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[157] Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten keine Kinder und hätten doch so gerne einen Sohn oder eine Tochter gehabt. Da ließ der König einen Sterndeuter kommen, der sollte ihm wahrsagen, ob die Königin wohl ein Kind gebären würde. Der Sterndeuter antwortete: »Die Königin wird einen Sohn gebären; wenn er aber erwachsen ist, wird er euch den Kopf abschneiden.« Da erschrak der König und ließ in einer einsamen Gegend einen hohen Thurm bauen ohne Fenster. Als nun die Königin einen Sohn gebar, ließ er ihn mit seiner Amme in den Thurm einsperren. Nun lebte das Kind in dem Thurm und wuchs einen Tag für zwei, und wurde immer stärker und schöner. Er kannte aber nur die Amme und hielt sie für seine Mutter.
Nun begab es sich eines Tages, daß er ein Stück Zicklein aß und darin einen spitzen Knochen fand. Den verwahrte er und fing an damit zum Spaß die Mauer aufzukratzen. Das Spiel gefiel ihm und er setzte es fort, bis er ein kleines Loch gebohrt hatte, durch das ein Sonnenstrahl in sein Zimmer fiel. Ganz verwundert grub er weiter und bald war das Loch so groß, daß er den Kopf hinausstecken konnte. Als er nun das schöne Feld mit den tausend Blumen sah und den blauen Himmel und das weite Meer, rief er seine Amme und frug sie, was denn das Alles sei. Da erzählte sie ihm von den großen Ländern, die es gebe und von den schönen Städten, also daß er eine unwiderstehliche Sehnsucht bekam, in das Weite zu ziehen und alle diese Wunder selbst zu sehen. »Liebe Mutter,« sprach er, »ich halte es in dem finstern Thurm nicht mehr aus, wir wollen fort und die Welt besehen.« »Ach mein Sohn,« sprach die Amme, »was willst du in die weite Welt ziehen? Hier haben wir es ja gut, wir wollen lieber hier bleiben.« Er bat sie aber inständigst, sie möchte doch mit ihm gehen, und weil sie ihn so lieb hatte und ihm Nichts abschlagen konnte, so gab sie denn endlich nach, schnürte ihr Bündelchen und zog mit ihm in die weite Welt. Als sie viele Tage lang gewandert waren, kamen sie eines Tages in eine ganz einsame Gegend, wo sie Nichts zu essen[158] fanden. Da sie nun dem Verschmachten nahe waren, sahen sie in der Ferne ein schönes Schloß stehen und gingen darauf zu, um sich etwas Speise zu erbitten.
Als sie aber an das Schloß kamen, war weit und breit kein Mensch zu sehen. Sie stiegen die Treppe hinauf und schritten durch alle Zimmer, es war aber Niemand da. In einem Zimmer war ein Tisch mit köstlichen Speisen gedeckt. »Mutter,« sprach der Königssohn, »es ist ja doch Niemand hier. Wir wollen uns hinsetzen und essen.« Also setzten sie sich hin und nahmen von den Speisen, dann betrachteten sie die Zimmer und alle die Reichthümer, die sie enthielten.
