24. Aschenbrödel.
(La zendrarola.)

[59] (Grimm I. Nr. 21, Bechstein S. 332, Zingerle, Märchen I. Nr. 16.)


Ein angesehener Herr hatte drei Töchter. Eines Tages rief er sie zu sich und sagte: »Ich bin alt und werde bald sterben; vorher möcht' ich aber euch noch einmal eine Freude machen. Jede von euch darf sich ein Geschenk erbitten und sie soll es erhalten.« Da sagte die erste: »Lieber Vater, ich möcht' ein Paar schöner goldener Ohrgehänge!« Und die zweite: »Ich möcht' ein schönes neues Kleid!« Die dritte aber, die jüngste, welche sehr schön war, sprach: »Lieber[59] Vater, ich erbitte mir Euer Schwert!« Dieses aber war ein Zauberschwert; wer es hatte, durfte ihm nur befehlen, dass dieses oder jenes geschehe oder da sei und im Augenblicke geschah es oder war da. Der Vater kaufte der ersten ihr Ohrgehänge und der zweiten ihr neues Kleid; weil er aber die jüngste am liebsten hatte, gab er ihr das Schwert und dachte: »Ich brauch' es so nicht mehr, denn gegen den Tod hilft es mir doch nicht!«

Aber der gute Vater lebte noch lange und starb nicht. Da sagte eines Tages die jüngste: »Lieber Vater, ich bitt' Euch, lasst mich gehen, ich will in die Welt mein Glück zu suchen.« Der Vater lachte und sagte: »Was fällt dir doch ein? Du bist ja ein Mädchen und kein Mann, fürchtest du dich denn nicht vor den Gefahren, welche dich bedrohen werden?« »Ich habe keine Furcht,« sagte sie, »hab' ich doch mein Schwert und da soll Niemand an mich kommen. Ich möchte doch auch lernen und erfahren, wie es in der Welt aussieht und mir einen Bräutigam suchen, so wie er mir gefällt; denn ich mag nicht jeden.« Da gab ihr der Vater die Erlaubniss, sie nahm Abschied und ging, indem sie das Schwert sorgsam unter ihren Kleidern verborgen hielt.

Sie kam in eine grosse Stadt und trat in einem Hause als Dienstmagd ein. Oft, wenn sie morgens die Zimmer kehrte und in Ordnung brachte, sah sie am Fenster des gegenüberstehenden grossen Palastes einen schönen jungen Herrn, der war ein Graf und der einzige Sohn sehr reicher und vornehmer Eltern, aber er war oft traurig und schwermüthig und fühlte, dass ihm etwas fehle, und er wusste doch nicht, was es sei. »Willst du eine Frau nehmen?« fragten ihn manchmal die Aeltern. »Mir gefällt keine von allen, die ich kenne«, gab er jedesmal zur Antwort und so wussten auch die Aeltern sich nicht zu rathen und ihm nicht zu helfen.

Je öfter nun das Mädchen den jungen Grafen sah, desto mehr gefiel er ihr, bis sie in ihn ganz verliebt war und sehnlichst wünschte ihn zum Gemale zu haben. Sie verliess ihren Dienst, begab sich in den gräflichen Palast und erhielt dort die Stelle einer Küchenmagd. Da musste sie den ganzen Tag am Herde stehen und weil sie immer voll Asche war, nannte man sie das Aschenbrödel.

Eines Tages sagte der junge Graf: »Liebe Mutter, heute abends ist da und da ein schönes Ballfest, lass mich hingehen, dass ich mir den Missmuth ein wenig verscheuche. Vielleicht find' ich auch ein Mädchen, das mir gefällt.« Die Mutter war sehr froh und antwortete:[60] »Ja, fahr' nur hin und unterhalte dich recht gut, dass du heiterer nach Hause kommest.« Als es Abend wurde, liess der junge Graf die Pferde einspannen und fuhr zum Feste.

Aschenbrödel hatte die Reden gehört. Sie war sehr froh und dachte sich: »Heute will ich mit ihm sprechen.« Sobald der junge Graf fort und sie in ihrem Kämmerlein allein war, wusch und kämmte sie sich, suchte ihr Schwert hervor und sprach: »Liebes Schwert, ich befehle dir, gib mir ein schönes himmelblaues Kleid und Wagen und Pferde!« Da hatte sie das Kleid, dessen Farbe war anzusehen wie der lichte blaue Himmel am schönsten Sommertage und sie zog es an. Draussen aber standen Wagen und Pferde und Diener, da stieg sie ein und fuhr zum Feste, wo der junge Graf war. Als sie eintrat, richteten sich Aller Augen auf sie, denn eine so schöne Jungfrau hatte man nie gesehen. Der junge Graf war der erste, mit dem sie freundlich sprach; er war fast schüchtern und getraute sich nicht zu fragen, woher sie sei. Doch war er überglücklich und als der Tanz begann, wagte er es sie dazu aufzufordern. Sie sagte zu und tanzte mit ihm, als aber die erste Runde vorüber war, verliess sie schnell den Saal und fuhr hinweg. Zu Hause aber ging sie in ihr Kämmerlein, zog wieder ihr schlechtes Gewand an und begab sich in die Küche.

Als der junge Graf nach Hause kam, stralte sein Gesicht vor Freude und er sagte der Mutter, was er gesehen hatte. »O wie schön und herrlich sie war, Mutter!« rief er. Da fiel Aschenbrödel ein: »Aber schöner gewiss nicht als ich!« Der junge Graf aber rief: »Willst du auch mitreden, schmutziges Aschenbrödel?« – griff nach der Aschenschaufel und versetzte ihr im Aerger einen Hieb. Aschenbrödel war nun stille und sagte kein Wort mehr.

Am nächsten Abend fuhr der junge Graf wieder zum Feste und dachte: »Wenn sie heute wieder kommt, will ich sie mir nicht mehr entschlüpfen lassen.« Aschenbrödel aber machte es zu Hause wie am vorigen Abende, nur erschien sie diesmal in einem wunderschönen Sternenkleide. Der junge Graf empfing sie wieder und wagte es sie zu fragen, woher sie komme. »Vom Aschenschaufelhiebe«, versetzte sie; aber der Graf verstand es nicht und meinte, es sei wol etwa irgendwo eine Stadt, die diesen seltsamen Namen führe. Er tanzte wieder mit ihr; aber nach der ersten Runde eilte sie wieder fort, ohne dass er im Stande gewesen wäre, sie mit seinen Schmeicheleien zurückzuhalten.

Verdrossen und liebeskrank fuhr er bald nach Hause und erzählte[61] es wieder seiner Mutter. »Ach, Mutter«, sagte er, »ich bin fast krank vor Liebe, ach wenn du sie nur gesehen hättest, wie schön sie war!« »Aber schöner gewiss nicht als ich!« fiel das Aschenbrödel ein. »Wirst du einmal schweigen, du staubiges Ding?« rief er zornig und versetzte ihr einen Schlag mit der Feuerzange. Darauf war Aschenbrödel wieder stille und zog sich in einen Winkel zurück, hörte es aber doch, wie die Mutter noch sagte: »Morgen nimm diesen kostbaren Diamantenring und sobald sie kommt, steck' ihr denselben an den Finger; dann muss sie bleiben.« »Schon gut, dass ich's weiss,« dachte das Aschenbrödel und ging wieder in die Küche.

Am nächsten Abende nahm der junge Graf den Ring und fuhr wieder zum Feste. Aschenbrödel aber that dasselbe, wie an den beiden vorigen Abenden, nur wählte sie diesmal ein Sonnenkleid, das schimmerte und glänzte so hell, dass, als sie in den Saal trat, anfangs die Augen der Anwesenden sich abwendeten, denn sie waren ja davon geblendet. Der junge Graf eilte auf sie zu und steckte ihr den Diamantring an den Finger, was sie zu seiner grossen Freude gern geschehen liess. Vertraulich fragte er sie wieder, woher sie komme. »Vom Feuerzangenschlag!« sagte sie. Da hätte er es wol leicht merken können, aber nicht bloss seine Augen, sondern auch sein Verstand war von ihrer Schönheit ganz geblendet und er merkte es nicht. Er machte wieder eine Runde mit ihr; als aber der erste Tanz vorüber war, entkam sie ihm wieder, ohne dass er's hindern konnte.

Darauf fuhr er selbst nach Hause und erzählte es seiner Mutter. »Ach, ich muss mich zu Bette legen«, klagte er, »ich bin krank!« Und so that er und hatte Schlaf und Appetit verloren. Am folgenden Tage bat Aschenbrödel die Gräfin, sie möchte ihr doch erlauben, für den jungen Grafen die Speisen zu kochen, aber die Gräfin schlug es ihr rundweg ab. Am zweiten Tage aber liess Aschenbrödel nicht nach zu bitten, bis ihr die Gräfin erlaubte, wenigstens einen Teller Speise dem kranken Grafen hineinzutragen. Während sie es aber hineintrug, liess sie den Ring auf den Teller fallen. Kaum hatte der junge Graf ein wenig gegessen, so fand er den Ring. »Mutter, Mutter, komm doch!« rief er und als die Gräfin hinein eilte, rief er wieder: »Mutter, ich habe den Ring gefunden, wer hat ihn doch in den Teller gelegt?« Die Gräfin sann ein wenig nach und sagte: »Das kann nur das Aschenbrödel gethan haben.« Augenblicklich riefen sie es herein und stellten es zur Rede. »Wartet ein wenig«, sagte es, »und Ihr sollt es wissen.«[62]

Nun eilte Aschenbrödel in sein Kämmerlein, wusch und kämmte sich, that sein staubiges Gewand ab und legte das Sonnenkleid an; damit trat es in das Zimmer, wo die Gräfin und ihr Sohn waren. Diese wussten sich vor Staunen gar nicht zu fassen, als sie in der schönen Jungfrau ihr Aschenbrödel erkannten und der junge Graf bat sie sogleich demütig wegen der Schläge mit der Aschenschaufel und der Feuerzange um Verzeihung. Da war aber Alles schon lange verziehen, sie heirateten sich und waren schon auf dieser Welt selig vor Glück und Freude. –

Quelle:
Schneller, Christian: Märchen und Sagen aus Wälschtirol. Innsbruck: Wagner 1867, S. 59-63.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.

112 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon