[539] 452. Mariken von Nymwegen.

Mariken van Nymwegen. Altflämisches Volksbuch. (In zwei Exemplaren in Gent.).

Mariken van Nymwegen; Auszug aus dem Vorigen von Prudenz van Duyse. Mitgetheilt im Kunst- en Letter- Blad. 1841.


In der Zeit, als Herzog Arent von Geldern von seinem Sohne Herzog Adolf und dessen Mithelfern gefangen genommen wurde (1465), wohnte drei Meilen von Nymwegen ein frommer Priester, der hieß Herr Gysbrecht, und hatte bei sich eine schöne junge Magd, die war Mariken genannt und seiner Schwester Tochter, und ihre Mutter war todt. Diese Magd besorgte des geistlichen Herrn Haushaltung und war überaus brav und fleißig.

Nun trug es sich aber einmal zu, daß Herr Gysbrecht vielerlei nöthig hatte, was man nur in Nymwegen bekommen konnte, als Kerzen, Oel, Essig und Schwefelstöckchen. Darum gab er Mariken acht Stüber und sandte sie damit in die Stadt, rieth ihr aber dabei an, wenn sie mit ihren Einkäufen nicht frühe genug fertig[539] wäre, um noch bei Tage wieder zurückkommen zu können, dann sollte sie lieber bei seiner Schwester, ihrer Muhme, übernachten; denn sie sei eine schöne, lustige Magd und ihr könne gar zu leicht ein Unfall begegnen. Solches versprach Mariken zu thun, und sie ging fort und nach Nymwegen. Kaum jedoch hatte Herr Gysbrecht sie aus den Augen verloren, als es ihn reute, daß er sie hatte gehen lassen, und er sprach zu sich selbst: »Ich wollte, ich hätte sie zu Haus gehalten; es ist zu gefährlich, junge Mädchen und Frauen allein über Land zu senden, denn die Büberei der Welt ist gar mannichfach.« Doch konnte das ja zu nichts helfen, denn er mußte doch Licht haben, wenn es dunkel wurde, und er wollte auch essen; und zudem war es auch schon zu spät, denn Mariken war schon weit, weit fort.

Die Muhme, zu der er seine Nichte hingewiesen hatte, beschäftigte sich stark mit der Politik und war eine begeisterte Anhängerin vom Herzog Adolf. Eben hatte sie sich mit mehrern andern Frauen über ihn unterhalten, und war im Laufe des Gespräches so lebhaft geworden, daß sie eher eine wüthende Teufelin, als ein ehrlich Christenweib zu sein schien, als Mariken in die Kammer trat. Es war der guten Magd zu spät geworden, um noch nach Hause gehen zu können; darum hatte sie dem Rathe ihres Bruders gefolgt, und nun grüßte sie die Muhme mit frommen und höflichen Worten also: »Liebe Frau Muhme! Christus möge euch all euer Leid süßen und, die ihr liebet, vor allem Uebel behüten.« Aber die Muhme drehte den Kopf herum und fuhr sie unchristlich an: »Haha, willkomm Teufel, wie steht's in der Hölle?« Mariken erschrak ob der unziemlichen Worte, legte still die eingekauften Sachen in einen Winkel und bat die Muhme bescheidentlich um ein Nachtlager; doch die hatte dafür keine Ohren, denn sie war zu sehr in die Politik[540] vertieft. Da wagte das arme Mädchen, sie noch einmal und inständiger zu bitten; aber das half eben so wenig, sie raste fort: »Was? du jagst mir den Teufel in den Kopf; aber ich bind' ihn, ich wickele und schnür' ihn auf ein Kissen, gleich einem Kinde; ich weiß kaum, ob ich auf meinem Kopf oder auf meinen Füßen stehe« und dergleichen mehr. Noch mehr geängstet und mißmuthig, packte Mariken ihre Einkäufe wieder zusammen, denn sie wollte ihr Bette lieber unter dem blauen Himmel haben, als bei der Muhme, und sie sprach: »Nun frag' ich auch nach keiner lebendigen Seele mehr was, und käme selbst der wahrhaftige Teufel zu mir.« Damit verließ sie das Haus der Muhme und die Stadt Nymwegen, und schritt weiter und immer weiter fort, um nach Hause zu kommen.

Aber wie sie nun so allein auf dem Felde war und voll Hunger und Müdigkeit bald nicht weiter zu kommen wußte, da meinte sie, sie müßte verzweifeln, und rief endlich unter jämmerlichen Thränen: »Ach, nun helfet mir klagen, mir armen Mädchen, Gott oder Teufel, es ist mir alles eins«, und sie hielt ihre Hände vors Gesicht und rieb sich ihre nassen Augen mit dem Schürzchen. Indem sie das aber that, da stand plötzlich ein feiner Herr vor ihr und der fragte sie mit freundlicher Stimme: »Saget mir doch, schöne Jungfrau, warum ihr also betrübet seid.« Mariken erschrak gewaltig, als sie mit einem Male jemand reden hörte, von dem sie eben noch keine Spur gesehen hatte; aber der Fremde fuhr fort: »Ihr müsset nicht erschrecken, schön Kind, denn ich habe euch von ganzem Herzen lieb, und seid ihr deß zufrieden, so mache ich euch zu einer Frau der Frauen.« Das beruhigte Mariken in etwa und sie sprach: »Aber dann saget mir auch, lieber Freund, wer ihr eigentlich seid.« Darauf antwortete der Fremde: »Ein Meister aller[541] Künste bin ich, und wollet ihr mir eure Liebe schenken, so lehr' ich euch zur Stunde die sieben freien Künste, als da sind: die Musica und Rhetorica und Logica und Grammatica, Geometria, Arithmetica und Alcumisterie.« Mariken staunte, als sie all diese gelehrten Sachen nennen hörte, und sie war auch ganz zufrieden, daß sie das alles lernen sollte, aber sie wollte doch zuvor des Fremden Namen wissen. »Den kann ich euch sagen«, sprach der Herr, »ich heiße Monen mit einem Auge; aber das war noch nicht alles, was ihr von mir zu bekommen habet; an Gold nämlich und an Juwelen und Geld würdet ihr nimmer Gebrechen haben, wenn ihr mir eure Liebe schenktet.« – »Ist das wahr?« fragte Mariken erstaunt, »dann habe ich wahrlich nichts da gegen; aber da wäre noch eins, was ich auch gerne lernen möchte, und das ist die Kunst der Negromantie. Mein Ohm hat ein schön Buch davon und damit konnte er Wunder thun, und hätte den Teufel durch ein Nadelöhr damit gejagt. Die Kunst müßte ich auch noch wissen.«

Das war aber ein harter Schlag für den Fremden, denn diese Kunst hätte er sie um keinen Preis lernen wollen; darum sprach er: »Stehet davon ab, mein schönes Lieb, denn die Kunst der Negromantie ist eine gar gefährliche, und mancher hat durch sie sein Leben eingebüßt. Bedenket doch, wenn ihr in der Beschwörung der Geister nur um ein Wort, ja nur um eine Sylbe fehltet, dann wäre es um euch geschehen, und ich könnte euch alsdann nicht mehr mein Herzlieb nennen. Ich will euch aber dafür entschädigen und euch die große Kunst lehren, alle Sprachen zu verstehen, welche nur immer in der Welt sind; das soll euch, mein süß Bild, gewiß besser gefallen.« Mariken willigte in den Vorschlag ein und war deß ganz zufrieden, und bat den fremden Herrn, den Unterricht nur alsbald zu beginnen. Doch der sprach:[542] »Ich habe bevor euch noch um etwas anderes zu bitten, liebe Jungfrau, und das ist, daß ihr euren Namen von heut an ändert, denn den kann ich nun einmal nicht leiden. Mariken! ah!« Das wollte das Mädchen nicht, und als Monen sah, daß er einstweilen nichts ausrichten konnte, begnügte er sich mit dem Versprechen, welches sie ihm gab, nimmer das heilige Kreuzzeichen zu machen. Dann sprach er noch über vieles andere; endlich kam er langsam wieder auf das Namenwechseln zurück und schlug Mariken vor, wenigstens statt ihres plumpen Namens den im Lande üblichern und schöner klingenden Emmeken anzunehmen, und das that Mariken auch, und gleich darauf begaben sich beide nach Herzogenbusch und Antwerpen, und ehe sie dort noch ankamen, hatte Mariken schon alles inne, was Monen ihr versprochen, ohne daß sie selbst wußte, wie das zuging.

