1091. Der Geist im Kalkofen und seine Erlösung.

[47] In der Intschialp ist ein uralter Kalkofen, so alt, dass seine Entstehung in Wilhelm Tells Zeiten versetzt wird. Als die »Grafen« von Silenen ihr Schloss drunten in der Nähe von Amsteg erbauten, liessen sie hier den Kalk brennen. Einige Zeitlang stand hernach der Ofen müssig da, und währenddem nahm ein Geist seinen Wohnsitz drin. Endlich sollte er wieder gebraucht werden. Viele Leute hatten nun mit der darinnen festgebannten Seele herzliches Mitleiden, betrachteten die Ofenglut als Fegfeuer derselben, kamen herbei, knieten nieder und beteten um Erlösung für sie. Wirklich, wie der Kalk bald gebrannt war, kam der Geist, den Betenden[47] sichtbar, ganz weiss zum Feuerloch auf einem Brett gehend heraus. Seine Fusstritte auf selbigem Brette wollte das Volk noch hundert Jahre nachher zeigen, und jetzt noch (1862) lebt die Sage im frischen Andenken.


(aus Lütolf 148, Nr, 82.)


Ja, dass arme Seelen in einem brennenden Kalk leiden, haben die Alten immer gesagt. Einmal habe eine solche arme Seele, als sie aus dem Ofen kam, die Spuren ihrer Fusstritte auf einem Brett eingebrannt zurückgelassen.


Franz Josef Zurfluh, Intschi, 1921.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 47-48.
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