VII. Hlini, der Königssohn.

[48] Es waren einmal ein König und eine Königin in ihrem Reiche. Der König hieß Ring; wie aber seine Königin geheißen hat, weiß man nicht. Sie hatten einen Sohn Namens Hlini, welcher schon frühzeitig vielversprechende Anlagen zeigte und für den wackersten Kämpen angesehen wurde.

Eines Tages begab sich der Königssohn mit den Hofleuten seines Vaters auf die Jagd. Als sie einige Thiere und Vögel erlegt hatten und sich auf den Heimweg machen wollten, fiel plötzlich ein so dichter Nebel ein, daß die Hofleute den Königssohn aus den Augen verloren. Sie suchten lange nach ihm, konnten ihn aber nicht finden und kehrten endlich ohne ihn nach Hause zurück.

Als sie in die Halle des Königs kamen, erzählten sie, daß sie Hlini aus den Augen verloren und nicht wieder hätten finden können. Der König war über diese Nachricht sehr betrübt und schickte am nächsten Tage viele Leute aus, um nach seinem Sohne zu suchen. Dieselben suchten den ganzen Tag hindurch bis zum Abend, fanden ihn aber nicht; und so geschah es drei Tage hindurch, immer vergebens; Hlini konnte nicht gefunden werden. Darüber wurde der König von solchem Kummer ergriffen, daß er sich in's Bett legte, wie ein kranker Mensch. Er ließ auch verkündigen, daß derjenige, welcher seinen Sohn finden und ihn zurückbringen würde, die Hälfte seines Reiches erhalten solle.

Es wohnte auch ein alter Mann mit seinem alten Weibe in einer schlechten Hütte; diese hatten eine Tochter, welche Signy hieß.

Signy hörte von dem Verschwinden des Königssohnes und von der Belohnung, die sein Vater demjenigen versprochen habe,[49] der Hlini finden würde. Da ging sie zu ihren Eltern und bat sie um Reisekost und neue Schuhe; dann machte sie sich auf den Weg um den Königssohn zu suchen.

Von der Wanderung der Signy ist nur zu berichten, daß sie nach mehrtägigem Marsche gegen Abend zu einer Höhle kam; sie ging in dieselbe hinein und sah darin zwei Betten; über das eine war eine silberdurchwobene, über das andere eine golddurchwobene Decke gebreitet. Sie sah sich nun besser darin um und entdeckte, daß der Königssohn in dem Bette lag, über welches die golddurchwobene Decke gebreitet war. Sie wollte ihn wecken, aber es gelang ihr nicht. Da bemerkte sie, daß einige Runen in das Bettgestell eingeritzt waren, konnte dieselben aber nicht deuten. Sie ging hierauf zum Eingang der Höhle zurück und verbarg sich hinter der Thüre.

Sie war kaum in dieses Versteck gekommen, als sie draußen ein starkes Gedröhne hörte und gleich darauf zwei ungeschlachte Riesinnen in die Höhle treten sah. Beim Eintritte sagte die eine von ihnen:

»Pfui der Teufel! es riecht nach Menschen in unserer Höhle.«

Die andere aber meinte, der Geruch komme von Hlini, dem Königssohne. Hierauf gingen sie zu dem Bette, in welchem der Königssohn schlief, riefen zwei Schwäne, die Signy früher nicht bemerkt hatte, herbei und sagten zu denselben:


»Singet, singet, meine Schwäne,

Daß Hlini erwache!«


Da sangen die Schwäne, und Hlini erwachte. Die jüngere Riesin fragte ihn sogleich, ob er nicht etwas speisen wolle. Er sagte: nein. Da fragte sie ihn, ob er sie nicht zum Weibe haben wolle. Er verblieb hartnäckig bei seinem Nein. Da schrie sie auf und sagte zu den Schwänen:


»Singet, singet meine Schwäne,

Daß Hlini einschlafe!«
[50]

Die Schwäne sangen und er schlief ein. Hierauf legten sich die beiden Riesinnen selbst in das Bett, über welches die silberdurchwobene Decke gebreitet war, und schliefen die Nacht hindurch.

Als sie des Morgens erwachten, weckten sie Hlini und boten ihm Speise an; er aber wollte nicht davon essen. Sodann fragte ihn die Jüngere wieder, ob er sie nicht zum Weibe haben wolle. Er verneinte es jedoch, wie früher. Hierauf schläferten sie ihn wieder auf dieselbe Weise ein, wie zuvor, und verließen die Höhle.

Als sie schon eine Weile fort waren, kam Signy aus ihrem Versteck hervor und weckte den Königssohn, indem sie dasselbe sagte, wie die Riesinnen. Sie begrüßte ihn und er nahm ihren Gruß freundlich auf und fragte sie, was es Neues gebe.

Signy erzählte ihm nun Alles der Wahrheit gemäß, und auch von dem großen Kummer, welchen sein Vater über sein Verschwinden empfinde. Hierauf fragte sie ihn, was sich mit ihm zugetragen habe. Er erzählte ihr, daß er kurz nach seiner Trennung von den Hofleuten seines Vaters zwei Riesinnen begegnet habe und von diesen in ihre Höhle mitgenommen worden sei. Der eine von ihnen habe ihn zwingen wollen, sie zu heiraten, wie sie ja selbst gehört hätte, er aber habe niemals einwilligen wollen.

»Nun sollst Du«, sagte Signy, »wenn die Riesin Dich heute Abends wieder frägt, ob Du sie zum Weibe haben willst, Deine Einwilligung dazu geben unter der Bedingung, daß sie Dir sage, was auf den Betten geschrieben stehe und was sie den Tag übertreiben.«

Dies schien dem Königssohne ein vorzüglicher Rath zu sein. Er brachte hierauf ein Spielbrett herbei und lud das Mädchen ein, mit ihm zu spielen; sie saßen dann bis Abends beim Brettspiel. Als es jedoch anfing dunkel zu werden, schläferte Signy den Königssohn wieder ein und begab sich in ihr Versteck.[51]

Bald hörte sie die Riesinnen herbeikommen und in die Höhle traben. Sie zündeten Feuer an und die ältere begann die Vögel zuzubereiten, welche sie mitgebracht hatten, während die jüngere zu dem Bette ging, Hlini weckte und ihn fragte, ob er nicht Speise zu sich nehmen wolle.

Er antwortete diesmal mit Ja.

Als er mit seiner Mahlzeit fertig war, fragte sie ihn, ob er sie nicht heiraten wolle.

Er entgegnete, daß er es thun wolle, wenn sie ihm sagen würde, was die Runen bedeuten, die auf den Betten eingeritzt seien.

Sie sagte, es stehe auf den Betten geschrieben:


»Renne, renne Bettchen mein,

Renne wohin man will!«


Er zeigte sich über diese Mittheilung sehr erfreut, sagte aber doch, daß sie noch mehr thun und ihm sagen müsse, was sie den Tag über draußen im Walde treiben. Die Riesin erzählte ihm, daß sie Thiere und Vögel jagen, wenn sie aber dazwischen eine kleine Frist haben, sich unter einer Eiche niedersetzen und einander ihr Lebensei zuwerfen.

Er fragte, ob sie dabei vorsichtig umgehen müßten.

Die Riesin sagte, daß das Ei nicht zerbrechen dürfe, denn sonst müßten sie beide sterben.

Der Königssohn sagte, daß sie gut gethan habe, ihm alles dies mitzutheilen; aber er wolle doch noch bis Morgen ruhen; sie antwortete darauf, er möge seinen Willen haben, und schläferte ihn sodann ein.

Des Morgens weckte sie ihn und bot ihm Speise an, die er auch dankbar annahm. Dann fragte ihn die Riesin, ob er nicht heute mit ihnen in den Wald hinauskommen wolle, er antwortete aber, daß er lieber zu Hause bleibe. Hierauf nahm die Riesin von ihm Abschied, und nachdem sie ihn eingeschläfert, verließen die beiden Weiber die Höhle.[52]

Als sie schon eine Weile fort waren, trat wieder Signy zu dem Bette und weckte den Königssohn.

Sie bat ihn aufzustehen, »und wir werden jetzt«, sagte sie, »in den Wald hinausgehen, dahin wo die Riesinnen sind. Nimm Deinen Speer mit Dir, und sowie sie anfangen, einander ihr Lebensei zuzuwerfen, schleudere ihn auf das Ei; aber es gilt Dein Leben, wenn Du nicht triffst.«

Dem Königssohn schien dies ein vorzüglicher Rath zu sein, und sie stiegen nun beide in das Bett hinein und sagten die Worte:


»Renne, renne Bettchen mein,

Renne in den Wald!«


Da rannte das Bett mit beiden fort und blieb erst stehen als sie draußen im Walde in die Nähe einer Eiche kamen. Sie hörten hier ein lautes Lachen. Signy bat nun den Königssohn, auf die Eiche hinauf zu klettern, und dies that er auch. Er sah die beiden Riesinnen unter dem Baume sitzen; die eine von ihnen hatte ein goldenes Ei in der Hand und warf es der anderen zu. In demselben Augenblicke schleuderte der Königssohn den Spieß ab und derselbe traf das Ei, so daß es zerbrach. Gleichzeitig sanken auch die Riesinnen todt zu Boden und Geifer trat aus ihrem Munde.

Der Königssohn stieg nun sogleich von der Eiche herab und fuhr mit Signy im Bette auf dieselbe Weise in die Höhle zurück, wie sie gekommen waren. Sie nahmen hierauf alle Kostbarkeiten, welche sich in der Höhle befanden, und füllten damit die beiden Betten. Sodann bestiegen sie jedes ein Bett und sprachen die Bettrunen, worauf die Betten mit ihnen und allen Kostbarkeiten zur Hütte der alten Leute rannten. Der alte Mann und das alte Weib empfingen sie mit Freuden und baten sie, bei ihnen zu bleiben. Sie nahmen auch die Einladung an und blieben hier die Nacht über.

Zeitlich Morgens ging sodann Signy zum König, trat vor ihn hin und begrüßte ihn. Der König fragte sie, wer sie sei. Sie sagte, daß sie die Tochter des alten Mannes von der kleinen[53] Hütte sei, und fragte, welche Belohnung er ihr geben würde, wenn sie seinen Sohn wohlbehalten zurückbringen könne.

Der König sagte, daß er darauf wohl nicht zu antworten brauche, da sie ihn gewiß nicht finden werde, nachdem dies keinem von seinen Leuten gelungen sei.

Signy fragte weiter, ob er ihr nicht dieselbe Belohnung geben wolle, die er Anderen versprochen habe, falls sie ihn doch fände.

Der König sagte, daß sie dieselbe Belohnung erhalten würde.

Signy kehrte hierauf in die Hütte zurück und bat den Königssohn, ihr nach der Halle des Königs zu folgen; dies geschah denn auch und sie führte ihn hinein zum Könige.

Der König empfing seinen Sohn mit Freuden und hieß ihn sich zu seiner Rechten setzen und alle seine Erlebnisse erzählen von dem Tage an, wo ihn die Hofleute auf der Jagd verloren hätten.

Der Königssohn setzte sich auf den Hochsitz neben seinen Vater und lud Signy ein, sich auf seine andere Seite zu setzen; hierauf erzählte er die Geschichte, wie sie sich ereignet hatte, und daß dieses Mädchen ihm das Leben gerettet habe, da sie ihn aus den Händen der Riesinnen befreite.

Sodann stand Hlini auf, trat vor seinen Vater hin und bat ihn, zu erlauben, daß er dieses Mädchen zu seinem Weibe nehme. Der König gab mit Freuden seine Einwilligung dazu und ließ sogleich ein großes Hochzeitsfest veranstalten, zu welchem er alle Häuptlinge seines Reiches einlud. Die Hochzeit dauerte eine ganze Woche; nachdem dieselbe vorüber war, kehrten alle Gäste wieder nach Hause zurück, und alle priesen den König wegen seiner Gastfreundschaft, denn er hatte alle mit kostbaren Gaben beschenkt.

Der Königssohn und Signy aber lebten lange zusammen und liebten einander sehr. Damit ist diese Geschichte zu Ende.

Quelle:
Poestion, Jos. Cal.: Isländische Märchen. Wien: Carl Gerolds Sohn, 1884, S. 48-54.
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