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[158] Der Erlöser und Sankt Peter fuhren einst mit einem Pferde hinaus, um sich die Welt anzuschauen; aber da es Winterszeit war und die Wege gefroren und glatt waren, verlor das Pferd ein Hufeisen. Zufällig stand gerade an der Stelle eine Schmiede am Wege, und die Reisenden verfügten sich dorthin, um vom Schmied ein neues Eisen anlegen zu lassen. An einer Ecke der Schmiede banden sie das Pferd mitsammt dem Schlitten fest und traten durch die Thür in den Schmiederaum. Hier war der Schmied eben damit beschäftigt, einen Eisenreifen um eine neue Biertonne zu schlagen, und war so eifrig bei seiner Arbeit, dass er kaum die Ankunft der Fremden beachtete. Da fragte ihn Sankt Peter, ob er ihnen nicht die Schmiede überlassen könnte, bis sie ihr Pferd beschlagen hätten, oder ob er selber diese Arbeit übernehmen wollte? Darauf antwortete der Schmied nicht ein Sterbenswörtchen; er schwang nur den Hammer hoch in die Luft und schmiedete weiter. Sankt Peter stellte zum zweiten Male seine Frage mit immer höflicheren Worten, aber der Schmied schien ihn gar nicht zu hören. Zuletzt befürchteten die Reisenden, dass der Schmied taub oder blödsinnig sei, und gingen aus der Schmiede hinaus, in der Hoffnung bald eine andere zu finden, wo sie ihr Pferd beschlagen könnten. Sie mochten eine Weile gefahren sein, als ihnen ein altes, elendes, knochiges Weiblein entgegenkam. Sankt Peter, welcher die Zügel führte, hielt sein Pferd an und fragte die Alte: »Kannst du uns sagen, ob der Schmied, von dem wir kommen, verrückt ist oder ob er irgend ein Gebrechen hat, da er auf unsere Anrede nichts geantwortet hat?« – »Ach, ihr armen Männer, wie seid ihr denn so fremd, dass ihr's[159] nicht wisst und nicht kennt, dass unser stolzer Schmied sich in seiner Weisheit taub und stumm gegen Alle stellt, die ihn aus Unverstand nicht als den höchsten Meister begrüssen! Kehrt nur wieder in die Schmiede zurück und redet ihn als solchen an, da werdet ihr bald sehen, wie sein Betragen sich gegen euch in ein freundliches verwandelt.«
Die Reisenden kehrten alsbald um und fuhren eilends zum Schmied zurück, nachdem sie das Weiblein aufgefordert ihnen ebenfalls dorthin zu folgen, damit sie ihr dort ihren guten Rath lohnen könnten. Als sie vor der Schmiede angelangt waren, ging Unser Herr zuerst hinein und sagte: »Du weitberühmter, hoher Meister, willst du uns auf kurze Zeit deine Schmiede überlassen?«
Sofort richtete der Schmied den Blick auf den Fragesteller und sagte: »Thut nur eure Arbeit in meiner Schmiede, ihr guten Fremdlinge; eine Ehre ist der andern werth!«
Mit diesen Worten legte er den Hammer aus der Hand, warf den Eisenreifen in die Ecke und überliess die ganze Schmiede den Fremden, indem er hinausging.
Jetzt nahm Unser Herr die Zange und den Hammer zur Hand. Das alte verbrauchte Hufeisen ward in die Esse gethan und mit glühenden Kohlen umgeben. Sankt Peter zog den Blasebalg, so kräftig er konnte, sodass das Eisen bald glühte; es dauerte nicht lange, da war es fertig auf den Ambos gethan zu werden; doch nun war das Mass des Pferdefusses nöthig, damit man wüsste, wie gross das neue Eisen werden sollte. Weil aber in der ganzen Schmiede nicht ein Splitterchen oder Holzstückchen zu finden war, womit man hätte messen können, ging Unser Herr auf den Hof, schnitt mit seinem Messer dem Pferde das eine Bein ab und brachte es in die Schmiede, um danach das Eisen zu messen. Letzteres nahm er aus der Esse, hämmerte ein Weilchen daran auf dem Ambos herum, und siehe, da[160] war das Hufeisen fertig. Man schmiedete nur noch neue Nägel und schlug dann das Eisen an den Pferdefuss an. Darauf brachte man den Fuss wieder an seinen Ort und machte ihn ohne langes Anpassen am Pferde fest. Bei dieser Arbeit merkte Unser Herr, dass auch die drei anderen Eisen schlecht waren und locker sassen; desshalb schnitt er dem Pferde alle drei Beine ab und beschlug dieselben in der Schmiede gleich dem ersten, wonach er sie dem Pferde wieder einsetzte.
Nach beendigtem Werke kamen die Reisenden zum Schmied, um ihm den Lohn für das Ueberlassen der Schmiede anzubieten. Aber da er von Lohn nichts wissen wollte und nur sagte: »Die Katze lebt vom Dank und der Hund vom Streicheln«, nahmen sie von ihm Abschied und setzten sich in den Schlitten.
Erst als die Fremden fort waren, ging der Schmied in seine Schmiede zurück. Er hatte von der Seite mitangesehen, auf welche neue Weise die Reisenden vom Pferdefuss Mass genommen und das Eisen an den Huf befestigt hatten. »Die Kunst würde auch mir zu statten kommen!« meinte er bei sich; aber er hatte noch nichts vornehmen können, als die Reisenden schon wieder vor der Schmiede hielten. Sie hatten sich erst, wie sie bereits im Schlitten sassen, erinnert, dass die Alte, welche sie zum Schmied zurückgewiesen, noch ohne Lohn geblieben war. Sie nahmen desshalb das Weib mit in die kaum verlassene Schmiede, um es dort zu belohnen. Vor den Augen des Schmiedes nahm jetzt Unser Herr die grösste Zange, die in der Schmiede zu finden war, ergriff damit die Alte beim Nacken und steckte sie in die Esse, bedeckte sie tüchtig mit glühenden Kohlen und befahl Sankt Peter den Blasebalg zu ziehen. Dieser zog nach Kräften, sodass die kreischende und ächzende Alte bald in Flammen stand, und es währte nicht lange, war sie zum Bearbeiten reif. Mit einer langen,[161] festen Zange nahm jetzt Unser Herr das Weiblein aus der Esse und that es auf den Ambos, indem er Sankt Peter zu hämmern befahl. Sankt Peter hob den schweren Hammer und schlug mit solcher Kraft drauf los, dass die Arbeit bald gethan war, und die Alte aufs neue die Knochen zu regen begann. Jetzt nahm Sankt Peter einen kleinern Hammer, mit dem er sein Werk glättete und überarbeitete. Nun war noch Wasser nöthig. Sankt Peter durchsuchte die Schmiede nach einem Wassergefäss, aber da er keines fand, nahm er den alten Lattenkorb, den er in einer Ecke der Schmiede fand. Damit holte er Wasser aus dem Brunnen und begoss das Weib vom Kopf bis an die Fusszehen. Dadurch erwachte das Weiblein vollends zum Leben, aber es war kein altes Weib mehr, sondern von Angesicht und Gestalt ein junges, wunderschönes Mädchen, welches sich vielmals bei den Reisenden bedankte und hüpfend und tanzend aus der Schmiede ihres Weges ging. Auch die Reisenden hielten sich dort nicht länger auf, sondern machten sich ebenfalls auf den Weg.
Wie nun der Schmied in der Schmiede allein war, fing er an bei sich zu denken: »Nun, die Werke dieser Männer sind gewiss wunderbar; aber ich bin doch auch ein Schmied und habe zugesehen, wie sie es angefasst haben, warum sollte mir nicht die gleiche Arbeit glücken?« Während er so mit sich redete, kam ein Mann mit seinem Pferde an die Thür der Schmiede und bat den Schmied das Pferd zu beschlagen. Jetzt dachte der Schmied, könnte er seine neue Kunst zeigen und fragte den Mann: »Soll ich ein neues Eisen schmieden oder das alte zurechtmachen?« – »Besser wäre es wohl ein neues zu machen«, antwortete der Mann. Darauf hiess der Schmied den Mann sich in der Stube hinsetzen und nach einer Weile herauskommen, um sein neubeschlagenes Pferd in Empfang zu nehmen. Der Mann ging in die Stube hinein, wie ihm befohlen war,[162] und der Schmied schlug mit einem scharfen Beile dem Pferde alle vier Beine ab, brachte sie in die Schmiede und fing an sie neu zu beschlagen. Die Arbeit ging leicht genug von statten, aber als er die beschlagenen Beine wieder an die richtige Stelle einsetzen wollte, war seine Kunst zu Ende. Er drückte und presste die Beine an und blies von Zeit zu Zeit darauf, aber sie wollten auf keine Weise an den Leib des Pferdes anwachsen. Das Pferd war bereits im Verenden und der Tod ereilte es unter den Händen des Schmiedes. Nun konnte ihm nichts mehr helfen, der Schmied musste den Preis des Pferdes dem Manne bezahlen. Letzterer steckte das erhaltene Geld in die Tasche und ging, über den Verlust seines Pferdes fluchend, seiner Wege.
Als der Schmied allein blieb, wollte er die Sache nicht dabei bewenden lassen, sondern nun erst recht zum Trotz die neue Kunst ausprobiren, und da eben seine alte Mutter hereinkam, ihn zum Frühstück zu rufen, ergriff er sie und warf sie in die Esse; glühende Kohlen scharrte er schnell um sie herum und zog den Blasebalg so kräftig, dass die Alte bald in Flammen stand. Die Arme kreischte und schrie in der Esse, aber der Schmied kümmerte sich nicht darum und zog den Blasebalg nur immer eifriger, in der Hoffnung bald ein junges schönes Mädchen zu stande zu bringen; aber dieses Werk sollte dem Schmied nicht glücken. Die Alte verbrannte in der Esse zu Asche, und als der Schmied einige übriggebliebene Knöchelchen zusammenlas, konnte er nichts damit anfangen; ein hässlicher Brandgeruch allein erfüllte die Schmiede. Darüber betrübte sich der Schmied im tiefsten Herzen und in seiner Angst eilte er den reisenden Schmieden nach, die ihn so arg betrogen hatten. Er holte sie ein, und als er ihnen weinend und klagend erzählte, wie schlimm es ihm ergangen war, fühlten die Reisenden Mitleid mit ihm und versprachen mit ihm zur[163] Schmiede zurückzukehren, um zu sehen, was dabei noch zu helfen sei. Als sie dort anlangten, sahen sie das todte Pferd an der Thür der Schmiede liegen und die abgehauenen Beine daneben. Da nahmen Unser Herr und Sankt Peter je zwei der Beine und versuchten sie an die richtigen Stellen einzusetzen. Sofort wuchsen die Beine an, und als man jetzt dem Pferde einen leisen Fusstritt von hinten gab, sprang es auf und stand da, gesünder denn zuvor. Nun trat man in die Schmiede, wo der Schmied traurigen Herzens die letzten Knochensplitterchen aus der Esse zusammenlas und -scharrte, indem er sagte: »Seht, so ich mich auch als Meisterschmied versuchen, wie ihr welche seid, liebe Fremdlinge. Aber die Arbeit ist mir nicht geglückt, und ich habe nur meine alte Mutter getödtet; jetzt habe ich Niemand mehr, der mir das Essen kocht und das Nachtlager bereitet. Helft mir, ihr guten Fremdlinge, dann will ich euch einen namhaften Lohn dafür geben.«
Die Reisenden, denen die Angst und Qual des Schmiedes leid that, versprachen Alles zu thun, was sie irgend vermöchten, um ihm zu helfen. Sie hiessen den Schmied Wasser in einem Kruge holen und sammelten während der Zeit alle die Knochensplitterchen zusammen, die von der verbrannten Alten übrig geblieben waren, warfen sie in die Esse und bedeckten sie mit glühenden Kohlen. Nachdem die Beiden ein Weilchen den Blasebalg gezogen hatten, nahmen sie die rothglühenden Knochenstückchen mit einem eisernen Löffel heraus und warfen sie zum Abkühlen in den Wasserkübel. Eine Zeitlang stieg Dampf aus dem Troge empor und das Wasser siedete, aber als sich dieses beruhigte, sprang aus dem Kübel eine richtige Meerkatze heraus, die vor Freuden kreischend und gröhlend sich auf des Schmiedes Schooss schwang. Der Schmied wunderte sich wohl über diesen sonderbaren Freund; aber hier half kein Blödesein: die Meerkatze umarmte den Schmied,[164] beschnüffelte ihm Mund und Augen und steckte zuletzt gar die Zunge heraus und fing an dem Schmied die Wangen zu lecken. Mit diesem Gefährten musste sich nun der Schmied wohl oder übel zufrieden geben, und die fremden Gäste verliessen seine Schmiede auf ewige Zeiten. – So weit die Geschichte.
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