Von den Räubern und der Prinzessin, die einem Drachen versprochen war.

[53] Ein Vater hatte einen Sohn und eine Tochter; als die heran wuchsen, wurden beide so ungeraten und ungehorsam, daß sie der Vater weg jagen muste. Ehe der Sohn weg gieng, suchte er sich seines Vaters Stab, der eine solche Macht besaß, daß, wenn man ihn in die Hand nahm und andern Leuten entgegen hob, die wie vom Donner getroffen da stunden, so daß sie weder Hand noch Fuß rühren konnten. Da giengen nun beide, Bruder und Schwester, auf die Wanderung, ohne zu wißen wohin. Am dritten Tage kamen sie in einen Wald, und sie waren schon sehr hungrig geworden. Gegen Abend sahen sie ein Lichtchen schimmern und giengen in das Haus, wo sie aber nur ein altes Mütterchen fanden; die baten sie, sie solle ihnen irgend etwas zu eßen geben. Die Alte wollte erst nicht; als sie aber gar so sehr baten, da brachte sie ihnen ein Bißchen Brot und sagte sodann ›Jetzt müßt ihr aber schnell gehen und euch verbergen, denn ich habe zwölf Söhne und die sind alle Räuber; wenn die kommen und euch da finden, so erschlagen sie euch.‹ Die beiden aber ließen sich doch mit der Alten ins Plaudern ein, und siehe, es dauerte nicht lange da kamen jene Männer. So wie diese die beiden erblickten, sagte der älteste »Den ganzen Tag haben wir nichts angetroffen, und siehe, jetzt ists uns ins Haus gekommen.« Zuerst legten sie alle ihre Gewehre ab, dann zogen sie ihre Röcke aus und das alte Mütterchen stellte ihnen das Abendeßen auf den Tisch. Nach dem Abendeßen sagte der älteste zu jenen beiden »Gut daß ihr her gekommen seid, jetzt müst ihr sterben.« Der Bruder sagte ›Wenn uns das einmal so bestimmt ist, so ergeben wir uns euch auch: thut wie ihr wollt!‹ Sofort brachte einer einen großen Klotz, und nun verabredeten sie sich unter einander, welches von beiden sie zuerst umbringen würden. Der Bruder sagte ›Ihr könnt mich nehmen,‹ und als er das gesagt, machten auch die Räuber Anstalt ihn an den Klotz an zu binden, und der Hauer putzte das Beil ab. Er aber zog, husch! schnell seinen Stab, den er unter den Deckbalken1 gesteckt hatte, hervor und erhob ihn gegen die[54] Räuber. Da stunden sie wie leblos und konnten sich nicht rühren. Er nahm sie nun und hieb einem nach dem andern auf dem Klotze mit ihrem eigenen Beile den Kopf ab; nur dem letzten hieb er den Kopf nicht ganz ab, sondern hieb ihn nur in den Nacken.

Des andern Morgens gieng er alle ihre Kammern zu besehen. In der ersten waren Flinten, Pistolen und Säbel aufgehängt; in der zweiten allerhand Kleider; in der dritten viel Geld; in der vierten Leichen und in der fünften hiengen die Köpfe der Leichen an Pflöcken an der Wand. Jetzt schleppte er auch die Leichen der Räuber in die Leichenstube; ihre Köpfe aber hieng er auch an die Pflöcke in der Wand auf und verschloß dann die Leichenstube mit einem großen Vorlegeschloße. Am Tage hieng er sich eine Flinte um und gieng in den Wald, um sich irgend einen Vogel zu schießen, damit er Fleisch habe. Als er aber weg gieng, sagte er zu seiner Schwester ›Du kannst jetzt, bis ich wieder komme, damit dir die Zeit nicht lang werde, durch alle Stuben gehen, da wirst du allerlei schöne Kleider und Geld finden; du kannst dich ankleiden, wie es dir am besten gefallen wird. Aber in die Stube, die mit dem großen Vorlegeschloße verschloßen ist, in die gehe nicht!‹

Als der Bruder fort gegangen war, gieng sie um sich die Zelt zu vertreiben die Stuben ansehen, und als sie in die Kleiderstube gekommen, suchte sie sich die schönsten Kleider heraus und legte sie an und freute sich nicht wenig an dem Staate. Da konnte sie es aber nicht über sich gewinnen, nicht auch in die ihr verbotene Stube zu gehen; aber kaum hatte sie die Thüre geöffnet, so ergriff sie der Räuber, dem er den Kopf nicht ganz abgehauen hatte und der halbtodt geblieben und bis zur Thüre gekrochen war, am Kleide und hielt sie so fest, daß sie sich von seinen Krallen nicht los machen konnte und auf der Stelle nieder knien und ihm schwören muste, daß sie ihm vom Dachboden Kräuter holen wolle. Davon werde er genesen und sie sodann heiraten; da werde sie eine Frau werden, wie die gröste Gutsbesitzerin. Aber sie muste auch schwören, ihrem Bruder davon nichts zu sagen. Sie gelobte das alles, brachte sogleich jene Kräuter, band sie ihm um den Hals, und ihm wurde sofort beßer.

Der Bruder, der weg gegangen war und ein schönes Stück Wald durchwandert hatte, traf einen Hasen, legte schnell die Flinte an und wollte ihn schießen; der Hase aber wandte sich gegen ihn und sagte ›Ach, erschieß mich doch nicht, ich kann dir vielleicht ein andres Mal[55] von Nutzen sein.‹ Da erschoß er ihn auch nicht. Da gab ihm der Hase ein kleines Pfeifchen und sagte ›Wenn du darauf pfeifen wirst, so werde ich sogleich bei dir sein.‹ Das Pfeifchen nahm er mit und steckte es unter den Deckbalken.

Als der Bruder wieder kam, stellte sich die Schwester verdrießlich, und der Bruder fragte sie ›Was fehlt dir, Schwesterchen; du kommst mir so traurig und gar nicht munter vor.‹ Sie erwiderte »Mir ist so schlecht zu Muthe; könntest du mir Milch von einer Wölfin mitbringen, so würde ich die trinken und mir würde beßer werden.« Das hatte ihr nämlich jener halb todte Räuber gesagt, sie solle von ihrem Bruder die und die Sachen für ihre Gesundheit verlangen und sie ihm dann geben, dann werde er schnell gesund werden. Als der Bruder des andern Tages auf die Jagd gieng, suchte er eine säugende Wölfin zu treffen; und er stieß auch wirklich auf eine, gerade als sie ihre Jungen säugte. Er legte seine Flinte an, um sie zu schießen; die Wölfin aber sagte »Ei, schieß mich nicht, ich kann dir ein ander Mal sehr von Nutzen sein.« Dem Worte gab er auch Folge und schoß nicht; nur molk er sich von ihrer Milch, die er seiner Schwester zu trinken brachte; die aber gab die Milch dem Räuber. Die Wölfin gab ihm aber noch eine kleine Pfeife und sagte ›Wenn du darauf pfeifen wirst, so werde ich sogleich da sein.‹ Das Pfeifchen nahm er mit und steckte es unter den Deckbalken.

Den andern Tag sah die Schwester wieder so traurig aus, und als sie der Bruder fragte, was ihr fehle, so sagte sie »Mir ist gar nicht recht wol, ich weiß selbst nicht was es ist; könntest du mir aber Milch von einer Löwin mitbringen, so würde mir beßer werden.« Da gieng der Bruder wieder auf die Jagd und fand bald eine Löwin, die ihre Jungen säugte, und die sagte wieder zu ihm ›Ei, schieß mich nicht, ich kann dir sehr von Nutzen sein.‹ Da gieng er hinzu, molk sie, und sie gab ihm auch eine kleine Pfeife mit den Worten ›Wenn du darauf pfeifen wirst, so werde ich sogleich bei dir sein.‹ Den Tag darauf stellte sie sich wieder so traurig und verlangte Milch von einer Bärin; auch die verschaffte ihr der Bruder, und es ergieng ihm wieder um wie mit jenen Thieren. Er erhielt wieder ein Pfeifchen, das er unter den Deckbalken steckte. So hatte er nun vier Pfeifchen.

Als jener Räuber aller dieser Thiere Milch ausgetrunken und wieder ganz gesund geworden war, kam er des Morgens früh zu ihm in die Stube und sagte zu ihm, daß er jetzt sterben müße. Er sagte[56] ›Wenn ich einmal sterben muß, so will ich mich auch drein ergeben.‹ Die Schwester kam auch und sagte ihrem Bruder, daß sie jetzt den Räuber heiraten werde; denn sie hatte sich ihm versprochen, und vom Bruder wollte sie jetzt Abschied nehmen. Er aber nahm keinen Abschied, sondern stieß sie von sich. Ehe er aber den Kopf auf den Klotz legen muste, sagte er zum Räuber ›Ich möchte mir ausbitten auf diesen Pfeifchen noch einmal pfeifen zu dürfen.‹ Und wie er das Fenster geöffnet hatte und zu pfeifen begann, da waren sogleich alle jene Thiere da, und er hetzte sie auf den Räuber, der sofort in Stücke und Stückchen zerrißen war. Aber auch seine Schwester ließ er zerreißen, da sie sich so treulos gegen ihn benommen hatte.

So war er denn da allein und dachte ›Was soll ich thun in dem Räuberhause da, und in dem Walde so weit von allen Menschen; mir ist hier unheimlich zu Mute.‹ Er machte sich also auf, pfiff seine Thiere zusammen und zog in die Welt. Als er nicht mehr weit vom Rande des Waldes war, traf er zwei Schlangen, die mit solcher Wut mit einander kämpften, daß sie vor Erschöpfung ausruhten und dann erst wieder ihren Kampf fortsetzten, und das zu wiederholten Malen. Bei solchem Kampfe aber hatten sie sich sehr verwundet und zerfetzt, so daß es fürchterlich anzusehen war, und er dachte sie würden beide auf der Stelle sterben. Als sie aber mit ihrem Kampfe zu Ende waren, schlichen sie zu einem Strauche hin; von dem pflückten sie Blätter ab und legten sie auf sich, und siehe, beide waren sogleich wieder heil. Von dieser höchst merkwürdigen Stelle reiste er mit seinen Thieren in eine ferne Stadt, welche halb versunken war. Da gieng er in eine Schenke, um sich zu erquicken, und erfuhr von dem Schenker, daß nach drei Tagen die letzte Prinzessin des Königs von einem Drachen geholt werde; könne sie aber jemand von dem Drachen erlösen, so werde sie dem als Gattin zu Theil werden und er werde nach des Königs Tode das ganze Reich erben und König werden. Der Mann kam sofort auf den Gedanken, daß er mit seinen Genoßen den Drachen überwinden könne, und deswegen besprach er sich mit ihnen über die Sache, und auch sie hatten den festen Glauben, daß sie den Drachen bezwingen würden. Der Wirt hinterbrachte das dem Könige und der ließ sogleich den fremden Mann zu sich laden, und als er von ihm selbst vernommen, daß er mit dem Drachen kämpfen und seine Tochter erlösen wolle, da war er und seine ganze Familie in großer Freude darüber.[57]

Als der dritte Tag kam, ließ ihn der König sich mit einem Harnisch bekleiden und gab ihm scharfe Waffen, wie es einem rechten Helden zukommt. Nach dem Frühstück fuhr man die Prinzessin hinaus vor die Stadt auf den bestimmten Ort; nicht lange nachher kam auch der fremde Mann mit seinen Thieren, setzte sich neben die Prinzessin auf einen Stuhl und wartete darauf daß der Drache geflogen komme.

Die ganze Stadt aber war in tiefer Trauer und zitterte in Erwartung der Dinge die da kommen sollten. Um neun Uhr Vormittags bemerkte man in der Ferne ein Flammen wie von Blitzen und ein Sausen wie von einem Sturme; da merkte man, daß der Drache schon geflogen kam und nicht mehr ferne war. Der fremde Mann aber war schon mit seinen Mitkämpfern zum Streite gerüstet, und als der Drache nun näher herbei geflogen war, da giengen immer Feuersäulen aus seinen Nachen, denn der Drache war neunköpfig. Als er sich auf die Erde nieder ließ und zur Prinzessin wollte, um sie mit seinen fürchterlichen Krallen zu faßen und mit zu nehmen, da rißen und zerfleischten die Thiere den Drachen, und der Mann hieb ihm mit seinem scharfen Schwerte die Köpfe ab. Dieser entsetzliche Kampf hatte fast drei Stunden gedauert, ehe der Drache überwunden war. Aber von diesen schweren Kämpfen waren alle so ermüdet, daß der Held den neunten Kopf nur zur Hälfte abhieb und kaum noch so viel Kraft hatte, um aus des Drachen Köpfen die Zungen heraus zu schneiden und aufzubewahren; und alle fielen nach solcher Erschöpfung in süßen Schlummer, nur die Prinzessin nicht, und vor großer Freude zog sie einen goldenen Ring von ihrem Finger und steckte ihn dem Helden an, den sie nunmehr als ihren Befreier und Bräutigam vor allem in großen Ehren hielt.

Inzwischen kamen einige Diener des Königs zu der Stelle, um nachzusehen, und fanden den Drachen überwunden. Da beneideten sie den fremden Mann um die große Ehre, die ihm nun erwiesen werden würde, und verabredeten sich ihn zu tödten, was sie auch ausführten. Die Prinzessin wollte das nicht zulaßen, aber sie sagten »Wenn du nicht schweigen wirst, so erschlagen wir auch dich, deshalb bleib lieber am Leben.« Und der vornehmste von den Dienern sagte zur Prinzessin »Jetzt must du mich als deinen Erretter anerkennen und für deinen Bräutigam halten.« Das muste sie denn thun, da sie dazu gezwungen war, sie mochte wollen oder nicht, und einen Eid darauf leisten. Als das geschehen war, gruben sie schnell eine Grube und begruben da den[58] Helden. Nun zogen sie mit schöner Musik und großer Freude in die Stadt ein und jedermann drängte sich herbei die Prinzessin zu begrüßen.

Als jene Thiere ausgeschlafen und ausgeruht hatten, fanden sie niemand mehr da und wusten nicht was geschehen war. Jedes gieng seines Weges, denn das hatte ihnen ihr Herr vor dem Einschlafen gesagt, aber auch das hatte er ihnen anbefohlen, daß sie nach Verlauf dreier Jahre sich wieder auf der Stelle einfinden sollten. Nach drei Jahren rüstete auch der König die Verheiratung seiner Tochter mit ihrem Retter; aber die Prinzessin war sehr traurig und niemand wuste warum. Als Tag der Trauung hatte aber der König denselben Tag festgesetzt, an welchem vor drei Jahren der Drache überwunden worden war. An dem Tage kamen nun auch alle jene Thiere zusammen, und da gieng es ihnen sehr wunderbar. Der Bär mit seiner feinen Nase fand sogleich durch den Geruch, wo die Leiche liege und sagte zu seinen Gefährten ›Glaubt mir, da liegt unser Herr begraben; irgend jemand hat ihn erschlagen.‹ Der Löwe und Wolf begannen sogleich mit ihren Tatzen zu graben und der Hase muste Wache halten. Es dauerte nicht lange, so war die Leiche ausgegraben und alle erkannten in ihr ihren Herrn, aber alle waren sie auch sehr betrübt. ›Still! (sagte das Häschen) ich erinnere mich jener heilkräftigen Kräuter von jenem Jahre her, durch welche jene Schlangen, nachdem sie sich bekämpft hatten, so schnell geheilt wurden; die können auch unserem Herren helfen.‹ Und als er das gesagt, verschwand er wie ein Blitz, lief zu jenem Strauche hin, pflückte so viel Blätter ab als er für hinreichend hielt, um die Leiche damit zu belegen, und ehe ein paar Stunden verfloßen waren, war er schon wieder da. Da nahmen sie schnell die Blätter, belegten die Leiche damit, und es dauerte nicht lange, da ward er wieder lebendig, erholte sich und sprach ›Warum habt ihr mich denn aufgeweckt, ich habe so sanft geschlafen.‹ Der Wolf aber sagte »Nicht also, lieber Herr; du hast nicht geschlafen, sondern warst todt; sieh, da ist die Grube, aus der wir dich eben ausgegraben haben.«

