Schneider Freudenreich

[28] In uralter Zeit, als anstatt der Murbrüche noch die schönsten Wälder Hügel und Wand bekleideten, lebte ein armes Schneiderlein, das nur mit Mühe sein tägliches Brot sich erwarb und sich schwer durchs Leben brachte. Oft litt er Hunger und konnte seinen Durst nur am Brunnen stillen. Da dachte er sich einmal: Heute ist Festtag und ich will mich auch einmal satt essen. Er kochte sich ein Hafermus, das so dicht und fest war, daß wohl Dragoner hätten darauf exerzieren können. Dann setzte er sich behaglich hin und fing an zu essen, daß es einem den Mund wässern machte. Wie die Fliegen das sahen, kamen sie auch herbei, wollten ihr Teil haben und setzten sich auf den Brei. Darüber wurde der Schneider nicht wenig zornig, erhob seine Rechte, zielte und führte einen so gewaltigen Streich auf die armen Tierchen, daß sieben maustot blieben und die übrigen erschreckt eiligst davonflohen. Als dies der Schneider sah, bildete er sich nicht wenig ob dieser Heldentat ein und wußte nicht, was er aus Freude anfangen sollte. Endlich nahm er einen Zettel und schrieb mit großen Buchstaben darauf:


»Schneider Freudenreich

Schlägt sieben auf einen Streich.«


Den Papierstreifen mit diesen Worten heftete er auf seinen Hut, setzte diesen auf und zog seinen Sonntagsfrack an. Dann stieg er stolzierend aus seinem Stübchen und schritt mit herausfordernder Miene durch die Gasse des Dorfes.

Da sahen nun alle, die ihm begegneten, den Zettel und lasen ihn. Davon bekamen sie großen Respekt vor dem Schneider, und in jedem Heimgart sprach man nur mehr vom Schneider und seiner riesenmäßigen Stärke. Das gefiel ihm nicht wenig, und er nahm weder den Zettel vom Hut noch den Hut vom Kopf. Darob verbreitete sich der Ruf vom heldenhaften Schneider immer weiter und weiter und drang selbst bis zur Königsstadt. Das war bei Hofe eine gar erwünschte Märe, denn man hatte dort einen baumstarken Mann vonnöten, weil ein furchtbarer Eber im königlichen Tiergarten tagtäglich großen Schaden anrichtete.[29]

Wie der König vom tapferen Schneider hörte, war er sehr froh und ließ ihn durch einen Läufer herbeiholen. Das gefiel dem eitlen Schneider nicht wenig, und er begab sich im besten Sonntagsputz in die Residenz, wo der König hofhielt. Dort wurde er gar huldvoll empfangen und königlich bewirtet. Das sagte dem Schneider zu, und er aß und trank, als ob er ein Riese gewesen wäre. Der König erzählte ihm vom Untier, das dem Tiergarten so großen Schaden zufügte, und forderte vom Schneiderlein Hilfe. Als Lohn versprach ihm der König seine schöne Tochter zur Ehe und das Königreich zum Erbe.

Da ging Schneider Freudenreich auf den Antrag ein und machte sich flugs ans Werk. Singend und pfeifend wanderte er in den Wald hinaus, um dort das Abenteuer zu bestehen. Er war guter Dinge und suchte links und rechts und rechts und links nach dem Schadentier, doch all sein Suchen und Forschen war vergebens. Als er schon alle Hoffnung, das Untier zu finden, aufgegeben hatte, knickte und krachte es plötzlich durch das Dickicht daher, daß dem Schneider Sehen und Hören hätte vergehen mögen. Der wilde Eber raste durch Busch und Baum daher, riß alles vor sich nieder und stürzte auf das Schneiderlein los. Doch dieser faßte sich schnell, streckte lustig seine Beine aus und lief Hals über Kopf in eine Kapelle, wo er sich hinter die Tür stellte, die er offenließ. Der Eber stürzte bald wutschnaubend und pfeilschnell durch die offene Pforte und vor zum Altar. Das Schneiderlein war aber ebenso schnell durch die Tür hinaus und schlug sie zu, daß die Kapelle zitterte. So war nun das Wildtier gefangen und konnte des Hungertodes sicher sein, denn all sein Toben und Wüten war fruchtlos.

Das Schneiderlein war über diese Tat nicht wenig erfreut und kehrte triumphierend in die Königsstadt zurück, wo er mit Jubel empfangen wurde. Er wurde von einem langen Zug Menschen in die Königsburg begleitet, wo er dem König seine Heldentat erzählte und um die versprochene Belohnung bat. Dieser kam aber, anstatt sein Versprechen zu erfüllen, mit einer neuen Bitte. Denn eine neue Gefahr, weit schrecklicher als die erste, drohte dem Königshaus mit Tod und Verderben.

