[139] Mündlich.
Am neunzehnten Januar Abends läuten alle Glocken in den Kirchen der Stadt Brüssel viele Stunden lang, und muß ein jeglicher Hausvater seine Frau bewirthen, und die Frau dagegen ihn auf dem Rücken in die Schlafkammer tragen. Dieß geschieht zum Andenken an die folgende Geschichte.
Zu den Zeiten der Kreuzzüge waren auch die Brüsseler Bürger mit zum heiligen Grab gezogen, und sie hielten sich daselbst gar tapfer. Die Frauen aber betrübten sich unter der Zeit sehr über das einsame Leben, welches sie führen mußten; auch mochten sie wohl Furcht haben, die grimmen Heiden möchten ihre Männer tödten, und also sehnten sie sich aus ganzem Herzen nach der Stunde, in welcher die braven Kämpen wieder ihren Einzug in Brüssel halten würden.
Darüber war schon mehr als ein Jahr verstrichen, und noch immer kam keine Botschaft aus Palästina: als[139] eines Abends plötzlich ein staubbedeckter Reitersmann durch die Straßen jagte und überall und allen zurief: »Sie kommen! sie kommen!«
Die guten Frauen wußten sich vor Freude nicht zu fassen; sie rannten jubelnd und jauchzend dem Reiter nach, der sich bald dem Löwener Thore wieder zuwandte, wo man schon deutlich die Pauken und Zinken aus weiter Ferne her schallen hörte. Ohne aber das Näherkommen ihrer lieben Männer abzuwarten, liefen die Frauen immer weiter auf der Straße fort, welche nach Deutschland führt, und als sie endlich das Heer erreicht hatten und die ersten Umarmungen und Küsse vorüber waren, da faßten sie eine jede den ihrigen auf die Schulter und eilten, so schnell sie konnten, mit ihnen der Stadt zu, von der her die Glocken feierlich läuteten, und wo alle Häuser hell erleuchtet strahlten.
Zum Danke für diese Liebe überließen die Brüsseler Männer seit der Zeit ihren Frauen das Hausrecht, und die Sitte pflanzte sich fort bis zu unsern Tagen.