Sa Cadeneta.
Das Kettchen.
(Palma.)

[49] Es war ein Vater, der hatte drei Söhne, einer hiess Anton, einer Johann und ein anderer Bernhard.

Er fühlte sich krank, die drei Söhne waren schon erwachsen und er sagte zu ihnen:

– Ich sehe, dass meine Tage zu Ende gehen und ich wünschte, dass ich euch viel hinterlassen könnte, aber da ich nur wenig habe, so werde ich euch alles geben, was ich besitze und wenn ihr es wisset auszunützen, wird es euch viel sein. Wenn ich todt und begraben bin, werdet ihr alle drei zusammen auf jenem Weg spazieren gehen und nachdem ihr weit gegangen seid, werdet ihr eine[50] Höhle finden. Der erstgeborene wird zuerst hinein gehen, dann der zweite und dann der jüngste. Wenn ihr weit hinein gegangen seid, werdet ihr einen Thürflügel finden und ihr sollt sagen:

– Thürflügel öffne dich, Thürflügel schliesse dich.

Es wird sich ein Loch öffnen, ihr werdet die Hand hinein strecken und herausziehen, was ihr findet.

Der Vater starb nach einigen Tagen, sie besorgten die Leiche und als er begraben war, gingen die drei Söhne um das zu thun, was der Vater ihnen gesagt hatte. Sie fanden die Höhle, gingen hinein und fanden den Thürflügel. Der älteste Sohn, als es Zeit war, zu sagen: Thürflügel öffne dich – Thürflügel schliesse dich, bekam[51] Furcht und wollte sich nicht nähern.

Der zweite Sohn sagte:

– Ich werde kühner sein, wie du.

Er ging zum Thürflügel, als er aber gesagt hatte:

Thürflügel öffne dich, bekam er viel Furcht und kehrte schnell zurück.

Bernhardchen, welches der jüngste war, ging hin und machte alles so, wie der Vater es gesagt hatte, er streckte die Hand in das Loch und zog eine Börse heraus.

– Was hast du herausgezogen? fragten ihn die anderen zwei Brüder.

– Er sagte: eine Börse.

Für eine Börse hätte ich sie schon entbehren können, antwortete der eine.

Er sagte: aber sie ist mit Geld gefüllt. Wollt ihr, dass wir es zählen?[52]

Sie zählten es und wenn sie noch so viel zählten, so war immer mehr Geld darin.

Bernhardchen sagte ihnen:

– Aergert euch nicht, das ist die Börse, die man nie erschöpft. Wir wollen das Geld unter uns theilen.

Aber der zweite antwortete:

– Ich will sehen, was mein Loos sein wird.

Er kehrte zum Thürflügel zurück indem er sagte: Thürflügel öffne dich, Thürflügel schliesse dich, streckte die Hand hinein und brachte eine Kette von vier Spannen heraus.

– Ich will auch hineingreifen, sagte nun der Aelteste, will auch mein Loos sehen. Er ging hin und sagte: Thürflügel öffne dich, Thürflügel schliesse dich und brachte ein Horn heraus.[53]

Die beiden älteren Brüder wurden zornig, als sie das betrachteten, was sie heraus gezogen hatten, weil sie meinten, dass es ihnen zu nichts dienen könnte. Der zweite warf seine Kette in ein Loch, aber gleich fand er sich selber bei der Kette und sagte:

– Kette bringe mich zurück, wo ich war!

Und die Kette brachte ihn dahin zurück.

Der Aelteste begann auf dem Horn zu blasen und als er blies kamen viele Soldaten aus demselben.

– Kehret wieder in das Horn zurück, sagte er ihnen und alle Soldaten versteckten sich wieder in dem Horn.

Als der Jüngste das sah, sagte er zu ihnen:[54]

– Nun, ihr könnt auch zufrieden sein mit dem, was ihr erhalten habt. Ich werde auch jedem einige Münzen geben, wir wollen uns bei diesen drei Wegen trennen, ein jeder wird einen anderen Weg einschlagen und nach einem Jahr wollen wir wieder zusammen treffen und sehen wie es uns ergangen ist.

