22. Zu Eurem Wohlsein.1

[197] Es war einmal, der Himmel weiss wo, irgendwo war einmal ein König. Das war ein so mächtiger König, dass, wenn er nieste, das Volk im ganzen Lande dazu sagen musste: »Zu Eurem Wohlsein!« Manchmal, wenn er den Schnupfen hatte, konnte man im Lande auch gar kein anderes Wort hören, als: »Zu Eurem Wohlsein!« Jeder Mensch sagte das, nur der sternenäugige Schäfer wollte es nie sagen.

Das erfuhr der König, da war er sehr erzürnt und liess den Schäfer zu sich rufen.[197]

Der Schäfer geht hin und bleibt vor dem König stehen, der doch auf einem Throne sass, überaus mächtig war und schrecklich zornig dazu. Aber wie mächtig und wie zornig der König auch war, der sternenäugige Schäfer fürchtete sich doch nicht vor ihm.

»Sage augenblicklich: Zu meinem Wohlsein!« fuhr ihn der König an.

»Zu meinem Wohlsein!« sagte der Schäfer zur Antwort.

»Zu meinem, zu meinem, du Lump, du Landstreicher!« lärmte der König.

»Zu meinem, zu meinem, Eure Majestät!« antwortete jener.

»Aber zu meinem, zu meinem eigenen,« brüllte der König und schlug sich wütend auf die Brust.

»Nun, zu meinem, freilich, zu meinem eigenen!« sagte der Schäfer wieder und schlug sich dabei sanft auf die Brust.

Da wusste der König vor Wut schon nicht, was er thun solle; aber da mischte sich der Hoppmeister hinein.

»Wirst du jetzt gleich sagen, wirst du augenblicklich sagen: zu Eurem Wohlsein, Majestät! – denn wenn du es nicht sagst, bist du ein Kind des Todes.«

»Ich werde es nicht eher sagen, bis ich die Prinzessin zum Weibe bekomme,« antwortete der Schäfer.

Die Prinzessin war auch im Zimmer anwesend; sie sass auf einem kleinen Throne neben ihrem königlichen Vater und war so wunderschön, ganz wie eine goldene Taube; nun, aber wie wunderschön sie auch immerhin war, so musste sie doch lachen bei den Reden des Schäfers; denn der sternenäugige Schäfer hatte ihr gefallen, er hatte ihr besser gefallen als irgend ein Königssohn.

Der König aber befahl, den Schäfer augenblicklich in den Zwinger des weissen Bären zu werfen.

Die Trabanten führten ihn auch weg und warfen ihn in den Zwinger des weissen Bären, dem sie zwei Tage lang nichts[198] zu essen gegeben, damit er um so blutgieriger werde. Kaum hatten sie die Thüre zugemacht, so stürzte der Bär gleich auf den Schäfer los, um ihn zu zerreissen und aufzufressen; doch wie er sein Sternenauge gesehen, erschrak er so sehr, dass er beinahe sich selbst aufgefressen hätte, hockte sich in dem entferntesten Winkel nieder und sah ihn von dort an, getraute sich aber nicht, ihm etwas zu thun, da er doch so hungrig war; er leckte nur an seinen Tatzen vor grossem Hunger. Der Schäfer aber wandte kein Auge von ihm, und um sich wach zu erhalten, machte er Lieder, weil er wusste, dass ihn der Bär augenblicklich zerreissen würde, wenn er einschlafen sollte.

Aber er schlief nicht ein.

Am Morgen kommt der Hoppmeister, um nach den Knochen des Schäfers zu sehen, und da sieht er, dass diesem nicht das geringste fehlt. Er führte ihn hinauf zum König, der in fürchterlichen Zorn geriet und sagte: »Nun, jetzt warst du dem Tode nahe, wirst du jetzt schon sagen: zu meinem Wohlsein?«

Aber der Schäfer sagte nur: »Ich fürchte mich nicht einmal vor zehn Toden! ich werde es erst dann sagen, wenn ich die Prinzessin zum Weibe bekomme.«

»So gehe also in die zehn Tode!«

Und der König befahl, ihn in den Zwinger der Riesenstachelschweine zu werfen. Die Trabanten warfen ihn auch hinein und gaben den borstigen Stachelschweinen eine Woche lang nichts zu essen, damit sie um so wilder würden. Wie aber die Schweine auf ihn losrennen, um ihn in Stücke zu reissen, nahm der Schäfer eine kleine Flöte aus dem Ärmel seines Szür,2 die am Tage des heiligen Wendelin geschnitzt worden, und begann darauf das Lied des heiligen Wendelin zu blasen, worauf die Stachelschweine scheu zurücktraten, dann[199] aber sich die Tatzen gaben und zu Tanze sprangen. Der Schäfer hätte für sein Leben gern gelacht, wie er diese Tiere ohne Schnauzen so tanzen sah, aber er traute sich nicht, das Flötenblasen zu unterbrechen, weil er wusste, dass sie dann augenblicklich auf ihn losstürzen und ihn auffressen würden; denn für diese konnte er lange seine Sternenaugen haben, – zehn Schweinen konnte er nicht zu gleicher Zeit in die Augen sehen; deshalb blies er nur immer das Wendelinslied; erst langsam, so dass die Stachelschweine einen »Andalgo«3 tanzten, aber dann immer schneller, bis er ihnen zuletzt einen solchen »Frischtanz«4 aufspielte, dass sie die kleinen Verschnörkelungen schon gar nicht mehr zwingen konnten und ganz erschöpft auf einen Haufen fielen. Jetzt erst begann der Schäfer zu lachen, aber da lachte er so stark, dass ihm noch am Morgen, als der Hoppmeister kam, um nachzusehen, ob noch etwas von seinen Knochen übrig geblieben sei, die Thränen über die Backen liefen vom vielen Lachen.

Er führte ihn dann hinauf zum König, der noch mehr in Zorn geriet, dass sogar die Schweine den Schäfer nicht haben zerreissen können, und sagte: »Nun, jetzt warst du den zehn Toden nahe; also sagst du denn schon einmal: zu meinem Wohlsein?«

Aber der Schäfer unterbrach ihn mitten im Wort:

»Ich fürchte mich nicht vor hundert Toden; ich werde es erst dann sagen, wenn ich die Prinzessin zum Weibe bekomme.«

»So gehe also in die hundert Tode!« schrie der König und befahl, den Schäfer in die Sensengrube zu werfen.

Die Trabanten schleppten ihn denn auch in den finsteren[200] Kerker, in dessen Mitte ein tiefer Brunnen ist, rund herum mit scharfen Sensen besteckt; am Grunde des Brunnens aber brennt ein kleines Licht, dass man sehen könne, wenn jemand hineingeworfen wird, ob er bis auf den Grund hinuntergefallen sei.

Wie sie den Schäfer dorthin schleppten, bat er die Trabanten, sie mögen ein klein wenig hinausgehen, während er in die Sensengrube hinunterschaut; er wolle sich's vielleicht noch überlegen, vielleicht sagt er dem König doch: zu Eurem Wohlsein! Die Trabanten gingen hinaus, er stellte aber seinen Fokos5 neben die Grube, hängte seinen Szür daran und setzte seinen Hut auf das Ganze; aber vorher hängte er noch seinen Schnappsack auf, dass auch ein Körper im Szür sei, dann aber schrie er den Trabanten zu, dass er sich's schon überlegt habe und es trotz alledem doch nicht sagen werde. Die Trabanten gingen hinein und stiessen Szür, Hut und Schnappsack in die Grube; sie horchten, wie das von Sense zu Sense fiel, bis es hinunter gelangt war, und sahen ihm nach, wie es das Licht auslöschte; dann gingen sie weg, ganz beruhigt, dass es nun aber schon wirklich aus sei mit dem Schäfer; der aber lachte im dunklen Winkel.

Am anderen Tag kommt der Hoppmeister mit einer Lampe, der fiel aber beinahe zur Erde, so lang er war, als er den Schäfer erblickte. Er führte ihn dann hinauf zum König, der jetzt schon gar in noch viel grössere Wut geriet, aber ihn darum doch fragte:

»Nun, jetzt warst du in hundert Toden, wirst du jetzt schon sagen: zu Eurer Gesundheit?«

Aber der Schäfer sagte nur so viel:

»Ich sage es nicht eher, bis ich die Prinzessin zum Weibe bekomme!«[201]

»Vielleicht wirst du es auch billiger geben,« sagte der König, als er sah, dass er den Schäfer auf keine Weise aus dem Wege räumen könne, und befahl, die königliche Kutsche anzuspannen; dann liess er ihn sich an seine Seite setzen und befahl, in den silbernen Wald hinauszufahren; dort aber sagte er zu ihm: »Siehst du diesen silbernen Wald? wenn du mir sagst: zu Eurem Wohlsein! gebe ich ihn dir.«

Da wurde es dem Schäfer bald kalt, bald heiss, aber darum sagte er doch:

»Ich sage es nicht eher, bis ich die Prinzessin zum Weibe bekomme!«

Der König aber ward gar betrübt; er liess weiter fahren, und sie kamen zum goldenen Schlosse; dort aber sagte er:

»Siehst du dieses goldene Schloss? auch das will ich dir geben, den silbernen Wald und das goldene Schloss, sage mir nur das eine: zu Eurem Wohlsein!«

Aber der Schäfer, ob er auch staunte und gaffte, sagte doch nur:

»Nein, ich sage es nicht eher, bis ich die Prinzessin zum Weibe bekomme!«

Da gab sich der König einer grossen Trauer hin, er liess weiter fahren bis zum diamantenen Teich, und dort sagte er:

»Siehst du diesen diamantenen Teich? auch den will ich dir geben, den silbernen Wald, das goldene Schloss, den diamantenen Teich – alles, alles sollst du haben, sage mir nur das eine: zu Eurem Wohlsein!«

Da musste der Schäfer aber schon seine Sternenaugen schliessen, um nichts zu sehen, – aber er sagte doch: »Nein, ich sage es nicht eher, bis ich die Prinzessin zum Weibe bekomme!«

Da sah der König schon, dass er nicht anders mit ihm fertig werden könne; er ergab sich also.

»Nun, mir ist es alles eins, ich gebe dir also meine Tochter[202] zur Frau, aber dann musst du mir auch wirklich und wahrhaftig sagen: zu Eurem Wohlsein!«

»Freilich werde ich es sagen; wie sollt ich's denn nicht sagen; das ist ja natürlich, dass ich es dann sagen werde!«

Darob freute sich der König sehr; er liess verkündigen, dass sich das Volk im ganzen Lande freuen solle, denn die Prinzessin werde heiraten. Das Volk im ganzen Lande freute sich aber auch, dass die Prinzessin, die so vielen Prinzen einen Korb gegeben, sich doch in den sternenäugigen Schäfer verliebt habe.

Dann wurde eine solche Hochzeit gehalten, dass ein jeder im ganzen Lande ass und trank und tanzte, selbst die Totkranken und sogar die Kinder, die an diesem Tage geboren wurden.

Die grösste Lustigkeit war aber im Hause des Königs; hier spielten die besten Zigeuner auf, die besten Speisen wurden hier gekocht, ein Meer von Menschen sass an den Tischen, die gute Laune hob das Hausdach in die Höhe; doch wie der Brautführer den Schweinskopf mit Kren heraufbringt und mit gehörigem Anstand sagt:


»Die Suppe ist nun alle, das Krenfleisch bring ich euch,

Das riecht so gar gewaltig, dass wir uns küssen gleich –«


und der König die Schüssel vor sich nahm, um jedem seinen Teil vorzulegen, da musste er auf einmal entsetzlich niesen von dem starken Kren.

»Zu Eurem Wohlsein!« rief der Schäfer zu allererst, und der König freute sich darüber so sehr, dass er vor Freude augenblicklich mausetot war.

Da wurde der sternenäugige Schäfer König. Es wurde ein sehr guter König aus ihm, er hat seinem Volke nie auch nur die Last auferlegt, ihm gegen seinen Willen Gutes zu wünschen; und doch wünschte ihm ein jeder Gutes, auch ohne[203] jeden Befehl; denn er war ein sehr guter König, und so hatte ihn alles Volk denn sehr lieb.

1

Die Übersetzung ist der Ungarischen Revue 1885 V. Jahrg. S. 450 entnommen.

2

ungarisches Kleidungsstück, eine Art Mantel.

3

Figur im Csardas, der langsam beginnt, um in immer rascherem Tempo, unter vielfachen, der Kunst des Tänzers überlassenen Verschnörkelungen im »Frisch« zu endigen.

4

Figur im Csardas, der langsam beginnt, um in immer rascherem Tempo, unter vielfachen, der Kunst des Tänzers überlassenen Verschnörkelungen im »Frisch« zu endigen.

5

Fokos, eine Art Waffe, die noch jetzt getragen wird. Sie besteht aus einem gewöhnlichen Stock, dessen Griff ein Beil en miniature ist.

Quelle:
Sklarek, Elisabet: Ungarische Volksmärchen. Einl. A. Schullerus. Leipzig: Dieterich 1901, S. 197-204.
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