A. Silfwerhwit und Lillwacker.

[78] Aus Wermland.


Es war einmal ein König, der hatte eine Königin, die er sehr liebte. Nach einiger Zeit aber starb die Königin und hinterließ eine einzige Tochter. Als nun der König Witwer wurde, wendete er seine ganze Liebe der kleinen Prinzessin zu, und liebte sie wie seinen Augapfel. Die junge Königstochter wuchs heran, und ward die schönste Jungfrau, von der man je sprechen gehört.

Als die Prinzessin fünfzehn Winter alt war, ereignete es sich, daß dort ein großer Krieg ausbrach, und ihr Vater gegen die Feinde des Landes fortziehen mußte. Da der König Niemand hatte, dem er seine Tochter während seiner Abwesenheit anvertrauen konnte, so ließ er einen hohen Thurm im Walde bauen, versah ihn reichlich mit Lebensmitteln, und schloß seine Tochter mit ihrer Dienerin da ein. Zugleich ließ er ein Gebot ergehen, daß kein Mann, wer er auch sei, bei Lebensstrafe dem Thurm sich nähern solle, in dem die Jungfrauen sich befanden. Der König meinte nun alles wohl gethan zu haben,[78] um die Ehre seiner Tochter zu schützen, und zog so fort in den fernen Krieg. Unterdeß saß die Prinzessin im Thurme mit ihrer Dienerin, und machte seidene Gewirke. In der Stadt aber waren manche tapfere Königssöhne und andere Jünglinge, deren Sinn nach der schönen Jungfrau stand, und sie wünschten sehr, mit ihr zusammen zu kommen. Als sie bemerkten, daß solches nicht geschehen konnte, waren sie auf den König sehr erbittert, und sannen auf Rache. Zu dem Ende beriethen sie sich mit einem alten Weibe, die mehr als andere wußte, und baten sie, zu veranstalten, daß die Königstochter und ihre Dienerin ihre Ehre verlören, wenn sie auch nicht in der Gewalt eines Mannes gewesen. Das Weib versprach ihren Beistand hierzu. Sie bezauberte ein Paar Aepfel, legte sie in einen Korb, und ging zu dem einsamen Thurme, wo die Jungfrauen saßen.

Als die Königstochter und ihr Mädchen das alte Weib gewahrten, wie sie vor dem Windauge saß, bekamen sie eine große Lust, die schönen Aepfel zu kosten. Sie riefen dem Weibe zu, daß sie von den köstlichen Früchten kaufen wollten. Das Trollweib aber antwortete, daß sie diese nicht feil biete. Als nun die Jungfrauen nicht zu bitten aufhörten, sagte die Alte, daß sie einer jeden einen Apfel schenken wolle, sie sollten nur einen Korb über die Mauer des Thurmes herablassen. Die Prinzessin und ihr Mädchen dachten an keine Falschheit, sondern thaten, wie die Hexe gesagt hatte, und so erhielt jede einen Apfel. Die verzauberten Früchte aber hatten eine wunderbare Kraft; denn beide Jungfrauen wurden auf einmal schwanger, und ehe ein Jahr um war, gebar jede einen[79] kleinen Sprößling. Der Sohn der Königstochter wurde Silfwerhwit genannt; der Sohn der Dienerin Lillwacker1. Die beiden Knaben wuchsen heran, und wurden größer und stärker als die anderen Kinder. Sie hatten dabei ein schönes Aussehen, und glichen einander, wie zwei Beeren, so daß Jedermann wol sehen und wahrnehmen konnte, daß sie Geschwister waren.

Es währte nun sieben volle Jahre, und der König sollte vom Kriege heimkehren. Da wurde den beiden Jungfrauen sehr bange, und sie fürchteten, daß er ihre Unehre erfahren würde. Sie überlegten nun miteinander, wie sie ihre Kinder verbergen konnten, aber keine wußte hiezu Rath. Als man nun keine andere Hülfe fand, nahmen die Jungfrauen mit großen Schmerzen von ihren Söhnen Abschied, und ließen sie über Nacht vom Thurme herab, damit sie selbst ihr Glück in der Welt versuchen sollten. Beim Abschied schenkte die Königstochter dem Silfwerhwit ein kostbares Messer als Andenken an seine Mutter. Die Dienerin aber hatte nichts, ihrem Sohne zur Erinnerung mitzugeben.

Die beiden Brüder begannen nun ihre Wanderung in die Welt hinaus. Als sie einige Zeit gereis't waren, kamen sie zu einem dunklen Walde; im Walde begegneten sie einem Manne, der groß gewachsen war, und vom wunderlichen Aussehen. Der Mann trug zwei Schwerter an der Seite und führte sechs große Hunde mit sich. Er grüßte freundlich: »Guten Tag! kleine Knaben, woher seid ihr[80] gekommen, und wo hinaus geht euer Weg?« Die Jungen erzählten, daß sie von einem hohen Thurme gekommen und Willens seien, ihr Glück in der Welt zu versuchen. Der Mann entgegnete: »Ist es so, wie ihr sagt, weiß ich eure Herkunft besser als irgend ein anderer. Und damit ihr irgend ein Angedenken von eurem Vater besitzet, will ich einem Jeden von euch ein Schwert und drei Hunde geben. Eines aber müßt ihr mir versprechen, daß ihr nie euch von euren Hunden trennt, sondern sie mit euch führt, wohin ihr auch immer geht.« Die Knaben dankten für die gute Gabe des Mannes, und versprachen zu thun, wie er gesagt hatte. Hierauf schieden sie von ihm, und zogen weiter.

Als sie lange umhergereis't waren, kamen sie zuletzt zu einem Kreuzweg. Da sagte Silfwerhwit: »Mir scheint, es geht uns besser, wenn jeder für sich sein Glück versucht. Laß uns darum scheiden.« Lillwacker antwortete: »Dein Rath ist gut; wie kann ich aber da künftig wissen, ob es dir in der Welt gut geht?« »Ja so,« sagte Silfwerhwit, »es soll dir ein Zeichen sein, daß ich lebe, so lange das Wasser dieser Quelle klar ist; wenn aber das Wasser roth und trübe wird, dann bin ich todt, und ich glaube sicherlich, daß du meinen Tod rächen wirst.« Silfwerhwit tauchte nun sein Messer in die Quelle; hierauf nahm er Abschied von seinem Bruder, und sie zogen jeder ihren Weg. Lillwacker kam bald darauf an einem Königshof, wo er einen Dienst erhielt. Jeden Morgen aber wanderte er zur Quelle, um zu schauen, wie es seinem Bruder gehe.

Silfwerhwit setzte nun allein seinen Weg über hohe Berge, und tiefe Thäler fort, bis er eine große Stadt[81] erblickte. In der Stadt aber schien etwas Schlimmes geschehen zu sein, denn die Häuser waren schwarz überhangen, und die Einwohner gingen still und traurig einher, als wenn sich dort ein großes Unglück ereignet hätte. Silfwerhwit ging hinein und fragte, was die Ursache von all dieser Betrübniß sei. Die Leute antworteten: »Fürwahr, du mußt ein weit hergereis'ter Fremdling sein, da du nicht vernommen, wie der König und die Königin in Seenoth gewesen und gezwungen worden sind, ihre drei Töchter zu verloben. Schon morgen soll der Meer-Troll kommen und die älteste Prinzessin holen.« Bei diesen Neuigkeiten aber ward der Junge froh, und er dachte, daß er nun eine gute Gelegenheit hätte, Vermögen und Ruhm zu gewinnen, wenn anders ihm das Glück günstig sein wolle.

Als es Tag war, band Silfwerhwit sein Schwert an die Seite, rief seine Hunde, und wanderte allein zum Meere hinab. Als er am Meeresstrande saß, sah er die Königstochter aus der Stadt mit einem Höfling kommen, der es ihr zugesagt hatte, sie zu befreien. Die Prinzessin aber war sehr betrübt, und weinte bitterlich. Da ging Silfwerhwit ihr entgegen, und grüßte die schöne Jungfrau. Als die Königstochter und ihr Begleiter den schönen Jüngling erblickten, erschraken sie sehr, denn sie dachten, daß es der Meer-Troll wäre, der herankomme. Der Höfling aber lief vor großer Angst davon, und verbarg sich auf einem hohen Baum, der nahe am Meere stand. Als Silfwerhwit diese Bestürzung bemerkte, sagte er: »Schöne Jungfrau! Fürchtet euch nicht vor mir, ich werde euch nichts zu Leide thun.« Die Königstochter antwortete:[82] »Bist du es nicht, der kommt, um mich zu nehmen.« »Nein,« entgegnete Silfwerhwit, »ich bin hieher gekommen, um euch zu befreien.« Da freute sich die Prinzessin, daß ein so tapferer Kämpe für sie kämpfen wolle, und sie sprachen lange und freundlich miteinander. Während des Gesprächs bat Silfwerhwit, daß die Jungfrau ihm eine Bitte gewähren möchte, nämlich ihn zu lausen. Die Königstochter willigte in sein Begehren, und Silfwerhwit legte seinen Kopf auf ihre Knie; während er aber so ruhte, nahm die Prinzessin einen Goldring, und befestigte ihn unbemerkt in die Haarlocken des Jungen.

Während dies geschah, tauchte der Meer-Troll aus der Tiefe empor, so daß Schaum und Wogen weit umher Zogen. Als der Troll Silfwerhwit sah, ward er zornig und sagte: »Warum sitzest du jetzt bei meiner Prinzessin?« Der Jüngling erwiederte: »Ich denke, daß sie mehr mein, als dein sei.« Der Meer-Troll sagte: »Das wollen wir sehen; zuerst aber sollen wir unsere Hunde miteinander kämpfen lassen.« Silfwerhwit war gleich dabei, hetzte seine Hunde gegen die Hunde des Trolls, und es entstand ein großer Kampf. Das Spiel aber endete damit, daß die Hunde des Jünglings die Oberhand gewannen, und die Seehunde todt bissen. Da zog Silfwerhwit eiligst sein Schwert, ging dem Meer-Troll entgegen, und führte einen gewaltigen Hieb, so daß der Kopf des Unthiers in den Sand rollte; der Troll aber schrie erschrecklich, und fuhr in die See hinaus, so daß das Wasser hoch gegen die Wolken des Himmels anschwoll. Hierauf nahm der Junge sein in Silber gefaßtes Messer, schnitt aus dem Kopfe des[83] Trolls die Augäpfel, und verbarg sie bei sich. Er grüßte sodann die schöne Prinzessin, und ging eilig seines Weges.

Als nun der Kampf vorbei war, und der Jüngling sich entfernt hatte, kroch der Höfling vom Baume herab, und drohte der Prinzessin mit dem Tode, wenn sie nicht vor Allen sagen wolle, daß er und kein anderer sie befreit habe. Die Königstochter wagte nicht, sein Begehren zu verweigern; denn sie fürchtete für ihr Leben. Sie kehrte mit dem Höfling an den Königshof heim, wo sie mit großen Ehren und Ruhmesbezeugungen empfangen wurden. Da herrschte aber im Lande keine geringe Freude, als das Volk erfuhr, daß die älteste Prinzessin vom Meer-Troll befreit worden.

Den andern Tag lief alles auf dieselbe Art ab. Silfwerhwit ging zum Strande hinab, und begegnete der mittleren Prinzessin, als sie dem Troll überliefert werden sollte. Als aber die Königstochter und ihr Begleiter ihn gewahrten, waren sie sehr erschrocken, denn sie dachten, daß es der Meer-Troll wäre, der komme. Der Höfling kroch nun auf den Baum, wie früher. Die Prinzessin aber kam dem Wunsche des Jungen nach und lauste ihn, wie ihre Schwester gethan hatte. Sie band dabei einen Goldring in Silfwerhwits langes Haar.

Nach einer Weile hörte man ein großes Getöse aus dem Meer, und da kam ein Meer-Troll hervor, der drei Hunde und drei Köpfe hatte. Silfwerhwits Hunde aber behielten den Sieg über die Seehunde, und der Jüngling selbst erschlug den Troll mit seinem Schwert. Hierauf nahm er sein in Silber gefaßtes Messer hervor, schnitt die[84] Augäpfel des Trolls aus, und ging seines Weges. Der Hofmann aber nicht faul, kroch vom Baume herab, und zwang die Prinzessin, den Eid zu leisten, daß er, und kein andrer sie befreit habe. Sie kehrte wieder zum Königshof zurück, wo der Höfling mit großen Ehren empfangen, und für den tapfersten Kämpen gehalten wurde.

Den dritten Tag band Silfwerhwit das Schwert an die Seite, rief seine drei Hunde, und wanderte wieder zum Meere hinab. Als er nun am Seestrande saß, sah er, wie die jüngste Königstochter aus der Stadt gezogen kam, und mit ihr der tapfere Höfling ging, der, wie man glaubte, ihre Schwestern befreit hatte. Die Prinzessin aber war sehr betrübt und weinte trostlos. Da ging Silfwerhwit hin, und grüßte höflich die schöne Jungfrau. Als nun die Königstochter und ihr Begleiter den schmucken Jungen erblickten, waren sie sehr erschrocken, denn sie glaubten, daß es der Meer-Troll wäre, der komme. Der Höfling aber lief davon, und verbarg sich auf einem hohen Baum, der am Meere stand. Als Silfwerhwit ihre Furcht bemerkte, sagte er: »Schöne Jungfrau! fürchtet euch nicht vor mir, ich werde euch nichts zu Leide thun.« Die Königstochter antwortete: »Bist du es nicht, der mich nehmen soll?« »Nein,« entgegnete Silfwerhwit, »ich bin hieher gekommen, um euch zu befreien.« Da freute sich die Prinzessin, daß ein so tapferer Kämpe für sie kämpfen wolle, und sie sprachen lange und freundlich miteinander. Während des Gespräches bat Silfwerhwit, daß die schöne Jungfrau ihm eine Bitte gewähren wolle, nämlich, ihn zu lausen. Die Königstochter willigte gerne in[85] seinen Wunsch, und Silfwerhwit legte sein Haupt auf ihre Knie. Als die Prinzessin aber die Goldringe sah, welche ihre Schwestern in das Haar des Jünglings gebunden hatten, wunderte sie sich und flocht unvermerkt noch einen Ring in seine Locken.

Während dies geschah, tauchte der Meer-Troll aus der Tiefe mit vielem Getöse empor, so daß Schaum und Wogen hoch gegen den Himmel fuhren. Das Unthier hatte diesmal sechs Köpfe und neun Hunde. Als nun der Troll Silfwerhwit gewahrte, wie er bei der jungen Königstochter saß, wurde er zornig und rief: »Was hast du mit meiner Prinzessin zu thun?« Der Jüngling erwiederte: »Ich denke, daß sie eher mein, als dein wird.«

Der Troll sagte: »Darum wollen wir miteinander streiten, früher aber wollen wir unsere Hunde miteinander kämpfen lassen.« Silfwerhwit zauderte nicht, sondern hetzte seine Hunde zum Streite gegen die Seehunde, und es entstand ein hitziger Kampf. Das Spiel aber endete damit, daß die Hunde des Jungen siegten, und alle neun Seehunde todt bissen. Sogleich zog Silfwerhwit sein blankes Schwert, ging auf den Meer-Troll los, und hieb zu, so daß alle sechs Köpfe in den Sand rollten. Das Ungeheuer aber schrie entsetzlich, und fuhr in die See hinaus, so daß das Wasser hoch gegen die Wolken schwoll. Der Jüngling nahm hierauf sein in Silber gefaßtes Messer, und schnitt die zwölf Augäpfel des Trolls aus. Er grüßte die junge Königstochter, und zog eilig seines Weges.

Als nun der Kampf beendet, und der Junge fortgegangen war, stieg der Höfling vom Baume herab, zog[86] sein Schwert, und drohte der Prinzessin mit dem Tode, wenn sie nicht sagen wolle, daß er sie von dem Troll befreit habe, gleichwie er ihre beiden Schwestern befreit. Die Königstochter wagte nicht, sein Begehren zu verweigern, denn sie fürchtete für ihr Leben. Sie wanderten hierauf zusammen nach dem Königshof. Als aber der König Beide am Leben sah, herrschte eine große Freude am ganzen Hof, und sie wurden mit großen Ehrenbezeugungen empfangen. Nun erschien der Höfling freilich als ein anderer Mann, als wie er auf den Baum hinaufgekrochen, und dort oben saß. Der König ließ ein prächtiges Gastmahl zubereiten, mit Lust und Spiel, und Tanz und Saitenspiel, und versprach dem Höfling seine jüngste und liebste Tochter zum Lohn für seinen Mannesmuth.

Mitten unter den Hochzeitsfreuden, während der König mit seinen Mannen zu Tische saß, wurde die Thür geöffnet, und Silfwerhwit kam, seinen Hunden folgend. Der Junge trat kühn hinein in den Gastsaal, und grüßte den König. Als aber die drei Königstöchter ihn wieder erkannten, wurden sie sehr erfreut, sprangen vom Tische auf, und liefen dem Fremdling entgegen. Hierüber wunderte sich der König sehr, und fragte, was solches zu bedeuten habe. Da erzählte die jüngste Prinzessin, wie alles sich zugetragen, vom Anfang bis zu Ende, und daß Silfwerhwit derjenige war, der sie befreit hatte, während der Höfling oben im Baume saß. Zu noch mehrerer Gewißheit suchten die Königstöchter jede ihren Goldring auf, den sie in Silfwerhwits Haare geflochten hatten. Der König aber wußte noch nicht recht, was er von Allem diesem denken[87] sollte. Da sagte Silfwerhwit: »Herr und König! Damit du nicht an den Worten deiner Töchter zweifelst, kannst du hier die Augäpfel von den Meer-Trollen schauen, die ich ermordete.« Nun erkannnten der König und alle seine Mannen, daß die Prinzessinnen die Wahrheit erzählt hatten. Der betrügerische Höfling erlitt nun seine wohlverdiente Strafe; Silfwerhwit aber gelangte zu großen Ehren, und gewann die jüngste Königstochter, und mit ihr das halbe Reich.

