[109] In Unyoro herrschte vor langer, langer Zeit ein mächtiger König Namens Uni. Dieser nahm zum Weibe ein Mädchen eines benachbarten Stammes, das hieß Wanyana. Wanyana aber hatte für ihren Gatten nichts wie Haß und Abscheu in ihrem Herzen und zeigte[110] ihm ihre Gefühle täglich. Eines Tages kam zu dem König ein Mann, der wollte Vieh einhandeln, und weil er schön auf der Flöte spielen und gut unterhalten konnte, so bat ihn Uni, ein Weilchen in seinem Reiche zu bleiben. Allabendlich setzte sich nun der Fremdling nieder unter einen großen Baum vor den Hütten des Königs und unterhielt diesen wie seine Weiber mit Flötenspiel und Erzählungen. Wohlgefällig ruhte dabei sein Auge auf den schmucken Gestalten der jungen Frauen, welche ihm zuhörten. Am meisten aber entzückte ihn die Schönheit Wanyanas, und er sowohl wie viele andere der Anwesenden gewahrten auch bald, daß seine Neigung nicht unerwidert blieb. Ja, bald flüsterte man unter den Weibern allerlei über Wanyana und Kalimera und wollte wissen, daß die Liebenden sich heimlich träfen und leidenschaftliche Worte tauschten. Zu Unis Ohren kam aber nichts von alledem, was die Leute sich erzählten, und sein Herz war frei von Argwohn. Es tat ihm leid, daß Wanyana ihn nicht liebte und es nicht duldete, daß er ihr mit Zärtlichkeiten nahte; doch hoffte er, daß es ihm gelingen würde, sie nach und nach für sich zu gewinnen; deshalb beschloß er, nicht in sie zu dringen, sondern es der Zeit und seinem stets sich gleichbleibenden Aufmerksamkeiten zu überlassen, ihr Herz zu rühren. Er baute für sie ein neues, schönes Haus, besuchte sie ab und zu, brachte ihr stets Geschenke mit und tat alles, um ihre Liebe zu gewinnen.
In nicht allzulanger Zeit gewahrte Wanyana mit Schrecken, daß sie einem Kinde das Leben schenken sollte. Angsterfüllt vor dem Zorn ihres Gatten, bat sie ihn, für mehrere Wochen seine Besuche bei ihr einzustellen, und versprach ihm dafür, später ein ergebenes und liebendes Weib zu sein. Beglückt ob dieser Aussicht, willfahrte Uni ihrem Wunsche. Durch ihre eigenen Untergebenen suchte[111] Wanyana Kunde von ihrem Geliebten zu erlangen, erfuhr aber nur, daß er plötzlich verschwunden und niemand wisse, wohin er gegangen sei.
Kurze Zeit darauf gebar Wanyana einen kleinen Jungen. Geängstigt von dem Gedanken daß der König ihre Untreue entdecken könnte, nahm sie das Kind und legte es in die Werkstatt eines Töpfers; dann aber ging sie eiligst zu einem Zauberer, beschenkte ihn reich und bat ihn, in irgend einer Weise dafür zu sorgen, daß ihr Kind gut gepflegt würde. Beruhigt durch das Versprechen unverbrüchlichen Schweigens, schritt sie alsdann schnell heim.
Am folgenden Morgen wollte Muyana, der Töpfer, in seine Werkstatt gehen; sein Weg führte ihn vorbei an der Tür des Zauberers, und dieser rief ihn an:
»Muyana, warum nimmst du jetzt immer schlechte Erde, aus der du deine Töpfe machst? Sie sind nicht mehr so gut wie früher und zerbröckeln in der Hand.«
»Ach Doktor!« rief der arme Töpfer erschreckt, »sage du mir, was ich tun soll, damit meine Arbeit wieder werde, wie sie sonst war!«
»Gut, Muyana! ich kann dir raten. Du hast einen mächtigen Feind, der nur Böses für dich sinnt; aber ich will seine Pläne zu schanden machen. Gehe du in deine Werkstatt und suche in ihr nach irgend etwas Lebendigem. Wenn du es gefunden hast, so nimm es zu dir, hüte und pflege es; denn wisse, solange es lebt, wirst du vor allem Übel bewahrt bleiben.«
Muyana war nicht wenig erstaunt, als er diese Worte gehört hatte, eilte weiter zu seiner Werkstatt und gewahrte dort alsbald ein sorglich zusammengewickeltes Bündel, dessen Inhalt ihm aber verborgen blieb, und das er nicht wagte zu berühren.
