[167] 27. Vom grünen Vogel.

Es war einmal ein König, der hatte ein einziges Töchterlein, das er über alle Maßen liebte. Eines Tages, als er oben auf der Terrasse mit der kleinen Maruzza spielte, ging ein Wahrsager vorbei und schüttelte den Kopf, als er die kleine Königstochter ansah. Da ward der König[167] sehr zornig, und befahl, den Wahrsager zu ergreifen und vor ihn zu führen. »Warum hast du den Kopf geschüttelt, als du meine Tochter ansahest?« frug er ihn. »Ach, Majestät, ich habe es nur in Gedanken gethan,« antwortete der Wahrsager. »Wenn du mir nicht sogleich antwortest,« sprach der König, »so lasse ich dich in den tiefsten Keller1 werfen.« Da mußte der arme Wahrsager wohl gehorchen, und sprach: »Wenn die Königstochter elf Jahre alt sein wird, so wird ein schweres Schicksal sie erreichen.« Da ward der König tief betrübt und ließ in einer einsamen Gegend einen Thurm ohne Fenster bauen, und sperrte sein Töchterlein mit seiner Amme hinein. Er kam aber und besuchte sie oft.

Maruzza wuchs heran, und wurde mit jedem Tage größer und schöner. Sie gaben ihr aber beim Essen das Fleisch immer ohne Knochen, damit sie sich kein Leid anthun könne, und nahmen ihr auch Alles weg, womit sie sich verletzen konnte.

Als sie nun beinahe elf Jahre alt war, brachte ihr die Amme eines Tages einen Braten von einem Zicklein, in dem war ein spitzer Knochen zurückgeblieben. Als Maruzza den spitzen Knochen fand, wollte sie gerne damit spielen, und weil sie wußte, daß die Amme ihn ihr wegnehmen würde, so versteckte sie ihn hinter einer Kiste. Als sie nun allein war, nahm sie den Knochen wieder hervor, und fing an, die Mauer ein wenig aufzukratzen. Es war aber gerade eine hohle Stelle in der Mauer, so daß sie schnell ein kleines Loch gebohrt hatte; da bohrte sie immer weiter, bis das Loch so groß war, daß sie den Kopf hinausstecken konnte. Da sah sie alle die schönen Blumen und den blauen Himmel mit der Sonne, und freute sich darüber so sehr, daß sie den ganzen Tag dort hinausschaute. Wenn aber die Amme ins Zimmer kam, so zog sie einen kleinen Vorhang vor das Loch. So trieb sie es mehre Tage, an dem Tage aber, wo sie elf Jahre alt wurde, in demselben Augenblick, als sie in ihr elftes Jahr trat, rauschte es in den Lüften, und durch das Loch kam ein wunderschöner, leuchtend grüner Vogel hereingeflogen, der sprach: »Ich bin ein[168] Vogel und werde ein Mensch,« und alsobald ward er in einen schönen Jüngling verwandelt. Als Maruzza ihn sah, erschrak sie heftig, und wollte anfangen zu schreien, er bat sie aber mit freundlichen Worten, und sprach: »Edles Fräulein, fürchtet euch nicht vor mir, ich will euch ja kein Leid zufügen. Ich bin ein verwunschener Prinz und muß noch manches Jahr verzaubert bleiben. Aber wenn ihr auf mich warten wollt, so sollt ihr einst meine Gemahlin werden.« Mit solchen Worten beruhigte er sie; nach einer Stunde wurde er wieder zum Vogel, und verließ sie mit dem Versprechen, am andern Tage wiederzukommen. Von da an kam er jeden Tag um Mittag, und wenn es Ein Uhr schlug, so verließ er sie wieder.

Als nun ein Jahr vergangen war, dachte der König: »Nun wird auch die Gefahr für meine kleine Maruzza vorüber sein,« und kam in einem schönen Wagen, und holte sie ab in sein Schloß. Als aber Maruzza in dem prächtigen Schlosse ihres Vaters wohnte, ward sie sehr traurig, denn der schöne, grüne Vogel kam nicht wieder zu ihr, und sie ward so schwermüthig, daß sie gar nicht mehr lachen konnte, und immer in ihrem Zimmer blieb. Da ließ der König im ganzen Lande verkündigen: »Wer die Königstochter zum Lachen bringen könnte, den wolle er reich beschenken.« Das hörte auch ein altes Mütterchen, das auf einem Berge wohnte, und machte sich auf, um zum König zu gehen. Wie die alte Frau nun ihres Weges zog, begegnete sie einem Maulthiertreiber, der trieb sein Maulthier vor sich her, das war mit Geldsäcken beladen. »Gieb mir eine Handvoll von deinem Geld,« bat sie ihn. Der Maulthiertreiber antwortete: »Hier kann ich dir nichts geben, wenn du aber mit mir kommst bis zu dem Schloß, wo ich die Säcke abliefern muß, so will ich dir einiges geben.« Da ging die alte Frau mit ihm, und er führte sie in ein wunderschönes Schloß, in welchem zwölf Feen wohnten. Als sie nun die Treppe hinaufgestiegen waren, öffnete der Maulthiertreiber seine Säcke, und ließ die Münzen auf dem Boden herumrollen. Da waren es aber so viele, daß die alte Frau am bloßen Ansehen genug hatte, und weiter nicht danach verlangte. Nun ging sie durch die Zimmer, um sie[169] zu betrachten, und sah alle die kostbaren Schätze, die da angesammelt waren. Alle die Stühle, die Tische, die Betten waren von lauterm Golde. Da kam sie in ein Zimmer wo ein gedeckter Tisch stand mit zwölf goldnen Tellern und zwölf goldnen Bechern, und dabei standen auch zwölf goldne Stühle. Da ging sie weiter, und kam in die Küche, da standen die zwölf Feen in einer Reihe, und jede hatte einen goldnen Heerd, auf dem sie in einem goldnen Kessel kochte. Als die Suppe fertig war, nahmen die Feen ihre Kessel vom Feuer und stellten sie auf den Tisch. Weil sie nun die alte Frau unbeachtet gelassen hatten, wurde sie vorwitzig und sprach: »Edle Frauen, ihr sagt mir nichts2, so werdet ihr es mir auch nicht übel nehmen, wenn ich mich selbst bediene.« Da nahm sie einen goldnen Löffel, und schöpfte sich etwas Suppe. Als sie aber den Löffel zum Munde führen wollte, fuhr ihr die Suppe ins Gesicht, daß sie sich jämmerlich verbrannte. In demselben Augenblick rauschte es in den Lüften, und der grüne Vogel flog in den Saal. »Ich bin ein Vogel und werde ein Mensch!« sprach er, und wurde sogleich zum schönen Prinzen. Der jammerte aber laut und rief: »O, Maruzza, meine Maruzza, habe ich dich denn ganz verloren? Kann ich dich nirgends wiederfinden?« Die Feen umringten ihn, um ihn zu trösten, die alte Frau aber verließ leise und unbeachtet das Schloß, und dachte: »Diese Geschichte muß ich der jungen Königstochter erzählen; wenn das sie nicht zum Lachen bringt, so ist wohl alles vergeblich.«

Als sie nun in das königliche Schloß kam, ließ sie sich beim Könige melden, und sagte ihm, sie sei gekommen, die Königstochter zum Lachen zu bringen. Der König führte sie hinein und ließ sie mit seiner Tochter allein. Nun begann die Alte zu erzählen, wie sie von dem Maulthiertreiber in das schöne Schloß geführt worden sei, und wie sie sich den Mund verbrannt habe, als sie die Suppe versuchen wollte. Maruzza aber fing an laut zu lachen, als sie diese Geschichte hörte. Das hörte der König[170] draußen, und freute sich, daß es endlich jemanden gelungen, sein liebes Kind zum Lachen zu bringen. Die Alte aber sprach: »Hört mich nun noch zu Ende, Fräulein!« und erzählte ihr von dem grünen Vogel, der ein schöner Prinz geworden war, und immer nach seiner lieben Maruzza gefragt hatte.

Da wurde Maruzza noch froher, und sprach: »Mein Vater wird dir ein schönes Geschenk machen, von mir aber sollst du eben so viel bekommen, wenn du mich morgen um dieselbe Stunde abholst, und heimlich in das Schloß der zwölf Feen führst.« Die Alte versprach es, und den nächsten Tag kam sie, und führte die Königstochter über Berg und Thal, einen weiten Weg, bis sie an das Schloß der zwölf Feen kamen. Da saßen die zwölf Feen wieder vor ihren goldnen Heerden, und die Suppe war eben fertig, und wurde in den goldnen Kesseln vom Feuer genommen. »Seht einmal, Fräulein,« sprach die Alte, »so wollte ich neulich die Suppe versuchen,« und nahm mit einem goldnen Löffel ein wenig Suppe. Wie sie ihn aber zum Munde führen wollte, fuhr ihr die Suppe ins Gesicht. Da sprach Maruzza: »Laß es mich einmal versuchen,« nahm den goldnen Löffel, und schöpfte etwas Suppe, und siehe da, sie konnte die Suppe ruhig zum Munde führen.

Mit einem Male rauschte es in den Lüften, und der grüne Vogel flog herein, und verwandelte sich in den schönen Prinzen. Als er nun anfing zu jammern: »O, Maruzza, meine Maruzza!« Da stürzte ihm die Königstochter in die Arme, und rief: »Hier bin ich!« Aber der Prinz wurde ganz traurig, und sprach: »Ach, Maruzza, was hast du gethan? Warum bist du hergekommen? Nun muß ich fort, und muß herumfliegen ohne Ruh und ohne Rast sieben Jahre, sieben Tage, sieben Stunden und sieben Minuten.« »Wie?« rief die arme Maruzza, »willst du mich nun verlassen, nachdem ich deinethalben so traurig gewesen bin, und nun diesen weiten Weg gemacht habe, um dich zu sehen?« Da antwortete der Prinz: »Ich kann dir nicht helfen; wenn du mich aber erlösen willst, so will ich dir sagen, was du thun mußt.« Da führte er sie auf eine Terasse und sprach: »Wenn du sieben Jahre, sieben Tage,[171] sieben Stunden und sieben Minuten hier auf mich wartest, dem Sturm und Sonnenschein ausgesetzt, nicht issest, nicht trinkst und nicht sprichst, so kann ich erlöst werden, und dann sollst du meine Gemahlin sein.« Damit wurde er wieder ein Vogel, und flog davon. Nun saß die arme Maruzza auf der Terrasse, und als die Feen kamen, und sie baten, nun in das Schloß zu kommen, schüttelte sie nur mit dem Kopf, und blieb in einer Ecke sitzen, aß nicht und trank nicht, und es kam auch kein Wort über ihre Lippen. So blieb sie sieben Jahre, sieben Tage, sieben Stunden und sieben Minuten, im Sturm und Regen, und an der glühenden Sonnenhitze, und ihre feine weiße Haut wurde schwarz, und ihr Gesicht wurde häßlich und entstellt, und ihre zarten Glieder wurden steif.

Da nun die lange Zeit herum war, rauschte es in den Lüften, und der grüne Vogel kam gepflogen, und wurde ein schöner Prinz. Da stürzte sie in seine Arme, und weinte, und rief: »Nun bist du erlöst, und nun sind auch meine Leiden zu Ende.« Als er aber sah, wie häßlich sie geworden war, und wie schwarz, da mochte er sie nicht mehr, denn alle Männer sind so, und stieß sie hart von sich, und sprach: »Was willst du von mir? ich kenne dich nicht.« Da weinte sie, und sprach: »Du kennst mich nicht? Habe ich nicht um deinetwillen meinen alten Vater verlassen? Bin ich nicht um deinetwillen sieben Jahre, sieben Tage, sieben Stunden und sieben Minuten hier oben geblieben, dem Regen und Sonnenschein ausgesetzt, habe nicht gegessen und nicht getrunken, und ist auch kein Wort über meine Lippen gekommen?« Er aber sprach: »Und um eines irdischen Mannes willen hast du hier oben gelegen wie ein Hund, und hast alles dies über dich ergehen lassen?« und spuckte ihr zweimal ins Gesicht, drehte ihr den Rücken und verließ sie. Da fiel die arme Maruzza zu Boden und weinte bitterlich, die Feen aber kamen und trösteten sie, und sprachen: »Habe nur guten Muth, Maruzza, du sollst noch schöner werden, als du bisher warst, und dich an dem bösen Mann rächen.« Da brachten sie sie in das Schloß, und wuschen sie mit Rosenwasser viele Tage lang, bis sie wieder ganz weiß wurde, und so schön, daß sie niemand mehr erkennen konnte. Dann zog[172] Maruzza in das Land, wo der Prinz mit seiner Mutter der alten Königin wohnte, und die Feen begleiteten sie mit allen ihren Kostbarkeiten, und bauten ihr in einer Nacht ein wunderschönes Schloß, dem königlichen Schlosse gerade gegenüber.

Als der Prinz am Morgen zum Fenster hinausschaute, sah er verwundert auf den schönen Palast, der viel schöner war, als sein eignes Schloß, und während er sich noch darüber verwunderte, erschien Maruzza am Fenster gegenüber, mit prächtigen Kleidern und so schön, daß der Prinz kein Auge von ihr verwenden konnte. Er erkannte sie aber nicht, und machte eine tiefe Verbeugung, und wollte sie anreden. Maruzza aber schlug ihm heftig das Fenster vor der Nase zu. »O!« dachte er, »wer ist denn diese Dame, die sich gar besser dünkt als ich?« und rief seine Mutter herbei, um sie zu fragen. Sie wußte es aber nicht, und wen er auch fragen mochte, niemand konnte ihm Auskunft geben.

Nun stellte er sich jeden Morgen auf seinen Balkon, wenn er sie drüben an ihrem Fenster erblickte. Wenn er aber versuchte, sie zu begrüßen und anzureden, so drehte sie ihm stolz den Rücken und schlug das Fenster zu. Da ward der Prinz traurig, denn er hätte gern das schöne Mädchen zu seiner Gemahlin gemacht. »Mutter,« sprach er eines Tages zur alten Königin, »thut mir den Gefallen und geht einmal zur schönen Dame, die gegenüber wohnt, und bringt ihr in meinem Namen euer schönstes Stirnband, und fragt sie, ob sie meine Gemahlin sein wolle.« Da machte sich die alte Königin auf, und ging in das Schloß zur schönen Maruzza, und ein Diener trug auf einem silbernen Präsentirteller das goldne Stirnband, das glänzte von Perlen und edlen Steinen. Als nun Maruzza hörte, die Königin sei da, und wünsche mit ihr zu sprechen, eilte sie ihr entgegen, und sprach: »O, Frau Königin, warum habt ihr mich nicht zu euch rufen lassen, und habet euch zu mir bemüht? An mir war es, zu euern Füßen zu kommen.« Da führte sie sie mit vielen schönen Worten in ihren besten Saal, der strahlte von Gold und Edelsteinen, und sprach: »Womit kann ich euch dienen, edle Königin?« Da antwortete die Königin: »Mein Sohn hat mich hierher gesandt, er ist in[173] heftiger Liebe zu euch entbrannt, und bietet euch seine Hand an, und als Zeichen seiner Liebe, sendet er euch dieses köstliche Stirnband.« »O, welche Ehre!« erwiderte Maruzza, »euerem Sohn gebührt die reichste, vornehmste Königin, nicht aber ein armes Mädchen, wie ich es bin. Ich bin dieser Ehre nicht würdig.« Während sie aber so sprach, hatte sie das kostbare Stirnband genommen, und ganz in kleine Stücke zerpflückt, und rief nun »kur, kur, kur, kur,« da kamen die zwölf Feen herein, die hatten sich in zwölf kleine Gänschen verwandelt, und schluckten begierig die Goldkörner und die edlen Steine auf. Die alte Königin aber war sprachlos vor Erstaunen und Zorn. »Frau Königin,« sagte Maruzza, »was seht ihr so zornig aus? Ich pflege meine Gänschen immer mit lauterm Golde zu füttern.« Dabei winkte sie einem Diener, der brachte ihr auf einem Präsentirteller den kostbarsten Schmuck, Stirnbänder und Armbänder, und sie zerpflückte Alles in tausend Stückchen und streute sie den Gänschen vor.

