997. Arme Seelen vor dem Ofen.

[8] a) Pfarrer Lusser in Altdorf (gest. 1891) schimpfte einmal stark mit seiner Magd, weil er bemerkte, dass sie Holz achtlos vor den Ofen hinwarf, und sagte, sie solle es nicht so raass hinwerfen, sondern sorgfältig, hübscheli hinlegen; vor dem Ofen seien arme Seelen, die die Wärme aufsuchen.


Theresia Gisler, 73 Jahre alt, Spiringen.


b) Auch Pfarrer Arnold in Unterschächen (gest. 1898) habe die nämliche Mahnung erteilt und sie damit begründet, es sei auf jedem Scheit eine arme Seele.


Frau Müller Imholz, 52 Jahre alt, Unterschächen.


c) Auf Arni im Moosberg hatte die Lawine ein Haus zerstossen, und der Besitzer baute an einer andern Stelle ein neues. Da hörte er eines Tages auf dem alten Hausplatz flennen und merkte, dass es eine arme Seele sei. »Wenn d'niemmerem nyt z'leid tüesch, chansch ja im nywä Hüs ichehrä!« rief er ihr zu. Da kam sie in Mannsgestalt ins neue Haus und nahm ihren Platz auf dem Sitz hinter dem Ofen ein, und er gab ihr ein Schemelchen, dass sie ihre Füsse darauf setzen konnte. Ausser dem Bauer sah sie niemand. Nach einem Jahr sah er sie ganz schneeweiss vom Hause über den Treschenbüel dahinschweben und verschwinden (19. Jahrhundert).


Frz. Jos. Zurfluh.


d) Als Franziska Gisler zu Flüelen gestorben, wurde sie noch oft von einem Verwandten hinter dem Ofen auf der Bank sitzend gesehen, bis sie durch heilige Messen erlöst war.


Frau Gisler-Zwyssig.[8]


e) In einer Alp in Meien hatte ein Alpler die Kühe schlecht gemolken, so dass sie ums Euter kamen. Aber nach seinem Tode hat man den noch lange gesehen ohne Kopf in der Alphütte umgehen und an den Käsen schaffen. Als einst bei der Alpabfahrt der Bauer in seinem Bodenheim ankam, war der Geist auch schon da, stand neben dem Ofen und fragte, ob er nicht im Haus bleiben dürfte bei Feuer und Licht. Er wollte sich begnügen und hinter dem Ofen sitzen. Aber der Bauer meinte, er und die Frau hätten nichts dagegen, aber die Kinder würden sich vor ihm fürchten, und erlaubte ihm den Aufenthalt nicht.

Ein Älpler, der an der Alphütte vorbeiging, hörte einst den Geist überlaut seufzen: »Ich bi doch än armi Seel!«


Frau Baumann-Dubacher.


f) In einem Hause im Isental liess sich lange Zeit hindurch ein geisterhafter Mann blicken, der hinter dem Stubenofen auf der Treppe sass und tubäcklete. Die Leute glauben, es sei der verstorbene Grossvater gewesen. Wie es mit ihm gegangen oder was die Hausinsassen zu seinen Gunsten getan, weiss ich nicht (19. Jahrhundert).


Maria Ziegler.


g) Kaum hatte Peter Anton Furrer die Pfarrei Seelisberg angetreten (1844), besuchte er auch schon jedes Haus seines Wirkungskreises. Dabei kam er so zum-män-ä-n-üffputztä Maitli. Als er die Stube wieder verliess, schlug »es« ihm die Stubentüre so heftig an die Fersen, dass er beinahe gefallen wäre. »Da isch eppis nitt sübers«, dachte er, kehrte in die Stube zurück und stellte das Maitli zur Rede. Das aber lachte nur und meinte, es habe nie etwas gemerkt und nie gehört, dass etwas da nicht in Ordnung wäre. Und darnach verlangte er zwei gesegnete Kerzen und hiess das Mädchen, nachdem es die Kerzen gebracht, die Stube verlassen. Nach einer Weile konnte es wieder eintreten. Der Pfarrer, ganz in Schweiss gebadet, sagte, auf dem Ofenbänkli, nahe der Stubentüre, sitze schon seit 70 Jahren eine arme Seele, ein Greis, dem die stets fliessenden Augentränen tiefe Rinnen längs der Nase ins Gesicht gegraben. Seine Kniescheiben seien ganz zerfetzt, da die aus- und eintretenden Personen ihm allemal die Türe an die Knie geschlagen. Er habe viele Leute in seinem Leben geschädigt, und er, der Pfarrer, wolle nun mit ihnen reden, dass sie es ihm schenken, dann werde der Geist erlöst sein; vorher nicht.


Frau Arnold-Tresch, 52 Jahre alt, in Seedorf.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 8-9.
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