XXV. Helga, die Häuslerstochter

[211] Es lebte einmal ein alter Mann mit seinem alten Weibe in einer schlechten Hütte. Sie hatten nur ein einziges Kind, eine Tochter, welche Helga hieß und für die Schönste unter den Weibern galt.

Da fühlte die Mutter, daß sie sterben werde. Sie rief ihre Tochter zu sich und sagte ihr, daß ihr Leben zuweilen recht mühselig sein werde und sie ihr wenig helfen könne. »Doch will ich Dir diese Ahle geben«, fuhr die Alte fort; »Du kannst dieselbe »Ja« sagen machen, so oft Dir daran gelegen ist.«

Hierauf starb die Mutter.

Eines Abends verlangte der Alte, daß Helga, seine Tochter, bei ihm schlafe. Sie aber weigerte sich, dies zu thun, worauf der Vater sie nur noch mehr bestürmte. Da wußte sich Helga nicht anders zu helfen als mit der Ausrede, sie habe vergessen, das Feuer auszulöschen, und müsse dies noch früher besorgen.

Sie begab sich in die Küche, steckte die Ahle in die Wand und sagte zu derselben, sie solle immer »Ja« sagen; sie selbst aber lief hinaus in die Finsterniß.

Der Alte rief Helga, seine Tochter.

Die Ahle antwortete und sagte auf alles »Ja«.

Dies verdroß endlich den Alten, er eilte hinaus und suchte seine Tochter, konnte sie aber nirgends finden. Hierauf ging er wieder zurück in die Hütte und kommt nun nicht weiter in der Geschichte vor.

Helga lief in den Wald hinaus und irrte die ganze Nacht umher. Als der Tag zu dämmern begann, kam sie zu einem hübschen kleinen Häuschen. Sie trat in dasselbe ein und sah hier einen Mann, welcher für sich allein Brettspiel spielte. Dieser hieß sie eintreten und sagte, sie komme ihm sehr erwünscht, wenn[212] sie bei ihm bleiben und als Magd dienen wollte, da er ganz allein sei.

Helga willigte ein und fragte ihn nach seinem Namen.

Er heiße Herraud, antwortete der Mann.

Es verging hierauf einige Zeit und Helga wurde schwanger; Herraud war den Tag über auf der Jagd, die Nacht aber brachte er zu Hause zu. Sowie jedoch die Zeit der Niederkunft für Helga herannahte, kam Herraud immer später nach Hause, bis er eines Abends ganz ausblieb.

Helga war vom Warten ermüdet und schlief ein. Da träumte sie von ihrer Mutter. Dieselbe kam zu ihr und sagte:

»Herraud ist jetzt im Begriffe Dich zu betrügen; es hat ihn eine Unholdin dazu verführt, welche er zum Weibe nehmen will; verlasse nun das Haus, zieh die Schuhe verkehrt an und begib Dich in einen unterirdischen Raum, der sich nicht weit von hier befindet; denn das Riesenweib wird Dir nach dem Leben trachten.«

Hierauf erwachte Helga, band sich die Schuhe verkehrt an die Füße und begab sich in den unterirdischen Raum.

Es dauerte nicht lange, so kam ein Hund und suchte Helga; er schnoberte auf ihren Fußspuren hin und her, fand aber nichts und lief wieder fort. Hierauf hörte sie ein starkes Getöse und Donnern. Helga sah durch eine Oeffnung des unterirdischen Raumes, daß es die Riesin war. Auch sie verfolgte die Spuren hin und zurück und als sie nichts fand, eilte sie wieder von dannen.

Später verließ Helga ihre unterirdische Wohnung und ging hinaus in den Wald. Sie ging lange, lange, bis sie zu einem Bache kam; da fand sich auch ein Kind hier ein, um Wasser zu holen. Helga warf dem Kinde einen goldenen Ring in den Wassereimer.

Nach einer kurzen Weile kam ein Zwerg zu Helga, welcher ihr für das Geschenk, das sie seinem Kinde gegeben, dankte und[213] sie einlud, zu ihm nach Hause zu kommen. Sie kamen zu einem großen Steine; dieser öffnete sich und sie gingen in denselben hinein. Darinnen saß die Frau des Zwerges, welche Helga ebenfalls für das Geschenk, das sie ihrem Kinde gemacht hatte, dankte.

Helga gebar in dem Steine ein sehr schönes männliches Kind. Der Zwerg sprach zu Helga:

»Herraud wird heute Hochzeit halten und zwar will er die Riesin heirathen. Wenn Du die Hochzeit mit ansehen willst, so werde ich Dir beihilflich sein, dahin zu kommen.«

Helga sagte, daß sie gerne dahin gehen möchte.

Der Zwerg führte sie zu einer Höhle und warf ihr hier einen Mantel um, so daß Niemand sie sehen konnte. Er trug ihr auf, wohl darauf zu achten, was die Braut jeden Abend thue, wenn sie aus der Höhle gehe; am letzten Abende solle sie dann Herraud herbeirufen und ihm zeigen, was seine Braut treibe; denn das Hochzeitsgelage werde drei Tage lang dauern. Zuletzt sagte der Zwerg noch, sie möge ihn rufen, wenn sie seiner bedürfe. Mit diesen Worten verschwand er.

Helga sah nun dem Gelage zu, welches unter lärmender Freude abgehalten wurde. Die Braut saß fein und schön auf der Brautbank und war nicht größer als ein Weib von mittlerem Wuchse. Herraud aber war überaus heiter und lustig.

Des Abends verließ die Braut die Höhle und wollte nicht, daß Jemand ihr folge. Sie entfernte sich eine kurze Strecke weit von der Höhle, drehte sich dreimal im Kreise um und sagte:

»Ich soll werden, was ich bin!«

Da wurde sie zu einem großen Riesenweibe. Hierauf sagte sie:

»Komm her, dreiköpfiger Riese, mein Bruder, mit einem großen Kübel voll Roß- und Menschenfleisch!«[214]

Da kam ein Riese mit einem großen Kübel voll Fleischstücken, und sie begannen nun dieselben zu verzehren. Als sie damit fertig waren, drehte sich die Riesin wieder dreimal im Kreise um und sagte:

»Ich soll wieder werden, was ich war!«

Da wurde sie wieder ein feines Mädchen.

Am zweiten Abend machte die Braut dasselbe. Am dritten Abend rief Helga Herraud herbei; er erkannte sie aber nicht; sie führte ihn heimlich dahin, wo die Riesin eben mit ihrem Bruder beim Schmause war. Herraud erschrack nicht wenig, als er dies sah; er kehrte zur Höhle zurück, zog eine Schnur vor den Eingang und wartete, bis die Braut zurückkehrte. Als dieselbe kam, wurde sie durch die Schnur festgehalten; sie rief nach ihrem Bruder, und alsbald kam auch der abscheuliche dreiköpfige Riese herbei.

Da rief Helga nach dem Zwerge; sogleich kam ein Vogel geflogen, welcher dem Riesen alle Schädelknochen zerhackte, so daß er augenblicklich todt zur Erde fiel; die Braut aber erhängte sich an der Schnur und sie kam Herraud gar nicht mehr schön vor, als er sie so daliegen sah.

Jetzt erkannte Herraud auch Helga und war darüber sehr erfreut; er bat sie um Verzeihung und sagte, daß die Riesin ihn durch Zauberei dahin gebracht hätte, sie zu betrügen. Hierauf begaben sich Herraud und Helga wieder in das Haus im Walde und hielten bald nachher ihre Hochzeit. Am Hochzeitstage überbrachte der Zwerg ihnen ihren Sohn und legte ihn Helga in den Schooß; Herraud gab dem Zwerge für all' seine Hilfe guten Lohn.

Sie liebten einander bis in ihr hohes Alter, und jetzt ist die Geschichte zu Ende.

Quelle:
Poestion, Jos. Cal.: Isländische Märchen. Wien: Carl Gerolds Sohn, 1884, S. 211-215.
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