[228] Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne; sein Verlangen war immer nach Moschee und Gebet. So baute er eine schöne Moschee, und als die Bauleute fertig waren, ging er hin zu beten. Während er betete, kam ein Derwisch und sagte zu ihm: »Die Moschee ist schön, aber das Beten ist unwirksam.« Als der König das gehört hatte, riß er die Moschee von Grund aus nieder und baute anderswo eine noch schönere. Als sie fertig war, ging er wieder hin zu beten; der Derwisch kam und sagte dasselbe wie vorher. So riß der König auch diese Moschee wieder ab und baute eine andre; darauf verwendete er so viel Geld, daß er sein ganzes Vermögen ausgegeben hatte, das ganze Königreich. Als auch die dritte Moschee fertig war, ging er wieder hin zu beten. Während seines Gebetes kam der Derwisch und sagte wieder dieselben Worte. Da erhob sich der König, ging in seinen Palast und saß betrübt da, denn um nochmals die Moschee abzureißen und eine neue zu bauen, hatte er nichts mehr, und falls er beten ginge, wäre das Gebet unwirksam. Seine Söhne bemerkten, daß er so in Gedanken und sehr betrübt dasaß und sprachen: »Was hast du, Vater, daß du so betrübt bist? Wir haben noch Vermögen, wir sind ja Könige; warum bist du so in Gedanken versunken?« Der König antwortete ihnen: »Ich habe mein ganzes Vermögen auf die Moschee verwendet, und das Beten gelingt mir nicht.« Darauf sagten die Söhne: »Warum bleibt dir das Gebet[228] unwirksam?« Er antwortete: »Jedesmal wenn ich in der Moschee bete, kommt ein Derwisch und spricht zu mir: ›Das Beten ist unwirksam.‹« Darauf sagten die Söhne: »Geh morgen in die Moschee und bete, wir wollen draußen bleiben und aufpassen, daß wir den Derwisch greifen, damit wir sehen, was das auf sich hat.« So geschah es, der Derwisch kam wie sonst und sagte zu dem König: »Die Moschee ist schön, aber das Beten ist unwirksam.« Als nun der Derwisch sich anschickte aus der Tür zu gehen, ergriffen ihn die Söhne und sagten zu ihm: »Warum sprichst du die Worte: die Moschee ist schön, und das Beten ist unwirksam?« Der Derwisch antwortete: »Diese Moschee ist sehr schön, wie sonst keine in der Welt, aber sie müßte noch die Nachtigall Gisar haben, und die müßte darin singen, dann würde sie etwas sein, was es sonst in der Welt nicht gibt.« Die Söhne fragten: »Wo ist die Nachtigall Gisar? Wir wollen gehen und sie holen.« Der Derwisch antwortete: »Ich habe davon gehört, aber wo sie ist, weiß ich nicht.« Da ließen sie den Derwisch gehen, gingen in den Palast und sagten zu ihrem Vater: »Der Derwisch hat uns gesagt, daß die Nachtigall Gisar fehlt, aber wo die ist, weiß er auch nicht; jetzt wollen wir gehen und sehen, daß wir herausfinden, wo sie ist.« So machten sich die drei Söhne auf, die Nachtigall Gisar zu suchen. Als sie etwa zwanzig Tagereisen gemacht hatten, kamen sie an einen Ort, wo sie auf drei Wege trafen, an jedem war ein Stein, auf dem etwas geschrieben stand; an zwei Wegen besagte die Schrift: »Wer diesen Weg geht, kommt zurück«, und an einem stand geschrieben: »Wer diesen Weg geht, kommt nicht mehr zurück.« Die drei Brüder blieben nun da stehen und berieten sich, und der jüngste sagte: »Wir wollen uns hier trennen und jeder seinen Weg einschlagen; hier wollen wir unsere drei Ringe lassen, und wer zuerst zurückkommt, soll gehen und die andern suchen.« Sie ließen die Ringe unter einem Stein, umarmten sich und gingen auseinander. Der jüngste nahm den Weg, wo geschrieben stand: »Wer diesen Weg geht, kommt nicht mehr[229] zurück«, die beiden andern gingen die Wege, auf denen man zurückkommen konnte. Der eine der beiden älteren Brüder ging in eine Stadt und wurde Barbier, der andere in eine andre Stadt und machte ein Kaffeehaus auf; dort blieben sie und besorgten ihre Geschäfte. Der jüngste, der den Weg genommen hatte, auf dem man nicht zurückkommen sollte, geriet in eine Wildnis, wo es kein Dorf, kein Gasthaus und nirgends einen Menschen gab, nur wilde Tiere und andre wilde Geschöpfe. Unterwegs traf er auf eine wilde Frau, die kämmte ihr Haar mit Ginster; der Bursche ging hin, kämmte sie mit einem Kamm und nahm ihr den Schmutz und die Läuse ab, die sie auf dem Kopf hatte; und als er sie so davon befreit hatte, sagte sie zu ihm: »Was möchtest du von mir dafür, daß du mir diese Wohltat getan und mich von den Läusen befreit hast?« Er antwortete: »Ich möchte nicht, daß du mir etwas gibst, aber ich möchte dich etwas fragen, und wenn du es weißt, sags mir.« Sie fragte darauf: »Was willst du mich fragen?« Der Bursche antwortete: »Ich suche die Nachtigall Gisar; hast du irgendwo von ihr gehört, da du doch im Gebirge herumwanderst?« Darauf sagte sie: »Hier ist der Vogel, den du suchst, nicht; kehr nur wieder um, denn hier sind lauter wilde Tiere; auch ich, der ich doch ein wilder Mensch bin, bin niemals über das Gebirge gegangen, denn dort sind sehr große wilde Tiere.« Der Bursche erwiderte: »Ich gehe, und wie es Gott gibt, möge es geschehen.« Damit ging er von ihr fort und stieg auf einen Berg. Dort sah er ein Haus, das war das Haus des Tigers; dahin ging er. Der Tiger war nicht zu Hause, nur seine Frau, die war beim Brotbacken. Der Bursche redete sie an, und sie antwortete: »Was wolltest du hier? Mein Mann kommt jetzt, und der wird dich fressen.« Er sagte darauf: »Da ich jetzt einmal da bin, macht mit mir, was ihr wollt.« Als nun die Zeit kam, daß die Tigerfrau das Brot in den Backofen schieben sollte, verstand sie die Kohlen nicht anders auszubreiten als mit ihren Brüsten; dabei verbrannte sie sich jedesmal und war zehn Tage krank.[230] Als der Bursche das sah, sprach er zu ihr: »Laß mich die Kohlen ausbreiten«, schnitt einen Zweig ab und breitete sie damit aus. Als die Frau so gelernt hatte, Brot zu bereiten ohne krank zu werden, freute sie sich sehr, aber der Bursche tat ihr leid, daß der Tiger kommen und ihn fressen würde. Als sie nun das Brot aus dem Ofen genommen hatte, gab sie dem Burschen zu essen und versteckte ihn dann in einer Kiste.
Darauf kam der Tiger nach Hause, fand seine Frau nicht krank, sondern auf den Füßen und sagte ärgerlich zu ihr: »Warum hast du heute kein Brot bereitet?« Sie antwortete: »Ich habe Brot bereitet«, und er: »Wenn du das Brot bereitetest, wurdest du immer krank, warum bist du jetzt nicht krank geworden?« Sie antwortete: »Ich habe ein Mittel gefunden, mich nicht zu verbrennen, wenn ich Brot bereite«; darauf zeigte sie es ihm und sagte: »Wenn ich hier einen Menschen hätte, der mich lehrte, mich beim Brotbereiten nicht zu verbrennen, was würdest du mit ihm machen?« Der Tiger antwortete: »Mit dem Menschen würde ich mich verbrüdern.« Da ließ sie den Menschen aus der Kiste heraus und sagte zu ihrem Manne: »Der ists, der mich belehrt hat«, und so umarmten sich der Mensch und der Tiger und schlossen Freundschaft, und der Tiger fragte ihn: »Weshalb bist du hierhergekommen?« Der Mensch antwortete: »Ich suche einen Vogel, den man die Nachtigall Gisar nennt, hast du etwas von dem gehört oder nicht?« Darauf sagte der Tiger: »Hier ist dieser Vogel nicht, aber ich habe einen Bruder, der ist sehr alt, die Augenlider sind ihm heruntergefallen und decken die Augen zu, so daß er nicht sehen kann; dahin sollst du gehen«; auch zeigte er ihm den Weg zu dem Hause und befahl ihm an: »Wenn du nahe zu dem Hause kommst, wirst du die Frau des Löwen, meines Bruders, treffen; sie ist alt; sie hat sich gerade umgewandt und sieht auf das Haus zu; ihre Brüste hat sie über die Schultern zurückgeworfen. Du mußt nun von rückwärts kommen und die Brust in den Mund nehmen; dann wird sie zu dir sagen:[231] Wer bist du, der da meine Brust nimmt, und du antworte: Ich bin dein Sohn, ich erkenne dich als meine Mutter. Dann wird mein Bruder von drinnen fragen: Wer ist da?, und du sagst darauf sogleich: Ich bin der Freund deines Bruders, des Tigers, und er schickt mich zu dir wegen einer Angelegenheit, die mich angeht. Er wird dann sagen: Komm herein. Du gehst hinein und hebst ihm die Augenlider auf, daß er dich sehen kann. Er kann wissen, wo die Nachtigall Gisar ist; wenn er es aber nicht weiß, geh nicht weiter, sondern kehre um.« Darauf umarmten sich der Tiger und der Bursche und gingen auseinander, der Bursche tat, wie ihm der Tiger geheißen hatte und fragte den Löwen, ob er wisse, wo die Nachtigall Gisar sei. Der Löwe antwortete: »Der Vogel ist nirgends, kehre um, denn von hier weiter sind wilde Geschöpfe aus der Geisterwelt, so daß auch ich nicht dadurch kommen kann, der ich doch der König der wilden Tiere bin.«
Aber der Bursche kehrte nicht um trotz allem, was ihm der Löwe sagte, sondern nahm Abschied von ihm und ging den Weg, von dem ihm der Löwe gesagt hatte, er solle ihn nicht gehen. So ging er eine lange Strecke, da erschienen drei Adler und machten den Mund auf, um den Burschen zu fressen. Er aber zog den Säbel, hieb dem einen den Flügel, dem anderen das Bein, dem dritten den Schnabel ab. Darauf gingen sie ihres Weges, und der Bursche setzte auch seinen Weg fort. Nach einer Weile sah er plötzlich ein Haus auf einer großen Ebene und ging darauf zu; dort traf er eine alte Frau, die einen Kringel auf die Glut gelegt hatte und ihn buk. Als sie ihn sah, rief sie aus: »Was wolltest du hier, mein Sohn? Meine Töchter werden kommen und dich fressen.« Der Bursche antwortete: »Da ich nun einmal hier in deiner Hand bin, mach mit mir, was du willst.« Da nahm die Alte den Kringel vom Feuer und gab ihm zu essen. Darauf deckte sie den Tisch mitten im Hause, stellte mitten darauf eine Schüssel mit Wasser, setzte ringsum den Tisch die Speise auf und schloß dann den Burschen[232] in einen Schrank ein, ließ ihm aber ein Loch, damit er sehen könne, was geschähe. Da sah der Bursche nach kurzer Zeit den Adler kommen, dem er den Flügel abgehauen hatte, der kam zum Fenster herein, ging zu der Wasserschüssel auf dem Tisch, badete sich und wurde ein Mädchen. Bald darauf kamen auch die andern Adler, die er verwundet hatte, badeten sich und wurden zu Mädchen. Die sagten nun zu der Alten, ihrer Mutter: »Es riecht uns nach Menschen.« Die Alte antwortete: »Ihr kommt von Menschen, darum riecht es euch danach.« Als nun die Mädchen gegessen hatten, sagte die Alte: »Wenn ich hier einen Mann hätte, was würdet ihr mit ihm machen?« Darauf sagte die älteste: »Bei der Seele des Mannes, der mir den Flügel abgehauen hat, ich werde ihm kein Leid antun«; und die zweite sagte: »Bei der Seele dessen, der mir das Bein abgehauen hat, ich werde ihm kein Leid antun.« Ebenso sprach auch die jüngste; darauf ließ die Alte den Burschen heraus und er sagte: »Ich bin der, der euch verwundet hat.«
Da freuten sie sich sehr, daß sie dem Burschen wieder begegnet waren, und fragten ihn: »Weshalb bist du hierher gekommen?« Er antwortete: »Ich suche die Nachtigall Gisar, und wen ich auch gefragt habe, bis ich hierher gekommen bin, keiner wußte etwas von ihr.« Sie aber sagten: »Wir wissen, wo die Nachtigall Gisar ist, aber wenn du zu Fuß gehen willst, geschweige, daß du nicht durchkommst bis dahin, aber auch wenn du durchkommst, sind es drei Jahre Reise, bis du an den Ort kommst.« Darauf sagte er: »Aber was soll ich tun?«, und sie sprachen: »Du sollst uns etwas Gutes erweisen, was wir von dir wünschen, dann wollen wir dich in einer Stunde dahin bringen, und du kannst die Nachtigall nehmen.« Der Bursche fragte: »Was wünscht ihr von mir, was soll ich euch erweisen?«, und sie sagten: »Du sollst drei Monate bei uns bleiben, bei jeder von uns einen Monat.«
Nach den drei Monaten brachten sie ihn an den Ort, wo die Nachtigall Gisar war. Aber die Besitzerin der Nachtigall war die Schöne der Erde und Königin; an ihrem Hofe hatte[233] sie fünfhundert Wächter, an der äußeren Tür wachte der Wolf, an der zweiten der Tiger, an der Tür ihres Gemaches der Löwe. Dorthin brachten den Burschen seine Freundinnen und setzten ihn im Hofe ab gerade zu der Zeit, als alle die Männer, der Wolf, der Tiger, der Löwe und auch die Schöne der Erde eingeschlafen waren, und er ging hindurch und in ihr Gemach. Dort hatte sie vier Kerzen angezündet und andere vier standen auf dem Tisch nicht angezündet; die angezündeten waren beinahe zu Ende. Als nun der Bursche hineinkam, zündete er die vier frischen Kerzen an, löschte die brennenden aus, nahm den Käfig mit der Nachtigall Gisar und ging hinaus. Aber als er aus der Tür trat, erwachten alle, doch ehe sie ihn ergreifen konnten, nahmen ihn seine Freundinnen auf und brachten ihn wieder in ihr Haus. Dort blieben sie noch einige Zeit zusammen, dann sagte der Bursche: »Jetzt bringt mich in mein Land«, und sie brachten ihn an den Ort, wo er sich früher von seinen Brüdern getrennt hatte. Dort ging er zu dem Stein, wo sie die Ringe gelassen hatten und fand die Ringe seiner Brüder. Nun schlug er den Weg ein, den seine Brüder genommen hatten, fand den einen als Barbier, den andern als Kaffeewirt, und sagte zu ihnen: »Kommt, wir wollen zum Vater gehen; ich habe die Nachtigall Gisar gefunden und mitgebracht.«
So machten sich die drei Brüder zusammen auf den Weg zu ihrem Vater. Unterwegs bekamen sie Durst; eine Quelle fanden sie nicht, trafen aber auf einen Brunnen, doch hatten sie nichts, womit sie Wasser schöpfen konnten. Da sagten die beiden älteren zu dem jüngsten Bruder: »Steig du hinein und schöpfe uns Wasser, daß wir trinken können.« Damit banden sie ihn an ein Seil und ließen ihn hinab, schnitten aber das Seil durch und gingen davon. Aber der Brunnen hatte kein sehr tiefes Wasser, so daß der Bursche hätte ertrinken können, sondern es reichte ihm nur bis an den Hals, so daß der Kopf draußen blieb. Als so die beiden den jüngsten Bruder in den Brunnen geworfen hatten, hörte die Nachtigall Gisar auf zu singen. So nahmen sie den Vogel[234] und brachten ihn zu ihrem Vater. Der fragte nach dem jüngsten: »Was habt ihr mit ihm gemacht?« Sie antworteten: »Er ist ein Gauner geworden und treibt sich überall in den Städten herum.«
Da zog nun die Königin, die Schöne der Erde, aus; sie kam, den König zu bekriegen und den Mann zu fordern, der den Vogel genommen hatte. Da machte sich der älteste Bruder auf und ging zu ihr; sie fragte ihn: »Du bist gekommen und hast die Nachtigall Gisar genommen?« Er antwortete ja. Darauf sagte sie: »An welcher Stelle hast du sie gefunden?« Er antwortete: »Auf einer Zypresse.« Da ließ sie ihn niederwerfen und ihre Leute mußten ihn prügeln, bis er unter den Schlägen starb. Als der zweite Bruder vernahm, daß sie den ältesten getötet hatte, und als sie die Kanonen auf den Königspalast richtete und auch die Stadt und den Palast halb zerstört hatte, da ging er dann aus Furcht zu seinem Vater und sagte ihm die Wahrheit, was sie getan hatten, daß sie den jüngsten Bruder in den Brunnen geworfen hatten. Der König schickte sogleich Leute hin, die holten den jüngsten Sohn halb tot aus dem Brunnen, er konnte gerade noch atmen, aber kein Wort hervorbringen. Nach einigen Tagen kam er zu sich und sprach wieder. Sobald er sprach, fing die Nachtigall Gisar an zu singen und sang so schön, daß alle Leute von Sinnen kamen. Als die Schöne der Erde die Stimme der Nachtigall hörte, schickte sie sogleich Leute, die von dem Tor des Königspalastes bis zu ihrem Dampfschiff rotes Tuch ausbreiten mußten. Nun stieg der Königssohn zu Pferde, nahm die Nachtigall in die Hand und ritt über das Tuch. Als die Leute ihn so reiten sahen, erschraken sie sehr und dachten: »Jetzt wird die Schöne der Erde die Stadt um und um kehren«; aber sie irrten sich. Als der Königssohn nahe bei dem Dampfschiff war, kam die Schöne der Erde heraus und empfing ihn; sie gingen auf das Schiff, und sie fragte ihn: »Wo hast du die Nachtigall Gisar genommen?«, und er erzählte ihr getreulich, wie er den Vogel genommen hatte. Nun wurden sie einig und heirateten sich; so bekam der[235] Königssohn die Schöne der Erde, und sie leben noch heute, freuen sich ihres Lebens und herrschen als Könige.
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