hub er an zu schreien un er sagt, sein Weib die wär eine Agune (Frau eines verschollenen Mannes). Das meint, daß sie darf keinen Mann nehmen, umwillen, daß er wär versunken im Meer. Un die Chachomim (Weisen) könnten ihr nit erlauben, daß sie einen Mann derft nehmen. Un er begehrt von den Chachomim, daß sie ihr sollten erlauben, daß sie sollt einen Mann nehmen. Un gab ihnen viel Simonim (Zeichen), daß er is im Meer versunken. Aber sie wußten es nit, wo er derheimen war. Da sagten die Chachomim: »Wir können es nit erlauben.« Un derzu schrie er, darum, daß sie derweil eine Hure geworden, weil man ihr hat nit wollen erlauben, einen Mann zu nehmen. Da fragten ihn die Chachomim, warum er keine Menuche (Ruhe) hat, un was er für Aweres (Sünden) getan hat. Da sagt er, er wär Esches isch[edig] geworden (bei einer Ehe-Frau gewesen). Da sagten die Chachomim, wie die Frau heißt, da er mit ihr gewesen is. Da wollt er es nit sagen, denn sie wär all lang tot. Es is euch doch nix beholfen dermit, wenn ich es euch schon sagen wollt. Un er sagt: »Es is an mir, wie unsere Chachomim gesagt haben, man soll einem vier Tode antun, der Esches Isch tut (eine verheiratete Frau[159] verführt). Un dasselbige ward nit an mir getan.« Un als sie also miteinander redeten, da stund der Bocher auf seinen Füßen. Da fragten ihn die Chachomim: »Warum stehst du auf jetzunder?« Da sagt der Bocher: »Weil jetzunder wird ein Talmidchochom herein kommen.« Da sahen sie sich um. Da kam gleich ein Talmidchochom herein, wie der Bocher hat gesagt. Un nach dem dasigen, da ging eine Chawruße Bocherim (Gesellschaft junger Leute) miteinander in das selbige Haus, un wollten auch zuhören. Da sagt der böse Ruach (Geist): »Weshalben seid ihr herein gekommen? Daß ihr mich sehn wollt? Es sind doch auch unter euch, die auch so getan haben, un sie werden auch sein, wie ich jetzunder bin.« Da derschraken die Bocheeim sehr. Da sagt der böse Ruach: »Was verwundert ihr euch sehr? Der is es, der dorten in weißen Kleidern bei euch steht. Der is bei einem Mann gelegen, das is also arg wie bei einer (Ehe)frau.« Da derschraken die Bocherim gar sehr, un sah einer den andern an. Indem da hub der in weißen Kleidern an zu schreien: »Es is bei Gott wahr. Ich hab es getan, un der andere auch.« Un sie bekannten sich zu ihren bösen Geschichten. Da frägt einer von den Chachomim: »Wie hast du das gewußt, daß sie das getan haben?« Da hub der Ruach an zu lachen un sprach zu ihnen: »Es steht doch geschrieben: Es steht einem jeglichen Menschen auf seiner Hand geschrieben, was er für Werk getan hat.« So sprachen sie zu ihm: »Wie kannst du ihm auf die Händ sehen? Haben sie doch ihre Händ unter ihren Mänteln.« Da hebt der Ruach wieder an zu lachen un sprach: »Kann ich nit überall hin sehen?« Dernach fragten sie ihn, wie er in den Bocher is gekommen. Da sagt der Ruach, er hätt keine Ruhe im Wasser gehabt, die Fische hätten den Leib gegessen. Da is ihm die Neschome (die Seele) ausgegangen un wär in eine Kuh gegangen. Da wär die Kuh meschugge (wild) geworden, un der Goj hätt sie einem Iehude verkauft. Un der Iehude hätt sie geschächtet, un war der Bocher eben derbei gewesen, da is er gleich in ihn geflogen. Da haben die Chachomim ihn beschworen. Da war er heraus gegangen aus dem Bocher un fliegt hinweg.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 159-160.
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