»Ich will zu meiner Frau gehen und ihr all dieses[112] erzählen,« sagte er zu sich; »denn Weiber wissen mit geheimnisvollen Dingen besser Bescheid,« und schnellen Schrittes lief er heim.
»Du Dummkopf!« schalt sein Weib, nachdem es zugehört hatte: »Warum hast du nicht getan, was der Zauberer dir befohlen hat? Komm' jetzt gleich mit mir und zeige mir, was du gesehen hast. Mich beunruhigt ein Traum, den ich in der vergangenen Nacht gehabt habe, und das Bündel, von dem du da gesprochen hast, kann für uns beide von großer Bedeutung sein.«
So zogen sie miteinander zur Töpferei. Gerade als sie dort ankamen und die Frau eben nahe hinzutrat, um zu sehen, was auf der Erde in Felle gewickelt lag, fing das Kind an zu schreien und sich zu bewegen:
»Du meine Güte, das ist ja ein Säugling,« rief das Weib, »und es sieht genau so aus, wie das Kind, welches ich heute Nacht im Traume sah! Heb' es auf, Muyana, gib es mir und verletze es ja nicht!«
Muyana war wie von Sinnen, tat aber, wie sein Weib ihm geheißen hatte, und gab ihr das Kind, ohne ein Wort zu sagen. Entzückt betrachtete die Frau das gesunde, wohlgebildete Kind, wiegte es in ihren Armen und rief aus:
»Muyana, was sind wir doch für glückliche Leute! Seit Jahren sehne ich mich nach einem Kinde, und endlich haben gute Geister meinen Wunsch erfüllt und uns das schönste aller Kinder gegeben. Unser Glück ist gemacht!«
»Aber wessen Kind mag das sein?« fragte Muyana argwöhnisch.
»Wie kann ich das sagen? Laß uns dankbar sein, daß wir es gefunden haben; fürwahr, der Zauberdoktor ist ein guter und weiser Mann; er wird wohl auch das[113] Geheimnis dieses kleinen Wesens kennen; uns aber geht das nichts an, laß uns lieber gar nicht daran denken. Nicht wahr, fortan ist das Kind unser; wir wollen dafür sorgen und es wie unser eigenes halten!«
»Wie du willst!«
So hatte denn das Kind der schönen Wanyana seine Pflegeeltern gefunden, und in ganz Unyoro gab es keine Mutter, die stolzer auf ihr Kind gewesen wäre, als Muyanas Weib auf diesen Findling. Der Knabe wurde mit Ziegen- und Kuhmilch ernährt und gedieh prächtig. Als Muyana zu dem Zauberdoktor ging, um diesen zu fragen, wie er das Kind nennen solle, antwortete der ihm:
»Nenne es Kimyera – den Mächtigen.«
Als Kimyera etwa ein Jahr alt war, ging Wanyana eines Tages zu einem Töpfer, um für ihr Haus Töpfe zu kaufen. Sie setzte sich auf die Erde am Eingange in der Werkstatt und wählte aus, was ihr gefiel. Da plötzlich hörte sie ein Kind schreien.
»Hat dein Weib kürzlich ein Kind gehabt?« fragte Wanyana, »ich hörte bisher nichts davon.«
»Nein, Weib unseres Häuptlings,« entgegnete Muyana, »wir haben das Kind vor Jahresfrist in meiner Werkstatt gefunden.« Wanyanas Herz schlug höher, als Muyana nun fortfuhr, die ganze sonderbare Begebenheit zu erzählen, und im stillen überlegte sie, wie sie es wohl anfangen könnte, sich der Verschwiegenheit des Mannes zu vergewissern, wenn sie ihm gestände, daß sie des Kindes Mutter sei.