Sie nahmen Abschied und trennten sich und Bernhardchen kam zu einer Ortschaft und verliebte sich in die Tochter eines Grafen; aber die Tochter des Grafen wollte ihn nicht. Er wusste nicht was er beginnen sollte, damit sie ihn möchte und eines Nachmittags ging er spazieren und dachte immer und immer an das Mädchen. Er fing an, Birnen zu essen und er bemerkte, dass für jede Birne, die er[55] gegessen hatte, an seinem Kopf ein grosser Dorn heraus kam. Ganz verdriesslich weitergehend, findet er einen Feigenbaum und begann Feigen zu essen und für jede Feige, die er ass, fiel ihm ein Dorn ab.

– Gut geht es, sagte er, das muss mir dazu dienen, dass die Tochter des Grafen mich will.

Er fand einen Hirten; fragte ihn, ob er ihm sein Kleid umtauschen wollte, und, das glaube ich gern, der Hirte sagte ihm gleich ja, besonders weil das Seinige, welches er trug, schon sehr alt war. Als er wie ein Hirte angezogen war, suchte er einen Korb, füllte ihn mit Birnen, ging vor dem Hause des Grafen auf und ab, indem er schrie:

– Wer will Birnen kaufen?[56]

Die Tochter des Grafen, welche sehr naschhaft war, rief ihn gleich herbei, kaufte ihm Birnen ab und fing an, dieselben zu essen. Das glaube ich schon! Gleich hatte sie den Kopf voll Dornen. Als sie sich im Spiegel beschaute und das sah, erschrack sie dermassen, dass sie fast starb und von den vielen Aerzten, die sie zu sich rufen liess, wusste ihr keiner die Dornen zu entfernen, weil sie sehr stark und sehr trocken waren.

Bernhardchen verkleidete sich als Arzt, ging zum Hause des Grafen und sagte ihm, dass er im Stande sei, die Dornen vom Kopfe seiner Tochter wegzubringen. Der Graf erwiderte ihm, dass, wenn er das möglich machen könne, dürfe er sich mit ihr vermählen. Er liess sie Pillen[57] von jenen Feigen nehmen und alle Dornen fielen ab.

Als sie genesen war, sagte ihr Bernhardchen, dass er derjenige sei, den sie nicht wollte, dass es keine andere Hülfe für sie gäbe, als sich mit ihm zu vermählen. Ihr gefiel er schon, aber der Graf wünschte, dass sie sich mit einem sehr reichen und sehr mächtigen Mann vermählen solle.

– Reich? sagte er, ich habe eine Börse, in der nie das Geld ausgeht und er zog seine Börse heraus und fing an, Geld herauszunehmen und hörte damit nie auf.

– Ja, sagte der Graf, ich sehe, dass ihr ein reicher Mann seid, aber ich wünschte, dass ihr auch viele Macht und viele Truppen hättet.[58]

– Ich habe alles, was ich will, nur wartet bis Morgen und ich werde euch meine ganze Macht zeigen, sagte Bernhardchen.

An jenem Tage war es ein Jahr, dass er sich von seinen Brüdern verabschiedet hatte, am Nachmittag ging er auf jenen Weg und traf sie beide.

Er sagte ihnen: Ihr müsst mir das Horn und die Kette borgen, ich werde beides euch wieder zurückgeben.

Die Brüder gaben es ihm und er kehrte zum Hause des Grafen zurück.

– Graf, fragte er ihn, wohin wollen sie jetzt reisen?

Er sagte: Nach China.

– Kette, sagte er, bringe uns nach China.[59]

Sofort befanden sie sich in China.

– Kette, bringe uns nach Hause zurück.

In einem »Sanctus amen« waren sie wieder zu Hause.

– Graf, tretet mit euerer Tochter auf den Balkon.

Der Graf und seine Tochter gingen auf den Balkon hinaus und sahen den ganzen Hof voll Soldaten aller Art.

– Mein Vater, sagte die Tochter, verlange nichts mehr, weil dieser Mann der meinige ist, ich will keinen anderen mehr.

Bernhardchen gab seine Hand der Tochter des Grafen, in einigen Tagen heiratheten sie und lebten zufrieden, bis sie starben.

Quelle:
Erzherzog Ludwig Salvator: Märchen aus Mallorca. Würzburg, Leipzig: Verlag der Kaiserlichen und Königlichen Hofbuchhandlung von Leo Woerl, 1896, S. 49-60.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Clementine

Clementine

In ihrem ersten Roman ergreift die Autorin das Wort für die jüdische Emanzipation und setzt sich mit dem Thema arrangierter Vernunftehen auseinander. Eine damals weit verbreitete Praxis, der Fanny Lewald selber nur knapp entgehen konnte.

82 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon