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[215] Es waren einmal ein König und eine Königin in ihrem Reiche; ihre Namen sind nicht mehr bekannt. Sie hatten einen Sohn, der Grädari hieß. Derselbe war noch ganz jung und lag in der Wiege, als diese Geschichte sich ereignete. Es wurden mit ihm gar viele Umstände gemacht, wie man schon daraus ersehen kann, daß über die Wiege ein Band gebunden war, auf welchem mit goldenen Buchstaben geschrieben stand: »Grädari, der Sohn des Königs Grädari«.
Eines Tages, als sehr schönes Wetter war, befanden sich der König und die Königin in ihrem Lustgarten und hatten die Wiege in ihrer Mitte; sie bewunderten die Schönheit des Kindes und waren ganz glücklich über dasselbe. Da entstand plötzlich ein starkes Sausen, auf welches pechschwarze Dunkelheit folgte. Als es wieder hell wurde, war die Wiege verschwunden. Der König und die Königin wurden von großem Kummer und Schmerz über ihr Unglück erfüllt und nahmen in ihrer Traurigkeit weder Speise noch Trank zu sich. Ein Drache aber war es, der die Wiege entführt hatte.
In einem anderen Lande regierten ebenfalls ein König und eine Königin; dieselben hatten eine junge Tochter, welche Geirlaug hieß. An demselben Tage waren auch sie mit ihrem Kinde draußen in ihrem Garten. Da sah der König plötzlich eine dichte, große Wolke durch die Luft schweben und, als sie immer näher kam, gerade auf die Wiege des Kindes losfahren. Es war dies derselbe Drache, der den jungen Grädari entführt hatte, denn er hielt die Wiege in seinen Klauen. Er wollte nun die andere Wiege mit seinem Munde erfassen. Aber der König ließ es nicht dahin kommen, sondern griff rasch nach dem Schwerte und hieb damit dem Drachen in das Auge. Dieser Hieb war so stark geführt,[216] daß der Drache die Wiege, die er in den Klauen hatte, fallen ließ.
Der König und die Königin sahen nun, wie unglücklich das Kind war, und beklagten es; sie nahmen es zu sich und sorgten für dasselbe wie für ihre eigene Tochter. Die Kinder erhielten eine Pflegefrau und wurden nicht weit von dem Schlafgemache des Königs und der Königin untergebracht.
Als die Kinder zwölf Jahre alt waren, starb die Königin und wurde von dem gesammten Volke der Stadt betrauert, am meisten aber von den Kindern; denn Grädari liebte dieselbe, als ob er ihr eigener Sohn gewesen wäre.
Nach einiger Zeit nahm sich der König eine andere Frau. Es dauerte nicht lange, so wurde sie von Haß gegen die beiden Kinder erfüllt, weil dieselben einander sehr liebten. Sie war aber zauberkundig wie auch die Pflegefrau der Kinder.
Nun verstrich einige Zeit, bis der König einmal fortzog, um von seinen Ländern die Schatzung zu erheben. Der Abschied von den Kindern fiel ihm sehr schwer; da aber die Stiefmutter derselben sich jetzt sehr freundlich und sanft gegen sie zeigte, war er etwas beruhigter. Als der König fortgezogen war, gedachte sie die Kinder zu besuchen; da waren sie aber verschwunden.
Sie berief nun dreißig Männer zu sich und sagte zu denselben, sie habe einen Traum gehabt, der Krieg bedeute, und wolle daher, da ihr Mann abwesend sei, Vorkehrungen dagegen treffen. Sie trug ihnen auf, fortzuziehen, und alle Pferde und sonstigen Thiere, welche sie fänden, einzufangen und zu tödten.
Die Männer zogen aus, wie ihnen von der Königin geboten war. Sie suchten den ganzen Tag, fanden aber nichts als zwei junge Pferde, welche so schön waren, daß sie ihnen ganz besonders als Reitpferde für den König und die Königin passend erschienen. Sie kehrten Abends nach Hause zurück und erzählten der Königin nichts von den beiden Pferden. Sie ließ ein reichliches Mahl für sie bereiten und gab ihnen ein Getränk[217] zu trinken, welches die Eigenschaft besaß, daß derjenige, welcher davon trank, der Wahrheit getreu erzählen mußte, was sich erreignet hatte. Sie sagten nun auch Alles, was sie verschweigen wollten. Da wurde die Königin auf's Höchste erzürnt und erschlug sie alle; denn als sie hörte, daß sie die beiden schönen jungen Pferde nicht getödtet hätten, sagte sie, daß dies das verfluchte Paar gewesen sei.
Diese ganze Zeit hindurch war jede Nacht ein Mann verschwunden, und es erschien Vielen sonderbar, daß die Königin daran schuld sein sollte, wie Einige behaupten wollten.
Nach Verlauf einer Woche kam der König wieder heim. Die Königin empfing ihn auf das Freundlichste und erzählte ihm von ihrer Meinung wegen eines Krieges; sie wolle, sagte sie schließlich, daß morgen er selbst mit dreißig Männern ausziehe und Alles tödte, was er Lebendes antreffe.
Der König that auch, was die Königin verlangte.
Nun müssen wir wieder zurück zu Geirlaug. Diese wußte im Vorhinein die Anschläge ihrer Stiefmutter und hatte deshalb zu Grädari gesagt, daß sie die königliche Burg verlassen und sich zu jungen Pferden verwandeln sollten.
Als nun ihr Vater in den Wald auf die Jagd geritten kam, sagte sie zu Grädari:
»Nun kommt mein Vater selbst; ich lasse ihn aber heute nicht suchen, denn er würde bald um's Leben kommen, wenn meine Stiefmutter ihm heute Abend den Trank gibt, auf den er. Alles sagen muß, was er gesehen hat; setzen wir uns daher hier auf diese Eiche und verwandeln wir uns zu den besten Singvögeln.«
Sie sangen nun so schön, daß der Vater der Geirlaug dem Gesange nachging und zu seinen Leuten sagte, er wolle hier ausruhen und diesem Gesange lauschen; sie sollten allein auf die Suche gehen.[218]
Als es Abend wurde, kamen die Männer zurück und sagten dem Könige, daß sie nichts gesehen hätten außer diesen Vögeln, welche auf den Eichen säßen.
Der König erwiederte, daß er dieselben nicht wolle tödten lassen, da sie ihm den ganzen Tag hindurch so viel Vergnügen bereitet hätten.
Sie kehrten hierauf nach Hause zurück, die Königin empfing sie auf das Freundlichste, ließ ihnen ein reichliches Mahl auftragen und forderte sie auf, so viel zu trinken als sie Lust hätten. Sie gab ihnen denselben Trank wie den anderen Männern, und sie begannen nun zu erzählen, wie es war.
Da sagte die Königin, daß dies die Königskinder gewesen seien, und erschlug hierauf ihren Mann und Alle, welche mit ihm waren.
Da sagte Geirlaug zu Grädari:
»Bald kommt meine Stiefmutter selbst und sie wird nicht früher ablassen, uns zu verfolgen, bis sie uns gefunden hat«.
Er fragte sie, was nun zu geschehen habe.
Sie sagte, er solle zu einer Flosse an ihr werden, sie selbst aber wolle sich in einen Walfisch verwandeln.
Die Königin war sehr aufgebracht, daß sie die beiden Kinder noch nicht hatte aus dem Leben schaffen können, und machte sich selbst mit dreißig Männern zur Verfolgung derselben auf. Sie suchte lange, bis sie endlich zu ihren Leuten sagte, daß sie zu Lande nichts fände. Sie ging daher zum Meere, verwandelte sich in einem großen Fisch und griff den Walfisch an. Der Kampf zwischen beiden endigte damit, daß Geirlaug die Stiefmutter tödtete. Sie war aber so erschöpft, daß sie kein Glied rühren konnte, und lag so drei Tage lang, bis sie sich endlich wieder erholte.
Da sagte sie zu Grädari, der immer bei ihr war, denn sie hatten sich gegenseitig Liebe geschworen:[219]
»Wenn ich etwas für mich vermag, wünschte ich, wir wären jetzt unter den Holzzaun Deines Vaters hingezaubert.«
Sie hatte dies kaum gesagt, als sie auch schon dahin gekommen waren. Da sagte Geirlaug:
»Begib Dich nun in den Palast Deines Vaters, binde Dein Wiegenband um und tritt vor Deinen Vater hin und erzähle ihm Alles wahrheitsgetreu, wie es sich ereignet hat.«
Sie warnte ihn auch noch, so durstig er auch sein möge, früher zu trinken, bevor er seinen Vater gefunden habe. Hierauf schieden sie in Liebe von einander.
Grädari ging nun seiner Wege; als er auf der Straße der Halle des Königs zuwanderte, bekam er so brennenden Durst, daß er ihn nicht ertragen konnte. Da sah er einen goldenen, mit Wasser gefüllten Becher auf einem silbernen Fasse stehen; er nahm denselben und trank ihn in seiner Gedankenlosigkeit aus. Als er aber getrunken hatte, erinnerte er sich nicht mehr an sein früheres Leben und glaubte in dieser Stunde geboren zu sein.
Er ging so dahin, bis er dem Diener der Königin begegnete. Dieser trat auf Grädari zu und sagte:
»Heil Dir, Königssohn!«
Grädari war ganz verdutzt und glaubte, daß dieser Bursche ihn zum Besten halte.
Der Diener aber bat ihn, daß er mit ihm komme, und dies that er auch. Sie gingen nun zur Königin. Als diese Grädari erblickte, erkannte sie sogleich ihren Sohn und fiel ihm um den Hals.
Grädari sagte:
»Wie sollte es möglich sein, daß Du meine Mutter bist?«
Die Königin entgegnete:
»Willst Du denn nicht mein Sohn sein? Ich verlor Dich, als Du ein halbes Jahr alt warst und bekomme Dich nun zwanzigjährig zurück.«
Grädari sagte:[220]
»Ich kenne Dich nicht, und weiß nicht, wo ich die ganze Zeit hindurch gewesen bin.«
Die Königin sagte:
»Das Band, welches Du umgebunden hast, sagt mir, daß Du mein Sohn bist; denn Niemand hat Deinen und Deines Vaters Namen, als Ihr beide, Vater und Sohn. Komm alsbald mit mir und erfreue Deinen Vater nicht später als mich!«
Sie gingen nun beide zu König Grädari. Dieser war ganz verwundert und sagte:
»Wenn Du mir auch fremd wärest, solltest Du gleichwohl mein Sohn sein.«
Er lebte fortan in Freuden und Vergnügungen und es wurden ihm alle männlichen Künste und Fertigkeiten gelehrt, welche er früher nicht kannte; auch wurde ihm ein eigenes prächtiges Kastell erbaut.
Er hatte zwei junge Leute um sich, welche er so sehr liebte, daß sie alle drei wie eine Person waren und sich nie von einander trennten, wohin auch der König sich begeben mochte.
Wir kommen nun zurück zu Geirlaug.
Als bereits drei Tage verstrichen waren und Grädari noch immer nicht zurückkam, wußte sie, daß er sie vergessen hatte. Da gedachte sie ihm seinen Unverstand entgelten zu lassen.
Sie ging nun, bis sie zu einem Hofe kam, der einem reichen Bauern gehörte. Dieser Bauer hatte zwei Töchter. Geirlaug bat denselben, daß sie sich einige Zeit bei ihm aufhalten dürfe, und der Bauer erlaubte es ihr auch. Sie aber nannte sich Lauphöfda.
Sie war nicht lange hier, als sie die Töchter des Bauers in allerlei weiblichen Künsten und Fertigkeiten so trefflich unterrichtet hatte, daß der Ruf ihrer Geschicklichkeit sich in dem ganzen Königreiche verbreitete, aber auch erzählt wurde, wie dieselben sie dem unbekannten fremden Weibe zu verdanken hätten, welches sich seit einiger Zeit bei dem Bauer aufhalte.[221]
Auch Grädari und seine beiden Freunde hörten davon. Der Königssohn bekam Lust, die beiden Mädchen, besonders aber das geschickte fremde Weib kennen zu lernen, und sagte zu seinen beiden Freunden, sie sollten jeder von ihnen an je einem Abend zu den Mädchen gehen, und zwar sie beide zuerst zu den Bauerntöchtern, während er selbst am dritten Abend zu Lauphöfda kommen werde.
Wir haben noch zu berichten, daß Geirlaug mit den Töchtern des Bauers so vertraut wurde und einen solchen Einfluß auf sie gewann, daß sie dieselben bestimmte, ihren Vater zu bitten, daß er ihnen ein ebenso prächtiges Haus erbauen lasse, wie das des Grädari sei.
An dem Abende, da der erste der drei Männer kommen sollte, sagte Lauphöfda zu Derjenigen, welcher diesmal der Besuch galt, sie möchte sich putzen und ihre Schlafkammer so schön ausschmücken, als sie könne, denn sie habe diesen Abend Gäste zu erwarten.
Als es nun Abend geworden war, wurde bei dem einen Mädchen an die Thüre der Schlafkammer geklopft; dasselbe öffnete und ließ den Freund des Königssohnes eintreten. Dieser aber verlangte, daß das Mädchen ihn bei sich schlafen lasse. Da lief die Maid zu Lauphöfda hinein, erzählte derselben, daß dieser schlechte Mensch bei ihr schlafen wolle, und bat sie, ihr einen guten Rath zu geben.
Lauphöfda rieth ihr, sie solle nur gütlich zu Bette gehen, und sagte ihr, was sie weiter zu thun habe. Hier haben wir auch zu erwähnen, daß Lauphöfda im Herbste einen jungen Stier hatte aufziehen lassen, welchem sie immer selbst das Futter gab; derselbe war zur Zeit, da sich dieses ereignete, bereits sehr groß geworden.
Als nun der Mann sich in's Bett gelegt hatte, stellte sie sich, als ob sie zu ihm hinauf kommen wollte, und war schon halb im Bette, als sie sagte:[222]
»Ah, ich habe ganz vergessen, den jungen Stier der Lauphöfda anzubinden; ich muß hinaus gehen und es thun.«
Da erbot sich der Mann, daß er es für sie thun wolle.
Das Mädchen sagte, daß sich der junge Stier nicht an den Ständer anbinden lasse, wenn man nicht den Schweif um die rechte Hand wickle und mit der linken Hand den H ... sack erfasse.
Er that, wie ihm gesagt worden war. Da wurde aber das Thier so wild, daß es im Stalle herumrannte; dabei stieß es eine Thür auf und lief sammt dem Manne in's Freie und sprengte wie rasend über Stock und Stein dahin. Der Mann aber hing an dem Schwanze des Thieres fest und konnte sich nicht losmachen. Da schien es ihm, daß er in eine gar üble Lage gerathen sei. Erst am nächsten Morgen konnte er sich frei machen und ging nun mit schwachen Kräften nach Hause. Er erzählte daheim nichts von seinem Erlebnisse und ließ auch nichts an sich merken, als daß er sehr schwach war.
Auf dieselbe Weise erging es auch dem zweiten Freunde des Königssohns, und auch dieser erzählte nicht, was ihm widerfahren war.
Nun kam die Reihe an Grädari selbst.
An demselben Tage sagte Lauphöfda, daß heute Abend Gäste zu ihr kommen würden, und bat die Mädchen, daß sie frühzeitig zu Bette gehen möchten. Hierauf schmückte sie in ihrem Gemache Alles so prächtig aus, als sie nur konnte.
Des Abends wurde an die Thür geklopft und Grädari trat ein.
Lauphöfda erkannte ihn sogleich, er aber erkannte sie nicht.
Sie führte ihn zu einem Sitze und sagte, sie sei nicht gewöhnt, solche Gäste zu empfangen.
Er entgegnete, daß er gekommen sei, um bei ihr über Nacht zu bleiben.[223]
Lauphöfda zeigte sich damit ganz einverstanden und bewirthete Grädari mit Wein und Speisen. Hierauf ging sie zu Bette und Grädari wollte ihr folgen. Als er schon Alles bis auf ein leinernes Unterkleid ausgezogen hatte und im Begriffe war, in's Bett zu steigen, sagte Lauphöfda, daß der junge Stier noch nicht angebunden sei, die beiden Mädchen aber sich schon zu Bette gelegt hätten; sie müsse deshalb aufstehen und dies selbst besorgen.
Grädari bat sie, ruhig zu bleiben; er wolle selbst hinausgehen und den Stier anbinden.
Lauphöfda sagte, wenn er ihn an seinen Platz im Stalle bringen wolle, müsse er ihn mit der einen Hand beim Schwanze mit der anderen beim H ... sack erfassen.
Er ging in den Stall, fand den Stier und that, wie Lauphöfda ihm gesagt hatte. Da geberdete sich der Stier so wild, daß er ausbrach; Grädari aber blieb mit den Händen an dem Schweife und dem H ... sack des Stieres festhängen und lief mit diesem barfuß und beinahe unbekleidet im schärfsten Laufe dahin. Das Wetter war aber derartig, daß es bald in dichten schweren Flocken schneite, bald regnete. Grädari mußte die ganze Nacht hinter dem Stiere einherlaufen und konnte sich erst gegen Morgen frei machen; er war mehr todt als lebendig und lag eine Woche lang erschöpft und zerschlagen darnieder. Auch er erzählte den beiden Freunden nichts von seinem Erlebnisse, so daß keiner von den Andern wußte, was ihnen geschehen war.
Nachdem einige Zeit verstrichen war, sagte der König zu Grädari, daß er in das nächste Königreich gehen und um die Königstochter, die Aslaug heiße, werben solle. Er befolgte diesen Rath und seine Werbung nahm einen günstigen Verlauf. Als er mit seiner Liebsten landete, wurden sie in zwei Wagen abgeholt; Grädari und Aslaug bestiegen den einen, die beiden Freunde des Königssohnes den anderen Wagen.[224]
Als sie aber nach der Halle des Königs fahren wollten, war der Wagen des Grädari nicht von der Stelle zu bringen, so sehr auch die Pferde angetrieben wurden, und sie waren nun Alle rathlos.
Da sprachen die beiden Freunde des Königs unter sich:
»Wie wäre es, wenn wir dem Königssohne sagten, daß er den Stier der Lauphöfda ausborgen solle?«
Sie sagten dies auch dem Königssohne und derselbe war mit ihrem Vorschlage ganz einverstanden und sagte, sie möchten beide zu ihr gehen und ihr Alles gewähren, um was sie bitten würde.
Sie gingen zu Lauphöfda und trugen ihr Grädari's Bitte vor.
Lauphöfda erwiederte, sie leihe ihnen den Stier unter der Bedingung, daß sie am Hochzeitstage hinter dem Brautpaare sitzen dürfe.
Dies wurde ihr zugesagt, und sie erhielten nun den Stier, brachten ihn zu dem Wagen und spannten ihn vor denselben; da begann er so schnell mit dem Wagen davonzulaufen, daß Alles aus den Fugen zu gehen schien; Aslaug aber fürchtete für ihr Leben. Er lief bis zur Königsburg, riß hier alle Bande von sich und rannte wieder seiner Wege.
Es ward nun die Hochzeit veranstaltet; in der Halle wurden Bänke aufgestellt und hinter dem Sitze des Bräutigams noch eine kleine Bank für Lauphöfda und die Töchter des Bauern angebracht. Lauphöfda trug ein rothes Seidenkleid und hatte auf dem Kopfe eine Krone; über jenem trug sie außerdem ein Kleid aus Birkenrinde. Alle verwunderten sich über ihre Schönheit und fragten einander, woher sie denn sein möge; jeder hätte sie gerne zur Magd gehabt.
Lauphöfda kam mit den beiden Bauerstöchtern in die königliche Halle und sie setzten sich alle drei auf die hintere Bank. Lauphöfda hatte einen Korb am Arme und als sich[225] Alle gesetzt hatten, nahm sie aus demselben einen Hahn und eine Henne und stellte die Thiere hinter Grädari.
Es waren nun Alle munter und lustig in der Halle, nur Lauphöfda zeigte ein trauriges, kummervolles Gesicht. Es wurde gespeist und auch den Vögeln zu essen gegeben. Als sie damit fertig waren, begann der Hahn der Henne das ganze Gefieder auszuzupfen, bis zuletzt nur mehr der rechte Flügel übrig blieb.
Da sprach die Henne laut:
»Willst Du so mit mir verfahren wie Grädari der Sohn des Grädari mit Geirlaug, der Königstochter, verfahren ist?«
Dies sprach die Henne so laut, daß Grädari über diese Worte betrübt wurde und sagte:
»Es ist schrecklich zu denken, daß ich meine Geirlaug, welche ich auf der ganzen Welt am Meisten liebte, so sehr gequält haben sollte«.
Da reichte ihm Geirlaug den Ring, in welchem sein Name eingegraben war, dann erhob sie sich, warf die Birkenrinden von sich und stand nun in dem schönen, prächtigen Kleide da.
Da gab es ein freudiges Wiedersehen zwischen den Beiden, und der Königssohn bat Geirlaug um Verzeihung wegen des Kummers, welchen er ihr durch seine Sorglosigkeit verursacht habe.
Sie erzählte hierauf dem alten Könige ihre Lebensgeschichte und statt Aslaug setzte sich Geirlaug auf die Brautbank und hielt Hochzeit mit Grädari. Die beiden Freunde des Königssohnes aber heiratheten die Bauerntöchter, und alle diese Hochzeiten wurden gleichzeitig gefeiert.
Nach beendigtem Feste schenkte Grädari Aslaug die Hälfte seines Erblandes als Entschädigung; er aber zog mit seiner Frau in das Erbreich derselben und
Sie lebten glücklich und lange,
Hatten Kinder und Kindeskinder,
Gruben Wurzeln und Kräuter
Und nun weiß ich die Geschichte nicht mehr weiter.
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»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.
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456 Seiten, 16.80 Euro