Da verabredeten sie sich sämmtlich in die Stadt zu gehen, und sie kamen zufällig in jenes Wirtshaus, wo sie auch jenes Jahr gewesen waren. Der Schenker aber erkannte ihn nicht, und als es schon Abend geworden, da sagte der Wirt ›Ach, wenn wir doch heute Abend von des Königs Tische etwas bekämen; denn heute feiert des Königs[59] Tochter ihre Vermählung mit dem Manne, der sie vor drei Jahren vom Drachen errettet hat.‹ Der Fremde versetzte ›Das ist mir nur eine kleine Mühe, Speise und Trank von der Hochzeit zu bekommen.‹ Der Schenker aber meinte, das gehe doch nicht, und beide stritten sich darüber. Um dem Streite ein Ende zu machen, wetteten sie. Da bat sich der Fremde Papier und Tinte aus und schrieb ein kleines Briefchen, und das band er dem Häschen unter dem Halse fest und befahl es der Prinzessin hin zu bringen. Das Häschen konnte durch die große Menge der Gäste sich kaum hindurch in das Zimmer drängen, und dann muste es noch lange warten bis es zur Prinzessin gelangen konnte; dann aber hängte es sich mit den Vorderfüßen an die Knie der Prinzessin und reckte den Kopf immer in die Höhe. Die Prinzessin hatte ihre Freude daran, bemerkte das Briefchen unter dem Halse, band es los und fand, daß es an sie gerichtet sei. Schnell erbrach sie es und ersah daraus, daß ihr rechter Retter am Leben sei, und sogleich befahl sie den Dienern, daß sie so schnell als möglich von allen Speisen, Braten und Weinen in das und das Wirtshaus tragen sollten. Aber die Prinzessin selbst ward von Stund an sehr froh, und der Fremde gewann seine Wette, die er mit dem Wirte gemacht hatte und sagte ›Ein ander Mal unterfang dich nicht, zu wetten.‹

Die Prinzessin sann sich schnell ein Mittel aus, wie sie ihren Retter auf die Hochzeit bringen könne. Sie gieng deshalb heimlich zu ihrem Vater hin und sagte ihm, es sei ein sehr reicher Graf in dem und dem Wirtshause über Nacht eingekehrt, ob er ihn nicht auch zur Hochzeit laden wolle. Der König sagte das zu und entsandte schnell seine geehrtesten Diener in jenes Wirtshaus, den Grafen ein zu laden. Der ließ sich auch nicht lange bitten und gieng und seine Thiere mit ihm. Als er den königlichen Hof betrat, ließ der König eine so große Musik machen, daß die Erde in einem fort erbebte, und nahm ihn mit vielen Ehren auf. Jener aber bat sich aus, daß auch seine Thiere bei ihm bleiben dürften; denn er halte sie vor allem in großen Ehren, da sie ihm viel Gutes erwiesen hätten, und der König gab das gerne zu. Die Prinzessin erkannte sogleich in dem Manne denjenigen, der sie von dem Drachen errettet, und er erkannte sie auch, aber sie stellten sich fremd und thaten durchaus nicht bekannt mit einander.

Als sich nun der Graf mit den Gästen halbweges bekannt gemacht[60] hatte, wollte er auch wißen, woher der Bräutigam der Prinzessin sei, wie die Verlobung zu Stande gekommen und wie es dabei überhaupt her gegangen sei. Da erzählte man ihm die ganze Geschichte und er pries den Bräutigam als einen großen Helden, aber er fragte auch, ob er von dem Drachen Zeichen besitze. »Ja freilich,« antworteten alle, und sogleich brachte man alle neun Häupter des Drachen und wies sie vor. Der Graf wunderte sich, betrachtete sie, und als er einem den Mund geöffnet, sagte er ›Es ist mir aber wunderbar, daß keine Zunge darin ist.‹ Der Bräutigam und die Gäste erwiderten, daß der Drache keine Zunge habe; der Graf aber sagte, daß sei unmöglich, alle lebenden Geschöpfe müsten eine Zunge haben. Hierüber dachten die Einen so, die Andern anders. Endlich sagte der Graf ›Ich will nun diesem Streite ein Ende machen;‹ und als er das gesagt, zog er alle neun Zungen aus der Tasche, zeigte sie allen und sagte ›Seht die Zungen an, ob sie etwa nicht vom Drachen sind; wir wollen eine in den Rachen stecken, ob sie nicht passen wird und ob wir nicht im Rachen hinten am Gaumen finden werden, daß die Zunge ausgeschnitten ist.‹ Als er das gethan, passten alle Zungen sehr wol hinein und niemand konnte dann zweifeln, daß das des Drachen Zungen seien; nur das war jedem sehr wunderbar, wie der fremde Graf zu diesen Zungen gekommen sei. Der Bräutigam und die Braut, aber auch der Graf, wusten das sehr wol, und dem Bräutigam ward es ganz bange ums Herz, denn er wuste ja wie es bei Erlegung des Drachen zugegangen war. Allein noch größeres Erstaunen trat ein, als der Graf den Ring hervor zog und zeigte, den ihm die Prinzessin an dem Tage geschenkt hatte, an welchem der Drache erlegt worden war. Er bat die Gäste, sie möchten den Ring betrachten, ob sie nicht erkennen könnten, wessen er sei. Alle fanden bald den Namen der Prinzessin, den der Goldschmied beim Gießen des Ringes ausgeschmiedet, und sagten ›Das ist der Ring der Prinzessin Braut.‹ Und als sie den Ring der Braut gaben, damit sie ihn auch betrachte und die ganze wunderbare Begebenheit erzähle, da rief sie mit sehr lauter und freudiger Stimme ›Das ist mein Ring, und der Mann, der ihn hatte, ist mein wahrer Bräutigam, der hat mich vom Drachen erlöst, da, mit diesen seinen Thieren.‹ Da lief sie zu ihm hin, umarmte und küsste ihn liebevoll, und beide weinten vor Freude.

Hierüber erstaunten der König und alle Gäste noch mehr; eine[61] lange Zeit hindurch sprach niemand ein Wort und der König war wie vom Donner gerührt. Dann aber erzählte die Prinzessin alles was bei der Erlegung des Drachen vorgefallen und was es mit den Köpfen und den Zungen und mit der ganzen Geschichte für eine Bewandtnis habe, und wie sie jenem habe einen Eid leisten müßen, weil er sie habe tödten wollen, da er ihren wahren Befreier schon erschlagen hatte; wie der aber heute wieder lebendig her gekommen, das wiße sie nicht. Da sprang das Häschen schnell herbei und erzählte den Hergang der Sache. Es währte nun nicht mehr lange, da war die ganze Wahrheit über den Mann an den Tag gebracht, aber auch der ganze Trug und Greuel des andern. Da erzürnte der König heftig über seinen Schwiegersohn und fragte alle Gäste und seine Räte, was nun zu thun sei. Als sie sich darüber besprachen, sagten alle, daß ein solcher Mensch durchaus nicht wert sei, des Königs Schwiegersohn zu sein, und weil er einen so ehrenwerten Mann und großen Helden meuchlerisch gemordet, deshalb müße er umgebracht werden. Der König sagte ›Auch ich erfinde ihn des Todes schuldig.‹ Und er sprach ihm sofort das Urteil und er ward von vier Ochsen zerrißen.

Jetzt ward nun die Hochzeit aufs neue mit dem wahren Befreier gefeiert und alles noch festlicher und prächtiger angeordnet und eine große Menge von Gästen geladen. Auch ich war dort und gaffte von ferne und getraute mich nicht näher zu gehen, denn ich fürchtete mich vor dem Löwen, dem Bären und dem Wolfe; die drei hatten nämlich dafür zu sorgen, daß die Menschenmenge sich nicht in des Königs Hof eindränge. Der König hatte aber den Leuten draußen ein großes Faß voll Bier, ein Ohm Branntwein und einen langen Korb voll Gebäck aller Art hinstellen laßen und jene Thiere trieben mit den von allen Orten her zusammen gelaufenen Menschen allerlei Kurzweil. Der neue Schwiegersohn des Königs aber ward nach des Königs Tode König des ganzen Reiches und zwar ein sehr einsichtsvoller und guter König, und wenn er nicht gestorben ist, so regiert er heutiges Tages noch.

1

Gewönlicher Aufbewahrungsort für Kleinigkeiten, wie z.B. Bücher, Schreibzeug u.s.f.

Quelle:
Schleicher, August: Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder. Weimar: Böhlau, 1857, S. 62.
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