Auf einmal sah die Amme von Weitem eine Schaar Räuber kommen. »Ach, mein Sohn,« rief sie, »das sind gewiß die Besitzer dieses Schlosses, wenn sie uns hier finden, so schlagen sie uns gewiß todt.« Da nahm der Königssohn schnell eine vollkommene Rüstung, und legte sie an, nahm das beste Schwert von der Wand, wählte im Stall das beste Pferd und erwartete so bewaffnet die Ankunft der Räuber. Als diese nun näher kamen, begann er zu kämpfen und weil er so stark war, so machte er sie Alle todt, bis auf den Räuberhauptmann. »Laß mich leben,« rief ihm dieser zu, »so will ich deine Mutter heirathen und du sollst mein lieber Sohn sein.« Da ließ der Königssohn den Räuberhauptmann leben, und der heirathete die Amme. Er konnte es aber nicht vergessen, daß ihm der Königssohn alle seine Gefährten umgebracht hatte und da er sich vor seiner riesenmäßigen Kraft fürchtete, so sann er darauf, wie er ihn durch eine List verderben könnte. Da rief er seine Frau und sprach: »Dein Sohn ist mir zuwider und ich will ihn mir aus den Augen schaffen. Stelle dich krank und sage ihm, es könnte dich Nichts heilen als einige Citronen, so will ich ihn schon in einen Garten schicken, aus dem er nicht zurückkehren soll.« Die Amme weinte bitter lich und sprach: »Wie könnte ich meinen Sohn ins Verderben bringen? Laßt ihn doch leben, er hat euch ja Nichts gethan.« Der Mann aber drohte ihr: »Wenn du es nicht thust, so schlage ich euch Beiden den Kopf ab.« Da mußte sie wohl gehorchen und stellte sich krank. »Liebe Mutter, was[159] fehlt euch?« frug der Königssohn. »Sagt mir doch, ob ihr nach irgend etwas ein Gelüste habt, so will ich es euch verschaffen.« »Ach, lieber Sohn,« antwortete sie, »wenn ich nur ein paar Citronen hätte, so würde ich gewiß genesen.« »Ich will sie euch holen, liebe Mutter!« rief der Jüngling. »Weißt du, wo du schöne Citronen findest?« sprach nun der Stiefvater. »Du mußt in den und den Garten gehen,« und wies ihm einen Garten an, der lag weit weg in einer einsamen Gegend und wurde von wilden Thieren bewacht. Als nun der Königssohn hineindringen wollte, stürzten sich die Thiere auf ihn und wollten ihn zerreißen. Er aber zog sein Schwert und machte sie Alle todt. Dann pflückte er ruhig einige Citronen und kehrte wohlgemuth nach Hause zurück. Als ihn sein Stiefvater kommen sah, erschrak er sehr und frug ihn, wie es ihm ergangen sei. »O,« antwortete der Jüngling, »in dem Garten war eine große Schaar wilder Thiere, ich habe sie aber Alle umgebracht.«
Der Räuberhauptmann erschrak noch mehr und konnte den Königssohn immer weniger leiden. Da sprach er wieder zu seiner Frau: »Dein Sohn ist mir zuwider und ich will ihn mir aus den Augen schaffen. Stelle dich krank und bitte ihn, dir einige Orangen zu holen.« »Nein, nein,« sprach die Amme, »das thue ich nicht wieder. Laßt den armen Jungen doch leben.« Da drohte ihr der Mann, daß sie endlich doch gehorchen mußte und sich krank stellte. »Liebe Mutter, seid ihr wieder krank?« frug sie der Königssohn. »Ihr wünscht euch gewiß irgend etwas. Sagt mir nur was, so will ich es euch holen.« »Ach mein Sohn,« antwortete sie, »hätte ich doch nur einige Orangen, um meinen brennenden Durst zu löschen.« »Ist das Alles,« rief er, »die will ich euch schon holen.« Da wies ihn der Stiefvater in einen andern Garten, der war von noch wilderen Thieren bewacht, die wollten sich auf ihn werfen und ihn zerreißen. Er aber zog sein Schwert und brachte sie Alle um, dann brach er ruhig einige der schönsten Orangen ab und brachte sie seiner Mutter.
Der Räuberhauptmann erschrak über die Maßen, als er ihn kommen sah und er ihm erzählte, wie er die Thiere Alle umgebracht habe, und[160] weil er sich vor ihm fürchtete, so wuchs auch sein Haß und er trachtete nur, wie er ihn los werden könnte. Da befahl er wieder seiner Frau sich krank zu stellen und dann sollte sie dem Königssohne sagen, es könne ihr Nichts helfen, als ein Fläschchen vom Schweiß der Zauberin Parcemina. Die Amme weinte und wollte es durchaus nicht thun, aber ihr Mann drohte ihr und sie mußte wohl gehorchen. Da stellte sie sich krank und als der Königssohn zu ihr kam, stöhnte sie: »Ach, was bin ich so krank, was bin ich so krank.« »Mutter,« sprach der Jüngling, »gibt es denn Nichts, das euch Genesung verschaffen kann? Sagt es mir doch, so will ich die ganze, weite Welt durchwandern und es suchen.« »Ach, mein Sohn,« antwortete die Amme, »wohl gibt es ein Mittel. Hätte ich ein Fläschchen von dem Schweiß der Zauberin Parcemina, so würde ich wohl genesen.« »Mutter,« rief er, »ich will ausziehen und das Mittel suchen, und wenn es irgendwo in der Welt zu finden ist, so will ich es euch bringen.«
Da zog er fort, und weil er den Weg nicht wußte, so wanderte er aufs Gerathewohl viele Tage lang, bis er in einen finstern Wald kam. Dort verirrte er sich und als es Abend wurde, fand er keinen Ausweg mehr. Auf einmal erblickte er in der Ferne ein Licht, und als er sich näherte, sah er eine kleine Hütte, darin wohnte ein Einsiedler. Er klopfte an und ein ganz alter Mann öffnete ihm, und frug nach seinem Begehr. »Ach, Vater,« antwortete er, »ich habe mich verirrt und bitte euch nun, laßt mich die Nacht hier zubringen.« »O, mein Sohn,« antwortete der Alte, »wie kommst du denn in diese Wildniß zu dieser Stunde?« »Meine Mutter ist krank,« erwiderte er, »und nichts kann ihr helfen, als ein Fläschchen von dem Schweiß der Zauberin Parcemina. So bin ich denn ausgezogen, es ihr zu holen.« »O mein Sohn, laß ab von deinem thörichten Vorhaben,« sagte der Alte. »So viele Prinzen haben es schon versucht, und Keiner ist zurückgekehrt.« Der Königssohn aber ließ sich nicht überreden, und als der Morgen graute, wollte er wieder von dannen ziehen. Da gab ihm der Einsiedler eine Kastanie und ein Fläschchen, und sprach zu ihm: »Ich kann dir nicht rathen und helfen, eine[161] Tagereise weiter im Walde wohnt aber mein älterer Bruder; der kann dir vielleicht etwas sagen. Diese Kastanie aber verwahre wohl, sie wird dir einst nützen. Wenn es dir nun gelingt, den Schweiß zu finden, so bringe auch mir ein Fläschchen davon mit.« Dann gab er ihm seinen Segen und ließ ihn ziehen.
Nachdem er den ganzen Tag gewandert war, sah er am Abend wieder in der Ferne ein Licht, und als er näher ging, sah er die Hütte, in welcher der zweite Einsiedler wohnte. Da klopfte er an, und der Einsiedler öffnete ihm, der war noch älter als der erste. Da erzählte ihm der Königssohn, warum er in dem finstern Walde umherwandere, und auf alle Weise versuchte ihn der Einsiedler von seinem Vorhaben abzubringen, aber vergebens. Am nächsten Morgen sprach nun der Einsiedler: »Ich kann dir nicht helfen; eine Tagereise tiefer im Wald wohnt aber mein Bruder, der ist noch viel älter als ich, der kann dir vielleicht rathen. Nimm diese Kastanie und verwahre sie wohl, sie wird dir einst nützen. Und wenn es dir gelingt, den Schweiß der Zauberin Parcemina zu erlangen, so bringe auch mir ein Fläschchen voll mit.« Damit gab er ihm eine Kastanie, ein Fläschchen und seinen Segen und ließ ihn ziehen.
Spät am Abend kam der Königssohn wiederum zu einem Einsiedler, der war noch viel älter als seine Brüder, und hatte einen großen weißen Bart. Als er nun hörte, wohin der Jüngling gehen wolle, versuchte auch er es, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, aber vergebens; der Königssohn wollte nicht ohne den Schweiß der Zauberin Parcemina nach Hause zurückkehren.
Als ihn nun der Einsiedler am nächsten Morgen wieder entließ, gab auch er ihm eine Kastanie und ein Fläschchen, und wies ihn an seinen vierten Bruder, der wohnte noch eine Tagereise tiefer im Wald.