Als nun die Hochzeit zu Ende war, zog Silfwerhwit mit seiner jungen Braut zu einem großen Königsschloß, und lebte mit ihr im Frieden und im Glücke. Da ereignete es sich eines Nachts, während Alles schlief, daß es an das Windauge klopfte, und man eine Stimme rufen hörte: »Silfwerhwit! komm, ich will mit dir reden.« Der König wollte seine junge Frau nicht wecken, sondern stand schnell auf, band sein Schwert an die Seite, rief seinen Hunden und ging hinaus. Als er unter freiem Himmel kam, stand vor ihm ein Troll, der groß und grimmig dem Aussehen nach war. Der Troll sagte: »Silfwerhwit! du hast meine drei Brüder ermordet, und ich bin gekommen, ihren Tod zu rächen. Daher ist mein Vorschlag, daß du mit mir zum Seestrande gehst, und daß wir dort miteinander kämpfen.« Dieser Vorschlag gefiel dem Jungen, und er folgte dem Troll ohne Widerspruch. Als sie nun gegen das Meer gekommen, lagen dort drei große Hunde, die der Troll mit sich geführt. Sogleich hetzte Silfwerhwit seine Hunde gegen die Trollhunde, und es entstand ein wüthender Kampf; das Spiel aber endete[88] damit, daß die Trollhunde entweichen mußten. Hierauf zog der König sein Schwert, ging tapfer auf den Troll los, und es fielen so manche treffliche Hiebe, und ein gewaltiger Kampf entstand. Als aber der Troll merkte, daß der Kampf sich zu seinem Nachtheil wende, erschrak er, und lief schnell hinweg zu einem hohen Baum. Silfwerhwit und seine Hunde liefen nach, und die Hunde bellten heftig. Da begann der Troll, für sich zu bitten, und sagte: »Lieber Silfwerhwit, ich will für meine Brüder Strafgeld geben. Bringe aber deine Hunde zum Schweigen, während wir miteinander sprechen.« Der König befahl nun seinen Hunden still zu schweigen, es half aber nichts, sondern die Thiere bellten stärker als früher. Da nahm der Troll drei Haare von seinem Kopfe, reichte sie Silfwerhwit, und sagte: »Lege ein Haar über jeden Hund, so werden sie sich ruhig verhalten.« Der König that, wie er gesagt, sogleich schwiegen die Hunde, und lagen regungslos, als wenn sie an die Erde festgeschmiedet wären. Nun merkte Silfwerhwit, daß er betrogen worden; es war aber zu spät. Der Troll stieg nun vom Baume herab, zog sein Schwert, und fing den Zweikampf von Neuem an; sie hatten aber noch nicht viele Hiebe miteinander gewechselt, als Silfwerhwit die Todeswunde empfing, und in seinem Blute am Boden lag.

Die Sage wendet sich nun zu Lillwacker. Er ging am Morgen zur Quelle am Kreuzwege, und fand sie voll mit Blut. Da wußte er, daß Silfwerhwit todt war, und er erinnerte sich seines Versprechens, seinen Pflegebruder zu rächen. Er rief seinen Hunden, band sein Schwert[89] an die Seite, und wanderte fort, bis er zu einer großen Stadt kam. In der Stadt aber war alles vollauf vor Freude, das Volk schwärmte auf den Straßen, und die Häuser waren mit Scharlach überhangen und mit andern prächtigen Stoffen. Lillwacker fragte, was die Ursache von all dieser Lustbarkeit wäre. Das Volk antwortete: »Gewiß mußt du aus der Ferne sein, da du nicht weißt, daß ein tapferer Kämpe hiehergekommen, Namens Silfwerhwit; er hat unsere drei Prinzessinnen befreit, und ist unseres Königs Eidam.« Lillwacker fragte nun, wie dies alles zugegangen sei; hierauf wanderte er seines Weges, bis er Abends zum Königshof kam, wo Silfwerhwit mit seiner schönen Braut wohnte.

Als nun Lillwacker in das Thor der Burg eintrat, begrüßten ihn Alle, als den König; denn er war seinem Pflegebruder so ähnlich, daß Keiner sie von einander unterscheiden konnte. Als der Junge in das Schlafgemach kam, glaubte auch die Königin, daß es Silfwerhwit wäre; sie ging ihm daher entgegen, und sagte: »Herr und König! wo bliebst du so lange? Ich habe mit Kummer deine Heimkunft erwartet!« Lillwacker antwortete nicht viel auf diese Rede, sondern war schweigsam und wortkarg. Er ging hierauf mit der Königin zu Bette, legte aber ein blankes Schwert zwischen sich und ihr. Die junge Frau wußte nicht, was sie von Allem diesem denken sollte, da ihr Gemahl diese wunderliche Gewohnheit früher nicht gehabt hatte. Aber sie dachte: »Es ist nicht gut, nach seinem Geheimniß zu fragen, und sagte daher Nichts.«[90]

Nachts, während Alles schlief, klopfte es an das Windauge, und man vernahm das Rufen einer Stimme: »Lillwacker! komm, ich wünsche mit dir zu sprechen.« Der Junge stand sogleich auf, griff nach seinem Schwert, rief seinen Hunden, und ging hinaus. Als er nun unter freien Himmel kam, stand vor ihm derselbe Troll, der Silfwerhwit getödtet hatte. Der Troll sagte: »Lillwacker! folge mir, so sollst du deinen Pflegebruder treffen.« Der Junge war sogleich bereit, mitzugehen, der Troll ging voraus. Als sie nun zum Meeresstrande kamen, waren dort drei große Hunde, die der Troll mit sich führte. Etwas weiter davon, wo der Kampf bestanden, lag Silfwerhwit in seinem Blute, und neben ihm lagen seine Hunde, an die Erde festgebannt. Da erst wußte Lillwacker, wie sich alles zugetragen, und dachte, daß er gerne sein Leben wagen wolle, um seinen Pflegebruder zu rächen. Sogleich hetzte er seine Hunde gegen die Trollhunde, und es entstand ein wüthender Kampf; das Spiel aber endete damit, daß Lillwackers Hunde den Sieg behielten. Der Junge zog hierauf sein Schwert, und ging mit einem großen und herzhaften Hiebe auf den Troll los. Als aber der Troll merkte, daß ihm der Kampf nachtheilig werde, lief er hinweg, und floh auf einem hohen Baum. Lillwacker und seine Hunde liefen nach, und die Hunde bellten heftig. Da begann der Troll, für sich zu bitten, und sagte: »Lieber Lillwacker! ich will Sühngeld für deinen Pflegebruder geben, bringe aber deine Hunde zum Schweigen, während wir miteinander sprechen.« Zugleich reichte ihm der Troll drei Kopfhaare, und sagte: »Lege über jeden Hund eines[91] davon, so werden sie sich dann still verhalten.« Lillwacker aber merkte, daß ein Betrug dahinter stecke, nahm hierauf die drei Kopfhaare, und legte sie statt über die seinen, über die Trollhunde. Sogleich fielen diese zur Erde, und lagen regungslos, als wenn sie ohne Leben wären.

Als nun der Troll sah, daß sein Anschlag nicht gelungen, erschrak er sehr, und sagte: »Lieber Lillwacker! ich will dir Sühngeld für deinen Bruder geben, lasse mich aber in Frieden.« Der Jüngling fragte: »Was könntest du mir wol geben, das mir so theuer wäre, wie das Leben meines Pflegebruders?« Der Troll entgegnete: »Hier gebe ich dir zwei Flaschen. In der einen ist ein Wasser von der Beschaffenheit, daß, wenn du irgend Jemand damit besprengst, der todt ist, er sogleich wieder auflebt; in der andern aber ist ein Wasser solcher Art, daß, wenn du etwas damit bestreichst, und es kommt Jemand an den Ort, so wird er sogleich festgehalten. Und ich glaube, daß man kaum größere Kostbarkeiten, als diese beide finden mag.« Lillwacker sagte: »Dein Vorschlag gefällt mir, und ich will ihn annehmen, aber eines mußt du mir hiebei versprechen, daß du die Hunde meines Pflegebruders losmachst.« Der Troll ging hierauf ein, stieg vom Baume herab, und blies die Hunde an, daß sie wieder frei wurden. Hierauf nahm Lillwacker die beiden Flaschen, und wanderte mit dem Riesen vom Meeresstrande fort.

Als sie nun ein Stück zusammen gegangen waren, kamen sie zu einer großen Steinhöhle, die dicht am Wege lag. Da eilte Lillwacker voraus, und strich unbemerkt etwas aus der einen Flasche auf den Stein. Als nun der Troll[92] dort vorbeigehen sollte, hetzte der Junge alle seine sechs Hunde auf einmal, so daß der Riese entwich, und es sich so fügte, daß er die Steinhöhle berührte. Der Troll war nun festgebannt, und vermochte sich nicht von der Stelle zu bewegen; nach einer Weile aber kam der Tag im Osten herauf, und beleuchtete den Stein. Als nun der Riese die Sonne sah, barst er, und das war sein Ende.

Lillwacker sprang hierauf zu seinem Pflegebruder hin, und besprengte ihn mit dem Wasser aus der andern Flasche, so daß er wieder zum Leben kam. Da war eine große Freude, wie man wol denken mag. Die Pflegebrüder begaben sich hierauf zum Königshof, und erzählten unter Wegs ihre Schicksale und Abenteuer. Lillwacker erzählte, wie er die Noth seines Freundes erfahren, und wie er zum Königshof gekommen, und dort für den jungen König gehalten wurde. Er scherzte zugleich darüber, daß er mit der Königin zu Bette gegangen, ohne daß sie es merkte, daß es ein anderer, als ihr rechter Gemahl war. Als aber Silfwerhwit dieses gehört hatte, dachte er, daß Lillwacker die Königin zu Unehren gebracht, und es ging ihm schnell zu Gemüthe, so daß er im Zorne sein Schwert zog, und es in den Leib seines Pflegebruders stieß. Lillwacker fiel nun todt zu Boden, und Silfwerhwit ging allein zum Königshof heim. Die Hunde des Jungen aber wollten ihren Herrn nicht verlassen, sondern legten sich heulend um seinen Körper, und leckten an seiner Wunde. Am Abend, als der junge König und seine Gemahlin zu Bette gehen sollten, fragte ihn die Königin, warum er so schweigsam und wortkarg war. Silfwerhwit antwortete hierauf wenig. Da sagte[93] die Königin: »Ich habe mich sehr gewundert über das, was sich während der letzten Tage zugetragen; aber doch gelüstet es mich, zu wissen, warum du in der Nacht zwischen uns ein blankes Schwert legtest?«

Nun ging Silfwerhwit ein Licht auf, er begriff, daß sein Pflegebruder unschuldig ermordet worden, und bereute es bitter, daß er Lillwacker so schlecht für sein Leben gelohnt hatte. Der König stand hierauf sogleich auf, und ging zum Orte hin, wo sein Pflegebruder lag. Er nahm Lebenswasser aus seiner Flasche, und wusch die Wunde des Jungen, sogleich lebte Lillwacker wieder auf, und die beiden Pflegebrüder wanderten fröhlich und freudig wieder zum Königshof.

Als sie nun zurückgekommen, erzählte Silfwerhwit seiner Gemahlin, wie Lillwacker sein Leben befreit hatte, und was für andere Abenteuer sie zusammen bestanden hatten. Da herrschte Lust und Freude am ganzen Königshof, und die Jungen wurden von Allen mit großen Ehren empfangem.

Nachdem aber Lillwacker dort einige Zeit verweilt hatte, freite er um die mittlere Prinzessin, und erhielt ihr und ihrer Freunde Jawort und Einwilligung. Hierauf wurde die Hochzeit mit großem Pomp gefeiert, und Silfwerhwit theilte das halbe Reich mit seinem Bruder.

Die beiden Brüder aber lebten zusammen in Frieden und Einigkeit, und wenn sie nicht todt sind, mögen sie wol heute noch leben.

1

D.i. Silberweiß und kleiner Wächter.

Quelle:
Hyltén-Cavallius, Gunnar/Stephens, George: Schwedische Volkssagen und Märchen. Wien: Haas, 1848, S. 78-94.
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