34. Die drei Steinwürfe.
(Le tre sassate.)

[92] (Vgl. Grimm, Märchen Nr. 29 und III. S. 56. Meier Nr. 73 und Nr. 79.)


Es war einmal ein reicher Herr, der war kinderlos aber stets fröhlichen Muthes; neben manchen absonderlichen Launen liess er sich auch manche gute Einfälle kommen. Im Dorfe lebte auch ein armer Mann, gutmütig, redlich und fleissig; er mochte aber arbeiten und sich abmühen, so viel er wollte, er blieb doch arm wie eine Kirchenmaus. Er wäre jedoch für sein Leben gern reich geworden und äusserte sich oft, um ein »Herr« zu werden, sei ihm kein Wagstück zu schwer. Der reiche Herr hörte davon und rief ihn eines Tages zu sich. Er bewirthete ihn vortrefflich, zeigte ihm sein ganzes Haus und Kisten und Kasten voll Gold und Silber und sprach dann: »Höre, mein Freund, ich habe erfahren, dass dir, um reich zu werden, nichts zu schwer sei. Ich bin schon auf Jahren und du sollst mein Erbe werden, wenn du im Stande bist meinem Begehren zu willfahren. Ich fordere nämlich, dass du dem Teufel drei Steine auf einen gewissen hintern Theil des Körpers werfest und zwar mit voller Kraft; allein dies muss geschehen, ohne dass du dabei deine Seele verschreibst. Denn um zeitliches Heil soll Niemand das ewige verlieren.«

Der Mann war etwas überrascht, aber er besann sich nicht lange und sagte: »Herr, was Ihr verlangt, soll geschehen, der Teufel soll die drei Steinwürfe bekommen. Nun werdet Ihr aber auch wissen, dass man, um in das Reich des Teufels zu kommen, durch die Reiche dreier Könige reisen muss und Ihr müsst mir behülflich sein, dass ich von unsern Obrigkeiten meinen ordentlichen Pass und alle erforderlichen[92] Papiere erhalte; sonst lässt man mich nicht weiter und ich komm' am Ende gar auf den Schub.« »Wol«, erwiederte der Herr, »dafür lass nur mich sorgen.«

Der Mann bekam Pass und Papiere und reiste ab. In der Hauptstadt des ersten der drei Reiche musste er den Pass unterschreiben lassen und voll Verwunderung erzählten die Beamten sogar dem Könige, es sei ein Mann hier, welcher zum Teufel reise. Der König liess ihn rufen und sagte: »Höre, wenn du wirklich zum Teufel reisest, kannst du mir einen grossen Gefallen thun. Es ist nämlich in meiner Hauptstadt der traurige Fall eingetreten, dass die Brunnen, welche uns früher so reichlich gutes Trinkwasser gaben, plötzlich versiegt sind, während Niemand weiss, wie man sie wieder fliessen machen könnte. Der Teufel aber weiss es sicherlich, denn er weiss viel mehr als wir Menschen. Wenn du daher zu ihm kommst, so könntest du wol gelegentlich nachfragen, um es uns zu sagen, sobald du zurück kommst. Ich will dich dafür gewiss reich belohnen.« »Je nun«, sagte der Mann, »ich will schon sehen, dass ich's erfahre.«

Er reiste weiter und kam in die Hauptstadt des zweiten Reiches. Er liess seinen Pass wieder unterschreiben und als der König von dem seltsamen Reisenden gehört hatte, rief er ihn und sagte: »Hör' einmal; da hab' ich einen einzigen Sohn, welcher schwer krank darnieder liegt«. Alle Aerzte der Welt habe ich schon gerufen, aber keiner vermag zu helfen. Der Teufel aber muss sicherlich ein Mittel wissen, denn er weiss viel mehr als wir Menschenkinder. Wenn du also hinkommst, könntest du wol ein wenig nachfragen und es mir sagen, wenn du zurückkommst. Ich will dich dafür gewiss reichlich belohnen.« »Je nun«, sagte der Mann, »ich will mir's angelegen sein lassen, dass ich's erfahre.«

Er sezte seine Reise fort und kam in die Hauptstadt des dritten Reiches, wo er wieder seinen Pass unterschreiben liess. Auch hier liess ihn der König kommen und sagte zu ihm: »Freundchen, du hast eine seltsame Reise vor an einen Ort, wo keiner freiwillig hingeht; du könntest mir aber einen Gefallen erweisen. Ich habe nämlich einen grossen Garten voll schöner Bäume von allen Arten, diese Bäume blühen wohl prächtig, aber sie tragen nie Früchte und ich weiss nicht, was daran Schuld ist. Der Teufel aber muss es wissen, denn er ist gescheidter als die Menschen. Du könntest also wol darnach trachten, es gelegentlich aus ihm herauszubringen; dann komm und sag' es mir, es soll dein Schade nicht sein.« »Je nun«, sagte der[93] Mann, »wenn es nichts weiteres ist, so werde ich's wol in Erfahrung bringen.«

Er reiste weiter und kam zu einem breiten aber nicht sehr tiefen Gewässer, welches zwischen dem Reiche des dritten Königs und jenem des Teufels lag. Da war ein Mann, dessen Geschäft es war, die Leute, welche kamen, hin und her zu tragen. Er trug den Reisenden hinüber und als er drüben war, sagte er: »Du siehst wol, wie schlecht es mir hier geht; ich trage schon so lange, dass ich's gar nicht mehr gedenke, wann ich angefangen habe. Wenn du zum Teufel kommst, so erweise mir den Gefallen nachzufragen, wie viele Jahre ich denn schon hier bin. Noch lieber wär' es mir, wenn du erfahren könntest, wie ich denn erlöst werden könnte, denn ich kann es schier nicht mehr länger so aushalten.« »Sei nur getrost«, sagte der andere, »das will ich schon erfahren.«

Darauf kam er an das Höllenthor und pochte daran. Da kam die Frau des Teufels, nämlich eine böse Hexe, heraus und fragte, was er wolle. »Ist der Teufel zu Hause?« fragte er. »Nein, er wird erst spät Abends nach Hause kommen«, erwiederte sie. »So erlaubt mir einzutreten und auf ihn zu warten«, sagte er und sie führte ihn in ihr Gemach. Da sprachen sie viel, er schmeichelte ihr, so viel er konnte und wagte es endlich sie zu bedauern, dass sie stets hier eingesperrt leben müsse. Da wurde sie vertraulich und klagte ihm ihre liebe Noth und wie sie sehnlich wünsche bald erlöst zu werden. Er versprach ihr alles aufzubieten, wenn er nur erst sein Vorhaben erreicht hätte und erzählte ihr seine ganze Geschichte; am Ende bat er sie um ihre Hilfe. »Das wollen wir schon machen«, sagte sie, »halt nur die drei Steine bereit und gib auf Alles Acht, was ich fragen werde und was der Teufel mir antwortet.« Dann führte sie ihn in die Schlafkammer und versteckte ihn unter einem Haufen Lumpen, die in einem Winkel lagen.

Abends kam der Teufel nach Hause, er war ganz müde, denn er war tagüber auf der Jagd nach Seelen gewesen. Er ging in's Bett und schnarchte bald laut. Dann gab seine Frau dem Manne ein Zeichen, dieser kroch hervor und warf dem Teufel mit aller Kraft den ersten Stein auf die bezeichnete Stelle des Körpers, dann duckte er sich rasch und verbarg sich wieder. Der Teufel fuhr auf und rief: »Was ist denn das?« »Entschuldige mich«, sagte seine Frau, »ich habe lebhaft geträumt und habe dich gestossen.« »Was hast du denn geträumt?« fragte der Teufel. »Ich träumte«, sagte sie, »von einem[94] Könige in einer grossen Stadt, der war ganz traurig, weil alle Brunnen versiegt waren.« »Ach, das ist da und da«, sagte der Teufel lachend, »ich habe schon grosse Freude darüber gehabt.« »Ja, warum sind denn die Brunnen versiegt?« fragte sie wieder; »wäre denn da gar kein Mittel, sie wieder fliessen zu machen?« »O ja«, erwiederte der Teufel, »die Sache verhält sich nämlich so. Unweit von der Stadt ist auf einem Berge eine alte Kapelle der Muttergottes mit ihrem Bilde; dahin ging man jährlich von der Stadt aus in einer Prozession. Seit einigen Jahren aber unterlässt man es und zur Strafe dafür sind die Brunnen versiegt. Wenn es den Leuten einfiele, wieder andächtig in einer Prozession hinzugehen, so würden die Brunnen alle wieder fliessen wie früher. Aber nun lass mich schlafen, gute Nacht!«

Bald schnarchte der Teufel wieder. Da gab sie abermals ein Zeichen und der Mann warf wo möglich noch stärker den zweiten Stein; dann duckte er sich schnell und verbarg sich wieder. Der Teufel aber fuhr unwirsch empor und schrie: »Was soll das heissen?« »Ach, entschuldige mich doch«, sagte sie begütigend und that, als wische sie sich den Schlaf aus den Augen; »ich habe wieder geträumt und muss dich im Traume gestossen haben.« »Was hast du denn geträumt?« fragte der Teufel. »Mir kam vor«, erwiederte sie, »ich sei in einer andern grossen Stadt, da sah ich einen König, welcher weinte und als ich ihn fragte: »Was weinst du?« erwiederte er, sein einziger Sohn sei zum Sterben krank und kein Doktor könne ihm helfen.« »Ach, das ist da und da«, sagte der Teufel lachend; »der arme Junge wird wol sterben müssen und es ist noch nicht gewiss, ob ich ihn bekomme.« »Und wäre denn da gar kein Mittel?« fragte sie. »O ja und zwar ein ganz einfaches«, erwiederte er. »Man dürfte nur ein Pferd herumjagen, bis es ganz in Schweiss käme, dann trocknen lassen und ihm darauf den Staub wegstriegeln. Diesen Staub müsste man in Wasser auflösen und wenn der Prinz es tränke, wäre er frisch und gesund. Aber wem soll dies einfallen? Doch jezt will ich schlafen, gute Nacht!«

Nach einiger Zeit, als der Teufel wieder schnarchte, gab sie dem Manne abermals ein Zeichen und er warf mit voller Kraft den dritten und lezten Stein; dann duckte er sich schnell und versteckte sich wieder. Diesmal fuhr der Teufel noch zorniger auf und schrie: »Nun, willst du bald Ruhe geben?« »O lieber Mann, sei doch nicht böse«, sagte sie, »ich weiss nicht, was dies für eine Nacht ist, dass ich fortwährend träume. O diese bösen abscheulichen Träume!« »Was hast[95] du denn schon wieder geträumt?« fragte der Teufel. »Ich kam«, sagte sie, »in einen grossen Garten, der gehörte einem reichen Könige. In diesem Garten blühten eine Menge Bäume und ich dachte mir, darauf müssten gewiss auch die süssesten Früchte reifen; aber es kam der König und sagte mir, keiner von allen diesen Bäumen trage Früchte. Das scheint mir wahrhaftig erlogen zu sein.« »Und doch ist es so«, sagte der Teufel rasch, »es ist da und da und ich habe grosse Freude darüber.« »Und warum sollen denn Bäume, welche so schön blühen, keine Früchte tragen?« fragte sie. »Du musst wissen«, erwiederte er, »dass dieser König ein Geizhals und Neidkragen ohne Gleichen ist; es wird auch nicht mehr allzulange dauern, so fällt mir seine Seele zu. Da hat er nun seinen Garten mit so hohen Mauern umgeben, dass Luft und Winde fast keinen Zutritt mehr haben. Auch lässt er zu wenig graben und arbeiten, blos um den armen Bauern nichts zahlen zu müssen. Liess' er die Mauern bis wenigstens über die Hälfte niederreissen und die Erde gehörig umgraben, so würden die Bäume Früchte tragen wie früher. Nun aber lass mich schlafen.« »Ich muss dich noch etwas fragen, mein Schatz«, sagte sie. »Weisst du, da ist ein Mann, der an der Gränze deines Reiches die Leute hin und her trägt; wie lange ist er schon dort?« »Das mag ungefähr vierundzwanzig Jahre sein«, antwortete der Teufel. »Kommt denn der arme Tropf gar nie mehr los?« fragte sie wieder und der Teufel erwiederte: »Wenn er nicht so dumm wäre, so würde er längst frei sein. Er dürfte nur den nächsten besten, den er hinüberträgt, fallen lassen, sobald er in der Mitte ist, so wär' er frei und der andere müsste sein Geschäft verrichten.« »Ich danke dir, mein Lieber«, sagte sie, »für heute weiss ich genug. Nun schlafe zu, du bist ja müde, ich will dich nicht mehr stören. Gute Nacht!«

Der Teufel brummte noch etwas, bald aber schlief er fester denn zuvor. Da stand sie auf, führte den Mann hinaus und liess ihn durch ein kleines Pförtchen entschlüpfen. »Aber dass du ja mein gedenkst!« rief sie ihm zum Abschiede nach.

Er ging und kam zum Manne am Wasser. »Hast du nichts erfahren?« fragte ihn derselbe sogleich. »O ja«, erwiederte der andere, »aber erst trag mich hinüber, dann will ich's dir sagen«. Als sie drüben waren, sagte er: »Du dienst ungefähr vierundzwanzig Jahre und wenn du frei werden willst, so brauchst du blos den nächsten besten, den du hinüber trägst, in der Mitte des Wassers fallen zu lassen. So pfiffig hättest du längst sein können.« Der Träger[96] dankte bestens und versprach die nächste Gelegenheit dazu wol zu benützen.

Dann kam er zum dritten Könige, welcher ihn sogleich fragte, ob er nichts erlauscht habe. »O ja«, erwiederte er, »der Teufel hat es selbst gesagt, dass er Euch bald holen werde, weil Ihr ein Geizhals und ein Neidkragen seid. Lasst die zu hohen Mauern um Euern Garten bis wenigstens über die Hälfte herab niederreissen und gebt den fleissigen armen Bauern etwas zu verdienen, dann werden Eure Bäume nicht nur blühen, sondern auch reichliche Früchte tragen.« Als der König dies hörte, wurde er feuerroth vor Zorn und sagte: »Ich will es thun, dich aber so lange einsperren lassen, bis meine Bäume Früchte tragen.« »Ich verlange keinen Dank von Euch«, sagte der Mann, »aber Eure Kerker könnt Ihr mit den Spitzbuben füllen, die Ihr in Eurem Reiche habt. Ich bin ein ehrlicher Mann und kann nicht länger hier bleiben, denn ich muss in die nächste Stadt zu Eurem Nachbar, um seinem Sohne Hilfe zu bringen.« Als der König dies hörte, wagte er es nicht mehr ihn festzuhalten, sondern liess ihn ziehen – aber ohne Dank und ohne Geschenk; denn er war ja ein Geizhals und ein Neidkragen, auf dessen Seele der Teufel mit Recht sich schon lange freute.

Der Mann ging und kam zum zweiten Könige. »Hast du nichts erlauscht?« fragte dieser sogleich. »O ja«, erwiederte er, »gebt mir nur ein Pferd.« Als er dieses hatte, jagte er es im Stalle auf und nieder, bis es von Schaum überdeckt war. Dann wartete er, bis es trocken war, striegelte ihm den Staub ab, that diesen in's Wasser und gab es dem kranken Prinzen zu trinken. In wenigen Tagen war dieser frisch und gesund und der hocherfreute König belohnte den Retter seines Sohnes reichlich. »So oft du etwas brauchst«, sagte er ihm zum Abschied, »komm ungescheut zu mir und wenn du für immer hier bleiben willst, wird es uns nur lieb und angenehm sein.«

Er ging und kam zum ersten Könige. »Hast du nichts gehört?« fragte ihn dieser. »Ei, freilich«, erwiederte er, »Der Teufel hat keine kleine Freude darüber, dass ihr die Prozession zur Muttergotteskapelle auf dem Berge vor der Stadt so habt in Vergessenheit kommen lassen. Haltet sie wieder andächtig und ihr werdet auch euer Wasser wieder bekommen.« Da gab der König den Befehl, sogleich am folgenden Tage die Prozession zu halten und wer nur könne, solle andächtig mitgehen. Es geschah, der König ging selbst mit und als die Prozession zurückkam, sprangen und sprudelten alle Brunnen[97] wieder wie früher und die Stadt erscholl von lautem Jubel. Der König aber belohnte den Mann überreich und gab ihm so viel Gold und Silber, dass er es allein nicht zu tragen vermochte.

Endlich kam er nach Hause. Der reiche Herr empfing ihn mit grosser Freude und lachte herzlich, als er die Geschichte gehört hatte. Der Mann war sein Erbe und lebte als reicher Herr glücklich und fröhlich bis an sein Ende. Er erzählte die Geschichte von den drei Steinwürfen oft und gern jedem, der sie hören wollte; die Grossmutter hat sie wieder der Enkelin erzählt und so hat sie sich fortgepflanzt bis auf unsere Tage, wo es wol Niemand mehr für möglich halten würde, auf solche Weise zu Geld und Glück zu kommen. Wer's aber doch für möglich hält, der mag's selbst probiren. –

Quelle:
Schneller, Christian: Märchen und Sagen aus Wälschtirol. Innsbruck: Wagner 1867, S. 92-98.
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