Da wanderte der Königssohn wieder einen ganzen Tag in den Wald hinein, und als es Abend wurde, kam er zum vierten Einsiedler. Der wohnte nicht einmal in einer Hütte, sondern in einem Korbe, der zwischen den Zweigen eines hohen Baumes hing, und er war so steinalt, daß sein langer weißer Bart über den Korb hinaushing und fast bis an die Erde[162] reichte. Auch er fragte den Königssohn nach seinem Begehr, und der Jüngling erzählte ihm warum er so weit her gewandert sei. »Lagere dich unter den Baum,« sprach der Einsiedler, »morgen früh will ich dir sagen, was du zu thun hast.«
Am nächsten Morgen weckte der Einsiedler den Königssohn und sprach zu ihm: »Willst du denn durchaus dein Glück versuchen, so gehe mit Gott. Sieh jenen steilen Berg, den mußt du ersteigen. Auf dem Gipfel steht ein Garten mit einem Brunnen und dahinter ein wunderschönes Schloß, dessen Thüre verschlossen ist. Die Schlüssel aber liegen auf dem Rande des Brunnens. Hole sie und schließe leise die Thüre auf, steige die Treppe hinauf und schreite durch alle die Zimmer. Hüte dich aber wohl, irgend etwas anzurühren von alle den Schätzen, die da umherliegen. Im letzten Zimmer wirst du eine wunderschöne Frau finden, die auf einem Ruhebett liegt und schläft. Das ist die Zauberin Parcemina, und der Schweiß fließt in Strömen von ihrem Gesicht. Kniee neben ihr nieder, sammle mit einem Schwämmchen den Schweiß, und drücke ihn in deine Fläschchen aus. Sobald sie voll sind, so entfliehe so schnell du kannst. Sei vorsichtig und flink, und Gott sei mit dir.« Damit segnete er ihn, und der Königssohn zog von dannen, dem steilen Berg zu. Je weiter er hinaufstieg, desto steiler wurde der Berg, aber er dachte an seine Mutter, und schritt muthig weiter.
Endlich gelangte er auf den Gipfel, und fand da Alles, wie der Einsiedler ihm vorhergesagt hatte. Also nahm er schnell die Schlüssel von dem Rand des Brunnens, schloß das Thor auf, stieg die Treppe hinauf und schritt eilends durch alle Zimmer. Im letzten Saal fand er die Zauberin Parcemina, die auf einem Ruhebett lag und schlief, und der Schweiß floß in Strömen von ihrem Gesicht. Da kniete er nieder, nahm das Schwämmchen, sammelte damit den Schweiß, der herniederfloß, und drückte ihn schnell in seine Fläschchen aus. Sobald sie voll waren, entfloh er so schnell er konnte. Als er nun das Thor verschloß, erwachte die Zauberin Parcemina und stieß einen durchdringenden Schrei aus, um die anderen Zauberinnen zu wecken. Aber obgleich sie erwachten,[163] konnten sie doch dem Königssohn nichts anhaben, denn er war mit einigen großen Sätzen den Berg hinuntergesprungen. Zuerst ging er nun wieder zum ältesten Einsiedler und dankte ihm für seine Hülfe. »Höre mein Sohn,« sprach der Greis, »du kehrst nun zu deinen Eltern zurück, und damit du schneller reisen kannst, gebe ich dir diesen Esel und diesen Quersack. Wenn du nun zu deinem Stiefvater kommst, so wird er in große Wuth gerathen, daß dir dein Wagestück gelungen ist, und wird dich angreifen. Laß Alles ruhig geschehen, und bitte ihn nur, wenn er dich umgebracht habe, möge er dich in den Quersack stecken, und auf den Esel laden.« Nun setzte sich der Königssohn auf den Esel und ritt nach Hause; im Vorbeireiten aber überbrachte er den drei Einsiedlern ihre Fläschchen.
Als er nun in die Nähe seines Hauses kam, sah ihn der Stiefvater schon von Weitem kommen, und ein grimmiger Zorn erfüllte ihn. Drohend näherte er sich ihm, und fing an, ihm Vorwürfe zu machen, daß er zu lange ausgeblieben sei. »Vater,« antwortete der Königssohn, »ich sehe es wohl, ihr könnt mich nicht leiden, und wollt euren Zorn an mir auslassen. So thut denn mit mir, was ihr wollt, erfüllet mir nur eine Bitte: wenn ich todt bin, so stecket mich in diesen Quersack und bindet mich auf meinem Esel fest, daß er mich in die weite Welt hinaustrage.« Dann ergab er sich wehrlos seinem Stiefvater, der ihn im Zorn trat und stieß, endlich ihm den Kopf abschnitt, und den Körper in lauter kleine Stücke hackte. Als er aber seine Wuth gekühlt hatte, dachte er, er könnte wohl den letzten Willen des armen Jünglings erfüllen. Also steckte er alle die Stücke in den Quersack, und band ihn auf dem Esel fest. Kaum aber fühlte der Esel seine Last, so rannte er spornstreichs davon und lief ohne Aufhören, bis er zu dem alten Einsiedler kam, der ihn dem Königssohn geschenkt hatte. Der nahm die Stücke aus dem Quersack, legte sie sorgfältig zusammen, und machte den Jüngling wieder lebendig. Dann sprach er zu ihm: »Höre, mein Sohn, zu deinen Eltern kannst du nun nicht zurückkehren. Sie sind aber ohnehin nicht deine Eltern. Denn du bist ein Königssohn, und dein Vater herrscht noch in dem und dem Reich. So ziehe nun hin, und kehre zu deinen Eltern zurück.« Da machte sich[164] der Königssohn auf, und wanderte, bis er in das Reich seines Vaters kam. Ehe er aber in die Stadt trat, vertauschte er seine Rüstung mit armseligen Lumpen, und band sich den Kopf in ein Tuch ein. Dann sagte er zu den Leuten, »ich habe einen bösen Grind.« Da nannten ihn bald alle Leute den »Grindkopf.«1
Als er nun in die Stadt kam, sah er, daß alle Häuser festlich geschmückt waren, und viel Volks zog vor das königliche Schloß. Da frug er einen Mann auf der Straße, was denn los sei. »Heute ist ein großer Festtag,« antwortete der, »denn in einer Stunde wird der König von der Spitze des Thurmes ein weißes Tuch herabflattern lassen, und auf wen das Tuch sich legen wird, der soll die Königstochter heirathen.« Da erfuhr der Königssohn erst, daß er eine Schwester habe er ließ sich aber nichts merken, sondern sagte nur: »So? da will ich auch hingehen, und sehen, ob das Tuch vielleicht auf mich herniederschweben wird.« Die Leute lachten ihn aus, und riefen: »Nein, seht doch, da will der Grindkopf die schöne Königstochter heirathen;« er aber kehrte sich nicht daran, sondern mischte sich unter das Volk, und siehe da, als der König das weiße Tuch herabwarf, blieb es auf dem schmutzigen Grindkopf liegen. Da wurde er vor den König gebracht, und ob die Königstochter auch weinte, so mußte sie ihn doch zum Manne nehmen, und das Hochzeitsfest sollte am Abend gefeiert werden. Der Königssohn aber ging zum Geistlichen und sprach: »Ehrwürdiger Herr, ihr sollt mich heut Abend mit der Königstochter trauen, sprecht aber die bindende Formel nicht aus; denn im Vertrauen will ich es euch sagen, daß sie meine Schwester ist. Verrathet mich aber nicht, denn der Augenblick ist noch nicht gekommen, wo ich mich zu erkennen geben kann.«
Am Abend wurde die Hochzeit gefeiert, der Königssohn aber blieb in seinen schmutzigen Lumpen, und wollte sich weder waschen noch sauber anziehen. Als nun das junge Paar in die Kammer geführt wurde, brummte er: »Auf einem so feinen Bett kann ich nicht schlafen; werft mir[165] hier an den Boden eine Matratze hin.« Da thaten sie ihm den Willen, und er schlief immer in seinem Winkel auf der Matratze.
Nun begab es sich eines Tages, daß ein Krieg ausbrach, und vor den Thoren der Stadt lagen die Feinde, und es sollte eine Schlacht geschlagen werden. Da zog der alte König auch in die Schlacht, und die Königstochter sprach zum Königssohn: »Meine Mutter und ich wollen der Schlacht von den Mauern aus zu sehen; willst du mitkommen?« »Laß mich doch in Ruhe,« brummte er, »es ist mir ohnehin einerlei, wer den Sieg erringt.« Kaum aber waren sie fort, so biß der Königssohn eine der Kastanien auf, welche ihm die Einsiedler gegeben hatten, und fand darin eine vollständige Rüstung, wie man sie nicht schöner sehen konnte, und ein Pferd, wie es der König nicht besser hatte. Da wusch er sich, legte die Rüstung an, und stürmte hinaus in die Schlacht, wo die Truppen des Königs schon anfingen zu weichen. Doch sein Erscheinen erfüllte die Ritter mit neuem Muth und die Feinde wurden geschlagen. Als aber der König den fremden Ritter zu sich beschied, um ihm für seine Hülfe zu danken, war derselbe verschwunden; und der Königssohn saß wieder in seinem Winkel, in seine schmutzigen Lumpen gehüllt.
Am andern Tage kamen die Feinde mit neuen Kräften wieder, und der König mußte ihnen nochmals eine Schlacht liefern. Die Königstochter ging mit ihrer Mutter wieder auf die Mauer, und kaum waren sie Alle fort, so biß der Königssohn seine zweite Kastanie auf, und fand darin eine Rüstung und ein Pferd, die waren noch schöner als die vom Tage zuvor. Nun stürmte er wieder in die Schlacht und auch heute entschied erst sein Erscheinen den Sieg zu Gunsten des Königs. Nach der Schlacht verschwand er eben so spurlos wie am ersten Tage. Es hatte ihn aber eine Lanze am Bein verwundet. Am Abend nun bemerkte die Königstochter, daß der Grindkopf sein Bein verband, und frug ihn, was er da habe. »Nichts,« antwortete er, »ich habe mich gestoßen.« Sie erzählte es aber am andern Tage ihren Eltern, und sprach: »Sollte das nicht der unbekannte Ritter sein, der uns so treulich geholfen hat?« Der König und die Königin aber lachten sie aus.[166]
Nun mußte der König zum drittenmal seinen Feinden eine Schlacht liefern, und als Alle fort waren, biß der Konigssohn schnell die dritte Kastanie auf, und fand darin eine Rüstung und ein Pferd, die waren noch die allerschönsten. Als er in der Schlacht erschien, wurde wieder das Glück dem Könige günstig, und er schlug die Feinde so gut, daß sie nicht wiederkamen. Der fremde Ritter jedoch verschwand eben so schnell, als an den beiden ersten Tagen. Am Abend war ein großes Fest am Hofe, um die herrlichen Siege zu feiern, und die Königstochter schmückte sich auch, und sprach zum Grindkopf: »Da sind königliche Kleider für dich; willst du dich nicht schmücken und auch zum Fest kommen?« »Laß mich in Ruhe,« brummte er, »was soll ich auf euren Festen?« Kaum aber war sie fort, so wusch er sich, legte die königlichen Kleider an, und trat in den erleuchteten Saal, und da war er ein so schöner Jüngling, daß ihn Alle ganz verwundert anschauten. Da trat er zum König und sprach: »Ich bin der schmutzige Grindkopf; ich bin aber auch der unbekannte Ritter, der dreimal in der Schlacht erschienen ist.« Da umarmte ihn der König und dankte ihm, er aber sprach: »Ich bin auch zugleich euer Sohn, lieber Vater.« Da erschrak der König und sprach: »Wie konntest du dann die Sünde begehen, deine Schwester zu heirathen?« Er aber antwortete: »Beruhigt euch, lieber Vater, ich bin mit meiner Schwester nicht verheirathet, der Pater kann es euch bezeugen.« Als nun der Geistliche es bezeugt hatte, war die Freude erst recht groß, und der König und die Königin freuten sich sehr über ihren schönen Sohn. Da lebten sie glücklich und zufrieden, wir aber gehen leer aus.
1 | Tignusu. |
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