Herr Gysbrecht wußte in der Zwischenzeit nicht, was er von seiner Nichte denken sollte. Es waren schon zwei, drei, vier Tage vergangen und sie kam immer noch nicht, und es wurde dem braven Priester immer unheimlicher im Hause. Endlich konnte er's nicht mehr aushalten, nahm seinen Stock und begab sich in eigener Person nach Nymwegen und zu seiner Schwester; denn er meinte sicherlich, Mariken dort zu finden. Das unfromme Weib aber spottete noch seiner Angst, und als Herr Gysbrecht immer flehentlicher bat, daß sie ihm doch sage, wo Mariken wäre, sprach sie: »Ei, wo weiß ich's? Vor einer Woche war sie hier, und ich habe sie zum Teufel geschickt, mit dem sie wohl umherfahren wird.«

Nun war der gute Mann gar untröstlich; doch suchte er sich langsam zu fassen, richtete ein inniges Gebet an unsere liebe Frau von Aachen und an Sankt Servatius von Maestricht, und ging wankenden Schrittes wieder der vereinsamten Wohnung zu.[543]

Das gräuliche Fluchen der Muhme blieb aber nicht ungestraft von Gott; denn wenige Tage nachher ließ der Castellan, dem die Bewahrung Arents anvertraut war, den alten Herzog frei, und dieser wurde mit Jubel und Freude in Herzogenbusch empfangen. Darüber erzürnte das arge Weib so sehr, daß sie nicht wußte, wo sie stand, und sich in ihrer Wuth selber das Leben nahm.

Von all dem wußte Mariken nichts; die saß vielmehr ganz ruhig und vergnügt mit Monen zu Antwerpen in der Schenke zum Baume auf dem großen Markte. Diese Schenke war ein verrufenes Haus und da fand sich Gesindel aller Art zusammen, schlechte Weiber, Räuber, Spitzbuben und betrügerische Handelsleute, und Gott weiß, was noch mehr für Volk, und die tobten und lärmten unter einander, daß es ein Gräuel war. Einige dieser leichten Gesellen naheten bald Mariken und Herrn Monen, denn sie hätten das schöne Mädchen gern auf ihrer Seite gehabt, um ihre Lust mit ihr zu treiben. Mariken aber wandte sich gerade an ihren Geleiter und fragte ihn: »Saget mir doch, mein Lieb, ob es nicht Geometrie ist, wenn ich die Tropfen Weines zähle, die dort in der Kanne sind?« Monen antwortete: »Richtig, Kind, ihr habt's wohl behalten; gestern lehrte ich euch die Kunst.« Da staunten die Gesellen ob der Gelehrsamkeit des Mädchens, und ihre Verwunderung wuchs noch mehr, als Herr Monen ihnen kündete, daß Mariken alle sieben Künste kenne, und u.a. auch Rhetorica, welches die älteste derselben wäre. Sie hätten gern eine Probe davon gehört, und das schmeichelte dem Mädchen; es erhob sich und sagte ihnen einen Referem her, der war so künstlich, daß sich die Verse am Ende und in der Mitte und überall reimten, und daß sich bald eine Menge von Leuten um sie sammelten und mit offenem Munde ihr zuhorchten. Herr Monen hatte sich inzwischen von ihr weg und unter die[544] Zuhörer geschlichen. Da stieß er bald diesen, bald jenen, und es dauerte nicht lange und alle Anwesenden prügelten einander auf eine jämmerliche Weise. Das gefiel Monen, der, wie man wohl sieht, nur der leibhafte Satan war, über die Maßen, und er beschloß, noch länger in dem Baume zu bleiben, »denn«, murmelte er in den Bart, »wenn der droben mir kein Stöckchen steckt, dann habe ich in einem Jahre mehr denn tausend Seelen in meinen Klauen.«

Emmeken gefiel der Spektakel nicht und sie meinte oft in sich selbst, der Monen müßte doch keiner von den besten sein. Dieser Gedanke lebte noch mehr in ihr auf, wenn ihr das Versprechen in den Sinn kam, daß sie das heilige Kreuzzeichen nicht machen solle; aber wie sie so da stand und darüber nachgrübelte, da sprangen ein paar lustige Gesellen zu ihr heran, und alle guten Eingebungen ihres Gewissens waren hin, und sie ergötzte sich mit den leichten Brüdern.

Also trieb Emmeken oder Mariken, wie man will, es sechs Jahre fort, und Herr Monen hatte tagtäglich mehr Freude an ihr. Da erwachte die Sehnsucht in ihrem Herzen, Oheim Gysbrecht und andere ihrer Freunde und Bekannten einmal wieder zu sehen, denn sie hätte denen auch gerne einmal gezeigt, wie gelehrt sie geworden war. Deß war Herr Monen aber nicht gar zufrieden und er bat sie, davon abzustehen; doch Mariken sprach: »Ich will es nun einmal«, und er mußte gehorchen, und sie begaben sich auf den Weg nach Nymwegen, wo sie gerade am Kirmeßtage ankamen. An dem Tage führte man jahrjährlich ein Wagenspiel in der Stadt auf, und Emmeken hätte das gern einmal gesehen; denn sie wußte von ihrem Oheim noch her, wie der oft erzählt hatte, daß das so schön sei. Monen war aber unwillig darob und fuhr Mariken hart an, wie sie, eine also gelehrte[545] Magd, sich mit so geringen Sachen befassen könnte; denn er fürchtete, sie möge bei dem frommen Spiele, welches dem Volke insgemein mehr nützte, als Predigten und Lehren, andere Gedanken bekommen und ihm untreu werden. Wie vorher, so bestand Emmeken auch jetzt wieder auf ihrem Willen, und er mußte sie zu dem Spielplatze begleiten.