Also mußte die Königin gekränkt und beschämt nach Hause zurückkehren. Der Prinz aber stand wieder am Balkon und schaute nach dem schönen Mädchen aus. Als nun Maruzza die Königin bis zur Thür begleitet hatte, kehrte sie eilends zurück und trat auf ihren Balkon. Als aber der Prinz sie begrüßen wollte, wandte sie ihm den Rücken zu und schloß heftig das Fenster. Da merkte der Prinz, daß sie ihn zurückgewiesen hatte, noch ehe seine Mutter ihm ihre Antwort überbringen konnte, und ward von Herzen traurig. Er konnte es aber doch nicht lassen, sich jeden Morgen auf den Balkon zu stellen und nach der schönen Maruzza zu schauen. Sie aber wandte ihm immer stolz den Rücken zu und schloß heftig das Fenster.

Nach einiger Zeit sprach der Prinz wieder zur alten Königin: »Mutter, thut mir den Gefallen und geht noch einmal zu der schönen Dame hier gegenüber und fraget sie, ob sie meine Gemahlin werden will.« »Ach, mein Sohn,« antwortete die Mutter, »bedenke doch nur wie grausam sie mich beleidigt hat, ich kann doch nicht zu ihr zurückkehren.« Der Prinz aber sprach: »Mutter, wenn ihr mich lieb habt, so erfüllt[174] meine Bitte und bringet ihr in meinem Namen meine Krone.« Da nahm er die Krone vom Kopf und gab sie seiner Mutter, und die alte Königin ließ sich überreden der schönen Maruzza einen Besuch zu machen.

Als nun Maruzza sie kommen sah, eilte sie ihr entgegen und empfing sie mit großer Höflichkeit und als sie bei einander saßen, frug sie wieder: »Womit kann ich euch dienen, edle Königin?« Da antwortete die Königin: »Mein Sohn ist in heftiger Liebe zu euch entbrannt, und hat mich hierhergeschickt, euch zu fragen, ob er nicht die Ehre haben kann, euer Gemahl zu werden. Als Zeichen seiner Liebe sendet er euch seine goldne Krone, die er von seinem Haupte genommen hat.« »Ach, edle Königin,« sprach Maruzza, »wie könnte ich diese Ehre annehmen? Ein so armes Mädchen, wie ich bin, kann euer Sohn nicht zu seiner Gemahlin machen.« Wie sie das gesagt hatte, rief Maruzza ihren Koch und sprach: »Hier, Koch, nimm diese goldne Krone, sie paßt gerade als Reif um meinen Kessel.« Als sie aber wieder sah, daß die Königin ganz entstellt wurde vor Zorn, fuhr sie fort: »Edle Königin, was entstellt ihr euch so? Ich pflege immer um meine Kessel einen goldnen Reif zu legen.« Da winkte sie dem Koch, der brachte ihr eine ganze Menge Kessel, die waren alle von reinem Gold und hatten einen goldnen Reif. Da kehrte die Königin beschämt und gekränkt nach Hause zurück, Maruzza aber eilte an das Fenster, um dem Prinzen die gewohnte Beleidigung zuzufügen.

Nun wurde der Prinz vor Zorn und Kummer krank und lag einen ganzen Monat schwer krank darnieder. Kaum war er besser, so schlich er auch gleich zu seinem Balkon und als er Maruzza gegenüber stehen sah, versuchte er es wieder sie zu begrüßen. Sie aber drehte ihm den Rücken, schlug ihm das Fenster von der Nase zu. Da sprach der Prinz zu seiner Mutter: »Mutter, wenn ihr mich lieb habt, so geht noch einmal zu der schönen Dame, und fraget sie, ob sie meine Gemahlin werden will.« Die Königin wollte nicht, er bat aber so lange, bis sie »ja« sagte. Da nahm er seine schwere, goldne Kette vom Hals und gab sie seiner Mutter, sie solle sie der schönen Dame bringen. Die Königin wurde von Maruzza wieder mit aller Höflichkeit empfangen und Maruzza frug[175] sie: »Womit kann ich euch dienen, edle Königin?« Da sagte ihr die Königin wieder, der Prinz wolle sie zu seiner Gemahlin und schickte ihr seine goldne Kette. Maruzza aber erklärte wieder, sie sei zu arm und niedrig für den Prinzen. Dann winkte sie ihrem Diener, gab ihm die Kette und sprach: »Lege sie dem Hund an.« Als nun die Königin wieder sprachlos da stand über diese neue Beleidigung, sprach Maruzza: »Frau Königin, was seid ihr so erzürnt? Meine Hunde haben immer Ketten von lauterem Golde.« Da winkte sie ihrem Diener, der brachte ihr auf einem Präsentirteller eine Menge Hundeketten, die waren Alle von schwerem Gold und dick und lang. Die Königin mußte wieder unverrichteter Sache nach Hause zurückkehren. Maruzza aber eilte auf den Balkon und als sie den Prinzen sah, der mit traurigem Gesicht nach ihr ausschaute, drehte sie ihm den Rücken und schloß das Fenster.

Da wurde der Prinz so krank, daß alle Leute glaubten er müsse sterben; aber als er nach langer Zeit wieder etwas besser war, sprach er gleich zu seiner Mutter: »Mutter, ich bitte euch, geht noch einmal zur schönen Dame und fleht sie an, doch meine Gemahlin zu werden und saget ihr, daß wenn sie mich zurückweist und noch einmal das Fenster so verächtlich zuschlägt, so werde ich vor ihren Augen todt niedersinken.« Die Königin wollte durchaus nicht gehen, da sie aber sah, wie schwach und krank ihr Sohn war, ging sie dennoch zur schönen Maruzza. Da wurde sie freundlich empfangen und sprach: »Edles Fräulein, ich komme mit einer Bitte zu euch, die ihr mir nicht abschlagen müßt. Mein Sohn ist mehr denn je in Liebe für euch entbrannt und fleht euch an, daß ihr seine Gemahlin werden wollet. Wenn ihr ihn aber zurückweiset und ihm das Fenster vor der Nase zuschlaget, so wird er vor euren Augen todt niedersinken, denn ohne euch kann er nicht leben.« Da antwortete Maruzza: »Saget eurem Sohn: wenn er aus Liebe zu mir sich entschließet, in einem Sarge, unter dem Geläute der Todtenglocken, begleitet von den Priestern, die Grabgesänge singen, aus seinem Hause sich in das meinige tragen zu lassen, so wird uns hier der Geistliche erwarten, der uns trauen soll.«[176]

Mit dieser Antwort kehrte die Königin zu ihrem Sohn zurück, der ließ gleich einen schönen Sarg herrichten und legte sich hinein. Da wurden in der ganzen Stadt die Todtenglocken geläutet, und der Prinz ward in dem Sarge aus seinem Schloß herausgetragen und die Priester begleiteten ihn mit brennenden Kerzen und sangen Grabgesänge. Maruzza aber stand königlich geschmückt auf ihrem Balkon und betrachtete stolz den traurigen Zug.

Als aber der Sarg unter ihrem Fenster angekommen war, beugte sie sich heraus und rief mit lauter Stimme: »Und aus Liebe zu einem irdischen Weib hast du dich dazu hergegeben, bei lebendigem Leib als Todter im Sarge zu liegen?« und spuckte ihm zweimal ins Gesicht. Da erkannte er sie und rief laut: »Maruzza, meine Maruzza.« Als er aber so rief, da eilte sie zu ihm hinunter und sprach: »Ja, ich bin deine Maruzza, den Kummer, den du mir zugefügt hast, habe ich dich auch fühlen lassen wollen; doch nun ist Alles gut, und der Geistliche, der uns trauen soll, wartet schon.« Da wurde ein glänzendes Hochzeitsfest gefeiert und der Prinz wurde König und Maruzza wurde Königin.

1

Burgverließ, trabano, fr. oubliette.

2

D.h. »Ihr fordert mich nicht auf, zuzugreifen.« – Es gilt in Sicilien als ein arger Verstoß gegen die Höflichkeit, Jemanden nicht zum Essen aufzufordern, wenn man selbst zu Tische ist.

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. CLXVII167-CLXXVII177.
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