[153] Altes Volkslied. Der Sage folgend, von dem neunten Verse an fortgesetzt von Prudenz van Duyse.
Mynheerken van Maldeghem
ghincer al uitter jaghen
dry mylkens buitten Brügghe,
daer stonter een linde breet;
hy en vont niets ter jachte
als een herderke cleene,
hy moest hem teghen comen,
het was hem lief of leet.
[153]
Herrchen van Maldeghem
das ging wohl aus zu jagen
drei Meilen draußen vor Brügge,
da stand eine Linde breit;
es fand nichts zu jagen,
als ein Hirtchen kleine,
es mußt ihm gegenkommen,
es war ihm lieb ob leid.
Wel herderken, wel herderken,
ick souder u geiren vragen,
wat wonder avontuere
is in dit bosch te zien;
van waer comt desen horen,
desen overschoonen horen?
als ick hem lest aenschouwde,
hy behoorde aen miin.
Wohl Hirtchen, wohl Hirtchen,
ich möcht dich gerne fragen,
was wunder Abentheuer
wohl in dem Busch zu sehn;
von wo kommt dir dieß Horn,
dieß überschöne Horn?
als ich zuletzt es schaute,
gehörte es mein.
Mynheerke van Maldeghem,
ghaet hier uit onsen strate,
want desen schoonen horen
en gaet er u niet aen;
blies ick op minen horen,
myn overschoonen horen,
de XXXVI Ceteleirs
al souden wezen gram.
Herrchen von Maldeghem,
geht hier aus unsrer Straßen,
denn dieses schöne Horn
es geht euch gar nichts an;
bließ ich auf meinem Horn,
meinem überschönen Horn,
die sechs und dreißig Kesselflicker,
die würden drob gar gram.
Mynheerken van Maldeghem,
en wildet niet gelooven,
hy naem ende sette hem
aen zynen rooden mont;
die XXXVI Ceteleirs
quamen uit 't bosch gespronghen,
gelic de wilde hasen
voor eenen temmen hont.
Herrchen von Maldeghem,
wollt das nit glauben,
es nahm und setzte es
an seinen rothen Mund.
Die sechs und dreißig Kesselflicker
kamen aus dem Busch gesprungen,
gleichwie die wilden Hasen
vor einem zahmen Hund.
Hout op, o Cameraden
van Cappen ende Kerven
en flaeter toch mynheerken
van Maldeghem niet doot;
ick heb met hem ghereden
door dorpen ende steden,
seven jaer gedronken
en gheten van zyn broot.
[154]
Haltet an, o Kameraden,
mit Kappen und mit Kerben,
und schlaget doch das Herrchen
von Maldeghem nicht todt;
ich bin mit ihm geritten
durch Dörfer und durch Städte,
hab sieben Jahr getrunken
und gegessen von seinem Brot.
Mynheerken van Maldeghem
die schooter al in zyn tasche
ende gaf dry goude penninghen
aen desen herder coen;
»Wy syn ons sesendertigh
mannen van avonturen,
er es voor d'een of dander
gheen cousen ofte schoon.«
Herrchen von Maldeghem,
der griff wohl in seine Tasche
und gab drei goldne Pfennige
an diesen Hirten kühn;
»Wir sind unsrer sechs und dreißig
Männer von Abentheuer,
das ist für den einen ob den andern
keine Strümpfe oder Schuh.«
»Mynheerken van Maldeghem,
ghy moet er ons hier beloven,
geheel vaste ghaen beloven
al op uwe eerlykheit:
dat ghy het niet en sult segghen,
oft met gheen penne schriven,
als dat den bosch van Maldeghem
met roovers is beleit.«
»Herrchen von Maldeghem,
du mußt uns hier geloben,
fest es uns geloben
wohl auf deine Ehrlichkeit:
daß du es nicht willst sagen,
mit keiner Feder es schreiben,
daß der Wald von Maldeghem
mit Räubern ist belegt.«
Mynheerken van Maldeghem
die heft stille ghesweghen,
hy en heft het met gheen pennen
geschreven ofte geseit,
maer heft met sinen voete
tot Brugghe in sant gheschreven,
als dat den bosch van Maldeghem
met roovers lag beleit.
Herrchen von Maldeghem
das hat still geschwiegen,
er hat es mit keiner Feder
geschrieben ob gesagt,
aber hat es mit seinem Fuße
zu Brügge in Sand geschrieben,
daß der Wald von Maldeghem
mit Räubern wäre belegt.
Mynheerken van Maldeghem
rieper al tot de sinen:
»Die XXXVI Ceteleirs
grypt se maer by der keel;
ende doet aen ieder harer
eenen ysern halsband vaste
in d'onderaerdschen kerker
op't Maldeghems Casteel.«
[155]
Herrchen von Maldeghem
rief wohl zu den Seinen:
»Die sechs und dreißig Kesselflicker,
greift sie nur bei der Kehl,
und macht an jeden von ihnen
ein eisern Halsband feste
im unterirdischen Kerker
auf Maldeghems Castell.«
»Ende geeft se en brootjen
ende en cruicke water
in d'onderaerdschen kerker
ende metselt d'inganc dicht.«
»Mynheerken van Maldeghem,
schenkt ooc ghenade en metselt
in d'onderaerdschen kerker
den inganc toch niet dicht!«
»Und gebt ihnen ein Brötchen
und ein Krüglein Wasser
in dem unterirdischen Kerker
und vermauert den Eingang dicht.«
»Herrchen von Maldeghem,
schenk auch Gnad und vermauer
in dem unterirdischen Kerker
Den Eingang doch nicht dicht!«
Mynheerken van Maldeghem
en woonde na dien tide
op sinen ouden casteele
gheen langhe dagen meer:
den kerker bleefer gesloten,
de linden standen te groene,
den eenen steene vieler
oppe den anderen nêed.
Herrchen von Maldeghem
wohnte nach der Zeit
auf seinem alten Schlosse
nicht lange Tage mehr;
der Kerker blieb geschlossen,
die Linden stunden so grüne,
der eine Stein der fiele
wohl auf den andern nieder.
In d'onderaerdschen kerker
spookter het nog alle nachten,
men sieter noch de mueren
met d'yseren halsbant aen.
O reissgher comter 'savonts,
maekt stille 't cruise des heeren
ende stapt wat seerder over
de Maldeghemsche baen.
Im unterirdischen Kerker
da spukt es noch alle Nächte,
man siehet noch die Mauern
mit dem eisernen Halsband dran.
O Wandrer, kommst am Abend,
mach still das Kreuz des Herrn
und schreite schneller fort auf
der Maldeghemschen Straß'.
Buchempfehlung
Die Fortsetzung der Spottschrift »L'Honnête Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plissline« widmet sich in neuen Episoden dem kleinbürgerlichen Leben der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«.
46 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro