[314] 214. Osschaert.

[314] Jak van de Welde im Kunst- en Letter-Blad. 1840. S. 15.


Ehedem war es zu Hamme bei Dendermonde nicht geheuer. Ein böser Geist, Osschaert genannt, hauste dort; doch kann man eben nicht sagen, daß er nur Geißel war für die friedlichen Bewohner dieser Gegend, er hatte immer auch etwas sehr Heilsames für die Christen des Mittelalters, denn den Bösen war er ein fürchterliches Schreckbild, und manchen mag er wohl zur Umkehr auf den Weg des Guten gezwungen haben.

Sein gewöhnlicher Aufenthalt war der Ort, wo heutzutage das Kirchlein Van twee bruggen steht, und die nächste Umgebung sein Hauptwirkungskreis. Wenn ein Vermessener es nämlich wagte, gegen Mitternacht dort das Reimlein:


Grypke, grypke grauw,

Wilt gy my grypen,

Grypt my nou.


herzumurmeln oder gar laut zu schreien, dann sprang ihm Osschaert auf den Rücken, klammerte sich mit weit aufgesperrten Klauen an die Schultern des Verwegenen fest, und dieser mußte keuchend und ächzend mit ihm fort, bis sein gutes Glück ihn auf einen Kreuzweg leitete, wo der böse Geist nicht hinüber konnte und seinen Träger todesmatt hinwarf.

Mit dem eben genannten Sprüchlein scheint Osschaert häufig vexirt worden zu sein, denn er trieb es je länger, je schlimmer, und am Ende waren nicht nur Trunkene oder Verwegene, die ihn neckten, Gegenstand seiner Quälereien, er verfolgte jeden, den er bei Nacht und Unzeit noch im Felde oder im Walde fand. Darum eilte der Ackersmann noch vor Sonnenuntergang mit hastigen[315] Schritten aus dem Felde, der verspätete Reisende suchte ängstlich ein Obdach für die sinkende Nacht, und mancher von den Landleuten zitterte selbst am Heerde und sandte feurige Gebete zu Gott, damit der Geist keine Macht über ihn habe.

Am peinlichsten war Osschaerts Reiten für den, dem eine schwere Schuld etwa das Gewissen drückte; auf dem lastete er mit erdrückender Schwere, in dessen Fleisch hackte er seine Klauen tief ein, dessen Nacken brannte sein höllenglühender Hauch furchtbar, und dabei verpestete fortwährend der unerträglichste Gestank jeden Athemzug des Sünders. Selbst wenn der also Gepeinigte niedersank vor Schmerz und Müdigkeit, blieb ihm keine Ruhe, er mußte wieder auf und wieder fort bis an einen Kreuzweg, oder ein Liebfrauenbild in der Nähe eines solchen.

Nun lebte aber vor längerer Zeit schon zu Hamme ein gottesfürchtiger Pfarrer, und der beschloß, tief gerührt von dem Drucke, unter welchem seine Gemeinde durch Osschaert seufzte, den bösen Reiter zu vertreiben, und er verbannte ihn durch Belesen für 99 Jahre an das Gestade der See, wo er bis heute noch herumirrt.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 314-316.
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