219. Meerminne.

[319] Soeterboom, De soetstemmende Zwaane van Waterland. S. 98.

Gouthoven und die meisten andern holländischen und friesischen Chroniken.


Gegen das Jahr 1400, ein wenig vor dem Tode Herzogs Albrecht von Bayern, des Grafen von Holland, kam in einem großen Sturme und Unwetter ein wild und ungezähmt Seeweib in der Südersee zum Vorschein, und ist durch eine Oeffnung in den Deichen ins Purmermeer getrieben, schlafend und wachend, von einem Ende[319] zum andern, und suchte Atzung und Kost auf dem Grunde des Wassers. Sie war ganz nackt am Körper und trug keine Kleider, jedoch war sie mit mannichfachen Sachen behangen, als da sind Moos, Schilf und anderes. Und also schwamm sie viele Zeit um und wieder, und wußte nicht wohin, denn die Oeffnung, durch welche sie gekommen war, hatte man wieder verstopft. Die Frauen und Mägde, welche mit Kähnen von Edam und anderswoher kamen, und über das Purmery ihre Kühe zum Melken führten, sahen das Weib treiben und schwimmen im Wasser und erschraken sehr und wunderten sich darob. Und als sie sie öfter sahen, wurden sie es gewohnt und gingen näher, um sie zu beschauen, und zuletzt faßten sie Muth und versammelten sich, und zogen die Meerminne mit Gewalt aus dem Wasser in ihre Kähne und brachten sie nach Edam auf die Straße. Es konnte aber niemand ihre Sprache verstehen, auch verstand sie unsere Sprache nicht. Da wusch man sie und zog ihr die Seegewächse ab und Kleider an deren Stelle an, und sie begann Speise zu essen, doch wollte sie immer klüglich wieder ins Wasser springen; sie wurde aber zu gut bewahrt. Und da ist viel Volkes zugelaufen, um sie zu sehen, und die Haerlemer wollten sie von den Edammern haben, und die Edammer schenkten sie ihnen. Da lernte sie spinnen und lebte noch lange, bis sie starb; da wurde sie auf dem Kirchhofe begraben, weil sie öfters das heilige Kreuzzeichen gemacht hatte.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 319-320.
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