19. Die beiden Bräute.

Es war einmal ein reicher und mächtiger König, dem nichts auf der Welt fehlte als eine Frau. Deren hätte er nun natürlich so viel haben können, als er wollte, aber er fand keine, die ihm schön genug gewesen wäre, wie lang er auch schon suchte. Nun trug es sich zu, daß er einen Kammerdiener bekam, der eine so bildschöne Schwester hatte, daß kein schöner Weib auf Erden zu finden war. Weil sie nun aber so sehr schön war, hatte ihr Vater sie malen lassen, und das Bild nahm ihr Bruder mit, als er bei dem König in Dienst kam, und hing es in seiner Schlafkammer auf und jeden Abend, ehe er schlafen ging, küßte er das Bild dreimal und gedachte seiner lieben Schwester dabei. Eines Abends kam der König spät nach Hause; wie er an der Thüre des Kammerdieners vorbei nach seinem Zimmer gehen wollte, hörte er das Küssen und machte die Thür auf. Da stand er aber verwundert, als er das Bild sah; er wollte anfangs nicht glauben, daß es ein so schönes Mädchen geben könnte; endlich kam er doch von seinem Erstaunen zurück und fragte den Kammerdiener, wen das Bild denn vorstelle? – »Das ist meine leibliche Schwester,« antwortete der Kammerdiener. »Wenn das deine Schwester ist, dann soll es in acht Tagen meine Frau sein,« sprach der König und fertigte am andern [83] Morgen gleich einen Gesandten ab, der die Schwester an seinen Hof holen sollte.

Als der Gesandte in des Kammerdieners Haus ankam und seine Botschaft vorbrachte, da war keiner erfreuter, als das schöne Mädchen mit seinem Vater und seiner Mutter, und keiner böser darüber, als seine alte häßliche Erzieherin mit ihrer häßlichen schwarzen Tochter Margareth; doch verhehlten die Zwei ihren Zorn gar wohl, so daß sie selbst die Erlaubniß bekamen, die junge Königsbraut nach dem Schloß zu begleiten. Unterwegs nun sannen sie, wie sie das schöne Mädchen aus dem Wege schaffen sollten; nachdem sie lang darüber berathen, sprach die Alte, das dürften sie nicht thun, bevor sie nicht den Gesandten weggeschafft hätten, denn der könnte sie am Ende noch verrathen. Wie gesagt, so gethan. Am nächsten Abend kamen sie alle an ein großes Wasser, wo sie überfahren mußten, um nach dem Schlosse des Königs zu kommen; da schlugen sie ihre Zelte auf und blieben daselbst bis zum andern Morgen. Als es nun Nachts zwölf Uhr war, weckte das alte Weib ihre Tochter und sie schlichen beide still in das Zelt des Gesandten; da nahm die Alte ein großes Messer, schnitt ihm ritsch den Hals ab und warf dann mit Hülfe der schwarzen Margareth die Leiche in's Wasser, worauf sie sich alle zwei wieder still in's Bett legten. Des Morgens suchte Jedermann den Gesandten, aber keiner konnte ihn finden und so blieb endlich nichts anderes übrig, als ohne ihn zu Schiffe zu gehen.

Wie sie nun schon zwei Tage gefahren waren, da stand die Alte einmal am Fenster in dem Schiffe und rief plötzlich: »Da ist das Schloß! da ist das Schloß!« Das schöne Mädchen lief voll Freude alsbald hinzu und legte sich in's Fenster, um nach dem Schlosse zu schauen, aber das war sein Unglück, denn die Alte und die böse [84] schwarze Grethe faßten sie alsbald bei den Füßen und warfen sie in's Wasser. Dann setzten sie ohne die schöne Braut die Reise fort und als sie bald am Schlosse waren, zog die schwarze Grethe die Kleider des schönen Mädchens an und steckte einen Ring an den Finger und die alte Hexe bezauberte aller Leute Augen dergestalt, daß jeder die häßliche Grethe für schön ansah. Dem Könige gefiel sie aber trotz dem nicht und er wollte sie auch anfangs nicht haben, doch die Alte und auch die schwarze Grethe sagten, sein Gesandter hätte sich in seinem Namen mit ihr vermählt und er müsse sie zur Frau nehmen. Nun fiel des Königs Zorn noch mehr auf den Kammerdiener, als es ohnedies schon der Fall gewesen wäre, und er fragte ihn mit funkelnden Augen: »Wie konntest du dich unterstehen zu sagen, das wäre das Bild deiner Schwester, die das grundhäßlichste Geschöpf der Welt ist?« Der arme Kammerdiener verschwur sich hoch und theuer, die schwarze Grethe wäre seine Schwester nicht, das konnte aber alles nichts helfen und der König ließ ihn ins Gefängniß setzen und strenge bewachen.

Als die schöne Braut in das Wasser geworfen worden war, da war sie nicht ertrunken, wie man vielleicht denken könnte. Sie hatte nämlich ein treues Hündchen, welches nebst allerhand andern wunderbaren Gaben auch die hatte, sprechen zu können; und das Hündlein hatte sie gerettet und ans Ufer gebracht, wo sie sich ein Hüttchen baute und ganz still und einsam für sich lebte. Eines Tages nun geschah es, daß der König mit der schwarzen Grethe spazieren ging und zufällig in die Gegend kam, wo das schöne Mädchen wohnte. Da hörte er, wie eine Stimme rief, welches keine andere als die des Mädchens war:


[85] Gille, Gille, gouwken!1


Darauf antwortete eine andere Stimme, und das war die des Hündleins:


Wat belieft er u, schoone vrouwke?


Nun fragte das Mädchen:


Waer is de zwarte Margriet,

Die my in't water stiet?


Antwortete das Hündlein:


Zy ligt in's konings armen.


worauf das Mädchen seufzte


Ach armen!


»Ei was ist das denn?« fragte der König verwundert, als er das hörte, doch die schwarze Grethe zog ihn beim Arme weg und sprach: »Ach, das ist nichts, das ist nichts.« Der König aber sprach: »Ich will wissen, was das ist,« und ging auf die Stimme zu und da fand er die schöne Braut am Ufer und sah, daß sie ganz dem Bilde glich, welches sein Kammerdiener jeden Abend geküßt hatte. Er lief alsbald auf sie zu und umarmte und küßte sie mit vielen Thränen, fragte sie auch um alles aus und sie erzählte es ihm, und er nahm sie in seinen Arm und führte sie mit sich auf das Schloß. Da wollte er nun zuerst die schwarze Grethe fangen lassen und sie nach Gebühr bestrafen, aber die hatte sich mit ihrer häßlichen Mutter schon aus dem Staube gemacht. Alsbald sandte er nun in das Gefängniß und ließ den Kammerdiener daselbst holen und bat ihn unter vielen Thränen um Verzeihung, beschenkte ihn auch als Schwager reichlich und feierte mit großer Freude [86] die Hochzeit, nach der er noch lange und glücklich mit seiner schönen Frau lebte.

Fußnoten

1 Gille, Gille, Schnellchen. – Was beliebt euch, schön Frauchen? – Wo ist die schwarze Margareth, die mich in's Wasser stieß? – Sie liegt in des Königs Armen. – O mir Armen!

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Deutsche Märchen und Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1845, S. 79-80,83-87.
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