[280] 179. Schach dem Teufel.

[280] H. Berthoud, Chroniques et traditions surnaturelles de la Flandre. Paris 1831. p. 5–17.


In dem Walde von Clairmarais bei Cameryk finden sich die Ruinen des ehemaligen Klosters gleichen Namens. Ueber die Entstehung dieses Klosters geht folgende Sage umher.

Auf der Stelle, wo es stand, erhob sich einst eine prächtige Burg; das war aber vor langer, langer Zeit und ist jetzt über siebenhundert Jahr gelitten. In dieser Burg wohnte ein gewaltiger Ritter, der eine schöne Frau hatte, die aber sehr hochmüthig war und zu stolz, um mit einem Menschen zu sprechen, der nicht, wie sie, von Adel gewesen wäre. Einmal war der Ritter ausgeritten und es schon Abend geworden, ohne daß er zurückkehrte. Dafür begehrte aber ein anderer Ritter Einlaß in die Burg, und die Frau willigte gern ein und ließ ihn in ihr Betstübchen kommen. Da begann der Fremde bald mit schmeichelnden Worten der Frau Gunst zu gewinnen und sagte ihr endlich, daß er draußen im Walde einen alten Mann angetroffen, der laut geschworen, sich an ihr zu rächen, weil sie ihn aus dem Schlosse gejagt hätte. Auch hätte der Alte gesprochen, er sei der Burgfrau Vater und sie sei nicht von Adel, sondern er hätte sie gegen ein todtes Kind von ihrem vermeinten Vater in der Wiege ausgetauscht. Mit dergleichen und andern Reden brachte der Fremde, welcher sich Brudemer nannte, die Frau dahin, daß sie mit ihm vor das Thor eilte und ihren Vater erstach, worauf sie der Burg wieder zurannten und sich an ein Schachbrett zum Spiel hinsetzten.

Nach einer Weile flog die Thüre auf und der Herr von Clairmarais trat mit zorniger Miene ins Zimmer.[281] Brudemer brach bei seinem Anblicke in ein lautes Gelächter aus, die Edelfrau aber hätte in die Erde sinken mögen und sie wurde bleich wie eine Wand. Der Ritter aber schritt auf sie zu und rief ihr mit emporgehobenem Schwerte entgegen: »Dich müsse der Teufel holen, du Vatermörderin, du Ehebrecherin!« – Ehe er jedoch noch auf sie zuschlagen konnte, faßte Brudemer sie mit den Worten: »Ich nehm's an«, beim Haupte und verschwand mit ihr unter einem fürchterlichen Donnerschlage.

Der Ritter erwachte erst am späten Tage aus seiner Betäubung, wollte dann aber nichts mehr mit der Welt zu schaffen haben, ging in das Kloster des heiligen Bertinus und starb dort eines seligen Todes.

Seitdem stand das Schloß verlassen, und keiner wollte mehr auf demselben wohnen, denn in jeder Nacht war in demselben ein gräulich Getümmel und Gepolter. Auch kehrte keiner von dort zurück, wer auch dahin gehen mochte.

Endlich wagte ein frommer Benedictiner den Weg und trat bei anbrechender Abenddämmerung in den Burghof. Eben hatte er, nachdem er noch mehre Säle durchschritten, sich in einer kleinen Kammer hingesetzt, um in etwa auszuruhen, als die Thüre aufging und ein großer Herr, auf dessen Brust ein Schild mit dem Namen Brudemer hing, mit einer bleichen Frau am Arme eintrat; hinter den beiden kam eine glänzende Dienerschaft, und dieser folgten acht Knappen mit schweren Kisten auf dem Rücken. Der Herr wies mit dem Finger auf einen Tisch, auf welchem ein Schachbrett stand, und dann auf einen zur Seite desselben stehenden Stuhl, den der Mönch alsbald einnahm. Der Ritter ließ sich auf einem andern nieder, und beide begannen zu spielen. Der Mönch zog nur ganz vorsichtig und berechnete jeden Zug aufs allergenaueste, und so sah er[282] bald, daß er den Gegner überwinden würde; doch da wies die Frau mit dem Finger auf einen Bauer, den der Ritter gleich vorrückte. Dieser Zug veränderte das Spiel und brachte den Mönch in die höchste Gefahr, denn er wußte wohl, daß seine Seele dem Bösen gehörte, wenn er verlöre; auch brach das ganze Gefolge bei dem Zuge in schallendes Gelächter aus. Der Mönch bereute schon im Stillen seinen Gang, beschloß aber fortzusetzen, was doch einmal sein mußte, und schob nach einem kräftigen Gebete einen andern Stein dem Bauer entgegen. Der Herr wurde nachdenkend, denn das Spiel stand nun wieder zu des Mönches Gunsten und stellte sich mit jedem Zuge besser für denselben, er mochte machen, was er wollte. Als beide noch einige Züge gethan und der Gewinn offenbar in des frommen Geistlichen Händen lag, geschah mit einem Male ein gräßlicher Schlag, der Mönch stürzte nieder und alles verschwand.

Am andern Morgen fand der glückliche Spieler ein weibliches Gerippe mit zerfetzten Lumpen zur Seite des umgestürzten Spieltisches, und an der Thüre acht Kisten voll Gold und Silber. Er begrub die dürren Knochen im Burghofe und wandelte dann das Schloß in ein Kloster um, neben dem er von dem erspielten Schatze eine schöne Kirche baute, und in dem er der erste Prior wurde.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 280-283.
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