Ein unzählbares Feindesheer war in das Reich eingefallen, und alle Heere, die man ihm bisher entgegengestellt hatte, waren[30] geschlagen und vernichtet worden. Das Volk verweigerte aber den Kriegsdienst, weil es sich dachte, der Feind kann gegen uns und gegen alles, was uns heilig ist, nicht schlimmer walten als der König. Der König war deshalb in einer verzweiflungsvollen Lage und bat das Schneiderlein um Hilfe und versprach ihm die Prinzessin zur Frau und das Reich als Erbe. Das Schneiderlein ging auf die Bitte ein, stieg in den Hof hinunter und ließ sich das beste Streitroß, das im königlichen Stall war, satteln, schwang sich sodann hinauf und ließ sich so fest daranschnüren, daß er drobensaß, als wäre er angenagelt. Dann sprengte er davon wie das Wetter, und die Knappen des Königs folgten ihm als ihrem Führer und zogen dem Feind entgegen. Der Weg führte sie an einem Kruzifix vorbei. Da dachte sich das Schneiderlein, alles muß mit Gottes Hilfe geschehen, hielt still, umfaßte das Kreuz und riß es aus der Erde. Er trug es mit sich und ritt dem Feind entgegen.

Als die Feinde den Schneider mit dem Kreuz sahen und auf seinem Hut lasen: »Sieben auf einen Streich«, faßte sie ein gewaltiger Schreck. Sie machten rechtsum, liefen davon und ließen sich nie mehr sehen. So wurde der Krieg glücklich ohne Blutvergießen beendigt.

Siegreich kehrte nun das Schneiderlein in die Königsstadt zurück und wurde auf das herrlichste empfangen. Besonders gut wurde er am Hofe aufgenommen, und es wurde eine große Tafel dem Schneiderlein zu Ehren veranstaltet, wobei es gar lustig herging und an Weinen und Braten nicht fehlte. Das Schneiderlein wurde hoch gefeiert und hatte alles ganz nach seinem Willen.

In diesem glücklichen Leben wurde es jedoch bald gestört, denn es war noch ein Feind zu bewältigen. Es hausten drei wilde Riesen im Wald draußen auf ihrer Burg und kümmerten sich weder um Recht noch um Ordnung. Sie taten nur, was ihnen taugte, schalteten nach Willkür und übten weit und breit List und Grausamkeit. Diese sollte nun das Schneiderlein auch demütigen und andere Sitten lehren. Er besann sich nicht lange und marschierte schnurgerade auf die Riesenburg los.

Als er im grünen Wald zur Wohnung der Riesen kam, dunkelte schon der Abend heran. Er stellte sich müde und matt,[31] klopfte an das Tor mit dem daran befestigten Hammer und bat, als ihm geöffnet wurde, um eine Nachtherberge. Sie wurde ihm gerne gewährt. Er wurde auf das gastfreundlichste aufgenommen und in ein herrliches, vor Gold und Silber funkelndes Zimmer geführt. Dort standen auf einem Tisch die kostbarsten Speisen und die besten Weine, und der Schneider ließ es sich dabei kreuzwohl sein. Die Riesen meinten es aber mit dem tapferen Schneider nicht ehrlich, denn sie fürchteten ihn und wollten ihn durch List aus dem Weg räumen. Deswegen taten sie so freundlich gegen ihn und zechten mit ihm um die Wette. Nachdem sie bis tief in die Nacht hinein geschlemmt und getrunken hatten, stellte sich endlich der Schlaf bei allen ein. Da wurde dem Schneider ein schönes Schlafzimmer angewiesen, in dem eine eiserne Bettstatt war.

Der Schneider streckte sich alsogleich seiner Länge nach aufs Bett und fing an zu schnarchen, daß fast die Wände zitterten. Er lag aber ganz an einer Seite, und das war sein Glück. Denn die Riesen blieben wach und warfen, sobald sie glaubten, daß der Schneider eingeschlafen sei, große Steine aus einer Öffnung am Oberboden auf ihren Gast herab. Der Schneider gähnte, als er dies bemerkte, lachte dann und rief mit dem größten Gleichmut zu den Riesen hinauf: »Ihr Lumpen, wißt ihr denn nichts Besseres zu tun, als Erbsen auf mich herabzuwerfen?« Dann griff er nach den Steinen und warf sie mit solcher Kraft durch das Loch an der Zimmerdecke, daß zwei Riesen davon tot zu Boden stürzten. Das jagte dem dritten eine so große Furcht ein, daß er sich eiligst verbergen wollte.

Aber jetzt dachte der Schneider nicht mehr an Schlaf. Da zwei Riesen tot waren, sollte auch der dritte nicht mit heiler Haut davonkommen. Der Schneider machte deshalb Licht und ging in die Riesenkammer hinauf. Als er dort eintrat, hatte der Riese gerade eine Leiter durchs Lichtloch angelehnt, stand darauf und wollte auf das Dach hinauffliehen. Da ergriff der Schneider die Leiter, zog sie ihm weg, und der Riese fiel in den Hof hinunter und zerschmetterte ganz und gar.

Nun waren die drei Riesen tot und der Schneider Herr des Schlosses. Als er es genug besichtigt hatte, schwang er sich auf ein Roß und ritt in die Königsstadt, wo er freudig empfangen[32] und bei Hof gar gut aufgenommen wurde. Er mahnte nun den König an sein Versprechen und erhielt auch die Prinzessin zur Braut. Da gab es eine gar lustige Hochzeit, und das tapfere Schneiderlein war und blieb der glücklichste Mensch auf der Welt.


(mündlich aus dem Ötztal)

Quelle:
Zingerle, Ignaz und Joseph: Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland. (Regensburg 1854) Nachdruck München: Borowsky, 1980, S. 28-33.
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