XVII. Der Morgenstern und der Abendstern.

[203] Es war einmal, wie's keinmal war, wäre es nicht gewesen, würde es nicht erzählt!

Es war einmal ein Kaiser und eine Kaiserin, die hatten keine Kinder. Darum suchten sie alle Zauberer und Hexen auf, alle alten Weiber und Sterndeuter, aber ihrer Aller Kunst wurde zu Schanden, denn Keiner wußte ihnen zu helfen. Schließlich legten sie sich auf's Fasten, auf's Beten und Almosengeben, bis eines Nachts der Herrgott, der sich ihres Eifers erbarmte, der Kaiserin im Traume erschien und ihr sagte: »Ich habe Euer Gebet erhört und will Euch ein Kind schenken, wie kein anderes auf der Erde ist. Morgen soll der Kaiser, Dein Mann, mit der Angel an den Bach gehen, und den Fisch, den er fängt, bereite Du mit eigener Hand zu und dann eßt ihn.«

Es war noch nicht ordentlich Tag geworden, als die Kaiserin zum Kaiser ging und ihn aufweckte, indem sie sagte:

»Kaiser, steh auf, es ist Tag geworden.«

»Aber Frau«, antwortete der Kaiser, »was hast Du heute, daß Du mich so früh weckst? haben etwa die Feinde die Grenzen meines Reiches überschritten?«

»Um Gottes Barmherzigkeit willen, von so etwas habe[204] ich nichts gehört, aber horch' auf, was ich geträumt habe.« Und sie sagte ihm ihren Traum.

Als der Kaiser das hörte, sprang er aus den Betten, zog sich an, nahm die Angel und ging keuchend zum Bach. Er warf die Angel, und es verging nur kurze Zeit, bis er sah, wie sich der Kork der Angelschnur bewegte. Er zog die Angel heraus, und was erblickte er? Einen großen Fisch, der war ganz und gar aus Gold! Es war ein Wunder, daß er vor Freude nicht umfiel. Was sagte aber die Kaiserin, als sie ihn sah? Sie war noch mehr außer sich!

Die Kaiserin bereitete den Fisch selbst, mit eigner Hand zu, sie aßen ihn, und augenblicklich fühlte sie sich Mutter.

Die Dienerin, die den Tisch abdeckte, sah auf dem Teller der Kaiserin eine Fischgräte; da kam es ihr in den Sinn, daran zu saugen, damit sie doch auch wisse, wie Speisen schmecken, die eine Kaiserin bereitet hat.

Wie sie an der Gräte saugte, fühlte auch sie sich allsogleich Mutter.

Nach neun Monaten gebar die Kaiserin am Tage einen schönen Knaben, schön wie ein Engelchen. In der Nacht gebar die Dienerin einen Knaben, der sah genau so aus wie der Kaiserin Sohn, so daß sie nicht von einander zu unterscheiden waren. Das Kind der Magd glich ganz dem der Kaiserin! Den Kaisersohn nannte man Busujok1, den Sohn der Magd Siminok.2

Sie wuchsen zusammen auf und wurden groß, man gab ihnen Unterricht, und sie lernten in einem Tage, was andere[205] Kinder in einem Jahre lernen. Wenn sie im Garten spielten, schaute ihnen die Kaiserin vom Fenster aus mit Freuden zu.

Sie wurden groß und ähnelten sich so, daß man nie wußte, welcher der Kaisersohn und welcher der Magd Sohn war. Ihre Haltung war stolz, Beide hatten Liebreiz, ihre Rede war einschmeichelnd, und Beide waren muthig, gar zu muthig!

Eines Tages beschlossen sie auf die Jagd zu gehen. Die Kaiserin aber quälte sich immerfort, woran sie ihren Sohn erkennen könne, denn da die Gesichter sich glichen und auch die Kleidung dieselbe war, konnte sie oft den Einen nicht vom Andern unterscheiden. Sie gedachte nun ihrem Sohn irgend ein Abzeichen zu machen. Darum rief sie ihn, und indem sie sich stellte, als suche sie was an seinem Kopfe, knotete sie ihm zwei Haare zusammen, ohne daß er etwas merkte. Darauf gingen sie auf die Jagd.

Sie eilten wohlgemuth durch die grünen Felder und jagten sich wie die Lämmlein; pflückten Blümchen, benetzten sich mit Thau, sahen die Schmetterlinge fliegen und von Blume zu Blume sich wiegen, wie die Bienen Wachs sammelten und Honig anhäuften, und ergötzten sich über die Maaßen daran. Dann gingen sie an den Brunnen, tranken Wasser, um sich zu erquicken, und schauten unersättlich auf den Himmel, der sich in der Ferne zur Erde niederließ. Sie hätten bis an's Ende der Welt gehen mögen, um den Himmel in der Nähe zu betrachten, oder wenigstens so weit, bis sie an die Stelle kämen, wo die Erde ganz schwammig wird, ehe sie aufhört.

Dann gingen sie in den Wald. Als sie die Schönheiten des Waldes sahen, blieben sie mit offenem Munde stehen. Bedenkt, daß sie von all dem nichts gesehen hatten seitdem[206] sie auf der Welt waren. Wenn der Wind wehte und die Blätter bewegte, horchten sie auf ihr Gesäusel, und ihnen schien es, als ob die Kaiserin einherginge und ihr Seidenkleid nach sich schleppte. Dann setzten sie sich auf das weiche Gras in den Schatten eines großen Baumes. Hier fingen sie an zu überlegen und sich zu berathen, wie sie die Jagd beginnen sollten. Sie wollten nur wilde Bestien erlegen. Die Vögel, die um sie herumhüpften und sich auf die Zweige des Baumes setzten, beachteten sie gar nicht; ihnen that es leid, sich mit ihnen abzugeben, aber ihrem Gezwitscher hörten sie gern zu. Es war, als ob die Vögel etwas davon merkten, denn sie hatten keine Scheu, sondern sangen sogar, als sollte ihnen die Kehle zerspringen; die Nachtigallen flöteten aber nur aus dem Kropfe, damit ihr Gesang süßer sei. Und als sie so dastanden und sich berathschlagten, überkam den Kaisersohn solch eine Mattigkeit, daß er nicht aufrecht stehen konnte, und er legte seinen Kopf in Siminok's Schoß und bat ihn, ihm ein wenig den Kopf zu krauen.

Nachdem er ihm gekraut, was zu krauen war, hielt Siminok damit ein und sagte:

»Was ist das auf Deinem Kopf, Bruder Busujok?«

»Was soll da sein? Weiß ich, wonach Du fragst, Bruder Siminok?«

»Schau mal an«, entgegnete Siminok, »zwei Haarsträhnen auf Deinem Kopfe sind zusammengeknotet.«

»Wie ist das möglich?« sagte Busujok. Dies ärgerte Busujok nun so, daß er beschloß, in die weite Welt zu gehen.

»Bruder Siminok«, sagte er, »ich gehe in die weite Welt, weil ich nicht begreifen kann, warum die Mutter mir zwei Haare verknotet hat, als sie mir am Kopf herumsuchte!«[207]

»Hör', Bruder Busujok«, entgegnete ihm Siminok, »nimm Verstand an und thu so etwas nicht; denn wenn die Kaiserin das Haar geknotet hat, glaub' doch nicht, daß es in böser Absicht geschah!«

Busujok aber blieb unwandelbar bei seinem Entschluße, und als er Abschied von Siminok nahm, sagte er ihm:

»Nimm dies Tuch, Bruder Siminok, wenn Du drei Blutstropfen auf ihm siehst, dann wisse, daß ich todt bin.«

»Möge der Herr Dir beistehen, Bruder Busujok, daß es Dir wohl ergehe; ich aber bitte Dich noch einmal, bei meiner Liebe, bleib!«

»Unmöglich«, entgegnete Busujok.

Dann umarmten sie sich und Busujok machte sich auf den Weg; Siminok aber blieb und schaute ihm begierig nach, bis er ihn aus den Augen verlor.

Siminok kehrte nach Hause zurück und erzählte Alles, was sich zugetragen hatte.

Die Kaiserin war außer sich vor Herzeleid. Sie rang die Hände und weinte, daß Gott sich erbarme! Aber sie wußte nichts zu thun und tröstete sich etwas durch Siminok's Anblick. Nach einiger Zeit holte dieser das Tuch heraus, schaute es an und sah drei Tropfen Blut darauf. Da sagte er:

»Ach, mein Bruder ist gestorben! Ich gehe hin, um ihn zu suchen.«

Und er nahm sich Reisezehrung mit und machte sich auf, um ihn zu suchen. Er kam durch Städte und Dörfer, durchmaß Felder und Wälder, wanderte und wanderte, bis er an ein kleines Haus kam. Dort begegnete er einer alten[208] Frau, und die frug er nach seinem Bruder. Die Alte sagte ihm, daß derselbe der Schwiegersohn des Kaisers, der in jenen Gegenden herrsche, geworden sei.

Als Siminok an den Palast dieses Kaisers gelangte, glaubte dessen Tochter, sowie sie ihn erblickte, daß er ihr Gemahl sei, und lief ihm entgegen. Er sagte: »Ich bin der Bruder Deines Gemahls; ich habe gehört, daß er umgekommen ist, und bin hier, um über seinen Aufenthalt etwas zu erfahren.«

»Das kann ich nicht glauben!« sagte die Kaisertochter. »Du bist mein Gemahl, und ich weiß nicht, warum Du Dich jetzt verstellst. Ist meine Treue etwa auf eine Probe gestellt worden, und habe ich Dich hintergangen?«

»Nichts von alledem. Sondern ich sage Dir mit reinem Gewissen, daß ich nicht Dein Gemahl bin.«

Sie wollte das durchaus nicht glauben. Da sagte er:

»Der Herrgott soll die Wahrheit beweisen. Wer von uns beiden im Irrthum ist, den soll das Schwert, das dort am Nagel hängt, einkerben.«

Und augenblicklich sprang das Schwert herab und verletzte das Mädchen am Finger. Darauf glaubte sie ihm denn und bewirthete Siminok, wie es ihm gebührte.

Am nächsten Tage erfuhr er, daß Busujok auf die Jagd gegangen und noch nicht heimgekehrt sei. So bestieg er auch ein Pferd, nahm Windhunde und ritt seinem Bruder nach, in die Gegend, in die er gegangen war. Er ritt und ritt und gelangte in einen Wald, wo er der Waldhexe begegnete. Sowie er sie erblickte, er ihr nach und verfolgte sie! Sie entfloh, er ihr nach, bis die Waldhexe einsah, daß[209] sie keinen Ausweg hatte, sich auf einen hohen Baum schwang und so entkam.

Siminok stieg ab, band das Pferd an einen Baum, machte Feuer an, holte die Eßwaaren heraus und begann am Feuer gelagert zu essen, wobei er den Windhunden auch immer etwas zuwarf.

»O weh, o weh, mir ist so kalt«, sagte die Waldhexe, »mir klappern die Zähne.«

»Steig herab«, entgegnete ihr Siminok, »wärme Dich am Feuer.«

»Ich ängstige mich vor den Hunden«, sagte sie.

»Fürchte Dich nicht, die thun Dir nichts.«

»Wenn Du mir einen Gefallen thun willst«, sagte sie, »nimm eine Strähne meines Haarzopfs und binde Deine Hunde damit fest!«

Er steckte die Haarsträhne in's Feuer.

»Pfui, wie schlecht riecht die Strähne, die ich Dir gegeben und die Du in's Feuer gesteckt hast!«

»Mach', daß Du von hier fortkommst«, antwortete ihr Siminok »und schwatze nicht mehr Unsinn. Einer der Windhunde ist mit dem Schwanz ein Bischen an's Feuer gekommen und hat sich angesengt, darum riecht es so schlecht. Wenn Du frierst, komm herab und wärme Dich, wenn nicht, halt Deinen Schnabel und laß mich in Ruh.«

Da glaubte sie ihm, stieg herab, näherte sich dem Feuer und sagte:

»Ich habe Hunger!«

»Was soll ich Dir zu essen geben? Nimm, was Du willst von dem, was ich habe.«[210]

»Ich möchte Dich verspeisen«, sagte die Waldhexe, »mach' Dich bereit!«

»Und ich will Dich verzehren«, antwortete Siminok.

Und er hetzte die Hunde auf sie, damit sie sie zerreißen sollten.

»Halt«, sagte die Waldhexe, »halt die Hunde zurück, daß sie mich nicht zerreißen, dann will ich Dir Deinen Bruder, mit Pferd und Hunden und Allem wiedergeben.«

Siminok rief die Hunde zurück.

Darauf schluckte die Waldhexe dreimal auf und gab Busujok, das Pferd und die Windhunde aus sich heraus. Siminok aber ließ nun seine Hunde auf sie los, und die zerrissen sie in kleine Stückchen. Als Busujok zu sich kam, wunderte er sich, Siminok da zu sehen, und sagte ihm:

»Sei willkommen, wohl und munter, Bruder Siminok, aber ich habe sehr lange geschlafen!«

»Du hättest gut so lange schlafen können, wie die Welt und die Erde, wenn ich nicht gekommen wäre!« entgegnete er ihm.

Dann erzählte Siminok ihm Alles, was sich zugetragen hatte von ihrer Trennung bis zu dem Augenblicke.

Busujok aber beargwöhnte ihn; er meinte, daß Siminok seiner Frau Liebe gewonnen habe, und wollte ihm nicht glauben, als er ihm die Wahrheit gestand, daß ihm solche Gedanken nicht einmal durch den Sinn gezogen seien. Er wurde nun wie toll, da er einmal begonnen hatte, auf seine Frau eifersüchtig zu sein! Und weil er ihm böse Gedanken unterlegte, kam er mit Siminok überein, daß sie sich und ihren Pferden die Augen zubinden wollten, dann dieselben besteigen, ihnen freien Lauf lassen, und daß sie sie hinführen sollten, wohin sie wollten.[211]

So geschah es. Als Busujok ein Wimmern hörte, hielt er sein Pferd an, band sich das Tuch ab, schaute um sich – Siminok war nirgends! Denkt Euch! er war in einen Brunnen gefallen, war ertrunken und kam nie mehr aus ihm heraus!

Busujok kehrte nach Hause zurück und horchte seine Frau aus; sie sagte gerade dasselbe wie Siminok. Darauf, um sich noch mehr von der Wahrheit zu überzeugen, befahl auch er dem Schwert vom Nagel herab zu springen und den Schuldigen einzukerben. Das Schwert sprang herab und verletzte ihn am Mittelfinger.

Er härmte sich ab, er klagte, er weinte bitterlich, daß er Siminok verloren, er bereute, sich übereilt zu haben, aber Alles war vergebens, es war Nichts mehr zu ändern. Darauf wollte auch er voll Gram und Schmerz nicht mehr ohne seinen Bruder leben, ließ sich wieder die Augen verbinden, auch seinem Pferde, bestieg dasselbe und ließ es dem Walde zu eilen, in dem sein Bruder umgekommen war. Das Pferd eilte, was es konnte, und plumps! fiel es in denselben Brunnen, in den Siminok gestürzt war, und dort endete auch Busujok sein Leben. Am Himmel aber ging damals auf der Morgenstern, der Sohn des Kaisers, Busujok, und der Abendstern, der Sohn der Magd, Siminok.


Ich schwang mich in den Sattel dann,

Damit ich's Euch erzählen kann.


1

Busujok: Basiliumkraut.

2

Siminok: Geaphalium, Katzenpfötchen.

Quelle:
Kremnitz, Mite: Rumänische Märchen. Übersetzt von -, Leipzig: Wilhelm Friedrich, 1882, S. 212.
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