Zweihundertsiebzehnte Geschichte

[270] geschah an einem köstlichen Rabbi, der hat geheißen Rabbi Amnon, der war gar wol gehalten in dem Hegmon (Bischof) Hof zu Mainz. Denn er war ein köstlicher Mann in allen Sachen, in Lernen in Reichtum, un war auch von gutem Geschlecht. Er war auch ein großer Chochom (Weiser). Er hat alle die köstlichen Mides (Eigenschaften) an sich, die einem Jehuden gehören an sich zu haben mit allen Sachen. Un derhalben war er gar wol gehalten bei allen Fürsten un Grafen un Herren. Un sie hatten ihn gar lieb. Sie hatten ihn alle gar gern bei sich. Un doch war sein Gleichen mit Frommkeit nit. Einmal begab es sich, daß er am Hof bei dem Hegmon war. Da hebten die Fürsten wider ihn an: »Meister Amnon, bekehr dich doch einmal, so will unser gnädiger Ferscht dich zum obersten Ratsherrn machen, denn er hat dich gar lieb. Un wir haben schon manichmal mit dem Ferschten dervon geredet, er soll dich zu Ehren bringen. Da hat er uns geantwortet, wenn du dich bekehren willst, un wolltest seinen Glauben annehmen, so wollt er dich zu großen Ehren bringen. Derhalben bitten wir dich, bekehr dich doch einmal.« Da wollt ihnen Rabbi Amnon kein Gehör geben. Einmal sprach der Hegmon selbert wider ihn, er sollt sich schmadden (taufen). Da wollt er den Hegmon auch nit hören. Das gewährt Tag auf Tag, aber er wollt ihnen nit zuhören. Einmal auf einen Tag, da war der Hegmon an dem Rabbi Amnon gar sehr dringlich, daß er sich doch schmadden sollt. Wie nun der Hegmon so gar sehr an ihm drängt, da sprach Rabbi Amnon wider den Hegmon: »Ich will mich drauf besinnen un will euer ferschtliche Gnaden in drei Tagen wieder Antwort sagen.« Aber er tät es nur darum, daß er meint er wollt den Hegmon dermit abweisen, damit daß er Menucheh (Ruhe) von dem Hegmon sollt haben. Un wie er nun von dem Hegmon heraus geht, da gedacht er sich, was er getan hat, daß er solches wider den Hegmon geredet hat, daß er sich besinnen wollt, gleich als ob das Schmadden wollt auf einen Sofek (Zweifel) stellen, un wollt, Gott bewahre, den Heiligen, gelobt sei er, verleugnen. Das lag ihm gar schwer auf seinem Herzen. Un ging heim un war gar traurig, un war sehr betrübt. Un er wollt sich nit trösten lassen. Sein Weib fragt ihn, was er getan hat oder was ihm geschehen war, es wär doch sein Seder (Art) nit, daß er so traurig war. Aber er wollt seinem Gesind nix sagen. Un er sagt: »Ich will traurig niedern zu der Grube, un ich will meinen Kopf nit sanft hernieder legen, oder ich will die Awere (Sünde) büßen.« Un wie es am dritten Tag kam, so schickt der Hegmon nach ihm, daß er sollt sagen, wie er sich besonnen hat. Da antwortet Rabbi Amnon, er wollt nit kommen, un auch hätt er nix mit ihm zu tun. Da schickt der Hegmon zweimal nacheinander nach ihm. Aber er wollt doch nit kommen. So ließ sich der Hegmon[271] den Zaddik (Frommen) mit Gewalt holen. Un wie er nun zum Hegmon kam, da sagt der Hegmon zu Rabbi Amnon: »Wie hast du es gemeint, daß ich dreimal nach dir geschickt hab un du hast nit wollen kommen. Un du hast mir verheißen, nach drei Tagen eine Antwort zu geben. Derhalben begehr ich heut des Tages von dir eine Antwort auf dasjenige, was wir von dir begehrt haben.« Der Zaddik sprach: »Ich weiß euch keine Antwort zu geben auf dasjenige, was ihr von mir begehrt habt oder noch begehrt. Un um deswillen, daß ich mit unbedachtem Mund hab gesprochen, ich will mich drei Tag besinnen, das is ebenso viel als hätt ich den Heiligen, gelobt sei er, verleugnet. Derhalben will ich mein Urteil selbert über mich geben. Von wegen dem Wort, daß ich geredet hab, ich will mich besinnen, so soll man mir meine Zunge abschneiden, die es geredet hat. Denn der Rabbi Amnon begehrt Tschuwe (Buße) zu tun un wollt den heiligen Namen ehren.« Da sprach der Rosche (der Böse) der Hegmon: »Das Urteil, das du selbert hast ausgesprochen, das geht mir nit in meinen Sinn, denn das is viel zu wenig, denn die Zung, die das Wort geredet hat, die hat eitel Wahrheit gesagt. Aber die Füße, die nit zu mir kommen sind, die soll man dir abhacken. Un die andern Glieder von deinem Leib, die wollen wir auch peinigen.« Un er ließ ihm abschneiden seine Hände un Füße. Un allemal wenn er ihm ein Glied abschneidet, da ließ er ihn fragen ob er sich noch nit will bekehren. Da sagt Rabbi Amnon allemal nein derzu. Un er sprach allemal: »Peinigt mich härter, denn ich hab es als verdient, mit meinen Worten, die ich geredet hab.« Un wie der Rosche seinen Willen hat vollbracht, un hat ihn hart gepeinigt, da gebot der Hegmon, man sollt ihn in ein Bett legen un seine Glieder neben ihn un sollt ihn so heim in sein Haus schicken. Gleich auch geschah. Un wie ihn sein Weib un Kinder sahen, so trieben sie einen großen Jammer, wie ihr nun wol gedenken könnt, wie es ihnen, nie bei euch, zu Herzen war. Da sagt Rabbi Amnon wider sein Weib un Kinder: »Liebes Weib, ich habe solches wol verdient, wie es mir da dergangen is, denn ich habe, Gott bewahre, den Heiligen, gelobt sei er, wollen verleugnen. Aber ich hoffe zu dem dessen Name gelobt sei, ich will meine Sünde auf dieser Welt büßen, daß ich den Anteil an Jener Welt werd haben.« Nun, es kam kurz dernach Roschhaschone (Neujahrsfest). Da bittet Rabbi Amnon, man sollt ihn mit dem Bett in die heilige Schul tragen neben den Chasen (Vorbeter). Also war er in die Schul getragen un war gestellt neben den Chasen. Un wie nun der Chasen zu Mussew (Mittaggebet) an der Kedusche hält, da sprach der Zaddik wider den Chasen: »Halt still, ich will Gott heiligen, eh ich sterben werd.« Un hebt an un sagt unesane taukef Keduschas hajaum (un wir wollen verkünden von der Heiligkeit des Tages), das wir noch alle Jahr an Rauschhaschone un Jomkipur sagen. Un dernach[272] sagt er Unesanetaukef. Un wie er's nun aus hat, da verschwand er von den Leuten weg, un kein Mensch sah ihn mehr. Denn der Heilige, gelobt sei er, hat ihn hinweg genommen zu den andern frommen Zaddikim in das Gan Eden (Paradies). Un wie es am dritten Tag dernach war, kam er bei Nacht im Cholem (Traum) zu seinem Rabbi Klaunimes ben Rabbi Meschulem un betet ihn, er soll den Unesanotaukef, den er gemacht hat, an alle Orte schicken, wo bne Jisroel (Juden) sitzen. Also tat er's. Dasselbige wir noch in allen Orten sagen an Roschhaschone un Jomkipur, den Unesanotaukef von seinetwegen. Der Heilige, dessen Name gelobt sei, soll uns des frommen Zaddik Sechus (Verdienst), auch lassen genießen.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 270-273.
Lizenz:
Kategorien: