Die Bauernmagd

[306] In einem Dorf lebte einmal eine arme, aber brave Bauernmagd. Zu dieser kam oft, wenn sie im Stall war und melkte, eine Krönlnatter und tat gar freundlich. Als die Magd einmal wieder die Kühe melkte, kam die Natter ganz nahe zu ihr und sprach: »Weil du ein braves Mädchen bist und bisher keine schwere Sünde begangen hast, kannst du mich erlösen. Ich werde in drei Tagen als abscheuliche Schlange wiederkommen, dir dreimal um den Hals kriechen und dir zuletzt ein goldenes Schlüsselchen in den Mund legen. Du darfst mich aber nicht wegschütteln, denn dann hätte ich umsonst auf dich gehofft.«

Nach diesen Worten verschwand die Natter ins Gemäuer. Am dritten Tag abends, als die Magd allein im Stall war, kam ein abscheulicher Wurm, der trug ein goldenes Schlüsselchen im Maul. Er kroch auf die Magd zu und an ihr hinauf. Dann schlängelte er sich um ihren Hals. Sie ließ das zweimal geschehen und blieb gefaßt. Doch wie er zum dritten Male um ihren Hals sich schlingen wollte, war die Magd von einem großen Grauen befallen, und sie schüttelte den Wurm von sich.

Da sprach er: »Du hast mich von dir gestoßen, und deshalb muß ich noch hundert Jahre als Schlange um gehen und leiden. Hättest du mich an deinem Hals gelassen, wäre ich erlöst, und du hättest all das Geld bekommen, das ich während meines Lebens aus Geiz vergraben habe.«

Dann verschwand die Schlange und ließ sich viele Jahre nicht mehr sehen.


(mündlich aus Tannheim)

Quelle:
Zingerle, Ignaz und Joseph: Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland. (Regensburg 1854) Nachdruck München: Borowsky, 1980, S. 306.
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