417. Amme entführt.

[501] Mündlich.

Emancipation. 1837. Nr. 163.


Eine alte Frau aus dem Kempnerlande erzählte Folgendes von ihrer Mutter.

In ihrer Jugend ernährte diese sich mit Spinnen und verkaufte ihre fertige Arbeit in der Stadt, wo sie viele Kunden hatte. Eines Wintermorgens ging sie vor Tagesanbruch von Hause weg; halbwegs ungefähr, an der Eierecke, traf sie einen Reiter, der dieselbe Straße ritt. Es lag hoher Schnee und sie fror sehr und ihr Garnbündel däuchte ihr immer schwerer. Der Reiter bemerkte das und bot ihr seine Branntweinflasche zum Trinken an und lud sie endlich gar ein, hinter ihm aufzusitzen; sie war deß zufrieden, und beide ritten ruhig weiter. Nach einigen Minuten hörte sie ein durchdringendes Pfeifen und fragte erschrocken den Reiter, was das sei; er antwortete aber kurz, das thue der Wind und es sei nichts; sie ritten nur ein bischen schnell, und[501] da sei das leicht zu erklären. Das Letzte war in der That wahr, denn das schwarze Pferd schien ihr zu fliegen. An einem Kreuzwege angekommen, drang ihr ein so fürchterlicher Schrei in die Ohren, daß sie die Augen fest zudrückte, um nur nichts zu sehen; sie war vor Schrecken ganz außer sich. Als sie aber wieder zur Besinnung kam, war es hell Tag und sie fand sich auf der Mitte einer grünen Wiese und vor einem prachtvollen Hause, aber nicht auf dem Pferde, sondern unter einer hohen Linde. Es dauerte nicht lange, und eine schöne Frau trat aus dem Hause und gab ihr ein mageres und bleiches Kind, damit sie dasselbe säuge. Das that sie mit vieler Freude und blieb wohl acht Tage dort, und das Kind wuchs mit jeder Stunde mehr und mehr, und am achten Tage war es dick und frisch.

Am Abende desselben hatte sie es in seine Wiege schlafen gelegt und war unter dem Schaukeln selbst langsam eingeschlummert. Beim Erwachen fand sie aber nichts mehr von dem schönen Hause, sondern sie lag in ihrer Hütte und neben ihrem Manne im Bette und hatte ihre Taschen voll kleiner Silbermünzen. Ihr Mann fragte sie, wo sie gewesen sei, und sie erzählte ihm alles und zeigte ihm auch die Münze, worüber er sehr zufrieden war. Er hat es später dem Pfarrer und auch andern Leuten noch erzählt, und so ist die Geschichte langsam rundgekommen.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 501-502.
Lizenz:
Kategorien: