159. Unschuldiger gehangen.

[255] Msc. von d'Obercourt: Oorsprongh van Nederlandt. S. 224.


Im Jahre 1595 trug sich Folgendes zu in der Stadt Wert in Brabant.

Ein Knecht wurde von seinem Herrn auf den Markt geschickt, um Häringe zu kaufen, und nahm dafür das nöthige Geld mit. Er kam an einen Häringkram und nahm drei Fische in die Hand und wollte den Leuten das Geld geben; aber die Leute waren nicht Meister des Krames, und während man den Meister rufen ging, kamen andere heran, um auch zu kaufen, und drängten den Knecht weg. Da erhoben sich plötzlich einige nahesitzende Krämer und faßten ihn und sagten, er habe mit den Häringen entlaufen wollen, ohne zu bezahlen. Der Knecht vertheidigte sich und sagte, es wäre nicht wahr; aber das half ihm nichts und er wurde nach dem Galgen geführt.

Als er nun auf der Leiter stand, da bat er aus tiefem Herzen zu dem Herrn, daß er das Unrecht mit seinen göttlichen Augen anschaue und es an Tag kommen[255] lasse, und indem er noch also bat, stieß ihn der Scharfrichter von der Leiter. So hing er drei ganzer Stunden und hatte die Augen geschlossen gleich einem, der schläft, und nicht wie ein Gehängter. Darum war ein groß Gemurmel unter den Soldaten, und endlich, nach drei Stunden, ritt ein Reiter heran und schnitt den Strick entzwei, und der Knecht fiel nieder und blieb auf seinen Füßen stehen und öffnete die Augen und schaute um sich her.

Dieß ist alsobald dem Erzherzog Albert gemeldet worden, und man führte den Knecht nach Brüssel, begleitet von drei Trompetern zu Pferde, und er zog im Triumphe durch alle Straßen.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 255-256.
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