Als sie dort ankamen, trat gerade Mascheroen auf und sprach: »Ich bin Breherio Mascheroen, der Advocat von Lucifer, und will Gott zur Rede stellen, warum er den stets sündigenden Menschen gnädiger ist, als uns Teufeln, die wir nur einmal gesündigt haben und für das eine Mal nun ewig und sonder Hoffnung brennen müssen in dem Abgrund der Hölle.« Als er dieses gesagt, wendete er sich an Gott den Herrn und forderte den zur Rechenschaft auf. Darauf sprach Gott: »Ich habe gesagt und versprochen, wer bei Zeiten Buße thuet, der findet Gnade in der Ewigkeit.« Mascheroen entgegnete: »Das war aber nicht zu unserer Zeit im alten Bunde, und darum behaupte ich, daß wir ungerecht leiden müssen.« Nun erhob sich Christus und antwortete: »Warum bin ich denn anders gestorben, als um das zu ändern und alle Menschen zur Gnade zu bringen? Ihr führt eine ungerechte Klage, Mascheroen, und mein Vater hat ganz Recht.« – »Wenn das denn ist«, sprach der Advocat hinwieder, »dann müßte Gott jetzt noch viel strenger gegen die Menschen sein, wie ehedem im alten Bunde, und das ist er gerade nicht, Herr Christus!« Da erwiederte Gott Vater: »Ja, das ist wahr, und bessern sich die Menschen nicht, ich lasse mein strenges Schwert der Gerechtigkeit schneiden.«

Unserer lieben Frau, die auch gegenwärtig war, ging das sehr zu Herzen, und sie bat ihren Sohn, dann wenigstens den Menschen vorher Warnungszeichen zu[546] senden, als Kometen, Doppelsonnen, Erdbeben etc. Jesus aber wollte sich nicht erbitten lassen und in seinem Zorne beharren, indem die Menschen nur um so schlimmer würden, je öfter man sie warnte.

»Kommt, liebe Jungfrau Emmeken«, rief Monen ungeduldig, »was soll euch das Gewäsche solcher Narren frommen? Kommt, wir wollen über vernünftigere Dinge sprechen.« Aber Emmeken wollte keinen Fuß breit von der Stelle, und um so weniger, als nun Mascheroen fragte, ob Gott ihm nicht erlauben wolle, die Menschen zu peinigen, und Maria mit so schönen und rührenden Worten um Verzeihung für sie flehte. Da durchschnitt bittere Reue das Herz Marikens, und wie oft Monen ihr auch vorschlug, im schönsten Wirthshause der Stadt eine Kanne Wein mit ihm zu trinken, sie blieb und wollte nicht weg. Nun wurde Monen böse und er schrie zornig: »Soll mir denn all meine Arbeit also wenig genützt haben? Bei Lucifers Lunge und Milz, kommt fort von hier oder ich führe euch mit Schuhen und Strümpfen zur Hölle!« Und mit den Worten schoß er, wie ein Pfeil, mit Emmeken in die Luft.

Sicherlich wäre das arme Mariken verloren gewesen, hätte der arge Satan sie nach dem Niederfallen noch einmal fassen können. Das verhütete aber Marikens Oheim, Herr Gysbrecht, der, auch nach Nymwegen gekommen, um das Wagenspiel zu schauen, sich glücklicherweise in der Nähe befand. Dieser erkannte sie alsbald, sprang schnell zu ihr hin und scheuchte durch sein kräftiges Gebet den wüthenden Monen von ihr weg. Als Emmeken erwachte und ihren Oheim erblickte, war sie gar erfreut, bekannte ihm auch sogleich ihren Wandel während der sieben Jahre und bat ihn um Verzeihung; denn sie sei doch arg genug daran, sprach sie, weil sie nun ewig verdammt werde. Das gab ihr Herr Gysbrecht aber[547] nicht zu, sondern er ermahnte sie mit erbaulichen Worten zur Reue und Besserung, wonach ihr die ewige Seligkeit ganz gewiß sei.

Monen stand inzwischen immer zur Seite; denn er hätte zu gerne sein Emmeken noch mit sich geführt. Als er aber einmal wagte, auf sie loszuschießen, da nahm Herr Gysbrecht sie in den Arm und rief ihm drohend zu: »Nimm dich in Acht, du schlimmer Geist; denn versuchest du noch etwas, dann lese ich dir etwas aus meinem Breviere, welches dich schon fortjagen soll.« Da sah nun Monen, daß alles verloren war, und er brüllte und heulte jämmerlich: »Ach, ich armer Geist! Wie wird es mir ergehen! Wie werden sie mich mit glühenden Zangen quälen und peinigen, wenn ich diese verliere! Wie wird es mir ergehen!« und dabei blies er aus Nase, Mund und Ohren rothglühende Flammen, so daß es gräulich anzuschauen war. Das kümmerte aber Herrn Gysbrecht nicht, der nahm vielmehr Mariken ruhig bei der Hand und führte sie zu dem Dekane, welches ein sehr gelehrter und heiliger Priester war.

Als der Dekan von Marikens Sünden gehört, sprach er, daß er ihr dieselben nicht vergeben könne, weil sie zu groß und unendlich wären. Das betrübte Herrn Gysbrecht; er ging mit Mariken nach der Kirche und nahm dort das heilige Sacrament mit sich, denn er wollte nun zu dem Bischofe von Cöln reisen und auf dem Wege fürchtete er Monens Angriffe. Es erwies sich auch bald, daß der kluge Priester darin wohl gethan hatte; denn Monen blieb stets in der Nähe und riß mitunter halbe Eichbäume aus, die er dann auf sie warf, was aber natürlich unnütz war, denn Gott schützte die frommen Reisenden.

Wie Herr Gysbrecht aber dem Bischofe von Cöln die Sache vortrug und alles erzählte, da sprach dieser:[548] »Mein lieber Sohn! Das ist eine Sünde, die zu vergeben nicht in meiner Gewalt steht; das kann nur der Pabst von Rom.« Und Herr Gysbrecht verzweifelte nicht, sondern ging mit Mariken getrost weiter über Berg und Thal, bis sie nach Rom kamen. Der Pabst hatte kaum davon gehört, als er Mariken zu sich kommen ließ und ihre Beichte anhörte. Als er jedoch vernahm, daß sie des Teufels Buhlin gewesen, und daß um ihretwillen und durch sie mehr denn zweihundert wären todt geblieben, da rief der heilige Vater erschrocken aus: »O Gott und Vater, wie ist solches möglich! Groß, sehr groß ist die Barmherzigkeit und Gnade des Herrn, aber so tief darf ich kaum in ihren Schatz greifen«; und alsdann versank er in tiefes Sinnen und ließ Herrn Gysbrecht vor sich kommen, und sprach zu diesem: »Mein guter und getreuer Sohn! Obgleich ich der heilige Vater bin, weiß ich nicht, ob ich also gräuliche Sünde vergeben kann. Lasset aber drei Ringe von Eisen machen, und schließet die um eurer Nichte Hals und Arme. Wenn diese verschlissen sind oder von selber abfallen, dann ist ihre Sünde vergeben.«

Also that Herr Gysbrecht und reiste wieder mit Mariken von Rom ab und nach Nymwegen, wo sie in das Kloster der bekehrten Schwestern ging. Dort nahm er dann einen rührenden Abschied von ihr und empfahl ihr nochmals an, in ihrer Buße zu verharren, indem der Himmel ihr ihre Sünden ohne Zweifel alsdann verzeihen würde.

Da lebte nun Mariken noch viele, viele Jahre und in der höchsten Strenge und Zurückgezogenheit, und die Ringe blieben immer noch um ihre Arme und ihren Hals. Als sie aber nun schon sehr alt war und fühlte, daß sie sterben müßte, da sah sie plötzlich einen Engel neben ihrem Bette, und der rührte die Ringe an und sie fielen ab von ihr, worauf sie gottselig im Herrn entschlief.[549]

Ihr Grab sah man lange nachher noch in der Klosterkirche, und auf dem Leichensteine war die ganze Geschichte beschrieben, und die drei Ringe hingen als Gedenk- und Wahrzeichen daneben an der Mauer.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 539-550.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Goldoni, Carlo

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Die Prosakomödie um das Doppelspiel des Dieners Truffaldino, der »dumm und schlau zugleich« ist, ist Goldonis erfolgreichstes Bühnenwerk und darf als Höhepunkt der Commedia dell’arte gelten.

44 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon