Vorwort

An

Frau Milena Preindlsberger-Mrazović

in Sarajevo.


Hochverehrte Frau!


Sie teilten mir Ihren Wunsch mit, daß ich Ihrer Ausgabe der »Bosnischen Volksmärchen« einige Worte der Begleitung auf den Weg mitgeben soll. So schmeichelhaft dieser Wunsch auch ist, ich finde ihn eigentlich überflüssig. Sie sind ja dem deutschen Lesepublikum, soweit es sich um das Land und die Leute, denen Sie Ihre Feder leihen, interessiert, schon längst bekannt. Also einer Empfehlung nach dieser Richtung bedarf es nicht. Das Bändchen Märchen aber, das Sie aus einer großen Zahl des Ihnen zu Gebote stehenden Materials ausgewählt und den vielen Freunden dieser Art Volksliteratur in die Hand geben, sollte, um nach seinem inneren Wert gewürdigt zu werden, einem Fachmanne in der Märchenkunde, wie es deren in jeder Literatur mehrere gibt, vorgelegt werden. Ein solcher – ich nenne beispielsweise meinen Freund, Prof. Polivka in Prag – würde zu jedem der fünfzehn Märchen dieses Büchleins eine Unzahl von Parallelen aus allen möglichen Volksliteraturen zitieren können, um zu zeigen, daß die kleinen Geschöpfe überall in der weiten Welt ihre Verwandten haben und es eigentlich bloß auf einen geringeren oder größeren Grad der Befähigung und Gewandtheit ankommt, wie sie bei einzelnen Völkern in mündlicher Überlieferung leben.

Ich will hoffen, daß es Ihnen bei der Wiedergabe dieser Märchen in deutscher Sprache gelungen ist, die lokale Couleur der bosnischen Erzähler oder Erzählerinnen treu zu bewahren, auf die gerade die Folkloristik den größten Wert legen muß. Denn wer dieses Büchlein nicht bloß als angenehme[5] Lektüre, nicht bloß wegen der vortrefflichen ethnographisch getreuen Illustrationen liebgewinnt, wer es unter einem andern Gesichtspunkt, als einen neuen Beitrag zur Bereicherung unserer Kenntnisse der serbokroatischen Märchen einer vergleichenden Prüfung unterziehen wollte, wird vor allem bestrebt sein, nach dem spezifisch Bosnischen darin zu fragen. In der Tat glaube ich behaupten zu dürfen, daß auch auf dem Gebiet der Märchen sich einige Stoffe ebenso ausscheiden lassen, die den Bekennern des Islams besonders behagen, wie wir betreffs der epischen Volksdichtung jetzt schon sehr gut wissen, daß auf dem gemeinsamen Kanevas der Serben und Kroaten die Bekenner des Islams einen eigenen Inhalt gestickt haben. So vermute ich, daß einige von diesen Märchen (z.B. unter Nummer 3, 4, 13, 14) hauptsächlich in dem Munde der Moslims zirkulieren, während andere einen christlichen Einschlag verraten. Nun sind wir darüber zunächst noch sehr wenig orientiert, weil uns Märchen aus Bosnien und Herzegowina noch nicht in sehr großer Anzahl zugänglich sind. Und auch das schon Gedruckte ist sehr weit zerstreut, zumeist in periodischen Zeitschriften. Es ist außerdem der Umstand in Betracht zu ziehen, daß das vor den letzten Dezennien gesammelte Material fast ausschließlich von den katholischen und orthodoxen Bewohnern des Landes herrührte. Erst in neuerer Zeit sind uns auch die Anhänger Islams zugänglich geworden. Jetzt ließe sich also vielleicht auch auf dem Gebiete der Märchen ebenso ein moslemitischer Typus erkennen, wie er uns in der Epik durch die Publikationen namentlich Konstantin Hörmanns klargelegt worden ist.

Wenn Sie, meine Gnädige, mit diesem Büchlein und weiteren, demselben Gegenstand gewidmeten Sammlungen uns dazu verhelfen, diesen Typus zu erkennen, wird im Bereich der serbokroatischen Folkloristik Ihr Name ebenso mit Anerkennung genannt werden, wie schon jetzt Ihre Verdienste um die Schilderung des geistigen und materiellen Lebens der diese zwei schönen Länder bewohnenden Bevölkerung allgemein anerkannt sind.

Ich verbleibe mit größter Verehrung


Ihr ganz ergebener

V. Jagić.


Abbazia, 15. September 1904.[6]


Die kritisch anregenden Worte des berühmten Slavisten, des Herrn Hofrates Professor Dr. Vatroslav Jagić, dessen offenes Sendschreiben die ersten Seiten dieses Büchleins schmückt, sein Hinweis auf die scharf und bestimmt auftretenden Eigentümlichkeiten des Stoffes und auf den wissenschaftlichen Maßstab, der an derartige Publikationen gelegt wird, eröffneten auch mir neue Gesichtspunkte, und ungesäumt ging ich daran, mein Märchenmaterial, das sich im Laufe der Jahre angehäuft, aufs neue zu sichten. Nochmals prüfte ich die aus allen Teilen des Landes und von individuell sehr verschiedenen Erzählern herrührenden Varianten ein und desselben Themas, summierte sie und verglich sie dann mit dem, was sie in meiner Hand geworden. Und mit dem Forschungseifer kam einen Augenblick lang auch die Versuchung über mich, das, was ich auf den folgenden Blättern in feiertäglichen Stunden niedergeschrieben, wieder zurückzunehmen und meinen ganzen Märchenbesitz unverkürzt herauszugeben in ursprünglicher Lesart und wörtlich genauer Übersetzung, gewissenhaft und peinlich.

Das Gefühl meiner Unzulänglichkeit einer solchen wohldisziplinierten Aufgabe gegenüber, ließ mich diese Idee rasch wieder aufgeben. Was dem großen Gelehrten so naheliegend däucht, mir ist es nicht erreichbar. Indem ich mir dies eingestand, empfand ich es drückend, daß es nunmehr einer Rechtfertigung für das Erscheinen dieses Büchleins bedürfe, und verzagt irrten meine Gedanken umher.

Da traten zwei Freunde bei mir ein. Vollblutgermanen. Sie hatten von Nord nach Süd die dunklen Täler Bosniens durchwandert, hatten auf[7] den lichten herzegowinischen Almen gelagert und die Herrlichkeit des Durmitor geschaut, all dies jetzt, »von einem jungen Mond zum andern«. Noch haftete an ihnen der frische Hauch des Hochgebirgs, und auf ihren braunrotgebrannten Gesichtern strahlte die Freude über das Erlebte.

»Erzählet, meine Freunde, erzählet!« Und sie taten es:


*


»Das Feuer erlischt. Das letzte Holzscheit sinkt raschelnd in sich zusammen, und irre Funken tanzen zum Nachthimmel, der sternbesät über den schwarzen Felsenwänden in der Runde ruht. Um die weißgrau und rot verglühenden Aschenreste hocken im Kreise buntgegürtete Männergestalten, die ums Haupt den weißen Turban tragen. Wenn sie den Kopf leicht zueinander wenden, zeichnen sich große, starke Profile vom dunklen Hintergrunde ab, mit flatterndem Schnurrbart und hartem Kinn. Im aufflackernden Scheine des letzten Scheites schimmert aus dem Dunkel drüben unser weißes Zelt.

Das ist die Nacht. Der Gesang der Männer, der eben noch rauh und melancholisch ums Feuer klang, ist verstummt, das Lied von der schönen Hirtin,


Die einen Andern nehmen sollt,

Ihr Vater hat es gewollt. –


es ist zu Ende und verschwebt zu sternbeschienenen Höhen. In starrem Reigen stehen die schwarzen Berge, großmächtig und still. In wilder Pracht liegt schweigend die Natur. Und auch wir Menschlein schweigen ehrfurchtsvoll und ahndevoll. Das Reich der Träume und der Märchen ist gekommen.

Doch hört! Klirrte da nicht ein Stein? – Wechseln die Gemsen oben und senden freundlichen Nachtgruß zutal? – Noch einmal rollt es. Aus finstrer Nacht hallt ein langgezogener Hirtenruf, halb wild halb klagend. Wir antworten und warten. Es ruft zum zweitenmale, näher. Schritte im nahen Geröll, und aus dem Dunkel taucht plötzlich ein weißer Riese auf.[8]

Bist du es, Wujko? Der seine Schafe auf der hellsten Höhe droben weidet? Lockte Dich der Feuerschein? Stieg der Duft des Lammes hinauf zu Dir, das wir am Spieße hatten?

Setze Dich, Wujko! Ein Stück Lende verblieb Dir noch. Und Du, Halil, saumseliger Treiber der Rosse, und Du, Mato, der uns Wasser gebracht, tummelt Euch! Schichtet trockne Stämme und Reiser des Urwaldes und laßt das Nachtfeuer heller lodern.

Sahet Ihr es schon einmal, wie mit blendenden Zähnen und lachendem Munde, schweigend, Wujko das Lendenstück zerreißt?

Das Feuer lodert. Die Flammen steigen. Der rote Schein beleuchtet hoch hinauf das nackte Gefels, und unruhige Schatten flattern durch den nahen Tann.

Höre, Wujko, später Hirte! Sie sagen, Du weißt die besten Märchen im Tal?

Er lächelt nur. Noch einen Trunk Wasser. Enger und enger schließt sich der Kreis und Wujko, tiefsinnig hockend, ins Feuer blickend, rot beschienen, hebt an.«


*


Wissen wollt Ihr nun von mir, Ihr Fremdlinge, was Wujko, der Hirte wohl erzählt haben mag? Habt Dank für dies Begehren! Nie spracht Ihr eines aus, das gelegener kam. Weiß ich doch nun, wozu dies Büchlein dienen soll.

Auch ich sah jene Berge, wo die Wässer klarer laufen, wo mit schwerem Flügelschlag der Adler um die roterglühenden Felsen streicht. Wildwässer stürzen zutal, nieder in blumiges Gefild, und ihr Donner erstirbt in Urwaldrauschen. An den Hirtenfeuern saß ich in flimmernden Vollmondnächten, gleichwie an den Herdstellen ärmlicher Hütten in dunklen Schluchten, an deren Wänden der Herbstregen niederprasselte. Stunden- und stundenlang. Und was mir von all dem, was ich damals erlauscht, in Herz und Sinn verblieb, davon sei unseren deutschen Freunden hier einiges wiedererzählt. Vielleicht merkt auch der eine oder andere Kenner mein redlich Bemühen, die Eigenart des Einzelnen im Ganzen wiederzugeben, vielleicht entdeckt er[9] mit verständnisvollem Lächeln die fremdartigen Lichter, die am Leben zu erhalten mir etwa gelungen sein sollte. Im Übrigen will ich schon dankbar und zufrieden sein, wenn von dem besonderen Ton unserer weltfernen bosnischen Berge unterstützt, der alte Zauber wundersamer Märe den unbefangenen, nur lebensuchenden Leser in seinen Bann zieht.


Sarajevo, im Oktober 1904.

Die Verfasserin.[11]


Vorwort

Quelle:
Preindlsberger-Mrazovic, Milena: Bosnische Volksmärchen. Innsbruck: A. Edlinger, 1905, S. V5-XII12.
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