75. Gribouille

[202] Schon in seiner Jugend zeigte sich Gribouille in seiner wahren Gestalt. Eines Tages häufte er alle Tische, Bänke und Stühle, die ihm zugänglich waren, aufeinander, um den Mond zu fangen, der beim Fenster hereinsah.


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Eines Tages befahl ihm seine Mutter, die Kuh auf die Weide zu führen. – »Was wird sie denn dort tun?« frug er. – »Grasbüschel fressen.« – Er ging mit der Kuh fort. Als er zur Kirche kam, bemerkte er ein schönes Grasbüschel am Dache des Turmes. – »Da brauche ich doch nicht ins Feld hinaus, denn hier hat meine Kuh, was sie braucht. Ich brauche sie nur auf den Turm zu bringen.«

Er kehrte nach Hause zurück. Seine Mutter war fort. Er nahm einen langen und starken Strick mit, legte ihn der Kuh um den Hals, stieg auf den Turm, schlang den Strick um die Turmspitze und warf ihn dann herab. Er selbst stieg ebenfalls herab und begann die Kuh, so gut er konnte, aufzuziehen. Das arme Tier brüllte dumpf, er achtete jedoch nicht darauf, befestigte den Strick und lief zu seiner Mutter, die bei einer Nachbarin war, um ihr seinen grossartigen Einfall zu erzählen.

Die Frau beeilte sich, die Kuh abzuschneiden, doch sie war schon tot. Gribouille erhielt nun seine Prügel.
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Eines Abends kehrte er vom Johannesmarkt zu Amiens zurück und als er nach Vadencourt längs der Hallue ging, überraschte ihn ein leichter Regen. Er hatte seine Sonntagskleider an und fürchtete, dass sie verderben würden.

»Wenn ich mich anregnen lasse«, sagte er sich, »so komme ich durchnässt nach Hause, meine Mutter wird dann schimpfen und mich vielleicht sogar prügeln. Auch ist mein hübscher Rock verdorben. Am besten ist es, ich springe in den Fluss, denn im Wasser regnet es mir sicher nicht auf meine Kleider.«

Er stürzte sich ins Wasser. Wenn nicht gerade der Müller aus Vadencourt vorübergekommen wäre, so wäre Gribouille ertrunken. Der Müller sprang ihm jedoch nach und rettete ihn.


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Eines Tages begegnete er einem Geflügelhändler und frug ihn, was er denn mit den Federn der abgestochenen Hühner, die er in die Stadt bringe, mache. Der Händler kannte Gribouille und antwortete ihm ernsthaft:

»Was soll ich denn damit machen? Ich verkaufe sie wieder teuer, denn sie werden in die Gärten gepflanzt, weisst du denn nicht, dass aus einer wohlgepflegten Feder nach sechs Monaten ein fettes, vierpfündiges Huhn wird?« – »Ist das wahr? Dann verkaufe mir um hundert Franken Federn und zwar von den schönsten.«

Der Händler lächelte stillvergnügt, führte Gribouille in sein Haus und wählte ihm hundert schöne Hahnfedern aus, für die er hundert Franken erhielt. Gribouille hatte nichts eiligeres zu tun, als die Federn in seinem Garten auszupflanzen, wobei er jede mit einem kleinen Erdhügel umgab. Er wartete auf den Erfolg. Nach acht Tagen ging er in den Garten nachsehen. Es hatte geregnet, die Erde hatte sich gesenkt und die Federn guckten daher aus dem Boden stärker heraus.

Gribouille holte fröhlich alle Ortsbewohner herbei, damit sie sein Hühnerfeld besichtigen.


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Der Geflügelhändler kam nach einem Monat wieder in den Ort, suchte Gribouille auf und fand ihn ganz betrübt. – »Was gibt es neues? Wachsen deine Hühner fleissig?« –[203] »Ach, sprich nicht davon. Mir ist ein grosses Unglück zugestossen. Der Wind hat sie mir davon getragen.« – »Pflanze keine Hühner mehr, armer Gribouille, denn der Wind trägt sie dir weg. Pflanze Pöcklinge, das ist sicherer, denn in einigen Monaten hast du hundertmal soviel, als du ausgesät hast. Glaube mir. Ich habe einen Korb voll Pöcklinge zu Hause, ich kann sie dir verkaufen.« – »Um wieviel?« – »Um hundert Franken.« – »Der Handel ist abgeschlossen.«

Der Geflügelhändler brachte die Pocklinge. Gribouille setzte sie in ein Beet seines Gartens und war wieder der Angeschmierte.


(Picardie.)

Quelle:
Blümml, Emil Karl: Schnurren und Schwänke des französischen Bauernvolkes. Leipzig: Deutsche Verlagsaktiengesellschaft, 1906, S. 202-204.
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