[178] Es war ein Sultan, der bekam einen Sohn; und auch ein armer Mann bekam einen Sohn. Die Kinder wurden aufgezogen, bis sie erwachsen waren. Als sie nun gross waren, rief der Sultan den Armen und sprach zu ihm: »Dich will ich zum Vezier machen, und Dein Sohn soll der Freund meines Sohnes werden.« Der Arme war es zufrieden; er wurde Vezier, und sein Sohn schloss Freundschaft mit dem des Sultans, bis sie Frauen bekamen.
Der Sultanssohn heiratete eine Frau, und auch der Sohn des Veziers nahm eine Frau. Jener, der Sultanssohn, aber stellte der Frau des Vezierssohnes nach, und er nahm schöne Sachen und schickte sie ihr. Diese Frau liebte ihren Freund, den Sultanssohn; aber sie fand keine Gelegenheit, mit ihm, den sie wie ihren Mann ansah, zusammenzutreffen.
Der Sultanssohn ersann nun die List, zu reisen und in's Innere zu gehen. Er nahm viel Geld mit und ging in's Innere. Als er wiederkam, brachte er vielerlei Geschenke mit, die er der Frau seines Freundes, des Vezierssohnes, gab. Eines Tages sprach die Frau zu ihrem Manne, dem Sohne des Veziers: »Weshalb willst Du nicht auch reisen, mein Mann? Wenn Du in's Innere gehst wie der Sultanssohn, wirst Du Geschenke mitbringen und sie meiner Freundin, der Frau des Sultanssohnes,[178] geben; denn er giebt mir welche, und Deine Pflicht ist es, nun auch seine Frau zu beschenken.« Ihr Mann sprach: »Es ist nicht nötig deshalb in's Innere zu gehen; Geschenke kann ich auch hier bekommen und sie seiner Frau schicken.« Seine Frau entgegnete ihm: »Etwas, das aus dem Innern kommt, ist immer eine Seltenheit.« Da sprach ihr Mann: »Wenn Du es gern willst, meine Frau, so werde ich reisen.«
Jene Frau ersann aber absichtlich diese List, ihr Mann wusste jedoch nichts davon. So beschloss er also, in's Innere zu reisen. Als er aufbrach, sprach seine Frau zu ihm: »Geh und kaufe mir ein Stückchen Verstand; wenn Du nicht mit einem Stückchen Verstand wiederkommst, will ich Dich nicht mehr.« Ihr Mann antwortete: »Gut«, und reiste ab. Er stieg in ein Schiff, lud viele Güter ein, fuhr weg und kam in ein anderes Land und in eine sehr grosse Stadt.
Als er in dieser Stadt anlangte, kam er an das Haus einer alten Frau; in diesem Hause blieb er. In derselben Stadt wohnte ein Sultan, der hatte sieben Töchter, die noch nicht verheiratet waren. Alle Männer, die um sie warben, schlugen sie aus und weigerten sich zu heiraten. Er aber war ein schöner Mann, jener Jüngling. Nachdem ein Tag verflossen war, zog er seine besten Kleider an und machte sich sehr schön. Er kam an dem Hause des Sultans vorbei, und als jene sieben Jungfrauen ihn erblickten, liebten sie ihn in ihrem Herzen.
Er ging noch einmal vorbei und kam zum Hause des Veziers, darin war ein Mädchen, die Tochter des Veziers. Als sie ihn erblickte, freute sie sich und rief ihn an. Er hörte darauf, ging hinein und fragte: »Was wünschest Du?« Sie antwortete: »Ich habe Dich gerufen,[179] um Dich zu sprechen.« Darauf entgegnete er: »Ich möchte Dich heiraten, willst Du mich haben?« Das Mädchen antwortete: »Ich will, wenn mein Vater einwilligt.«
Er ging nun zu ihrem Vater, dem Vezier, um ihn um die Hand seiner Tochter zu bitten. Der Vezier sagte: »Du musst zwei Säcke Silber herbringen, dann kannst Du meine Tochter bekommen.« Und er ging zurück nach seinem Hause. Am nächsten Morgen brachte er zwei Säcke Silber und heiratete das Mädchen.
In jener Stadt hatten alle Frauen viel Verstand. Als er seine Frau geheiratet hatte, sprach sie zu ihm: »Wenn Du mich liebst, so musst Du Dich auch mit jenen Sultanstöchtern einlassen.« Er antwortete: »Ich kenne die Mädchen nicht.« Sie sagte zu ihm: »Ich will Dir ihre Eigenschaften preisen, sie haben viel Verstand; auch will ich Dir Unterweisungen geben; aber was Du auch siehst, das erzähle mir.« Er antwortete: »Gut, mir ist es recht.« Sie sprach: »Zieh Deine Kleider an und mache Dich recht schön.« Er legte sein Gewand an und machte sich sehr schön. Und sie sagte zu ihm: »Geh nun vorbei am Hause des Sultans, und was Du auch siehst, das berichte mir.«
Er kam von hinten am Hause des Sultans vorbei. Sobald jene Mädchen ihn erblickten, gössen sie ihm Wasser auf seine Kleider. Er ging vorüber und ging weiter. Als er zu seiner Frau kam, fragte sie ihn: »Was hast Du gesehen?« Er antwortete: »Ich ging vorüber, da gössen sie mir Wasser aufs Kleid.« Die Frau entgegnete: »Die Bedeutung des Wassergiessens ist, dass sie Dich rufen, geh und erwarte sie am Brunnen heute Abend um die fünfte Stunde, sie werden kommen.«[180]
Der Mann stand auf und ging am Abend zu dem Brunnen, um sie dort zu erwarten, aber er fand sie nicht. Sofort kehrte er um und ging nach dem Strande. Während er auf dem Wege dahin war, kamen die Mädchen von der andern Seite. Als sie ihn bei ihrer Ankunft nicht trafen, sprachen sie: »Der Mann hat keinen Verstand«; und sie begaben sich wieder nach Hause. Vom Strande zurückgekehrt, fand er niemand am Brunnen vor, aber er empfand den Duft der Wohlgerüche dort bei dem Brunnen und erkannte daraus, dass die Frauen gekommen waren.
Er kehrte nach Hause zurück zu seiner Frau. Diese fragte ihn: »Was hast Du gesehen, mein Mann?« Er sprach: »Ich ging nach dem Brunnen, sah niemand, kehrte gleich um und ging nach dem Strande. Als ich von dort zurückkam, merkte ich den Duft ihrer Wohlgerüche am Brunnen und wusste, dass die Mädchen gekommen waren, aber mich verfehlt hatten.« Die Frau sprach zu ihm: »Schlafe bis morgen, mache Dich schön wie gestern und gehe an ihrem Hause vorbei.«
Er schlief und zog seine besten Kleider an am Morgen. Dann ging er bei ihnen am Hause vorbei. Als sie ihn von oben erblickten, nahmen sie Jasminblumen und warfen sie ihm zu; sie überschütteten förmlich seine Kleider mit Jasmin. Er ging zurück und kam zu seiner Frau. Diese fragte ihn: »Was für ein Zeichen hast Du heute gesehen, als Du bei jenen Frauen, den Sultanstöchtern, vorbeigingst?« Er sprach: »Sie haben mir Jasminblumen auf die Kleider geworfen.« Da sagte sie ihm: »Ihre Absicht war, Dich zu rufen; geh' und erwarte sie im Garten.« Am Abend stand er auf, ging hin und erwartete sie im Garten.[181]
In der fünften Stunde kamen die sieben Mädchen. Sobald sie zu ihm kamen, sprachen sie zu ihm: »Wir sind sieben, welche von uns gefällt Dir?« Er erwiderte: »Ich liebe Euch alle.« Da sprachen sie: »Alle wollen wir nicht von einem Manne geliebt werden; aber verlange, welche Du nun willst von uns sieben?« Er aber sprach: »Wählet Ihr selbst, welche ich nehmen soll, denn ich liebe Euch alle.« Als die Mädchen das hörten, freuten sie sich, und sie nahmen ihre jüngste Schwester und sagten zu ihm: »Diese geben wir Dir«; und er nahm sie mit. Jenes Mädchen liebte ihn. Die anderen brachen auf und gingen ihrer Wege.
Der Vezierssohn kam zu seiner Frau zurück. Sie fragte ihren Mann: »Hast Du sie getroffen?« Er sprach: »Ich habe sie gesehen; sie kamen und ich nahm die jüngste von ihnen mit.« Seine Frau sprach: »Gut, mein Mann.«
Die Sultanstochter blieb nun einen Tag bei ihrem Manne; dann sagte sie zu ihm: »Ich möchte, dass Du kommst und Dich auch bei mir im Hause aufhältst.« Er war es zufrieden, ging hin und sagte zu seiner Frau: »Jenes Mädchen ruft mich zu sich, dass ich auch bei ihr wohne«; sie antwortete: »Geh' hin.« Am Abend ging er fort und kam in ihr Haus. Und sie bereitete die Speisen zurecht, um mit ihrem Manne zu essen, und sie assen zusammen, sie und ihr Mann. Plötzlich erschien eine alte Frau; diese kannte die Schlauheit der Weiber sehr gut. Als sie kam, stand der Mann auf und versteckte sich drinnen. Das Mädchen aber nahm die Sachen fort, da wo ihr Mann gegessen hatte, und brachte alles in Ordnung. Dann hiess sie jene Alte näher treten, brachte sie hinein und sprach zu ihr: »Komm und iss.« Die Alte kam und ass. Als sie Platz nahm, sah sie Reis,[182] der zu Boden gefallen war. Da merkte sie, dass zwei Menschen zum Essen dagewesen waren, dass aber die eine Person geflohen und sich aus Furcht vor ihr versteckt habe; das erkannte sie an dem Reis, der unten lag.
Die Alte ass; dann stand sie auf, ging zu einigen jungen Leuten in der Stadt und teilte ihnen dies mit. Nämlich jene jungen Leute hatten das Mädchen heiraten wollen, aber sie wollte keinen von ihnen haben.
Darauf gingen die jungen Leute hin und beobachteten sie des Abends. Dann stiegen sie hinauf in den ersten Stock und ergriffen ihn samt dem Mädchen, der Tochter des Sultans. Sie nahmen sie mit und steckten sie in einen Sack zusammen mit ihrem Manne. Den Sack banden sie zu, trugen ihn nach dem Gefängnis und übergaben ihn dem Gefängniswärter. Diesem sagten sie: »Nimm hin, was wir Dir hier geben, und bewahre es bis zum Morgen auf; dann werden wir selbst wiederkommen.« Der Wärter wusste jedoch nicht, dass in dem Sacke Menschen eingeschlossen waren.
Als jene, seine Frau, nun sah, dass ihr Mann nicht nach Hause kam und sich sehr verspätete, schickte sie zu jenem Mädchen und liess nach ihm fragen. Ihre Schwestern antworteten, sie seien beide in der Nacht weggeschleppt worden. Da ging die Frau nach Hause, nahm Geld zu sich und gab es jenem Wärter und sagte zu ihm: »Nimm dies Geld und zeige mir, was bei Dir zur Aufbewahrung hinterlegt ist.« Er nahm das Geld und zeigte ihr den Sack. Die Frau öffnete denselben und liess die Sultanstochter heraus. Sie selbst stieg zu ihrem Manne in den Sack und sprach zu der Sultanstochter: »Binde den Sack wieder zu.« Als sie mit ihrem Manne darin war, wurde der Sack wieder[183] geschlossen, und die Sultanstochter kehrte zu ihren sechs Schwestern zurück.
Als nun die Nacht um war, kamen jene jungen Leute zum Sultan und sagten zu ihm: »Als wir Deine Töchter heiraten wollten, hast Du sie uns verweigert, und nun treiben sie mit andern Menschen Unzucht.« Der Sultan fragte: »Habt Ihr sie Unzucht treiben sehen?« Jene antworteten: »Wir haben es gesehen und sie dann ergriffen; sie sind im Gefängnis, sie und ihr Geliebter.« Da befahl der Sultan: »Holt sie aus dem Gefängnis.« Man holte sie aus dem Gefängnis, und sie wurden herbeigebracht. Als sie ankamen, wurde der Sack geöffnet, man sah hinein, und darin war die Tochter des Veziers mit ihrem Manne; die Sultanstochter war nicht darin. Die jungen Leute aber staunten sehr; und man fragte die Vezierstochter: »Weshalb bist Du eingesperrt worden?« Sie sagte: »Diese Männer sind gekommen, mich zu begehren; ich weigerte mich, darauf fesselten sie mich und meinen Mann.« Ihr Vater aber, der Vezier, wurde sehr zornig, dass seine Tochter ohne Grund eingesperrt worden war.
Genug – der Sultan vertrieb jene Jünglinge aus der Stadt und verbannte sie mit den Worten: »Verlasst meine Stadt; denn es ist kein Anstand, die Frau eines andern zu begehren und sie dann, wenn sie sich weigert, auch noch zu fesseln; das ist nicht Sitte hier, hinaus aus meiner Stadt!« Jene entfernten sich, und der Vezier freute sich, denn er merkte, dass er noch mehr in der Gunst des Sultans gestiegen sei.
Der junge Mann, der die Tochter des Veziers geheiratet hatte, erfuhr also, dass in diesem Lande die Frauen Verstand besassen. Er reiste weiter und kam in ein anderes Land. In der neuen Stadt, in die er[184] kam, besassen die Frauen grosse Klugheit. Er kam und sprach: »Ich möchte, dass Ihr mir die Klugheit der Frauen zeigt.« Die Antwort darauf gab ihm eine alte Frau. Sie sprach zu ihm: »Eine Frau ist hier, der werde ich sagen, dass sie Dich die Klugheit der Frauen kennen lehrt; es ist eine Frau, die einen Mann hat, und dieser ist sehr eifersüchtig. Er erlaubt seiner Frau durchaus nicht auszugehen, noch hat je ein junger Mann Zutritt zu seinem Hause wegen seiner Eifersucht.« Sie begab sich nun zu der Frau, erzählte ihr dies und sprach: »Es ist ein schöner Mann hergekommen, der kommt aus einem fernen Lande hierher, um die Klugheit der Frauen kennen zu lernen; ich bitte Dich nun, dass Du ihm die zeigst.« Jene Frau antwortete: »Gut, ich habe es vernommen.«
Darauf hub sie also an: »Geh' zu meinem Manne und sage ihm: ›Ich habe etwas zur Aufbewahrung erhalten von einem Araber, einem sehr mächtigen Manne; der hat mir seine Frau gegeben, dass ich um sie bleibe, und er selbst ist fortgereist; und nun habe ich sie, jene Frau; ich bin eine noch rüstige Frau und möchte gern ausgehen, um Speise und Brennholz zu suchen; aber fortzugehen und sie allein zu lassen fürchte ich; es möchten Männer kommen und ihr nachstellen. Dann würde der Eigentümer zornig werden, wenn er zurückkommt und es hört. Daher möchte ich sie in Dein Haus bringen zu Deiner Frau.‹« Die Alte that so, wie ihr gesagt wurde, und der Mann sprach: »Gut, ich bin einverstanden, hole sie, bringe sie her und lass sie in's Haus kommen zu meiner Frau.«
Die Alte ging hin, zog dem jungen Manne ein Frauengewand an mit Beinkleidern, Schleier und Spangen an den Füssen und kam dann mit ihm. Jener Mann glaubte[185] sicher, dass dies wirklich eine Frau sei; und es war ein Mann und keine Frau, aber Weiberlist hatte das in's Werk gesetzt. Und er sagte zu der Alten: »Bringe sie in's Haus zu meiner Frau.«
Als sie dort ankamen, sprach der Mann: »Sie soll in dem kleinen Zimmer wohnen.« Er ging also hin und wohnte in dem kleinen Zimmer. Jene, seine Frau, kam nun und plauderte mit ihm; und diesen Mann, der in's Haus eingedrungen war, hielt ihr Gatte für eine Frau, aber es war keine Frau.
Als es nun Nacht und Schlafenszeit wurde, kam die Frau, um im Zimmer ihres Mannes zu schlafen. Ihr Mann aber sprach: »Es ist nicht anständig, wenn eine Fremde in Dein Haus kommt, die von Familie ist und dazu die Frau eines mächtigen Mannes, dieselbe allein zu lassen und hier zu schlafen, das ist nicht anständig; geh' und plaudere mit ihr; ich bin es zufrieden.« Die Frau ging hin, schloss die Thür ab und unterhielt sich mit ihm. Und sie sprach zu jenem Manne: »Merkst Du nun die Klugheit der Frauen?« Er antwortete: »Die sehe ich.« Und sie sprach: »Ich werde Dir noch andere Proben zeigen.«
Sie wartete bis zum Abend, dann rief sie die Alte und sprach zu ihr: »Komm morgen und hole diesen jungen Mann wieder ab, und wenn mein Mann zu Dir kommt, sage ihm, jener verlange seine Frau von Dir zurück, er sei aus dem Innern zurückgekehrt.« Die Alte begriff, dass sie ihren Mann töten wollte, denn sie kannte die Klugheit der Weiber sehr genau. Sie antwortete: »Gut.«
Als es Abend war und ihr Mann schlief, sprach sie zu ihrem Liebhaber: »Nimm einen Dolch und stosse ihn meinem Manne in den Leib.« Er nahm einen Dolch, ging hin und stach ihn in den Leib; und er starb, ihr[186] Mann. Er schnitt ihm den Kopf ab, warf den ganzen übrigen Körper in die Düngergrube und wusch das Blut fort. Den Kopf tauchte er in Arznei, damit er nicht verwesen könne. Nachdem er so den Kopf mit Arznei bearbeitet hatte, steckte er ihn in ein Kästchen.
Am Morgen kam dann die Alte; der junge Mann war schon ausgegangen, um zu der Alten zu kommen. Während er hinging, kam die Alte und sprach: »Wo ist Dein Mann? Ich will die fremde Frau wiederhaben, die ich zur Aufbewahrung zu Euch gebracht habe.« Die Frau antwortete: »Du, Alte, bist ein grosser Spitzbube, Du hast mir die Frau in's Haus gebracht, um meinen Mann zu verführen, und nun ist das Weib mit meinem Manne entflohen, ich weis nicht wohin; seit fünf oder sechs Uhr habe ich sie nicht mehr gesehen.«
Die Alte war jedoch damit nicht einverstanden. Sie ging zu dem jungen Manne, um ihm Rat zu geben, und sprach: »Geh' und verklage mich beim Richter, Du habest mir Deine Frau gegeben und ich habe sie verloren.« Er ging hin und verklagte sie beim Richter. Die Alte wurde gerufen und aufgefordert, die Frau des Fremden herauszugeben. Sie antwortete: »Allerdings, er hat mir seine Frau gegeben, dass ich um sie bleibe; aber ich habe sie einem Araber zum Schütze übergeben.« Der Richter sprach: »Hole diesen Araber her bei.« Sie antwortete: »Er ist nicht da, er ist mit der Frau entflohen.« Der Richter fragte: »Ist seine Frau da?« Sie antwortete: »Ja.« Da sagte der Richter: »So rufet die Frau dieses Arabers und lasst sie herkommen.« Man ging hin und sie wurde geholt.
Als sie kam, wurde sie gefragt: »Wo ist Dein Mann?« Sie sagte: »Er ist nicht da, er ist entflohen mit jener Frau, die zu uns kam.« Der Richter sagte: »Du,[187] Araber, warte sechs Tage lang, wenn dann Deine Frau mit jenem Araber zurückkommt, ist es gut, wenn nicht, so nimm diese seine Frau und zieh mit ihr fort.«
Er wartete sieben Tage, aber jener erschien nicht; denn er war schon vorher von seiner Frau getötet worden. Da nahm er jene Frau und zog mit ihr fort. Und die Frau sprach zu ihm: »Hast Du nun die Klugheit der Frauen erkannt, die ich Dir zum zweiten Male bewiesen habe?« Er erwiderte: »Ich habe sie erkannt.« Er nahm seine Frau und zog von dannen. Die Frau aber nahm das Haupt ihres Mannes, den sie ermordet hatte, mit sich.
Ihr Mann beschloss nun, sich auf den Weg zu machen, um nach seiner Heimat zurückzukehren, aber bei seiner Frau, der Vezierstochter, sprach er nicht vor. Als er endlich bis auf drei Stunden an seine Vaterstadt herangekommen war, legte er sein Schiff vor Anker. Sobald die Nacht kam, fuhr er zwei Stunden weiter, sodass noch eine Weg-Stunde bis zur Stadt übrig war. Da sagte jene Frau, die mit ihm kam: »Wie viele Stunden sind es noch von hier bis zur Stadt?« Er antwortete: »Eine Stunde.« Sie sprach: »Lass ein Dampfboot ins Wasser hinab;« und er liess ein Dampfboot hinab. Sie fuhren nun bis zur Stadt, und die Frau hatte ein Zaubermittel mitgenommen, das verschlossene Thüren öffnete. Als sie in der Nacht im Hafen ankamen, stiegen sie an's Land; und alles schlief in der Stadt.
Sobald sie in die Stadt kamen, gingen sie nach seinem Hause zu jener, seiner ersten Frau. Und das Weib sprach zu ihm: »Suche eine Leiter und bringe sie her.« Er stellte die Leiter zurecht, stieg hinauf zum Fenster, bestrich dasselbe mit dem Zaubermittel, das Fenster öffnete sich, und er stieg hinein in sein Haus. Als er[188] hineinkam, erblickte er jenen Sultanssohn, der mit seiner Frau Ehebruch trieb. Er bestrich beide mit dem Zaubermittel, und die Besinnung schwand ihnen, sodass sie kein Bewusstsein mehr hatten. Darauf tötete er den Sultanssohn, den er bei seiner Frau überraschte. Dann nahm er alles Blut, goss es ins Wasser, ergriff den Kopf desselben und behandelte ihn mit dem Zaubermittel, damit er nicht verwese. Das Uebrige warf er in eine Grube. Alsdann flösste er seiner Frau ein Mittel in die Nase, und das Bewusstsein kehrte ihr allmälig wieder.
Jener, ihr Mann, ging nun fort mit dem Weibe, und den Kopf des Sultanssohnes nahm er mit und stieg in sein Dampfboot, um zu dem Schiffe zurückzukehren. Als seine erste Frau wieder aus dem Schlafe erwachte, sah sie, dass ihr Liebhaber, der Sultanssohn, nicht mehr da war, und sie wunderte sich sehr.
Sobald es Morgen wurde, fuhr das Schiff nach der Stadt. Der Sultanssohn wurde allenthalben gesucht in der Stadt. Als das Schiff in die Stadt kam, stieg der Vezierssohn aus, ging nach seinem Hause und kam zu seiner Frau. Diese ärgerte sich, weil man nicht wusste, wohin ihr Liebhaber, der Sultanssohn, gegangen sei, der doch in ihrem Hause geschlafen hatte. Als sie nun ihren Mann erblickte, sprach sie zu ihm: »Wo ist das Stückchen Verstand, das ich Dir aufgetragen hatte zu kaufen?« Ihr Mann antwortete ihr: »Bereite mir Speise und lass mich essen; dann will ich Dir antworten.« Die Frau sprach: »Zeige mir das Stückchen Verstand, das ich Dir zu kaufen auftrug; wenn Du mir es nicht zeigen kannst, so gieb mich frei; dann will ich Dich nicht mehr.« Der Mann erwiderte: »Gut, aber bereite mir zunächst das Essen.« Die Frau bereitete Speisen, und als es Nacht wurde, sprach sie:[189] »Zeige mir nun das Stückchen Verstand.« Er gab ihr einen Schlüssel und sprach: »Oeffne den Koffer.« Und die Frau öffnete den Koffer. Darin fand sie eine Kiste, nahm dieselbe heraus, öffnete sie und sah ein Fach darin. Er sagte zu ihr: »Oeffne das Fach.« Sie öffnete es und fand zwei Menschenköpfe darin. Und er sprach: »Oeffne und sieh Dir den einen Kopf an«; sie that es und erblickte den Kopf des Mannes jener Frau, die mit ihm gekommen war. Dann sprach er: »Nimm auch den andern heraus«; und sie erblickte das Haupt des Sultanssohnes, der mit ihr Ehebruch getrieben hatte und bei ihr im Hause gewesen war. Da erschrak die Frau und weinte sehr, und ihr Herz erbebte.
Darauf sprach sie: »Ich bereue es, mein Mann; ein anderes Mal, wenn ich dergleichen wieder zu Dir sagen sollte, töte mich.« Der Mann sagte: »Ich glaube Dir nicht; schwöre, dass Du kein Wort von dem sagen wirst, was Du von dem Sultanssohn, der gestorben ist, gesehen hast.« Die Frau war bereit dazu und legte den Eid ab. Ihr Mann mochte sie jedoch nicht mehr, aber er fürchtete anfangs, sie möchte ihn angeben, dass er es sei, der den Sultanssohn getötet habe. Als sie geschworen hatte, schlief er ruhig bis zum Morgen. Er wusste nun, dass diese Frau, nachdem sie einen Eid geschworen hatte, ihm nicht mehr schaden könne. Er entliess sie und sprach: »Ich mag Dich nicht mehr, geh' zu den Deinen zurück.«
Sie, die Frau, hatte nun ihren Liebhaber, den Sultanssohn, verloren; der war gestorben. Sie selbst hatte einen Eid geleistet, und ihren Mann verlor sie, der verstiess sie; alle drei Dinge musste sie entbehren. Erstens verstiess sie ihr Gatte; zweitens war ihr Geliebter, der Sultanssohn, getötet worden; und drittens konnte[190] sie auch nicht sagen »mein Geliebter, der Sohn des Sultans, ist von dem und dem ermordet worden«; das konnte sie nicht sagen wegen des Eides, den sie geschworen hatte.
Das ist die Geschichte von der Frau, die ihren Mann betrog; und so steht es mit dem Verstand der Weiber.
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