Hundertsiebzigste Geschichte

[176] geschah: Da nun Rabbi Schmuel so gar arm war, da begab es sich einmal, daß er sagt wider sein Weib: »Mein liebes Weib, ich hab gesehen, daß Gott bewahre, eine groß Gesere (Unglück) vorhanden is auf die von Speier. Darum wollen wir gehn, un wollen Gott bitten, vielleicht können wir es abwenden mit unserem Gebet.« Un er verbietet seinem Weib bei ihrem Leben, daß sie keinem Menschen nix dervon sagen sollt. Also fasten sie drei Tage un drei Nächte un beteten sehr. Rabbi Schmuel Chossid stund in einem Eck un sein Weib stund in einem andern Eck. Un da nun die drei Tage aus waren, da hebt der Chossid an zu seinem Weib: »Mein liebes Weib, laß uns nun fröhlich sein, denn ich seh wol, daß die Gesere (das Unglück) is abgewendet worden vor Gott mit seiner großen Barmherzigkeit.« Un also nahm der Chossid einen jungen Hahn un schächtet ihn un ließ ihn kochen. Indem kam ein Talmid (Schüler) von seiner Talmidim un sah wie sein Rabbi einen Hahn hat geschächtet. Worüben sich der Talmid mächtig verwundert, un konnt sich nit länger aufhalten. Un sprach wider den Chossid: »Mein lieber Rabbi, was mag das bedeuten, daß ihr heut Hühner eßt? Denn ich weiß wol, daß das euer Seder (Gewohnheit) nit is, denn ihr habt doch in unserer großen Armut nit so viel übrig.« Da Rabbi Schmuel Chossid das von seinen Talmidim hört, so sagt der Chossid zu ihm: »Lieber Sohn, schweig still. Denn wenn es die Leut sollten hören, daß wir Hühner essen, dann werden sie meiner ausspotten.« Aber der Talmid wollt nit ablassen, denn er wollt wissen was es bedeutet um daß er mehr Hühner esset als sonst im Jahr. Un war so lang dringlich, bis ihm der Chossid mußt die Wahrheit sagen. Da das der Talmid hört, da hat er den Chossid um Verzeihung gebeten, daß er ihn so gemüht hat, daß er es ihm hat müssen sagen. Also war die Gesere mit Hilfe des Heiligen, gelobt sei er, ganz abgewendet durch den Chossid un sein Weib, durch ihr großes Gebet, das sie zu dem Heiligen, gelobt sei er, getan haben. Der Heilige, gelobt sei er, soll uns noch alle Tag ihren Sechus (Verdienst) zu aller Zeit genießen lassen. Omen.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 176.
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