12. Die Galgenmännlein.

[147] Ein Prediger suchte schon seit einiger Zeit einen Knecht, der neben seinen andern Geschäften auch die Verpflichtung übernehmen sollte, allmitternächtlich die Kirchenglocke zu läuten. Zwar hatten schon viele und zum Theil sehr brauchbare Männer den Dienst angenommen, allein sobald sie sich aufgemacht hatten, um das nächtliche Läuten zu besorgen, waren sie plötzlich wie in die Erde gesunken; kein Glockenschlag war zu hören, und kein Glöckner kam zurück. Der Prediger hielt die Sache sehr geheim, aber das plötzliche Verschwinden so vieler Menschen wurde doch allmählich ruchbar, und es wollte Niemand mehr bei ihm dienen.

Je bekannter die Sache wurde, desto bedenklicher schüttelten die Leute den Kopf, und es fehlte auch nicht an bösen Zungen, welche aussprengten, daß der Prediger selber die Knechte umgebracht habe. Nothgedrungen hatte er jetzt verdoppelten Lohn nebst guter Kost angeboten. Monate lang hatte er jeden Sonntag nach der Predigt von der Kanzel herab verkündet: »ich brauche einen tüchtigen Knecht, verspreche reichlichen Lohn, gute Nahrung u.s.w.« – es war aber [148] immer erfolglos geblieben. Da kommt eines Tages der schlaue Hans und bietet sich an; er hatte zuletzt bei einem geizigen Herrn gedient, darum zog ihn das Versprechen guter Nahrung zu dem Geistlichen, und er wollte den Dienst gleich antreten. »Ganz wohl, mein Sohn,« sagte der Prediger: »wenn es dir an Muth und Gottvertrauen nicht fehlt, so kannst du schon diese Nacht dein Probestück ablegen. Morgen wollen wir dann den Dienstvertrag abschließen.«

Hans war damit zufrieden, ging in die Gesinde-Stube und machte sich um seinen neuen Dienst keine Sorge. Der Prediger war ein Geizhals und ward immer verdrießlich, wenn das Gesinde zu viel aß, deßhalb kam er meist während der Mahlzeit herein, weil er hoffte, die Leute würden in seiner Gegenwart weniger dreist zulangen. Er ermahnte das Gesinde, zwischen dem Essen recht oft zu trinken, denn er meinte, je mehr Flüssiges Einer im Magen habe, desto weniger Platz werde für Brot und Zukost übrig bleiben. Hans aber war schlauer als sein Herr, er leerte den Krug auf einen Zug und sagte: »Das macht noch einmal so viel Platz für die Speise.« Der Prediger wähnte, daß sich die Sache wirklich so verhalte, und forderte seitdem seine Leute nicht mehr zum Trinken auf. Hans aber lachte innerlich, daß ihm das Schelmstück gelungen war.

Etwa eine Stunde vor Mitternacht ging Hans in die Kirche. Er fand sie inwendig erleuchtet und war ein wenig verwundert, als er beim Eintreten eine zahlreiche Gesellschaft vorfand, welche nicht die Andacht hier zusammengeführt hatte. Die Leute saßen um einen langen Tisch [149] und spielten Karten. Hans empfand keine Furcht, oder, wenn er etwas davon verspürte, so war er doch klug genug, es sich nicht merken zu lassen. Er ging dreist an den Tisch und setzte sich zu den Spielern. Einer derselben bemerkte ihn und fragte: »Freundchen, was hast du hier zu suchen?« Hans sah ihn eine Weile groß an und sagte dann lachend: »Du Naseweis solltest dir lieber das Maul stopfen! Wenn Jemand hier ein Recht hat zu fragen, so meine ich es zu sein. Wenn ich mich meines Rechtes nicht bediene, so wäre es für euch gewiß das Gescheuteste, euer vorlautes Maul zu stopfen!«

Darauf nahm Hans Karten zur Hand und spielte mit den unbekannten Männern, als wären es seine besten Freunde. Er hatte viel Glück, denn sein Einsatz verdoppelte sich ihm, und dadurch wurden manchem seiner Mitspieler die Taschen geleert. Da hörte man einen Hahnenschrei, Mitternacht mußte angebrochen sein, plötzlich erloschen die Lichter und im Nu waren die Spieler sammt Tisch und Bänken verschwunden. Hans mußte in der dunklen Kirche eine Zeitlang herumtappen, bis er endlich den Eingang zur Thurmtreppe fand.

Als er den ersten Absatz hinauf geklettert war, sah er auf der obersten Stufe ein Männlein sitzen, dem der Kopf fehlte. »Hoho, mein Kleiner, was hast du hier zu suchen?« fragte Hans, und versetzte ihm, ohne die Antwort abzuwarten, einen so derben Fußtritt in den Nacken, daß das Männlein die lange Treppe hinunter rollte. Auf der zweiten, dritten und vierten Treppe fand er eben solche stumme Wächter, und ließ sie einen nach dem andern hinunterpurzeln, daß ihnen alle Knochen im Leibe knackten.

[150] Endlich war Hans ungehindert zur Glocke gelangt. Als er hinauf sah, um sich zu überzeugen, daß Alles in gehörigem Stande sei, erblickte er noch ein kopfloses Männlein, das zusammengekauert in der Glocke saß. Es hatte den Glockenklöppel losgemacht und schien darauf zu warten, daß Hans den Glockenstrang anzöge, um ihm dann den schweren Klöppel auf den Kopf zu schmeißen, was dem Glöckner sicher den Tod gebracht hätte.

»Halt, Freundchen!« rief Hans – »so haben wir nicht gewettet. Du hast wohl gesehen, wie ich deine kleinen Kameraden, ohne ihre eigenen Beinchen zu bemühen, die Treppe habe hinunter rollen lassen? Gleich sollst du hinter ihnen her fliegen. Aber weil du am höchsten sitzest, sollst du auch die stolzeste Fahrt machen, ich will dich zur Luke hinauswerfen, daß dir die Lust vergehen soll, wiederzukommen.«

Mit diesen Worten setzte er die Leiter an, um den Kleinen aus der Glocke heraus zu holen und seine Drohung wahr zu machen. Das Männlein erkannte die Gefahr, in der es schwebte, und fing an zu bitten: »Brüderchen! schone mein armes Leben! Dafür will ich dir fest versprechen, daß weder ich noch meine Kameraden dich je wieder beim nächtlichen Läuten stören sollen. Wohl bin ich klein und unansehnlich, allein wer weiß, ob es sich nicht einmal fügt, daß ich dir für deine Wohlthat mehr erstatten kann, als einen Bettlerdank.«

»Du winziger Knirps!« lachte Hans. »Deine Dankesgabe wird eine Mücke auf ihrem Schwanze fortbringen können! Aber da ich heute gerade bei guter Laune bin, so magst du am Leben bleiben. Doch hüte dich, mir [151] wieder in die Quere zu kommen, ich möchte sonst ein zweites Mal nicht mit dir spaßen.« Das kopflose Männlein dankte demüthig, kletterte wie ein Eichhörnchen an dem Glockenstrang herab und lief die Thurmtreppe herunter, als hätte es Feuer in der Tasche. Hans läutete jetzt nach Herzenslust.

Als der Pfarrer um Mitternacht die Kirchenglocke hörte, verwunderte er sich und war froh, daß er doch endlich einen Knecht gefunden, der das Probestück glücklich zu Stande gebracht hatte. Hans ging nach gethaner Arbeit auf den Heuboden und legte sich schlafen.

Der Pfarrer pflegte früh am Morgen aufzustehen, um nachzusehen, ob die Leute bei ihrer Arbeit seien. Alle waren an ihrem Platze, nur der neue Knecht fehlte, und keiner wollte ihn gesehen haben. Als nun Mittmorgen1 vorüber war, und es eilf Uhr wurde und Hans noch immer nicht erschien, da ward dem Pfarrer bange und er glaubte nicht anders, als daß der Glöckner sein Ende gefunden habe, wie seine Vorgänger. Als aber das Gesinde durch das Klopfbrett zum Mittagessen zusammengerufen wurde, kam auch Hans zum Vorschein. »Wo bist du den ganzen Vormittag gewesen?« fragte der Pfarrer. »Ich habe geschlafen,« antwortete Hans gähnend.

»Geschlafen!« rief der Pfarrer erstaunt. »Du wirst doch nicht meinen, daß du alle Tage bis Mittag schlafen kannst?«

»Ich meine,« erwiederte Hans, »das ist so klar wie Quellwasser. Niemand kann zweien Herren dienen. Wer [152] Nachts arbeitet, der muß am Tage schlafen, so wie für den Tagarbeiter die Nacht zur Ruhe gemacht ist. Nehmt mir das nächtliche Glockenläuten ab, so bin ich bereit, mit Sonnenaufgang an die Arbeit zu gehen. Wenn ich aber Nachts die Glocke läuten soll, so muß ich am Tage schlafen, zum allermindesten bis Mittag.«

Nachdem sie lange hin und her gestritten hatten, wurden sie endlich über folgende Bedingungen einig. Hans sollte von dem nächtlichen Läuten befreit werden, und von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeiten, nach Mittmorgen eine halbe und nach dem Mittagsessen eine ganze Stunde schlafen; den Sonntag aber ganz frei sein. »Aber,« sagte der Pfarrer, »bisweilen könnten doch noch Kleinigkeiten vorfallen, besonders im Winter, wo die Tage kurz sind, und die Arbeit würde dann länger dauern.« – »Mit nichten,« rief Hans, – »dafür sind im Sommer die Tage wieder lang.2 Ich werde nicht mehr thun, als wozu ich verpflichtet bin, nämlich an Werkeltagen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeiten.«

Einige Zeit darauf wurde der Pfarrer gebeten, zu einer großen Kindtaufe zur Stadt zu kommen. Die Stadt war nur einige Stunden weit vom Pfarrhof, dennoch nahm Hans den Brotsack mit. »Weswegen thust du das?« fragte der Prediger, »wir werden ja zum Abend in der Stadt sein.« Hans antwortete: »Wer kann Alles vorher wissen? [153] unterwegs kann so Manches vorfallen, was unsere Fahrt verzögert, und ihr kennt unsern Contract, nach welchem ich nur bis Sonnenuntergang verpflichtet bin, euch zu bedienen. Sollte die Sonne untergehen, ehe wir die Stadt erreichen, so müßtet ihr schon allein weiter fahren.«

Da der Pfarrer diese Rede für Scherz hielt, gab er ihm keine Antwort, und sie fuhren ab. Kurz vorher war frischer Schnee gefallen, den der Wind zusammengeweht hatte, so daß der Weg stellenweise verschüttet war und schnelles Fahren unmöglich machte. Unweit der Stadt mußten sie durch einen großen Wald. Als sie ihn erreicht hatten, lag die Sonne schon auf den Wipfeln der Bäume. Die Pferde schleppten sich langsam Schritt für Schritt durch den tiefen Schnee, und Hans drehte sich öfter nach der Sonne um. »Warum siehst du so oft hinter dich?« fragte der Pfarrer. »Weil ich im Nacken keine Augen habe,« erwiederte Hans. »Laß jetzt deine Narrenspossen,« sagte der Pfarrer, »und sieh' zu, daß wir in die Stadt kommen, ehe es ganz finster wird.« Hans fuhr weiter, ohne ein Wort zu verlieren, unterließ aber nicht, von Zeit zu Zeit die Sonne zu beobachten.

Sie mochten etwa in der Mitte des Waldes sein, als die Sonne unterging. Hans hielt die Pferde an, nahm seinen Brotsack und stieg aus dem Schlitten. »Nun Hans, bist du toll geworden? was machst du?« fragte der Seelenhirt. Aber Hans gab ruhig zur Antwort: »Ich will mir hier ein Nachtlager zurecht machen, die Sonne ist untergegangen, und meine Arbeitszeit ist um.« Sein Brotherr that alles Mögliche, er bat und drohte abwechselnd, als aber Alles nichts half, versprach er ihm zuletzt [154] ein gutes Trinkgeld und eine Zulage zum Jahreslohn. »Schämt ihr euch nicht, Herr Pastor!« sagte Hans – »wollt ihr der Versucher sein und mich vom rechten Wege abbringen, so daß ich gegen die Abmachung handle? Alle Schätze der Welt können mich dazu nicht verlocken; man faßt den Mann beim Wort, wie den Ochsen beim Horn. Wollt ihr noch heut Abend zur Stadt, so fahret in Gottes Namen allein, ich kann nicht weiter mit euch kommen, denn meine Dienst-Stunden sind abgelaufen.«

»Mein lieber Hans, Goldjunge!« sagte jetzt der Pfarrer, »ich darf dich hier nicht allein lassen. Blick' nur um dich, so wirst du sehen, in welche Gefahr du dich muthwillig begiebst. Dort ist der Richtplatz mit dem Galgen, es hängen zwei Missethäter daran, deren Seelen in der Hölle brennen. Du wirst doch nicht in der Nähe solcher Gesellen die Nacht zubringen wollen?« »Warum denn nicht?« fragte Hans. »Die Galgenvögel hängen oben in der Luft, ich nehme mein Nachtlager unten auf der Erde, da können wir uns einander nichts anhaben.« Mit diesen Worten kehrte er seinem Herrn den Rücken und ging mit seinem Brotsack davon.

Wollte der Pfarrer die Taufgebühren nicht einbüßen, so mußte er allein zur Stadt fahren. Hier war man nicht wenig erstaunt, ihn ohne Kutscher ankommen zu sehen; als er aber seine wunderliche Unterhaltung mit Hans erzählt hatte, wußten die Leute nicht, wen sie für den größten Thoren halten sollten, ob den Herrn oder den Diener.

Hansen war es gleichgültig, was die Leute von ihm dachten oder sagten. Mit Hülfe seines Brotsacks hatte er [155] die Forderungen seines Magens befriedigt, dann zündete er sich seinen Nasenwärmer (Pfeife) an, machte unter einer breiten ästigen Fichte sein Lager zurecht, wickelte sich in seinen warmen Pelz und schlief ein. Einige Stunden mochte er geschlafen haben, als ein plötzlicher Lärm ihn aufweckte. Die Nacht war mondhell. Dicht neben seinem Lager standen zwei kopflose Männlein unter der Fichte und führten zornige Reden. Hans richtete sich in die Höhe, um besser zu sehen, aber in demselben Augenblick riefen die Männlein: »Er ist es, er ist es!« Der eine trat dann näher an Hansen's Lager und sagte: »Alter Freund! ein glücklicher Zufall führt uns zusammen. Meine Knochen thun mir noch weh von der Thurmtreppe her in der Kirche, du hast wohl die Geschichte nicht vergessen? dafür sollen heute deine Knochen dermaßen bearbeitet werden, daß du Wochenlang an unser Zusammentreffen denken sollst. He! Gesellen! Holt aus und macht euch dran!«

Wie ein dichter Mückenschwarm sprangen nun von allen Seiten die kopflosen Männlein herbei, Alle mit tüchtigen Prügeln bewaffnet, die größer waren als ihre Träger. Die Masse dieser kleinen Feinde drohte Gefahr, denn ihre Schläge fielen so hart, daß ein starker Mann kaum bessere hätte führen können. Hans glaubte, sein letztes Stündlein sei gekommen; einem so zahlreichen Feindeshaufen konnte er keinen Widerstand leisten. Sein Glück war es, daß gerade, als das Prügeln im besten Gange war, noch ein Männlein dazu kam. »Haltet ein, haltet ein, Kameraden!« rief er den Seinigen zu. »Dieser Mann war einst mein Wohlthäter und ich bin sein Schuldner. Er schenkte mir [156] das Leben, als ich in seiner Gewalt war. Hat er einige von euch unsanft die Treppe hinunter geworfen, so ist doch glücklicher Weise keiner lahm geworden. Das warme Bad hat die zerschlagenen Glieder längst wieder geschmeidigt, darum verzeiht ihm und geht nach Hause.«

Die kopflosen Männlein ließen sich leicht durch ihren Kameraden beschwichtigen und gingen still fort. Hans erkannte jetzt in seinem Retter den nächtlichen Geist in der Kirchenglocke. Dieser setzte sich nun unter der Fichte neben Hans nieder und sagte: »Damals verlachtest du mich, als ich dir sagte, vielleicht komme einmal eine Zeit, wo ich dir nützlich werden könnte. Heute ist ein solcher Augenblick nun eingetreten, und daraus lerne, daß man auch das kleinste Geschöpf auf der Welt nicht verachten darf.« »Ich danke dir von Herzen,« sagte Hans – »meine Knochen sind von ihren Schlägen wie zermalmt, und ich hätte das Bad leicht mit dem Leben bezahlen können, wenn du nicht zu rechter Zeit dazu gekommen wärest.«

Das kopflose Männlein fuhr fort: »Meine Schuld wäre jetzt getilgt; aber ich will mehr thun und dir für die erhaltenen Schläge noch Schmerzensgeld zahlen. Du brauchst dich nicht länger als Knecht bei einem geizigen Pastor zu quälen. Wenn du morgen nach Hause kommst, so geh' gleich zur nördlichen Kirchenecke, da wirst du einen großen Stein eingemauert finden, der nicht wie die andern mit Kalk getüncht ist. Uebermorgen Nacht haben wir Vollmond: dann brich um Mitternacht den bezeichneten Stein mit der Brechstange aus der Mauer heraus. Unter dem Steine wirst du einen unermeßlichen Schatz finden, an dem viele Geschlechter gesammelt haben: goldenes und silbernes [157] Kirchengeräthe und sehr viel baares Geld wurde hier, als einst eine Kriegsnoth herrschte, vergraben. Diejenigen, welche den Schatz hier verbargen, sind schon vor mehr als hundert Jahren alle gestorben, und keine Seele weiß jetzt um die Sache. Ein Drittel des Geldes mußt du unter die Kirchspiels-Armen vertheilen, alles Andere ist von Rechtswegen dein Eigenthum, womit du verfahren kannst, wie es dir beliebt.« In diesem Augenblicke hörte man aus dem fernen Dorfe den Hahnenschrei und plötzlich war das kopflose Männlein wie weggefegt. Hans konnte lange vor Schmerz in den Gliedern nicht einschlafen und dachte viel über den verborgenen Schatz; erst gegen Morgen verfiel er in Schlummer.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als sein Brotherr aus der Stadt zurückkam. »Hans, du warst gestern ein großer Thor, daß du nicht mit mir fuhrst,« sagte der Pfarrer. »Sieh', ich habe gut gegessen und getrunken und überdies noch Geld in der Tasche.« Indem er so sprach, klapperte er mit dem Gelde, um dem Knecht das Herz noch schwerer zu machen. Hans aber erwiederte ruhig: »Ihr, geehrter Herr Pastor, habt für das Bischen Geld die Nacht wachen müssen, während ich im Schlafe hundertmal mehr verdient habe.« »Zeige mir doch, was hast du verdient?« fragte der Prediger. Aber Hans antwortete: »Die Narren prahlen mit ihren Kopeken, aber die Klugen verstecken ihre Rubel.«

Zu Hause angelangt, besorgte Hans rasch, was ihm oblag, spannte die Pferde aus und warf ihnen Futter vor, ging dann um die Kirche herum und fand an der bezeichneten Stelle den nicht getünchten Mauerstein.

[158] In der ersten Nacht des Vollmonds, als die Andern alle schliefen, verließ er heimlich mit einer Brechstange das Haus, brach mit vieler Mühe den Stein heraus und fand in der That die Grube mit dem Gelde, ganz wie das Männlein gesagt hatte. Am Sonntage vertheilte er den dritten Theil unter die Armen des Kirchspiels, kündigte dann dem Prediger auf, und da er für die kurze Zeit keinen Lohn verlangte, so wurde er ohne Widerrede entlassen. Hans aber zog weit weg, kaufte sich einen schönen Bauerhof, nahm ein junges Weib und lebte dann noch viele Jahre glücklich und in Frieden.

Zu der Zeit, als mein Großvater Hüterknabe war, lebten in unserm Dorfe noch viele alte Leute, welche den Hans gekannt hatten und die Wahrheit dieser Geschichte bezeugen konnten.

1

Neun Uhr. L.

2

Er denkt dabei an die ehstnische Redewendung: »die Tage gehen in der Richtung (zum Besten) des Wirths« – d.h. sie nehmen zu. Dagegen: »die Tage gehen in der Richtung des Knechts« – d.h. sie nehmen ab.

Quelle:
Kreutzwald, Friedrich Reinhold: Ehstnische Märchen. Halle: Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses, 1869, S. 147-159.
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