1250. Erhängen.

[141] a) In der Alp Sewen in Meien war es den Älplern langweilig. Daher wurden sie einig, einmal zu probieren, wer es am längsten, aufgehängt im Seil, aushalten könne. Einer hängte sich daran, und die zwei andern schauten zu. Da entstand im Stafel vor der Hütte ein furchtbarer Lärm unter dem Vieh. Schnell liefen sie hinaus, im Schrecken vergessend, ihren Kameraden aus der Schlinge zu nehmen. Als sie hinauskamen, hörten sie nur noch aus weiter Ferne den Klang der Trinkeln und Schellen. Das Vieh war verschwunden. Sie kehrten in die Hütte zurück. Als sie den Kameraden lösten, war er tot und fiel in Staub und Asche zusammen. Jetzt berieten sie sich wegen des verschwundenen Viehes mit einem Kapuziner. Der sagte; »Es wird zurückkehren. Dann wird euch eine Stimme rufen, ihr sollet kommen und es holen. Aber tut das nicht, sondern antwortet, es solle selber das Vieh hinstellen, wo's es genommen.« So kam es. Nach vierzehn Tage rief eine Stimme oben am Schystock: »Kommet, holet euer Vieh!« Aber sie riefen zurück: »Tu es selber, wo du es genommen hast!« Da kam das Vieh vom Stock herab, gesund und heil, und jedes Stück stand genau da, wo es im Moment vor dem Entschwinden[141] gestanden hatte. Man mutmasst, es sei in der Türkei gewesen, weil es zwischen den Klauen Türkenkorn mitbrachte.


Johann Baumann, Schindeler, 70 Jahre alt, Wassen.


b) Variante von Ursern. Ein Goldfuchs, d.h. ein roter Fuchs mit weissem Brustfleck, lief an der Hüttentüre vorbei.


Peter Anton Gamma, Alpknecht, 50 Jahre alt, von Göschenenalp.


c) Es war einst ein hoher Feiertag, und da läutete es zum Gottesdienst. Da waren vier Burschen in einer Wirtschaft. Da sagten sie zueinander, sie gehen nicht in den Gottesdienst, sie gehen spazieren. Da gingen sie einen Berg hinauf zu einem Stall, und da wussten sie nicht, wie sie die Zeit vertreiben könnten. Und da sagten sie zueinander, sie wollten versuchen, welcher es am längsten aushalten könne, am Strick zu hangen. Da gingen sie hinein und machten den Strick bereit. Dann ging einer an diesen Strick, und die andern zogen ihn empor, und einer stellte ihm einen Schemel unter die Füsse. Und während der Zeit, da sie am Strick zogen, sprang ein Fuchs auf drei Beinen an der Türe vorbei, und die drei liefen dem Fuchs nach. Während dieser Zeit wütete der andere und stiess den Schemel unter den Füssen weg. Als sie zurückkamen, war er erwürgt, und auf diese Weise bekam ihn der Teufel.

d) In einem Berggut auf Golzer erlustigte sich eines Abends das Volk bei Spiel und geschwungener Nidel. Die Gesellschaft wurde nach und nach sehr ausgelassen, und der Frechste aus ihnen warf von Zeit zu Zeit dem Heiland in der Herrgotts-Scherten einen Schleck Nidel hinauf mit den Worten: »Sä da, müesch äu ä chly ha!« Zuletzt kam es ihnen in den Sinn, sie wollten probieren, wie lange es einer beim Erhängen im Strick aushalten könne. Jener wüste Frechling war der erste, der die Probe machte. Wie er sich ins Seil hängte, begannen die Kühe im Stall furchtbar zu brüllen. Alle Zuschauer liefen dem Stall zu, um zu sehen, was es gebe, und liessen jenen allein. Als sie zurückkamen, war der Stuhl unter ihm umgestürzt und er selber tot. Im Stalle war aber alles in Ordnung gewesen. »Da hennd äu nitt Kiäh 'priäschet!« meint die Erzählerin, Christina Exer, Silenen.

Nach anderer Erzählart waren es drei oder mehr junge Burschen, Brüder, die während des Sonntagsgottesdienstes, den sie schwänzten, das Probestück leisteten. – Seit jener Zeit heisst das Gut »Metzgerberg.«


Franz Epp, Bristen, und a.[142]


e) Wartstafel heisst ein Teil der Gornernalp, eine Erhebung daselbst die Wartegg und ein grosser Felsblock der Wartstein. – Zwei müssige Älpler hatten einst beim Wartstein einen lebhaften Disput miteinander; der eine behauptete hartnäckig, man sei imstande, sich mit einem gewöhnlichen Riedhalm zu erhängen, der andere bestritt es standhaft. Es sollte eine Wette gelten. Der erstere zieht aus der Alpstreue einen Riedhalm heraus, befestigte ihn an der Latte, die sie über den breiten, nach unten sich erweiternden Spalt des Wartsteins gelegt hatten, hängt sich daran, während der Kamerad zuschauen soll, um im Ernstfall zu Hilfe zu eilen. Im selben Augenblick läuft aber hinkend und wackelnd ein dreibeiniger Hase an der Hütte vorüber; der Zuschauer erblickt ihn, ruft dem Kameraden: wart, wart! und läuft dem unglückseligen Tiere nach, das nach zahllosen Kreuz- und Quersprüngen und allerlei Kapriolen auf einmal nirgends mehr zu sehen ist. Nun kehrt der enttäuschte Verfolger in die Hütte zurück, trifft aber zu seinem Schrecken den Freund tot im Riedhalm hängend. Seither heisst dieser Teil der Gornernalp Wartstafel.


Josef Baumann, 80 Jahre alt, und

Jos. Gamma, 30 Jahre alt, Gurtnellen, und a.


f) Als man den Heuhalm näher untersuchte, fand man, dass ein Draht hindurchgezogen war. – Ort unbekannt.


Ferdinand Furrer, 35 Jahre alt, Erstfeld.


g) Einige kleinere und halberwachsene Kinder versäumten den Sonntagsgottesdienst und wurden, als sie nicht mehr wussten, wie die Zeit totschlagen, rätig zu probieren, welches es am längsten, in einem Seil aufgehängt, aushalten könne. Eines machte den Anfang. Es hing im Seil, und die andern passten auf, um es im rechten Augenblick zu lösen. Da kam ein roter Hund an das Stubenfenster, schaute hinein, machte Faxen, tänzelte. Das Schauspiel war zu interessant. Dem mussten die Kinder abpassen und zuschauen. Dabei verloren sie den Gespanen im Seil aus den Augen, und als sie nach dem Verschwinden des Hundes nach ihm aufschauten, war er tot.


Franz Müller, 40 Jahre alt, Altdorf.


h) Ihrer zwei wollten probieren, ob sie die schöne Musik, die jene erfreut, die sich erhängen, auch zu hören bekämen. Da hängte sich der Eine auf; er hatte aber mit dem Andern ausgemacht, dass dieser den Strick entzwei schneide, wenn[143] er zu zappeln beginne. Da kam aber ein Hase gesprungen, und der Aufpasser lief ihm nach, aber erwischte ihn nicht. Er vergass unterdessen seinen Kameraden im Strick und traf ihn tot an, als er von der vergeblichen Jagd zurückkehrte.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 141-144.
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