[159] 105. Bavo.

[159] Vaernewyck, Historie van Belgis. Fol. 27.


In der Zeit, als Abdon Richter war über die Kinder Israel, regierte in Hochphrygien ein König, der hieß Bavo und war ein Schwager von Priam. Er trieb stark die Kunst der Astronomie und erkannte durch dieselbe, daß das Geschlecht von Troja dem Untergange geweiht war. Darum entschloß er sich, diesem zuvorzukommen und sein Land zu verlassen. Er versammelte seine Schätze, ermahnte die Edlen seines Volkes und die Glieder seiner Familie, daß sie mit ihm reisen und ihre Reichthümer mitnehmen sollten, und zog weg, und vier mächtige Herzöge geleiteten ihn, so daß er ein mächtiges Heer bei sich hatte. Sie fuhren durch das Mittelmeer, um Spanien herum und kamen nach mehren Abentheuern endlich an die Küste von England. Da warfen sie das Loos, ob das Land ihnen bequem sein möchte, und sie fanden, daß dieß nicht sein würde.

England hieß dazumal noch Albion und hatte seinen Namen von folgendem Vorfalle. Eine Königin von Assyrien, welche Albiona hieß, hatte ein und dreißig Schwestern, und diese waren alle an große Herren verheirathet. Sie verschwuren sich mit der Königin, ihre Männer zu tödten und alsdann selbst zu herrschen; aber das kam aus und sie wurden mit vielen Herren, welche davon Mitwissen haben sollten, auf Schiffe sonder Segel und Mast geführt und der See überlassen. Nach vielen Fahrten kamen sie in England an und nannten dieß nach der Königin Namen. Dort wurden sie von Mahren befruchtet und gebaren in Folge dessen Riesen, welche später das Land bewohnten.[160]

Bavo verließ also England und fuhr weiter, bis er an die Stelle kam, wo die Maaß und der Rhein in die See münden, und dort sagte das Schicksal ihnen, daß dieß Land für sie bestimmt sei. Sie schlugen ihre Zelte daselbst auf, und Bavo vertheilte sie alle unter Herzöge und Fürsten, so daß eine jede Truppe ein Oberhaupt hatte, und es waren der Zelte mehr denn zwölfhundert.

Es geschah aber, daß eines Tages ein weißer Wolf durch die Zelte lief, und einige Jungen verfolgten ihn mit Hunden. Der Wolf lief immer weiter, und sie liefen ihm nach bis auf einen Berg, wo ein Altar eines Gottes stand und rund herum Volk wohnte. Da gingen die Knaben zu ihrem Könige Bavo zurück und kündeten ihm alles, und Bavo ließ zur Stunde alle Schiffe zerbrechen und ging mit dem Volke zu der genannten Stelle, wofür er drei Tage brauchte. Er fand ein fruchtbares Land mit Flüssen und Bächen, welches der Stadt Trier unterthan war, und errichtete dort seine Zelte und wohnte daselbst viele Jahre.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 159-161.
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