Hundertzweiundneunzigste Geschichte

[212] geschah einem reichen Mann, der war von Jeruscholajim un war ein Kaufmann. Also zug er aus Jeruscholajim mit viel Ware über Jam (See), denn sein Handel war als über See. Un nahm großen Mammon mit sich. Also kam er zu einem Baalhabajis (Hauswirt) in sein Haus, un lag bei ihm über Nacht un wollt den andern Morgen seiner Straße ziehn. Da war er (nie bei euch) sehr krank, daß er nit weiter kommen konnt. Un mußt sich gar legen, daß er das Gelägers nit wieder aufstehn wird. Un da er sich nun fühlt, daß er sterben mußt, da gab er dem Baalhabajis (Hauswirt) seinen Mammon auf zu heben, den er bei sich hat. Un ließ dem Baalhabajis Zwoe (letztwillig), wenn er sterben wird, so sollt er den Mammon so lang in seiner Hand behalten bis einer kommt, der da drei Chochmes (Klugheiten, Listen) gebrauchen wird. Demselbigen sollt er's geben, denn er könnt ihm keine andern Zeichen geben für seine Erben. Also ließ sich der Mann von Jeruscholajim die Widduj (Sünden-Bekenntnis) vorsagen. So sturb er in einem fremden Land un unter fremden Leuten. Also war der Mann gar ehrlich begraben. Un der Baalhabajis hatte das Mammon gar lange Zeit in seinen Händen. Un da kam niemand der es begehrt. Unterdessen, da die Frau von dem Mann, welcher im fremden Land gestorben war, sah, daß ihr Mann nit heim kam, da grämte[212] sich die gute Frau gar sehr um ihren Mann, un sagt zu ihrem Sohn: »Mein lieber Sohn, was sollen wir tun? Dein Vater is mit großem Gut über das Jam gezogen un is nun viele Jahre außen gewesen. Ich fercht mich gar sehr, er wird gestorben sein un das Mammon wird in fremde Hände gekommen sein, wenn er anders nit im Meer vertrunken is. Denn ich bin das von deinem Vater nit gewohnt, daß er so lang außen bleibt. Darum, mein lieber Sohn, wär mein Begehr, daß du solltest ausziehn in alle Landen so lang, bis du eppes könntest gewahr werden, wo dein Vater gestorben is. Is er bei einem Jehudi gestorben, da wird er dir das Mammon wieder geben.« So folgt der Sohn seiner Mutter un nahm seinen Abschied un zieht über See. Un zieht von einer Stadt zu der andern Stadt, so lang bis er kam an die Stadt, wo sein Vater gestorben war. Nun war der Seder (Sitte) in der selbigen Stadt, daß man keinen Gast über Nacht halten durfte, denn sie hatten so einen Tikkun (Verordnung) unter sich gemacht. Wie nun der Sohn nit weit von der Stadt kam, da sagten ihm die Leute, die da waren von außenwendig der Stadt, also daß man keinen Gast bei Nacht Herberg gibt. Da gedacht sich der Sohn, hier muß ich eine Chochme (List) gebrauchen um in die Stadt zu kommen. Un frägt die Leute, die außenwendig waren: »Ihr lieben Leut, is hie nit vor Zeiten einer von Jeruscholajim gestorben, der großen Mammon gelassen hat?« Da sagten sie ihm, ja. Un sagten ihm, wie der Baalhabjis (Hauswirt) heißt, wo der Mammon geblieben is. Wie er nun vor das Tor kam, so stund da einer mit einem Gebund Holz zu verkaufen. So kauft er dem armen Mann das Holz ab, aber er mußt es ihm tragen zu einem Baalhabajis. Un er nennt ihm den Baalhabajis, wo sein Vater in demselbigen Haus gestorben war. So tragt der arme Mann das Holz vor die Tür, wo sein Vater gestorben war. Un der Jauresch (Erbe) von Jeruscholaim ging ihm nach. Un da er das Holz hat dem Baalhabajis heim gebracht, da sprach der Hauswirt: »Was soll ich mit dem Holz tan? Ich hab es doch nit gekauft.« Da sagt der arme Mann wider den Hauswirt: »Der Herr, der das Holz gekauft hat, der kommt da nach.« Da gedacht der Hauswirt, das wird nit umsonst geschehen sein, un nahm das Holz, un gab dem Jauresch von Jeruscholajim Scholaum (Friedensgruß). Nun hat er schon eine Chochme gebraucht. Da merkt der Hauswirt, das wird der Erbe sein, von dem Mann, der vor etlichen Jahren hinnen gestorben is. Dann muß ich ihn mit Chochmes versuchen. Wird es dann sein, als wie der Vater mir hat letztwillig gesagt, so will ich ihm, will's Gott, sein Geld un Gut nit aufhalten. Nun, auf die Nacht, da ließ der Baalhabajis eine große Sude (Mahlzeit) zurichten. Un das erste Gericht, das man auf den Tisch bracht, das waren fünf junge Tauben. Da wollt ihn der Hauswirt versuchen un stellt dem Jauresch die fünf Tauben vor, un sagt: »Mein[213] lieber Freund, tut doch so wol un teilt uns die fünf Tauben, das einer so viel bekommt als der andere.« Da sagt der Jauresch: »Mein lieber Baalhabajis, das kommt mir nit zu, denn ich bin ein fremder Mann.« Endlich bittet ihn der Baalhabajis so lang, bis er nahm die Tauben vor sich un teilt sie aus. Nun hat der Baalhabajis zwei Söhne un zwei Töchter. Da gab der Jauresch dem Baalhabajis mit seinem Weib eine Taube miteinander. Un den zwei Söhnen eine Taube miteinander un den zwei Töchtern auch eine Taube miteinander. Un er behielt für sich zwei Tauben. Nun, es verdrießt den Baalhabajis gar sehr, un gedacht sich, das kann nicht umsonst sein, es wird gewiß eine Chochme (List) dabei sein. Ich will ihn noch einmal versuchen. Denn der Baalhabajis gedacht, ich weiß nit wie das sein kann, daß der Gast zwei Tauben vor sich hält, un den andern hat er allemal eine Taub an zwei gegeben. Die andere Nacht ließ der Baalhabajis wieder eine Mahlzeit machen un kocht nit mehr als ein Huhn. Der Baalhabajis nahm das Huhn un legt wieder dem Gast vor un sagt zu ihm: »Mein lieber Gast, teil mir das Huhn auch zu Teilen, denn du hast uns gestern die Tauben auch wol geteilt, daß ich eine große Lust zu dir hab.« Aber er wollt nit. Der Baalhabajis war sehr dringlich an ihm, daß er das Huhn nahm, un teilt es. Un gab dem Baalhabajis den Kopf von dem Huhn un dem Weib gab er das Ingeweid von dem Huhn un den zwei Söhnen gab er die zwei Dicht (Schlegel). Un den zwei Töchtern gab er die zwei Flügel von dem Huhn. Un er behielt sich den ganzen Leib vom Huhn. Da sagt sich der Baalhabajis wieder, groß Wunder, daß er den ganzen Leib für sich behielt. Da frägt ihn der Baalhabajis: »Mein lieber Mann, sag du mir, wie meinst du es mit den Tauben un mit dem Huhn, daß du allemal das Meiste behalten hast?« Der Gast sagt: »Mein lieber Baalhabajis, ich wills euch also sagen: ›Ihr habt gesprochen, ich soll die Tauben gleich teilen, das hab ich getan. Seht, ihr un euer Weib sind zwei, ein Taub derzu, das sind ihrer drei zu einander. Nun euere zwei Söhne un eine Taube sind auch drei zu einander. Nun euere zwei Töchter un eine Taube zu einander das sind auch drei. Nun, ich un zwei Tauben, das sind auch drei. Nun is eins alsoviel wie das andere.‹« Da nun der Baalhabajis das hört, da gedacht er sich, das is nun auch wieder eine große Chochme. Das sind nun zwei Chochmes gewesen. »Nun, daß ich das Huhn also geteilt hab, das will ich euch auch sagen. Ich hab euch den Kopf von dem Huhn vorgelegt, das bedeutet, daß ihr seid der Oberste vom Haus un der Kopf is auch das Oberste vom Huhn. Un hab eurem Weib gegeben das Ingeweid. Das bedeutet, daß sie die Kinder tragt in ihr Ingeweid der Gedärm. Un hab euerem Sohn die zwei Pfötich gegeben, das meint die zwei Schenkel, wo das Huhn drauf geht, das bedeutet, die Söhne sind auch die Stützen von dem Haus, die halten das Haus auf, un dernähren Vater[214] un Mutter, daß das Haus einen Bestand hat un bleibt auch ein Haus. Un daß ich hab euern zwei Töchtern zwei Flügel gegeben, das hab ich darum getan, daß die Töchter müssen aus dem Haus fliegen un nehmen Mannen anderswo, gleich wie ein Huhn, das mit seinen Flügeln weit fliegt. Un ich hab den Leib vom Huhn gar behalten, das will ich auch sagen: Das Huhn sonder Kopf un Füß un Flügel, sieht eben wie ein Schiff aus. Das mein ich auch so, in einem Schiff bin ich hergekommen, un in einem Schiff will ich wieder weg fahren. Un ich will euch sagen, was mein Sach is, das ich hie zu tun hab.« Un sagt dem Baalhabajis seine Meinung, warum er hergekommen is. Da gedacht sich der Baalhabajis, der is gewiß der rechte Erbe, den der Vater mit den drei Chochmes gemeint hat. Denn die erste Chochme (Klugheit) hat er gebraucht mit dem Holz, die andere Chochme mit den Tauben, die dritte Chochme mit dem Huhn teilen. Un nahm ihm groß Wunder von dem gestorbenen Mann, daß er auf dem Person hat seinen letzten Willen getan. Un sprach zu ihm: »Mein lieber Mann, ich merk an deinen Chochmes, daß du der rechte Jauresch(Erbe) bist. Komm her, ich will dir deines Vaters Geld all wieder in deine Hand geben.« Un gab ihm alles miteinander. Denn es war ein frommer Jehudi. Das wär jetzunder manchem nit geschehn. Un sagt: »Ich hab viel gehört von den Chachomim (Weisen) von Jeruscholajim, jetzunder seh ich es selbert wol. Denn man hat vor Zeiten, wenn ein Gast von Jeruscholajim herausgewandert is, so hat man ihm einen Stuhl gestellt, daß er sich drauf gesetzt hat, daß man seine Chochmes hat zugehört reden. Aber, leider Gottes, jetzunder hat sich viel verkehrt. Auch findet man viel von ihren Chochmes in Echo rabboßi (Anfang eines Klageliedes). Wer Lust hat um darinnen zu leinen (lesen) so wird er es alles gar wol finden.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 212-215.
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