»Anfänglich hatte ich gegen mein Weib den Verdacht,« schloß Muyana, »daß das Kind ihr Eigentum sei, und daß ich der Betrogene wäre. Aber ich habe keinen Grund für den schändlichen Argwohn, wennschon er hin[114] und wieder noch sich in mir regt, denn mein Weib ist in ganz Unyoro die beste und klügste Frau.«
Wanyana überlegte einen Augenblick, dann sprach sie:
»Guter Mann, ich bin nicht so unwissend über des Kindes Herkunft, wie es dir scheinen mochte; denn ich weiß, wem es gehört, und wer es hierher brachte!«
»Du?«
»Ja! und wenn du versprechen möchtest bei dem großen Geist, der uns alle gemacht hat, daß du das Geheimnis bewahren willst, so werde ich dir die Mutter des Kindes nennen!«
»Solange das Kind nicht das Kind meines Weibes ist, verspreche ich Stillschweigen über die Sache. Wer sonst des Kindes Mutter ist, kann mir gleichgültig sein. Ich habe es gefunden, und mein ist es als Finderlohn. Nun nenne mir den Namen der Mutter!«
»Wanyana!«
»Du die Mutter?«
»Du sagst es! Es ist das Pfand meiner Liebe zu Kalimera aus Uganda. Kalimera gehört zum Stamme der Häuptlinge Ugandas, welcher der ›Stamm des Elefanten‹ genannt wird. Er ist der jüngste Sohn des verstorbenen Königs von Uganda. Nach seines Vaters Tode erhielt er nicht weit von Unyoro ein weites, fruchtbares Landgebiet mit vielem und schönem Vieh. Als er in unser Land kam, um hier Ochsen und Kühe einzutauschen, sah ich ihn, und wir liebten einander. Aus Furcht vor Unis Zorn floh Kalimera und ließ mich zu rück. Als das Kind nun geboren war, brachte ich es hierher, vertraute mich dem weisen Zauberdoktor an und hoffte von seiner Klugheit das Beste. Das übrige weißt du!«
»O Weib unseres Häuptlings! Nie habe ich meine Frau inniger geliebt als gerade jetzt, da jeder Schatten[115] des Argwohns gegen sie aus meiner Seele gebannt ist. Du aber sei ohne Sorge. Mein Weib liebt dieses Kind, als wäre es ihr eigen Fleisch und Blut, und ich werde darüber wachen! Wenn königliches Blut den Menschen zum König machen kann, so ist Kimyeras Zukunft gesichert, und er wird uns dereinst reichlich vergelten, was wir an ihm tun. Jetzt komm' zu meinem Weibe und erzähle noch einmal deine Geschichte; sie wird sie treu bewahren.«
Wanyana erzählte nun, während sie ihr Kind kosend im Arme hielt, noch einmal die kurze Geschichte ihrer Liebe und ließ sich versprechen, daß die braven Töpfersleute mit Liebe und Sorgfalt sich auch fernerhin Kimyeras annehmen wollten.
Von nun an verband innige Freundschaft das Weib Unis mit Muyana und seiner Frau, und fortwährend fand Wanyana einen Vorwand, um das Pflegekind dieser Leute zu besuchen.
Muyanas Reichtum wuchs fortan beständig; denn Wanyana beschenkte ihn unablässig mit schönem Vieh. Als Kimyera herangewachsen war, besaß sein Vater große Herden und schöne Weideplätze, und ihm wurde die Sorge für das Vieh anvertraut; zur Hilfe wurden ihm starke und kühne Jünglinge zur Seite gestellt. Mit diesen nun vergnügte sich Kimyera in mancherlei männlichen Spielen, lernte ringen, den Speer werfen und Pfeil und Bogen geschickt handhaben. Seine Geschwindigkeit war größer als die der Antilope; kein Tier des Feldes konnte ihm entkommen, wenn er es jagte. Sein Mut und seine Kühnheit, die er oftmals in Ausübung seines Amtes bewies, wurden sprichwörtlich im ganzen Lande. Warnte ihn der Ruf eines der Hirten, daß ein wildes Tier in der Nähe sei, so begab er sich sofort in die Gefahr, indem er mit Pfeil und Bogen oder mit seinem Wurfgeschoß[116] dem Feinde entgegeneilte, und mehr als einmal rettete er seines Vaters Vieh vor dem Feinde.
Sein Übermut verleitete ihn gar oft, ganze Herden durch blühende Kornfelder hindurchzutreiben, und allen Vorstellungen wegen solchen Unfuges begegnete er lachend mit den Worten:
»Das Vieh gehört Wanyana, dem Lieblingsweibe Unis. Das Volk gehört ihr ebenfalls und auch die Felder. Warum also soll Wanyanas Vieh nicht ihr Korn fressen?«
Aus Furcht vor dem Mut und der Stärke des Jünglings ließen die Leute ihn gewähren. Mit der Zeit aber kühlten Unis Gefühle für sein schönes Weib, welches anfing zu altern, ab, und da nun Wanyanas Freiheit auch mehr beschränkt wurde, so konnte sie nicht mehr so oft wie ehedem zu ihrem Sohne gehen. Muyana fühlte Mitleid mit der armen Mutter; deshalb sandte er Kimyera oftmals zu den Weibern des Häuptlings, um Töpfe zu verkaufen, und befahl ihm, stets zu Wanyana zu gehen. Jedesmal, wenn der Knabe von diesen Botengängen heimkehrte, war er reich beschenkt worden mit Leopardenfellen, Krokodilszähnen, Tierklauen, Muscheln und farbigen Hölzern, die er mit Stolz seinen Pflegeeltern zeigte. Oft auch brachte er Geschenke von Wanyana für Muyana und sein Weib mit. Seiner Mutter Gaben häuften sich bei ihm so an, daß er bald in der Lage war, sich durch sie zwei große, schöne Hunde zu erhandeln. Das eine dieser Tiere war kohlschwarz, deshalb nannte er es Msigissa, d.h. Dunkelheit, das andere weiß, wie die Blüte der Baumwollstaude; Kimyera nannte es deshalb Sema Gimbi, d.h. Weißholz. Mit seinen beiden Hunden nun zog Kimyera oftmals weit fort von seiner Heimat und überließ die Sorge für die Herden seinen Untergebenen. Seine Begier, Land und Leute kennen zu lernen, wuchs[117] je weitere Streifzüge er unternahm, und so kam es, daß er sich immer öfter und stets für längere Zeit von zu Hause entfernte. Wen er unterwegs antraf, befragte er nach Gegenden, die ihm noch unbekannt waren, und die kennen zu lernen es ihn verlangte. So kannte er denn bald wenigstens vom Hörensagen jeden Weg und Steg, Fluß und Bach, Dorf und Stamm der ganzen Umgegend. Vor seinen Pflegeeltern verbarg er sorgfältig all seine Wünsche und Gedanken, die sich in ihm regten und ihn in die weite Welt hinaustrieben. Indessen kam auch ihnen mancherlei zu Ohren über die weiten Wanderungen des Jünglings, was sie mit Besorgnis erfüllte. Ihre Befürchtungen teilten sie Wanyana mit und baten diese, ihren Einfluß auf ihren Sohn geltend zu machen. Sobald sich ihr dazu eine Gelegenheit bot, sprach sie zu ihm:
»Sage mir offen, mein Sohn, welches sind deine Pläne für die Zukunft? Wanderst du, den Spuren des Wildes zu folgen? Gehst du dem Aufgang oder dem Niedergang der Sonne entgegen, wenn du wochenlang deiner Heimat fern bleibst?«
Darauf antwortete Kimyera:
»Zumeist ist es in der Richtung des Sonnenaufgangs, daß ich dem Wilde folge.«
»Das ist das Land,« sagte Wanyana nachdenklich, »aus welchem vor Jahren dein Vater kam, um hier Vieh zu erhandeln.«
»Mein Vater? Und welches ist sein Name?«
»Kalimera.«
»Wo lebte er?«
»Das Dorf, von dem er kam, hieß Willemera und liegt nicht weit von Bakka; das ganze, große Land ist Ganda.«
»Bakka! O ich kenne die Stadt wohl! Denn meine[118] Wanderungen haben mich oftmals nach Uganda geführt, weil das Land reich ist an Antilopen, die an den Ufern des Flusses Mylmja grasen. Mehr als eine ist dort meiner Weidmannskunst zum Opfer gefallen?«
»Kaum kann ich es glauben, mein Kind!« rief Wanyana in Tränen.
»Dennoch ist es wahr, was ich dir sage, meine Mutter!«
»Dann bist du nahe bei Willemera gewesen, und es ist ewig schade, daß du deinen Vater nicht gesehen und gesprochen hast!«
Wenige Tage nach dieser Unterredung zog Kimyera mit seinen beiden Hunden fort aus der Hütte seiner Pflegeeltern und schritt rüstig dem Flusse Mylmja im Lande Uganda entgegen. Sobald er das Wasser durchschritten hatte, kam er in ein Dorf, dessen Bewohner er nach Willemera fragte. Man sagte ihm, daß acht Stunden Wanderung ihn dorthin bringen würden. Am folgenden Tage erreichte er sein Ziel und schloß schnell Freundschaft mit einem der Viehhüter seines Vaters, bei dem er zur Nacht blieb, und der ihm alle seine Fragen über Kalimera auf das eingehendste beantwortete. Nachdem er in Erfahrung gebracht hatte, was er wissen wollte, zog er wieder heim und erzählte Muyana und seiner Pflegemutter alles, was er gehört hatte. Auch Wanyana kam bald und beschwor ihren Sohn mit Tränen, ihr genauen Bericht zu erstatten.
»In aller Kürze,« sprach der Jüngling, »habe ich folgendes gehört: Daß Kalimera noch am Leben ist, weiß ich jetzt bestimmt. In seinem Dorfe wohnen viele Leute; auch besitzt er große und schöne Viehherden und eine stattliche Anzahl von Sklaven. Ich habe all diese Nachrichten von einem der ältesten Viehhüter Kalimeras und weiß deshalb, daß sie unbedingt wahr sind.«[119]
»Es ist gut, mein Sohn,« sprach Wanyana; dann sich an Muyana wendend, fuhr sie fort:
»Jetzt ist es an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Uni wird mir mit jedem Tage widerwärtiger. Ich bin in meinem Herzen dem einen Manne, den ich geliebt habe, immer treu geblieben, und nun ich weiß, daß er am Leben ist, treibt es mich zu ihm. Rate du mir, Muyana, was soll ich tun?«
»Wanyana, du weißt, daß ich nicht klug bin, und daß meine Zunge schwer ist. Auch kennst du meine Verhältnisse. Ich habe nur ein Weib, obschon große Viehherden. Die beiden Kühe Namala und Nakoambeh, welche du mir als erstes Geschenk brachtest, habe ich noch, und ihre Milch ist noch immer so süß und reichlich wie sie je gewesen. Laß Kimyera seine Flöte, seine Hunde, seine Speere und seinen Schild zu sich nehmen; Sebarija, mein Hirte, soll ihm folgen, mein Weib soll die Kühe und Felle nehmen, welche zur Jagdbeute Kimyeras gehören, und wir wollen dir folgen, wohin du gehst!«
»Muyana, du bist ein treuer Freund! So laß uns denn forteilen, noch ehe der Morgen dämmert. In Willemera will ich dir zehnfach vergelten, was du hier verläßt. Der Findling ist nun ein starker Mann geworden, und endlich hat er den Weg gefunden, der ihn zu seinem Vater und zu seinem Stamme führt.«
Wie Wanyana es gesagt hatte, so geschah es. Noch ehe die ersten Strahlen der Sonne am folgenden Tage die Erde beschienen, war sie mit Kimyera, Muyana und seinem Weibe wie dem Sklaven Sebarija auf dem Wege nach Uganda.
Eines Tages ging Kimyera mit Muyana auf die Büffeljagd und nahm auch Sebarija mit, so daß die beiden Frauen allein zurückblieben. Der Büffel, den er jagte,[120] war ein ungewöhnlich wildes und schnelles Tier; deshalb entfernte Kimyera sich weiter, als es seine Absicht gewesen war, und bald fing der Gedanke an seine Mutter und Muyanas Weib an ihn zu ängstigen; deshalb schickte er Sebarija zurück zu ihnen. Endlich war der Büffel erlegt. Als aber Kimyera mit Muyana an den Platz kamen, von welchem sie am Morgen ausgezogen waren, fanden sie keine Spuren der Weiber oder Sebarijas vor. Tag und Nacht suchten sie; doch alles war vergeblich; endlich gaben sie ihre Bemühungen als erfolglos auf und zogen weiter. Als Kimyera einige Tage darauf wieder auf der Jagd war und sein Wild erlegt hatte, traf er an einem Felsen ein Weib, das trug auf dem Kopfe einen Krug mit Wasser. Kimyera rief ihr zu und bat um einen Labtrunk. Lächelnd gab das Mädchen dem schönen Jüngling zu trinken und erzählte ihm bald von dem Lande Ganda, dessen Tochter sie war, auch von der Königin Naku, in deren Diensten sie stand, und deren Gastfreundschaft weit und breit berühmt war.
»Wird sie auch mich mit Freundlichkeit empfangen?« fragte Kimyera. »Ich komme aus Unyoro und möchte mich im Lande Ganda niederlassen.«
»Naku wird dich auch aufnehmen; sie ist gütig gegen alle Fremden; das ist des Landes Sitte. Was aber, Fremdling, ist es, was du in deinem Gurt trägst?«
»Eine Flöte!« entgegnete Kimyera. »Auf ihr ahme ich die Stimmen der Vögel nach, welche mir die lieblichsten scheinen.«
Und bei diesen Worten fing er an, dem Mädchen seine Weisen vorzuspielen.
Freudig überrascht von dem Wohllaute seiner Kunst schlug die Zuhörerin in die Hände und rief:
»Naku wird dich mit Freuden aufnehmen, o Fremdling.[121] Folge mir, und komme zu ihr, denn dein Glück ist gemacht.«
»Erst muß ich meinen Gefährten aufsuchen,« entgegnete Kimyera, »danach komme ich mit ihm zu deiner Königin.«
Freudig grüßend schritt er von dannen, indessen das Mädchen in das Dorf lief und dort ihre seltsame Begegnung mit dem schönen Jüngling verkündete. Kimyera suchte seinen väterlichen Freund Muyana auf, fand ihn bald und unterrichtete ihn von allem, was vorgefallen war.
Nachdem die Wanderer sich gewaschen hatten, machten sie sich auf den Weg, um die Königin Naku und Sebuwana, ihren Gatten, zu begrüßen. Naku war auf das Angenehmste überrascht, als sie Kimyera sah, und empfing ihn überaus freundlich, zumal seine gewinnende Art und die Schönheit seines Körpers ihr Herz höher schlagen ließ. Indem sie sich ihrem Gatten zuwandte, sprach sie:
»Laß uns diese unsere neuen Gastfreunde freundlich empfangen, denn mir will es scheinen, daß sie einem erlesenen und edlen Stamme angehören; wie käme sonst ein Jüngling zu einer so hohen Gestalt und solch edlem Wuchs wie dieser? Er soll eins unserer schönsten Häuser bewohnen, Bananenwein, Milch und Früchte werden ihm täglich in Fülle gereicht werden, nichts soll ihm mangeln, damit er erkennt, wie gern und freudig wir ihn bei uns aufnehmen.«
Was Naku angeordnet hatte, geschah, und Sebuwana selber sah danach, daß alles auf das Sorgsamste bereitet wurde.
»Ist dies dein Instrument, mit welchem du so lieblich zu spielen verstehst?« fragte Naku den Fremden, indem sie auf die Flöte wies, welche er im Gürtel stecken hatte.
»Jawohl, Königin Naku,« entgegnete Kimyera, »und[122] wenn es dir zum Vergnügen gereicht, so laß mich dir meine Kunst zeigen.«
Indem er sich auf dem Leopardenfell niederließ, welches für ihn ausgebreitet lag, begann er seiner Flöte die lieblichsten Weisen zu entlocken, die jemals Nakus Ohr getroffen hatten. Unfähig, ein Wort zu sagen, saß die Königin mit fliegendem Atem und halbgeöffneten Lippen und starrte unverwandt auf den Jüngling. Alle Leute, die zuhörten, blickten einander verwundert an, als könnten sie nicht begreifen, was vor ihren Ohren erklang. Naku, als der Spieler geendet hatte, ging leisen Schrittes auf ihn zu, legte sanft ihre Hand auf seine Schulter und sprach:
»Macht und Herrschaft, o Kimyera, steht dir zu! Dem Wohllaut deiner Flöte zu widerstehen, ist unmöglich. So bleibe denn bei uns für ganz und geliebt von mir, Sebuwana und dem ganzen Volke Gandas.«
Dann wandte sie sich an Muyana und ließ sich von ihm alles erzählen, was dieser von der Herkunft Kimyeras wußte. In tiefen Gedanken versunken, saß sie hernach noch lange wachen Auges in ihrer Hütte und dachte des Fremden. Am folgenden Tage aber hielt eine wunderbare Scheu sie ab, sich ihren Gästen zu nahen oder dieselben zu sich bescheiden zu lassen. Deshalb trat erst spät am Abend Muyana zu ihr und sprach:
»Sage mir, Königin Naku, ist es Sitte deines Landes, Fremde so freundlich zu empfangen, wie du uns empfangen hast, um sie hernach nicht mehr zu beachten? Oder haben Kimyera und ich dich unwissentlich beleidigt? Mache mich bekannt mit den Gebräuchen im Lande Ganda, oder laß uns fortziehen, wenn unser Anblick dir widerwärtig ist.«
»Nein, Muyana,« entgegnete die Königin sanft, »habe Geduld, und du wirst mich verstehen lernen.«
Darauf ließ sie sich von Muyana in die Hütte Kimyeras[123] begleiten, der, verwirrt und erfreut ob der Ehre solches Besuches, ihr eilend entgegentrat und Matten wie Felle ausbreitete, damit sie sich niederließe. Darauf schälte er ihr eine Banane, legte sie auf ein grünes Blatt und reichte sie ihr hin. Naku aß die Frucht, und es dünkte ihr, daß in ganz Uganda bisher kein Baum und Strauch so süße Früchte getragen hatte. Als sie geendet hatte, bot sie Kimyera eine von ihrer Hand zubereitete Banane, und der Jüngling aß sie mit dem Gefühl, daß niemals eine Frucht von gleicher Süßigkeit seine Zunge berührt hatte. Die Königin blickte ihn lächelnd an, und als Kimyera seine Augen aufschlug, fand er eine Fülle ungesprochener Worte in dem Blick Nakus.
»Höre mir zu, Kimyera,« sprach Naku, »und auch du, Muyana, horche auf; denn ich werde wichtige und schwerwiegende Worte zu euch reden. In Ganda ist seit meines Vaters Tode kein König. Sebuwana ist nur dem Namen nach mein Gatte; in Wahrheit ist er nichts mehr als mein erster Ratgeber. Jetzt bin ich alt genug, um selber den zu wählen, der mein Herr und Herr über ganz Ganda sein soll. Mein Herz hat seine Wahl getroffen und Kimyera erkoren!«
Bei diesen Worten kniete Kimyera nieder vor die Sprecherin, und sobald er Herr seiner Gefühle geworden, sprach er:
»Aber, o Naku, hast du auch bedacht, was dein Volk sagen wird, wenn du ihm einen Fremdling zum König gibst? Wird es mir nicht zürnen und nach dem Leben trachten?«
»Nein! Denn du bist der Sohn des Bruders meines Vaters. Und da mein Vater keine männlichen Erben hinterlassen hat, so hat seine Tochter das Recht, sich dem Sohne seines Bruders zu verbinden. Du siehst, Kimyera,[124] du hast ein gutes Recht auf den Platz dieses Reiches, den ich dir anbiete.«
»Was aber soll aus Sebuwana werden?« fragte Kimyera.
»Findet er sich gutwillig in sein Geschick,« entgegnete Naku, »so mag er leben, tut er es nicht, so muß er sterben von den Händen meiner Krieger.«
Am Nachmittag desselben Tages noch verkündete Naku ihrem Volke, was sie beschlossen hatte, und als Sebuwana die Nachricht hörte, erschrak er heftig; da er aber wohl wußte, was seiner harrte, falls er sich widersetzte, so ging er still und heimlich von dannen nach dem Dorfe, in dem er geboren war und seine Kindheit verlebt hatte, um dort den Tod zu erwarten.
Die Königin Naku aber lebte mit Kimyera, ihrem Gatten, in Glück und Zufriedenheit. Drei Söhnen gab sie das Leben und starb nach der Geburt des dritten. Ganz Uganda beklagte ihren Tod; am meisten aber weinte Kimyera um sie und ließ sich nicht trösten, denn er hatte Naku, die Königin des Landes Ganda von Herzen geliebt.
1 | Die Sage entstammt der Landschaft Unyoro, welche an die Nilseen stößt und nördlich des Viktoria-Nyanza liegt. Ihre Bewohner sind die Wanyoro, ein wilder, kriegerischer, leidenschaftlicher Stamm, der schon vor langen Jahren mit den Arabern vielfach in Handels-bzw. Tauschbeziehungen gestanden hatte. Zeitweise waren die Wanyoro den Arabern unterworfen, in blutigen Kämpfen gelang es dem freiheitsdürstenden Stamme, die Bedrücker wieder zu verdrängen. Jetzt bildet Unyoro einen Teil von Britisch-Ostafrika. |
Buchempfehlung
Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.
56 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro