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[469] Mündlich von J. Moraels.
Ein Bootsmann zu Dünkirchen hatte ein kleines Schiff, wovon er jedoch wenig Gebrauch machte, und es lag meistens ruhig landfest in dem Hafen. Jeden Morgen aber, wenn er es nach alter Gewohnheit besuchen ging, fand er, daß jemand Unreinlichkeit auf das Verdeck gemacht hatte. Das ärgerte ihn und er hätte gern gewußt, wer eigentlich der Thäter war, denn an diesem möchte er einmal recht sein Müthchen gekühlt haben. Er versteckte sich darum in einer Nacht in die Kajüte, um die Ankunft des Buben abzuwarten, und nahm eine gute Sackpistole mit, welche er vorher mit einer bedeutenden Ladung Schrot versehen hatte.
Bis Mitternacht regte sich nichts. Kaum hatte es aber zwölfe geschlagen, als er ein wunderlich Getöse auf dem Verdecke gewahrte. Er sprang schnell hervor, um seine Pistole auf den Missethäter abzufeuern; aber wie erstaunte er, als er das ganze Schiff voll Leute sah. Seine Angst wuchs noch, als er hörte, wie sie zu einander sprachen: »Haltet's landfest ein! So, nun noch ein wenig; jetzt spannt die Segel!« Alles geschah auf der Stelle; dann sprach eine andere Stimme: »He, Capitain, wohin sollen wir die Nacht segeln?« Eine leisere Stimme antwortete: »Nach Spanien.« Kaum waren die Worte gesprochen, als der Bootsmann merkte, daß das Schiff mit reißender Schnelligkeit durch die Wellen der See flog. Es dauerte jedoch nicht lange und eine starke Männerstimme rief: »Ans Land! Ans Land!« Zugleich war die ganze Schiffsgesellschaft verschwunden und der Bootsmann hörte nichts mehr. Er wagte sich nun aus der Kajüte und sah eine durchaus[470] fremde Küste sich weit vor seinen Augen ausdehnen. Verwundert und doch auch bebend stieg er ans Land und ging ein wenig einwärts, wo er beim hellen Mondschein alsbald ein prächtiges Schloß gewahrte, an dessen Thor eine Schildwache stand. »Wer da?« rief der Soldat dem Bootsmanne auf gut Spanisch zu, und dieser, der mit den Spaniern tagtäglich Umgang hatte und sich ein bischen in der Sprache helfen konnte, erklärte offen, wer er sei, und fragte, ob es denn wirklich Spanien sei, wo er nun sich befände. Der Soldat antwortete: »Ja, gewiß; sieh doch nur um dich, denn in deinem Lande wachsen die Citronen und Apfelsinen und Feigen doch nicht an den Landstraßen.«
Mit Kopfschütteln entfernte sich der arme Bootsmann, pflückte von den nächsten Bäumen sich die Taschen voll Apfelsinen und andern Südfrüchten und ging langsam wieder dem Schiffe zu, wo er sich in die Kajüte setzte. Kaum hatte er Platz genommen, als er die Stimmen wieder vernahm und gewahrte, daß alle wieder auf dem Verdecke waren. Die Matrosen eilten an ihre Plätze, der Capitain rief: »Segel auf! Nach Dünkirchen!« und das Schiff flog wieder auf die hohe See.
Nach einer Viertelstunde hörte er ein kräftiges: »Halt! Segel ein! Landfest das Schiff!« Alles geschah. Dann sprach eine andere Stimme: »Wer muß heute den Schiffsmann bezahlen?« Eine Frauenstimme entgegnete lachend: »Heute ist es an mir, wenn ihr erlaubt.« Die andern lachten laut dazu, und die Frau ging hinter ein Kajütenfenster und machte dort Unreinlichkeit, welche der Bootsmann später fand. Nachdem das geschehen war, verschwand alles.
Obgleich der Bootsmann übel gelaunt war über die schlechte Bezahlung, war er doch zufrieden, auf diese Weise einmal in Spanien gewesen zu sein. Er ging[471] nach seiner Wohnung zurück und erzählte seiner Frau, was ihm widerfahren war; aber die hielt den Spott mit ihm und sprach, er habe geträumt. Da zeigte er ihr die frischen Apfelsinen, welche er vor einer halben Stunde erst gepflückt hatte, und da konnte sie wohl nicht mehr zweifeln. Die Geschichte war bald in der Stadt herum, und man kann sie noch heute daselbst von Jung und Alt hören.