Wolf Königssohn.

[251] Eines Tags ging der König mit seiner fünfzehnjährigen Tochter im Garten spazieren und da juckte ihn plötzlich etwas am Kopfe und er bat seine Tochter, doch nachzusehen, was es wäre, das ihm keine Ruhe ließ. Da suchte sie und fand eine Laus in seinen Haaren. Keins von ihnen hatte aber je ein solches Thier gesehen und daher setzten sie die Laus in eine Butterbüchse, um zu sehen, was daraus noch werden könnte, und ehe ein Jahr um war, war das Thier so gewachsen, daß es die ganze Büchse ausfüllte. Da gaben sie es dann in ein Butterfäßchen und ehe das zweite Jahr vorüber war, war das Thier auch so groß wie das Butterfäßchen geworden. Nun ließ es der König in ein großes Butterfaß hineinsetzen und wieder wuchs es innerhalb Jahresfrist so, daß es die Faßdauben [252] auseinander sprengte. Jetzt wollte der König das große Thier nicht länger mehr füttern, ließ es schlachten und die Haut desselben auf ein Scheunenthor nageln.

Der König und die Königin hatten nicht mehr Kinder außer dieser einzigen Tochter, die nicht nur sehr hübsch und gescheidt, sondern auch sehr gut und lieb war. Da war denn freilich kein Mangel an Prinzen und Königssöhnen, die um sie freiten, aber sie sagte zu jedem: Nein. Darüber wurde der König böse und erklärte ein für allemal, daß jetzt derjenige Mann, der errathen könne, welchen Thieres Haut da am Thore angenagelt wäre, ihre Hand bekommen solle. Aber unter allen Freiern wußte es keiner. Und viele Prinzen, Herzöge und Ritter kamen aus allen Weltenden, – aber niemand konnte das Räthsel errathen. Eines Tags kam einmal ein Wolf daher gelaufen und blieb vor der Haut stehen und beschnüffelte sie. Der König stand auch gerade dabei und es schien ihm, als schaue der Wolf so schnippisch und so spöttisch drein und drum sagte er: »Weißt du vielleicht, was das für ein Thier war« – »Ein König hält doch wohl sein Wort« fragte der Wolf vorerst. »Was ich versprochen, halte ich auch und gehe dann, wie es mag – gut oder schlecht!« erwiderte der König. »Gerade [253] so mache ich es auch!« sagte der Wolf darauf, »und weil das dahier ein Lausebalg ist, so gehört jetzt auch deine Tochter mein! Heute über acht Tage komme ich und hole sie mir und bekomme ich sie nicht im guten, so verwüste ich dein ganzes Reiches.«

Wer darüber gar nicht erfreut war, das war der König und die Königin nicht minder, als sie erfuhr, daß sie jetzt ihre einzige Tochter einem Wolf geben müßten. Die Tochter aber versuchte sie zu trösten, so gut sie eben konnte und sagte: »Das ist nun einmal mein Schicksal und der König muß sein Wort halten, sonst hält der Wolf das seinige nur zu genau.«

Am achten Tage kam der Wolf pünktlich, um die Prinzessin zu holen. Der König wollte zwar einspannen lassen, damit seine Tochter doch wenigstens dorthin, wo sie nun schon hin mußte, fahren hätte können; der Wolf aber sagte, es sei durchaus nicht nöthig, – wenn sie müde werden sollte, könne sie einfach auf ihm reiten. Da sagte sie ihren Eltern Lebewohl und zog mit dem Wolfe fort. Als sie eine kurze Strecke gegangen waren, sagte er zu ihr: »Setze dich auf meinen Rücken!« Sie that es und nun lief er mit ihr weit, weit in den Wald hinein, sie wußte nicht wohin, bis er endlich mit ihr zu einem prächtigen großen Schlosse kam. Da setzte er sie ab und sagte: [254] »Hier ist unser Heim; alles was du hier siehst, ist mein und alles was mein ist, ist auch dein. Nur ein Ding mußt du mir feierlichst versprechen, nämlich hier in meinem Schlosse nie ein Licht anzuzünden, denn sonst geschieht ein ungeheures Unglück.« Dann zeigte er ihr alles, inwendig und auswendig und überall war es hübsch und gemüthlich. Der Tisch stand gedeckt mit Speisen und Wein vor ihnen und das Bett war mit dem weißesten Linnen und den weichesten Polstern hergerichtet. Aber sie sah niemand andern in dem Schloß als den Wolf und sich selbst.

So lebte sie ein ganzes Jahr: jeden Morgen lief der Wolf in den Wald hinaus und kam abends pünktlich wieder heim. Sie sah ihn zwar nur als Wolf, aber sie wußte es gewiß, daß er nachts eine menschliche Gehalt hatte und deshalb glaubte sie auch ganz bestimmt, daß er ein verwunschener Prinz sein müsse, mit dem sie verheiratet wurde. Ehe ein Jahr verflossen war, hatte sie ein Söhnchen geboren, das sie wohl sehr gerne behalten hätte, aber der Wolf nahm es gleich nachdem es geboren war und lief damit davon.

Als sie nun schon zwei Jahr von zu Hause fort war, sagte der Wolf eines Morgens zu ihr, ob sie nicht vielleicht Lust hätte, ihre Eltern einmal zu besuchen?[255] er wolle es ihr gerne erlauben und sie zu ihnen hinbringen und sie könnte dann drei Tage dort bleiben, nach deren Ablauf er sie wieder holen wolle, nur dürfe sie ja nichts aus dem Hause ihrer Eltern mitnehmen und zu ihm heimbringen. Sie freute sich über diese Nachricht begreiflicherweise ungemein und dankte ihm herzlichst dafür. Darauf ließ er sie sich ihm auf seinen Rücken setzen und lief mit ihr geradewegs zu ihres Vaters Schloß. Sie wurde da mit Jubel und Freude empfangen, denn alle hatten ja geglaubt, daß sie längst todt und weiß Gott wo wäre. Sie erzählte, wie es ihr ging und alles, wie es war: daß sie in einem schönen Schlosse wohne, in dem sie alles habe, was ihr Herz begehre und daß ihr Mann, der Wolf, immer so zärtlich gegen sie gewesen und daß er nur am Tag ein Wolf, in der Nacht aber ein Mensch sei; daß sie ihn jedoch nie gesehen habe und daher auch nicht wisse, wie er ausschaue, denn sie dürfe durchaus kein Licht im Schlosse anzünden.

Am dritten Tag wollte ihre Mutter sie überreden, daß sie noch länger bei ihren Eltern bleiben möge; aber sie mochte nicht, denn sie wollte wieder mit ihrem Wolf nach Hause. Da sagte die Mutter: »Aber du solltest doch wissen, mit was für Einem du verheiratet bist. Nimm dieses Messerchen mit und stecke [256] es in die Ecke des Bettes. Wenn er ins Bett geht, wird er sich daran ritzen und wenn er dann einen Schrei ausstößt, so ist er ein Kobold; wenn er sich aber nur darüber beklagt, so ist er ein Mensch wie wir.« Dazu ließ sie sich wirklich überreden und nahm das Messerchen mit. Zur verabredeten Zeit fand sich der Wolf vor dem Hof des Königs ein, nahm sie auf den Rücken und lief mit ihr in sein eigenes Schloß zurück.

Andern Tags befestigte die Prinzessin das Messerchen so im Bett, daß dessen Spitze nur ein klein wenig über das Polster hervorragte, und als er Abends ins Bett ging, stach er sich wirklich daran. Da klagte er und sagte: »So kann ich dir also doch nicht trauen! Und du hast trotz meinem Verbot und deinem Versprechen auf deiner Mutter Rath das Messerchen mit hierher genommen.« Die Prinzessin freute sich zwar, jetzt gewiß zu wissen, daß er ein Mensch wie alle Menschen und kein Kobold sei, mit dem sie verheiratet war, aber sie schämte sich doch in innerster Seele darüber, daß sie sein Gebot übertreten, wiewohl er doch immer so gut gegen sie gewesen und sie freiwillig heim zu ihren Eltern trug. Sie bat ihn deshalb um Verzeihung und sagte ihm auch, warum sie es gethan und versprach ihm dann, künftig stets folgsam zu sein und treu zu bleiben.

[257] Am andern Morgen, als der Wolf in den Wald hinaus lief, hinkte er auf dem rechten Hinterbein und das blieb ihm auch seit diesem Tag, denn es war die Folge des Stiches mit dem Messerchen. Da bereute die Prinzessin ihre That nur noch mehr und von Tag zu Tag gewann sie ihren Wolf lieber, von dem sie ja wußte, daß er ein verhexter, unglücklicher Mensch war, der immer und allezeit so lieb und gut mit ihr gewesen. Nach einiger Zeit gebar sie ein Töchterchen; aber auch dieses durfte sie nicht behalten, denn der Wolf lief noch am selben Tag mit dem Kinde fort.

Und als wieder einige Zeit vorüber war und zwar an dem Tage, als es vier Jahre wurde, daß sie die Braut des Wolfes geworden, fragte er sie abermals, ob sie nicht Lust hätte, ihre Eltern zu besuchen. Und das hatte sie freilich, deshalb ließ er sie sich auf seinen Rücken setzen und lief mit ihr zu ihres Vaters Schloß hin. Und so lange sie auf ihm ritt, war sie traurig und machte sich die bittersten Vorwürfe, denn sie merkte es ja, daß er auf dem ganzen Weg hinken mußte. Aber er lief immerhin rasch genug und bald waren sie am Ziel angelangt. Und ehe sie vor dem Schlosse von einander schieden, sagte der Wolf noch zu ihr: »Jetzt kannst du hier drei Tage lang bleiben, aber nicht länger! Und höre mir auch nicht wieder auf deiner [258] Mutter Rath! Vor allem aber bringe nichts zurück nach Hause!« Nein, das wollte sie wirklich nicht thun und küßte ihn zum Abschied, denn sie hatte ihn ja gar so gern.

Sowohl der König als die Königin waren seelenfroh, als sie ihre liebe Tochter wiedersahen; aber ehe noch ein Tag vergangen war, sehnte sie sich schon nach ihrem Wolf zurück: – so sehr liebte sie ihn jetzt. Am dritten Tag kamen ihre Eltern mit ihr darauf zu reden, unter was für eigenthümlichen Verhältnissen sie lebe, und die Königin sagte zu ihrer Tochter: »Glaube mir, daß bald eine gute Veränderung mit ihm eintreffen muß und daß er dann wieder ganz ein richtiger Mensch wird. Aber wenn ich an deiner Stelle wäre, möchte ich doch gar zu gerne wissen, wie er in der Nacht, wenn er ein Mensch ist, aussieht.« Und dann gab sie ihr ein winzig kleines Feuerzeug und ein Kerzchen und sagte, daß sie ihn doch vielleicht einmal anschauen könnte, während er schliefe. Er brauche ja davon gar nie etwas zu erfahren. Die Prinzessin wollte es zuerst nicht annehmen, denn er habe es ihr strenge verboten, sagte sie. – Es könne aber doch nie schaden, wenn man so etwas im Hause habe, erwiderte die Königin und ihre Tochter steckte dann auch das Feuerzeug und das Kerzchen in die Tasche.

[259] Am Abend des dritten Tags stand sie wieder noch vor der bestimmten Zeit an der verabredeten Stelle und wartete auf ihren Wolf und als er kam, küßte sie ihn und nannte ihn ihren Herzallerliebsten. Dann setzte sie sich auf seinen Rücken und der Wolf lief mit ihr davon. Unterwegs fragte er sie: »Du wirst doch nicht wieder auf deiner Mutter Rath etwas mitgenommen haben, wie neulich? – und wenn es doch der Fall sein sollte, so hast du jetzt noch Zeit dazu, es wegzuwerfen.« Aber sie wollte nicht eingestehen, daß sie ihm ungehorsam gewesen und sagte daher, daß sie nichts mitgenommen habe.

Sie kamen wieder in ihr Schloß zurück und es verging eine geraume Zeit, ohne daß etwas Bemerkenswerthes geschehen wäre. Sie schämte sich über ihren Ungehorsam und gelobte sich selbst, daß sie das Feuerzeug nie gebrauchen, sondern ruhig an seinem Platz liegen lassen wolle. Eines Nachts aber erwachte sie einmal, als er sich im Schlafe unruhig hin und her wälzte, sei es nun, daß er von bösen Träumen geplagt wurde oder daß er krank war. Sie gerieth deshalb in eine schreckliche Angst und es fiel ihr ein, daß sie ja doch einen Augenblick Licht machen könnte, um zu sehen, was ihm fehle. Sie stand leise und vorsichtig aus dem Bett auf und holte das Feuerzeug und zündete [260] das Kerzchen an und da sah sie vor sich den schönsten Prinzen liegen, den je die Erde getragen. Er lag jetzt wieder ganz ruhig und lächelte im Schlafe. Da konnte sie sich nicht mehr zurückhalten, fiel ihm um den Hals und küßte ihn und vergaß rein, das Licht vorher auszulöschen. Da schlug er seine Augen auf und sagte: »Aber Herzallerliebste! warum hast du das gethan! Jetzt können wir nicht länger mehr beisammen bleiben und ich muß weit, weit fort von hier. Ich bin nämlich ein Prinz und von einer bösen Hexe verwünscht worden, weil sie haben wollte, daß ich ihre Tochter heiraten solle. Wenn mich aber eine reine Jungfrau geliebt hätte, wie ich war und mir sieben Jahre lang treu geblieben wäre, ohne gesehen zu haben, wie ich wirklich aussehe, so wäre ich gerettet gewesen und hätte meine menschliche Gestalt wieder erlangt.«

Und mit diesen Worten sprang er als Wolf aus dem Bett und hinkte zur Thüre hinaus und lief in den wilden Wald hinein. Aber die Prinzessin lief ihm nach so schnell sie nur konnte und folgte den ganzen Tag über seiner Spur, bis sie gegen Abend zu einem Schloß kam, in das hinein die Spur führte. Da ging sie hinein und die Burgfrau kam ihr entgegen und lud sie ein, herein zu kommen. Sie fragte dann, ob [261] kein Wolf hier gewesen sei und die Burgfrau erwiderte: »Mein Bruder, Wolf Königssohn der Hinkende ist hier gewesen, aber er ist schon wieder fort. Er schläft jetzt im Wald draußen, aber du kannst hier übernachten.« – Zeitig in der Morgenfrühe, als sie wieder fort wollte, kam ein hübscher, kleiner Knabe von drei Jahren auf sie zu und küßte sie und ihr Herz sagte es ihr gleich, daß er ihr eigener Sohn wäre.

Sie ließ sich aber trotzdem nicht aufhalten und küßte vielmals ihren kleinen Sohn und eilte dann fort und fand auch wirklich des Wolfes Spur wieder weiter. Dieser folgte sie den ganzen Tag über, bis sie gegen Abend abermals zu einem Schlosse kam, in das die Spuren hinein führten. Da ging sie denn auch hinein und wurde von der Herrin des Schlosses, welche ebenfalls eine Schwester von Wolf Königssohn dem Hinkenden war, freundlich aufgenommen und blieb da über Nacht. Als sie zeitig in der Morgenfrühe des andern Tages wieder fort wollte, begegnete sie einer Amme mit einem hübschen kleinen einjährigen Mädchen auf dem Arme und ihr Herz sagte ihr es gleich wieder, daß dies ihre eigene Tochter wäre; und sie drückte das Kind an ihre Brust und küßte es. Dann aber eilte sie weiter fort und lief den ganzen Tag [262] über den Spuren des Wolfes nach, welchen sie noch immer folgen konnte.

Gegen Abend kam sie ermattet und todtmüde an den Fuß eines hohen Glasberges und als sie auf diesen hinaufschaute, sah sie hoch oben ihren Wolf klettern, der bald auf dem Gipfel des Berges anlangte. Und einen Augenblick lang sah sie ihn in seiner Menschengestalt oben auf dem Gipfel stehen und zu ihr herunter winken. Aber im Nu war er wieder auf der andern Seite des Berges verschwunden. Jetzt versuchte sie sogleich ihm auf den Berg zu folgen und ihm nachzueilen. Aber es war rein unmöglich für sie, denn der Berg war schrecklich steil und so glatt wie ein Spiegel, ausgenommen an jenen Stellen, an welchen sich Adern und Ritzen befanden, die so scharf wie Rasirmesser waren, so daß sie sich nur blutig schnitt und doch nirgends festen Fuß fassen konnte.

Da setzte sie sich unten am Berge nieder und weinte und blieb so die ganze Nacht sitzen. Am nächsten Morgen versuchte sie wieder irgend eine Stelle ausfindig zu machen, auf der sie über den Berg kommen könnte, aber es war und blieb überall unmöglich. Sie schnitt sich nur blutig und konnte doch auf keiner Seite auch nur einen Schritt weit in die Höhe kommen. Dann blickte sie wieder auf den Berg hinauf, auf dem [263] sich ja auch der Wolf Tritt für Tritt blutig schneiden mußte; aber er konnte sich doch wenigstens mit seinen scharfen Klauen anhalten. Als sie sah, daß alle Mühe vergeblich sei, setzte sie sich abermals nie der und weinte bitterlich. Da kam ein alter Mann daher gegangen und fragte sie, warum sie weinte. Und als sie ihm gesagt, daß sie es deshalb thue, weil sie über diesen Glasberg hinüberkommen wollte und mußte und nicht könnte, sagte er zu ihr, daß sie zum nächsten Schmied gehen und sich ein paar Eisenschuhe mit eisernen Spitzen schmieden lassen solle. Dann gab er ihr noch einen Krug mit Salbe, welche sie brauchte, um ihre Füße wieder zu heilen, wenn sie über den Berg gekommen war.

Der Schmied machte ihr die Schuhe und sie kletterte auf den Berg hinauf. Es ging nur langsam und mit der größten Anstrengung und lange bevor sie auf den Gipfel des Berges gekommen war, waren ihre Füße blutig und bis aufs Fleisch aufgeschunden. Aber sie verbiß ihre Schmerzen und kam nicht nur endlich auf den Gipfel hinauf, sondern auch auf der andern Seite wieder hinunter. Da warf sie sich auf die Erde, zog die Eisenschuhe schnell herunter und sobald sie sich mit der Salbe eingeschmiert hatte, waren ihre Füße sogleich wieder gesund und geheilt.

[264] Das Land, das sie nun betrat, sah ganz anders aus, als irgend eines, das sie vorher gekannt. Da standen so viele schöne Bäume, Sträucher und Blumen, wie sie vordem noch nie welche gesehen hatte, die diesen gleich waren. Und gerade vor ihr lag ein Schloß, so groß und prächtig, wie sie ebenfalls noch kein ähnliches erblickte: – denn es sah aus, als wäre es aus purem Gold erbaut.

Auch hier fand sie die Spur ihres Wolfes wieder, die durch Blutstropfen noch deutlicher sichtbar war und geradenwegs bis ins Schloß führte. Hier verschwand alle und jede Spur, welche hätte weiter führen können, und die Prinzessin dachte sich, daß er gewiß hier sein müsse; aber sie dachte sich auch, daß hier wohl die Hexe wohne, die ihn verzaubert hatte und zu der er wegen ihrer Untreue zurück mußte. Deshalb fragte sie da nirgends nach Wolf Königssohn dem Hinkenden, sondern ging in die Küche und fragte, ob ein armes Mädchen hier keinen Dienst bekommen könne. – Ei freilich konnte es einen bekommen, denn man hatte ja alle Hülfe nöthig, weil des Hauses Tochter bald Hochzeit halten sollte. Und die Prinzessin bekam einen Platz als Wäschermädchen.

Am ersten Tag schickte die Hexe – denn es war wirklich die Hexe, die den Wolf Königssohn verzaubert [265] hatte, welche auf diesem Schlosse wohnte, – also sie schickte die Prinzessin mit einem Stück weißem Linnen zum Bach hinunter, damit sie es so lange spüle und wasche, bis es ganz schwarz würde. Und wenn sie es nicht könne, solle sie augenblicklich aus dem Dienst und überhaupt aus dem ganzen Lande hinausgejagt werden. Sie wusch und klopfte, und spülte und scheuerte, aber das Linnen wurde immer weißer und weißer, anstatt schwarz zu werden. Da wußte sich die Prinzessin weder zu rathen noch zu helfen, setzte sich nieder und weinte bitterlich. Nun kam derselbe alte Mann wieder, der ihr über den Glasberg geholfen und fragte sie, warum sie weinte, und als er den Grund erfahren hatte, sagte er: »Ja, wenn du mich deinen Herzallerliebsten nennen würdest, dann wollte ich dir schon helfen.« – »Nein,« antwortete sie, »ich hatte einmal einen Herzallerliebsten, aber den sehe ich wohl nimmermehr.« – »Nun, so will ich dir trotzdem helfen,« sagte der Alte und schlug dann mit seinem Stock auf das Linnen, das davon augenblicklich so schwarz wie Kohle wurde.

Als die Prinzessin mit dem schwarzen Linnen zur Hexe heimkam, sagte diese: »Der hat dich auch nicht vor den Kopf geschlagen, der dir das gelehrt. Konntest du heute weiß zu schwarz waschen, so wirst du morgen auch schwarz zu weiß waschen können Dieses [266] schwarze Tuch mußt du so waschen, daß es weiß wie frischgefallener Schnee aussieht, sonst jage ich dich doch aus meinem Dienst und aus meinem Land hinaus.« Am andern Tag ging sie wieder zum Fluß hinunter und wusch und klopfte, und spülte und scheuerte, aber das Tuch blieb so schwarz als es war. Da setzte sie sich abermals nieder, um zu weinen, und es kam derselbe alte Mann wieder und sagte wie gestern: daß er ihr wohl helfen wollte, wenn sie ihn ihren Herzallerliebsten nennen würde, aber sie sagte nein, sie habe einmal einen Herzallerliebsten gehabt, aber den sehe sie wohl nimmermehr. »Nun, so will ich dir trotzdem helfen,« sagte der Alte und berührte dann mit seinem Stock das Tuch, das davon augenblicklich so weiß wie frischgefallner Schnee wurde.

Als die Hexe ihr Tuch wiederbekam, so weiß als sie es nur wünschen konnte, sagte sie: »Du bist ein tüchtiges Mädchen und kannst du so viel, so kannst du wohl auch noch mehr. Jetzt sollst du zu meiner Schwester nach Heckenfeld gehen, um den Brautschmuck für meine Tochter, welche bald heiraten wird, zu holen.«

Am nächsten Morgen begab sie sich auf die Reise, aber sie war noch nicht weit vom Schloß entfernt, als sie zu einer Stelle kam, wo so viele Wege auseinandergingen, [267] daß sie nicht wußte, welcher nach Heckenfeld führte. Drum setzte sie sich am Rande des Straßengrabens nieder und weinte bitterlich. Da kam ein hübscher, junger Mann zu ihr und sprach sie freundlich an und sagte: »Warum weinst du denn, mein schönes Mädchen?« – »Ach, ich soll nach Heckenfeld,« antwortete sie, »um den Brautschmuck zu holen und ich kenne weder Weg noch Steg.« – »Ja, wenn du mich deinen Herzallerliebsten nennen willst,« sagte der junge Mann, »so möchte ich dir wohl helfen!« – »Nein,« erwiderte sie, »ich hatte einmal einen Herzallerliebsten; aber den sehe ich wohl nimmermehr.« – »Nun, so will ich dir trotzdem helfen,« sagte der junge Mann; »aber bei dieser Reise muß man sehr Obacht geben, wenn man glücklich ans Ziel kommen will. Hier hast du ein kleines Knäuel Garn, das wirf vor dich auf den Weg und folge ihm, wohin es rollt, dabei mußt du es aber so wieder aufwickeln, wie es abläuft. Dann kommst du endlich zu einer Gatterthüre, welche in einemfort auf-und zuschlägt. Hier hast du deshalb einen Kloben, welchen du in das Gatter hineinstecken mußt, damit die Thüre ruhig stehen bleibt. Dann kommst du zu einer großen Herde Gänse und das sind sehr gefährliche Gänse, so groß, stark und boshaft sind sie! Aber da hast du einen [268] Sack mit Korn, das du ihnen auf den Weg streust, dann lassen sie dich in Ruhe und Frieden. Etwas weiter vorwärts kommst du zu einem Backofen hin und da werden zwei Knechte stehen, welche in dem glühenden Ofen mit ihren bloßen Fäusten schüren, denen giebst du diese zwei Ofengabeln. Dann wirst du zu einer Brauerei kommen, in der zwei Mädchen mit ihren bloßen Armen im kochenden Kessel rühren. Denen giebst du diese beiden Kochlöffel. Darauf kommst du zu einem großen Eisenthor, vor dem zwei große, wilde Hunde liegen und an denen kommst du nicht vorbei, wenn du ihnen nicht diese beiden Brode giebst, die ich da habe. Und das Eisenthor knarrt und schreit so gräulich in seinen verrosteten Angeln, daß es nicht zum Anhören ist. Dem mußt du mit dem Fett, das ich dir in diesem Topfe mitgebe, die Angeln einschmieren. Und wenn du dann endlich in Heckenfeld bist und die Hexe um den Brautschmuck bittest, darfst du ja nichts von alledem essen, was sie dir giebt, sondern eile sogleich wieder zurück, ohne dich umzusehen.«

Nun packte die Prinzessin alle diese Sachen zusammen: das Knäuel Garn und den Kloben, den Kornsack und die Ofengabeln, die Kochlöffel, die Brode und den Topf mit Fett; dann ließ sie das Knäuel auf [269] den Weg hinunterrollen, das rasch vorwärts lief, während sie hinterdreinging und den Faden wieder aufwickelte. Und so kam sie dann zu der Gatterthüre, welche beständig auf- und zuschlug; da steckte sie ihren Kloben hinein und die Thüre blieb ruhig stehen. Und alle die großen Gänse, die auf sie losgefahren kamen, fütterte sie mit Korn. Und den Knechten am Backofen gab sie die Ofengabeln und den Mädchen am Braukessel gab sie die Kochlöffel. Und den Hunden vor der Thüre gab sie die Brode und schmierte die Angeln der Eisenthüre mit Fett ein, daß sie zu knarren und zu schreien aufhörte. Dann kam sie hinein nach Heckenfeld. Da saß die Hexe auf einem hohen Stuhl und grinste sie böse an. Die Prinzessin grüßte sie von ihrer Schwester und bat um den Brautschmuck für deren Tochter. Da stand die Hexe auf und sagte, daß sie ihn sogleich holen wolle. Inzwischen könnte das Mädchen zur Stärkung etwas essen und deshalb gab sie demselben einen Kalbsfuß, an dem es nagen solle. Aber kaum war die Hexe gut bei der Thüre draußen, warf die Prinzessin den Kalbsfuß unter die Bank.

Sobald die Hexe wieder hereinkam, war das erste, was sie rief: »Kalbsfuß, wo bist du?« – »Unter der Bank,« antwortete er darauf. Da holte ihn die Hexe hervor und sagte zur Prinzessin, sie solle sich [270] das gute Essen doch gut schmecken lassen, sie selbst müsse nur noch hinaus, um den Schmuck sorgfältig einzupacken.

Da nahm die Prinzessin den Kalbsfuß und steckte ihn in ihre Brust. Und gleich darauf kam die Hexe wieder herein und rief wieder: »Kalbsfuß, wo bist du?« – »In der Brust,« antwortete er. »Kamst du in die Brust hinein, wirst du bald im Magen sein!« sagte die Hexe drauf und gab dann der Prinzessin eine Schachtel und sagte, daß sie gut darauf Obacht geben müsse und sich nicht unterstehen dürfe, dieselbe unterwegs zu öffnen.

Da beeilte sich die Prinzessin wieder zurückzukommen; als sie bei der Eisenthüre war, rief die Hexe hinter ihr: »Thüre, ärgere sie, quäle sie!« Aber die Thüre antwortete: »Nein, das thue ich nicht; jetzt habe ich schon so lange geknarrt und geschrien, aber nie hat mich jemand vor ihr geschmiert.« Da rief die Hexe wieder: »Hunde! beißt sie! zerreißt sie!« Aber die Hunde antworteten: »Nein, wir mögen nicht; nun haben wir schon so lange hier gestanden und haben geheult und gebellt, aber nie hat uns jemand vor ihr gefüttert.« Als die Prinzessin an der Brauerei vorbeikam, schrie die Hexe wieder: »Verbrüht sie, Mädchen!« Aber diese antworteten: [271] »Nein, behüte! das thun wir nicht; jetzt haben wir uns so lange selbst verbrühen müssen, bis sie uns die Kochlöffel gab.« – Nun kam sie am Backofen vorbei und da schrie die Hexe hinter ihr: »Vorwärts, ihr nach! Verbrennt sie!« – »Nein,« antworteten die Knechte, »jetzt haben wir uns so lange selbst verbrennen müssen, bis sie uns die Ofengabeln gab.« Darauf kam sie zu den Gänsen: »Zwickt sie, zertretet sie!« schrie die Hexe jetzt. »Nein, das thun wir nicht! Nein, das thun wir nicht!« schnatterten die Gänse als Antwort und liefen herum und pickten das Korn auf. Als sie zur Gartenthüre kam, hörte sie die Hexe heulend hinter sich schreien: »Klemme sie ein, zerquetsche sie!« Aber die Gartenthür antwortete: »Nein, diese werde ich nicht zerquetschen; denn sie gab mir einen Kloben, nach dem ich mich schon so viele hundert Jahre gesehnt habe.«

Jetzt war die Prinzessin all' den ihr drohenden Gefahren und Unglücken glücklich entronnen und hatte sich nicht ein einziges mal umgesehen, sondern war so schnell davon geeilt, daß sie jetzt ganz athemlos geworden und sich deshalb, um ein wenig auszuruhen, niedersetzen mußte. Sie hatte die Schachtel in der Hand, von der die Hexe gesagt hatte, daß sie sie unterwegs nicht öffnen und hineingucken dürfe, – aber[272] hier galt ja ihr Wort nichts mehr. Und die Prinzessin war so neugierig den Schmuck zu sehen, daß sie den Deckel ein wenig öffnete, um in die Schachtel hineinzugucken. – Schwups! machte es – und das war ein kleiner Vogel, der aus der Schachtel herausflog – und weg war er! – Da brach die Prinzessin in lichte Thränen aus, denn jetzt war sie doppelt unglücklich, weil sie ohne den Brautschmuck nicht nach Hause kommen und nicht noch einmal zurück nach Heckenfeld durfte. Und sie war ganz verzweifelt.

Da stand derselbe hübsche junge Mann wieder vor ihr, der ihr alle die guten Rathschläge und Geräthschaften gegeben, und fragte sie, was ihr denn jetzt wieder für ein Unglück geschehen sei. Und sie klagte ihm ihre Noth. »Ja, wenn du mich deinen Herzallerliebsten nennen wolltest,« sagte er, »so würde ich dir auch diesesmal helfen.« Als er dies sagte, blickte sie ihn an und sah, daß er gar so hübsch war und sie wußte, daß er auch gut war; ja, er sah sogar Wolf Königssohn dem Hinkenden etwas ähnlich; – aber er war es doch nicht. Und sie sagte: »Nein, ich hatte einmal einen Herzallerliebsten, aber den sehe ich wohl nimmermehr.« Da that der junge Mann zuerst, als wollte er seiner Wege gehen; dann sagte er aber doch: »Nun, – ich will dir trotzdem helfen! – [273] Was gab dir denn die Hexe zu essen?« – »Einen Kalbsfuß,« antwortete sie, »und hier ist er.« Bei diesen Worten zog sie ihn aus ihrer Brust hervor. Der junge Mann nahm diesen Kalbsfuß und berührte ihn mit seinem Stock und sagte zu ihm: »Jetzt laufe nach Heckenfeld und hole den Brautschmuck her; sei aber sogleich wieder da!«

Da rannte der Kalbsfuß nach Heckenfeld, daß der Staub hinter ihm aufwirbelte und war im Augenblick zurück mit dem Brautschmuck, der wiederum in die Schachtel gesteckt wurde. Jetzt beeilte sich die Prinzessin, an den Hof der Hexe zu kommen und überbrachte ihr, was sie geholt und hatte sich sehr gehütet, die Schachtel noch einmal zu öffnen. »Du bist ein recht geschicktes, flinkes Mädchen,« sagte da die Hexe. »Morgen werden wir Hochzeit halten und du darfst dir den ganzen Staat und die Pracht mit ansehen und bekommst auch die Erlaubniß, Fackeln vor den jungen Leuten tragen zu dürfen.«

Tags darauf sollte Hochzeit gehalten werden. Die Tochter der Hexe war die Braut und der Bräutigam war kein andrer als derselbe, welcher Wolf Königssohn der Hinkende geheißen, den sie früher verwünscht und jetzt wieder in ihre Gewalt bekommen hatte. Jetzt war er ganz in seiner schönen menschlichen [274] Gestalt da und war wie ein Prinz gekleidet. Da erkannte ihn seine eigene Gemahlin, die mit einer Fackel in jeder Hand an der Thüre des Hochzeitssaales stand, nur allzugut. Die Hexe hatte sie hier zu diesem Zwecke aufgestellt und die Prinzessin konnte weder Hand noch Fuß rühren, denn da hatte der Zauber Macht über sie. Die Fackeln brannten tiefer und tiefer herunter und sie spürte schon die Hitze in ihren beiden Händen, aber sie konnte sich nicht rühren. – Jetzt war die Tafel vorbei und die beiden jungen Leute sollten in die Brautkammer geführt werden. Die Hexe ging voraus und kam zuerst durch die Thüre, an der die Prinzessin stand. »Ich verbrenne mir ja die Hände!« klagte ihr die Prinzessin. »Verbrenne nur, Licht, mitsamt dem Leuchter!« sagte die Hexe und wollte weiter gehen. Da kam das Brautpaar hinter ihr und die Prinzessin rief: »Hilf mir jetzt, mein Herzallerliebster!« Da sprang der Bräutigam zu ihr hin, riß ihr die zwei Lichtstumpen aus den Händen und reichte den einen der Hexe und den andern der Braut, und die standen darauf wie Säulen, eine auf jeder Seite bei der Thüre. Und die Lichter verbrannten und die Hexe mit ihrer Tochter verbrannte und das ganze Schloß verbrannte zu lauter Asche.

[275] Aber da waren Wolf Königssohn und seine wirkliche und rechte Braut schon längst weit fort. Wo früher der Glasberg war, fanden sie jetzt eine grüne Wiesenflur und sie gingen zu den Schwestern des Prinzen und holten ihre Kinder, dann zogen sie zu den Eltern der Prinzessin und da blieben sie eine Weile. Zuletzt aber kehrten sie wieder in ihr eigenes Land, das die Hexe so lange verwünscht hatte, zurück. Und da lebten sie viele lange Jahre glücklich miteinander.

Quelle:
Grundtvig, Svend: Dänische Volksmärchen [1]. Leipzig: Joh. Barth, 1878, S. 251-276.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Das chinesische Lebensbuch über das Geheimnis der Goldenen Blüte wird seit dem achten Jahrhundert mündlich überliefert. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Richard Wilhelm.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon