XXXII. Hans der Häuslerssohn.

[266] Es lebte einmal ein alter Mann mit seinem alten Weibe in einer schlechten Hütte. Sie hatten drei Söhne. Wie die beiden älteren derselben hießen, wird nicht berichtet; der Name des jüngsten aber war Hans.

Der Vater liebte die beiden älteren Söhne sehr und ließ ihnen Alles angehen, was er konnte; Hans aber wurde in Allem zurückgesetzt. Er durfte niemals spielen und auch nicht in Gesellschaft des Vaters und der Brüder sein. Er mußte auch lange Zeit in der Küche schlafen und hielt sich zumeist bei seiner Mutter auf, welche auch die einzige war, die dem Knaben einige Liebe entgegenbrachte.

Hans war deshalb oft allein und langweilte sich; um sich die Zeit zu vertreiben, hielt er sich eine Katze und machte sich dieselbe so anhänglich, daß sie ihm überall hin folgte, wohin er ging.

Es verstrich nun die Zeit bis die Brüder alle erwachsen waren. Die beiden älteren Brüder gaben sich wie vornehme Männer und waren eitle Stutzer; auch lobte sie der Vater bei jeder Gelegenheit; Hans aber schien zu gar nichts zu taugen. Seine Brüder setzten ihn bei Seite, so daß er von Allen verfolgt war mit Ausnahme seiner Mutter; diese zeigte ihm ein treuherziges Gesicht und verhehlte nicht, daß sie seine Mutter[266] war; aber Hans war auch bestrebt, sich durch sein Benehmen in der Gunst der Mutter zu erhalten.

In weiter ferne von der Hütte des alten Mannes war ein Königreich und dazwischen lag ein großer Sund.

Eines Tages baten die älteren Brüder den Vater, daß er ihnen erlauben möchte, in das Königreich zu reisen, um dort Ruhm und Vermögen zu erwerben. Der Alte war damit ganz einverstanden und sagte, er habe die Ahnung, daß noch etwas Großes aus ihnen werden werde.

Als einige Zeit darauf der Alte erfuhr, daß ein Schiff gelandet sei, sagte er zu seinem Weibe, daß es nun Reisekost und neue Schuhe für die beiden älteren Söhne beschaffen müsse; denn er gedenke sie in das Königreich reisen zu lassen, damit sie sich dort Vermögen und Ruhm erwerben.

Die Alte mußte ihrem Manne gehorchen und verfertigte die Ausrüstung für die beiden Söhne. Als Hans dies bemerkte, hatte er keine Ruhe mehr in seinen Gliedern, so sehr war er von Sehnsucht erfüllt, mit seinen Brüdern fahren zu dürfen. Er ging zu dem Vater und bat ihn, daß er ihm die Erlaubniß dazu geben möchte. Dieser schlug ihm zuerst die Bitte ab; da er ihn aber nicht allein bei sich im Hause sehen wollte, wenn die älteren Brüder einmal fort waren, so versprach er, ihn unter der Bedingung fortreisen zu lassen, daß er nicht mit seinen Brüdern führe, damit dieselben sich seiner nicht zu schämen hätten.

Hans war über diese Antwort sehr erfreut, begab sich zu seiner Mutter und bat sie, daß sie ihn für die Reise ausrüste.

Die älteren Brüder reisten nun alsbald ab, denn es lag ihnen daran, daß Hans nicht mit ihnen komme. Aber auch Hans hatte es gar eilig und betrieb daher die Ausrüstung für die Reise bei seiner Mutter. Als er von ihr Abschied nahm, gab sie ihm ihre Ofenkrücke und sagte, daß er sich derselben als Spazierstockes bedienen solle; er werde sich nicht verirren, wenn[267] er mit demselben gehe; zugleich sagte sie auch, er könne sie als Waffe gebrauchen, wenn er keine andere besitze.

Hierauf schied er mit der größten Zärtlichkeit von Mutter und Vater. Er eilte so schnell er konnte dahin, wo er glaubte, daß ein Schiff vor Anker liege, und hoffte, daß er seine Brüder noch einholen werde; allein dieselben hatten sich so sehr beeilt, fortzukommen, daß er sie nirgends finden konnte.

Als es bereits dunkel zu werden begann, gelangte Hans auf eine Anhöhe; er sah hier, wie ein ungeheuer großer Vogel dahergeflogen kam, und dachte sich, daß dies wohl ein Drache sein werde. Er schleuderte seine Ofenkrücke nach ihm und traf ihn so gut, daß er niederfiel; hierauf nahm er die Krücke abermals und erlegte damit den Drachen.

Nun sah Hans erst nach, was der Drache in den Klauen gehabt hatte; es war ein kleines Kind, welches laut weinte. Er gab sich alle Mühe, dasselbe zu beruhigen, brachte es jedoch nicht zu Stande, und war ganz rathlos, was er mit dem Kinde beginnen sollte.

In dieser Noth sah er, wie ein winzig kleines Männchen ganz erschöpft dahergelaufen kam. Dasselbe grüßte Hans auf das Freundlichste und sagte, es sehe, daß er ein gutes Werk an ihm gethan, indem er sein Kind in Schutz genommen habe.

Das Männchen, welches nichts Anderes als ein Zwerg war, nahm hierauf das Kind in seine Arme und beruhigte es; sodann fragte es Hans, ob er nicht mit ihm kommen und bei ihm zu Hause über Nacht bleiben wolle.

Da Hans schon befürchtete, daß er die Nacht im Freien werde zubringen müssen, nahm er diese Einladung freundlich an und ging mit dem Zwerge.

Sie gingen nun lange, lange, bis Hans einen großen Stein erblickte, an dem er, wie er sich jetzt erinnerte, am Tage vorbeigegangen war. Zu diesem Steine gingen sie. Der Zwerg schloß ihn auf und sie traten in denselben ein.[268]

Hans fand hier die beste Aufnahme, doch wird nicht erzählt, ob er mehrere Leute gesehen habe. Hans legte sich bald zu Bette und schlief sehr gut; doch bemerkte er, daß der Zwerg während der Nacht eifrig an etwas arbeitete.

Des Morgens stand Hans auf und als er reisefertig war, sagte der Zwerg zu ihm, er habe im Sinn, ihm drei kostbare Dinge zu schenken, obgleich dieselben noch ein viel zu geringer Lohn für die Rettung seines Kindes seien.

Er gab Hans zuerst einen kleinen Stein und sagte, derselbe besitze die Eigenschaft, daß er denjenigen, der ihn in der Hand trägt, unsichtbar mache. Hierauf schenkte er ihm ein Schwert und sagte, daß dasselbe von großer Schärfe sei und, wenn man es wünsche so klein werde, daß man es in die Taschen stecken könne, dann aber wieder seine volle Größe erhalte. Zuletzt gab der Zwerg ihm ein Schiff, von dem er ebenfalls sagte, er könne dasselbe in seiner Tasche tragen; wenn er aber wolle, könne er dasselbe so groß werden lassen, als er es brauche, ja ebenso groß wie ein Meerschiff; auch besitze dieses Schiff noch die Eigenschaft, daß es ebenso ruhig gegen wie mit dem Winde dahinsegle.

Hans nahm diese Gegenstände zu sich und dankte dem Zwerge herzlichst für das Geschenk; hierauf verabschiedete er sich von ihm, nahm seine Ofenkrücke in die Hand und ging fort.

Hans wanderte nun dem Meere zu und als er dahin kam, holte er sein Schiff aus der Tasche hervor und sagte:

»Werde größer, Schiff!«

Er setzte dasselbe sodann in's Meer und bestieg es selbst.

Das Schiff segelte lustig dahin und er gab ihm die Richtung nach dem Königreiche. Als er auf die hohe See kam, brach ein Unwetter los. Er sah hier, wie andere Schiffe von den Wogen und Sturzwellen hin und her geworfen wurden; sein Schiff aber fuhr geraden Weges dahin und blieb nicht früher stehen, als bis es im Königreiche landete.[269]

Hans stieg nun hier an's Land und sagte:

»Werde kleiner Schiff!«

Da wurde dasselbe wieder so klein, daß er es in seine Tasche stecken konnte. Er ging hierauf landeinwärts und wanderte eine Zeitlang verstohlen umher, um die Gewohnheiten der Menschen kennen zu lernen und die Sitten der Eingebornen anzunehmen.

Von den Brüdern des Hans haben wir zu berichten, daß sie ebenfalls schon in das Königreich gekommen waren, sich gleich zu dem König begeben hatten und ihn baten, sich während des Winters bei ihm aufhalten zu dürfen, was der König ihnen auch erlaubte. Sie waren die lustigsten unter dem Gefolge des Königs und thaten gar groß und prahlerisch.

Nun kam auch Hans in die Halle des Königs; er hielt sich zuerst eine Weile unter dem Gefolge und anderwärts auf, wo er nicht bemerkt wurde, und beobachtete Alles genau, was vorging.

Nachdem er es eine Zeit lang so getrieben hatte, trat er eines Tages vor den König hin und grüßte ihn fein und höflich und bat um Aufenthalt während des Winters, was der König ihm auch gewährte; seine Brüder aber stellten sich nun, als ob sie ihn niemals gesehen hätten.

Der König hatte eine Tochter, welche zu dieser Zeit bereits in heirathsfähigem Alter war, und er selbst hatte bereits angefangen alt zu werden.

Eines Tages, als kurz vorher der Winter seinen Anfang genommen hatte und alle Hofleute in der Halle versammelt waren, erbat sich der König das Wort und machte kund und zu wissen, daß er seine Tochter sammt der Hälfte des Reiches, so lange er lebe, und dem ganzen Reiche nach seinem Tode demjenigen zum Weibe gebe, der ihm bis zum Abend des ersten Weihnachtstages die drei kostbarsten Kleinodien des Reiches zurückbringe, nämlich ein Brettspiel aus reinem Golde, ein sehr[270] schönes, mit Gold geschmücktes Schwert und einen vergoldeten Vogel mit goldenen Flügeln in einem gläsernen Käfig, der, wenn er einmal anfange, so laut singe, daß man ihn die größten Strecken weit höre. Diese Kleinodien, sagte der König, befänden sich bei einer Riesin, welche nicht weit von hier auf einer Insel hause und dieselben oberhalb ihres Bettes verwahre.

Die Hofleute des Königs schenkten dieser Sache wenig Aufmerksamkeit; nur die beiden älteren Häuslerssöhne sagten, sie fänden, daß man dies versuchen könne, und es sei nicht so unmöglich, diese Gegenstände zurückzubekommen.

Zuerst bat der ältere der Brüder den König, er möchte ihm ein Schiff und Mannschaft geben, damit er auf die Insel kommen könne. Der König gab ihm, was er verlangte; er segelte nun nach der Insel und landete dort bei hellem Tage. Er wagte es jedoch nicht, auf die Insel zu gehen, sondern hielt sich verborgen, bis es dunkel wurde und er sich denken konnte, daß die Riesin schlafen gegangen sei. Dann machte er sich auf und ging zur Höhle, in der er auch richtig die Riesin im Bette schlafend fand. Er dachte sich nun, daß er recht zart und vorsichtig zu Werke gehen müsse und hielt es für das Rathsamste, mit dem Schwierigsten zuerst zu beginnen und den Vogel zu nehmen. Aber da stieß er unversehens ein wenig an den Vogel an und derselbe begann alsbald – zu seinem großen Entsetzen – ein so lautes Gekreisch auszustoßen, daß Alles erbebte. Darüber erwachte die Riesin erschreckt, sprang auf, packte den Häuslerssohn und sagte, es treffe sich gut, daß er gekommen sei, denn nun habe sie doch einen guten Bißen für das Weihnachtsmahl. Hierauf steckte sie ihn in eine kleine Seitenhöhle, band ihm die Hände und Füße am Rücken zusammen, befühlte ihn von allen Seiten und sagte, daß sie ihn noch tüchtig füttern müsse, denn es sei nicht viel Gutes an ihm, wie er jetzt sei.

Hierauf stürzte die Riesin aus der Höhle und hinab zum Meer; denn sie wußte nun, daß Leute des Königs auf die Insel[271] gekommen seien, und gedachte sich noch mehr Menschenbeute zu machen.

Als aber die Mannschaft das Ungethüm zu dem Schiffe herab eilen sah, löste sie rasch die Landtaue los, und es fehlte nicht viel, so hätte die Riesin sie noch erreicht, bevor sie vom Lande abstießen.

Die Leute des Königs kamen heim, erzählten das Schlimmste von ihrer Reise und sagten, daß der Häuslerssohn wohl kaum mit den Kleinodien zurückkommen werde.

Nun wurde der andere Bruder aufgeregt und wagelustig und bat den König, daß er ihm Schiff und Mannschaft geben möchte. Der König gab ihm Beides und der Häuslerssohn segelte ab. Von seiner Reise wird nichts Anderes erzählt, als daß es ihm genau so erging wie seinem älteren Bruder.

Bald nachdem auch diese Schiffsmannschaft allein zurückgekommen war, verschwand Hans, ohne daß Jemand wußte, was aus ihm geworden war. Er war aber heimlich zum Meer hinabgegangen, in der Absicht, gleich seinen Brüdern die Riesin aufzusuchen und die Kleinodien zurückzubringen. Er fuhr mit seinem Schiff über den Sund, steckte dasselbe sodann in seine Tasche und ging hinauf auf die Insel; er nahm seinen Stein in die Hand, so daß er unsichtbar ward, und ging nun dahin, bis er zur Höhle kam.

Die Riesin war nicht daheim und er verbarg sich deshalb in einem Winkel. Es dauerte jedoch nicht lange, so kam sie in die Höhle, roch nach allen Seiten und sagte:

»Pfui Teufel! Es riecht nach Menschen in meiner Höhle.«

Bald darauf legte sie sich in ihr Bett, konnte aber doch nicht einschlafen, sondern sagte immer und immer wieder:

»Pfui Teufel! Es riecht hier nach Menschen in meiner Höhle.«

Sie sprang endlich auf und begann in der Höhle überall herum zu tasten.[272]

Hans sah nun ein, daß sie ihn finden müsse; er zog daher das Schwert, welches er von dem Zwerge erhalten hatte, aus der Tasche hervor und ließ es so groß werden, daß es eine brauchbare Waffe war; als hierauf die Riesin bis auf die richtige Hiebweite in seine Nähe kam, durchhieb er ihr den Hals, so daß der Kopf davonflog. Das Ungethüm fiel zu Boden, Hans aber zündete Feuer an und verbrannte dasselbe.

Hierauf untersuchte er die Höhle und fand darin zahlreiche Schätze, sowie die Kleinodien, von denen der König gesprochen hatte. An einer Stelle in der Höhle bemerkte er eine tiefere Seitenschlucht; er ging in dieselbe hinein und fand hier seine beiden Brüder. Als diese ihn erblickten, wurden sie ganz verdutzt und demüthig und baten ihren »guten Bruder«, zu vergessen, in welcher Weise sie ihn früher behandelt hatten, und sie von ihren Banden zu befreien.

Hans sagte, daß er sie befreien wolle, wenn sie ihn von jetzt an brüderlich behandeltn würden, und dies versprachen sie ihm.

Hierauf löste Hans ihre Bande. Sie suchten nun alle drei die Schätze und Kostbarkeiten zusammen, welche sich in der Höhle befanden, und trugen dieselben zum Meere hinab. Als sie alles Werthvolle dahin geschafft hatten, beluden sie das Schiff und fuhren heim in das Königreich; sie kamen jedoch nicht früher in die Königsstadt, als am Abend des ersten Weihnachtstages. Da erschien Hans mit seinen Brüdern vor dem König, und sie grüßten denselben ehrfurchtsvoll.

Der König und alle seine Hofleute waren sprachlos vor Erstaunen und sie wunderten sich noch mehr, als Hans gleich zeitig dem Könige die Kleinodien übergab, welche er mitgebracht hatte.

Der König sagte, es sei selbstverständlich, daß Hans nun seine Tochter bekomme, wie er es versprochen habe.

Hierauf erhielt Hans feine Kleider, es wurde nach der Königstochter geschickt und sodann starker kostbarer Wein herbeigebracht[273] und bei einem glänzenden Mahle die Hochzeit des Hans mit der Königstochter gefeiert.

Hans nahm hierauf seine Eltern zu sich, und dieselben lebten bei ihm im Königreiche in glücklichem Alter; er selbst theilte sich bald mit seinem Schwiegervater in die Regierung und nach dessen Tode wurde Hans König und machte seine Brüder zu Ministern; er regierte lange und glücklich, und jetzt weiß ich die Geschichte nicht mehr weiter.

Quelle:
Poestion, Jos. Cal.: Isländische Märchen. Wien: Carl Gerolds Sohn, 1884, S. 266-274.
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