Igel (Erinaceus europaeus)

[245] Unser Igel (Erinaceus europaeus) ist bald beschrieben. Der ganze Körper mit all seinen Theilen ist sehr gedrungen, dick und kurz, der Rüssel spitzig und vorn gekerbt, der Mund weit gespalten; die Ohren sind breit, die schwarzen Augen klein. Wenige schwarze Schnurren stehen im Gesichte [245] unter den weiß- oder rothgelb, an den Seiten der Nase und Oberlippe aber dunkelbraun gefärbten Haaren; hinter den Augen liegt ein weißer Fleck. Das Haar am Halse und Bauche ist lichtrothgelblichgrau oder weißgrau; die Stacheln sind gelblich, in der Mitte und an der Spitze dunkelbraun; in ihre Oberfläche sind feine Längsfurchen, 24 bis 25 an der Zahl, eingegraben, zwischen denen sich gewölbte Leisten erheben; das Innere zeigt eine mit großen Zellen erfüllte Markröhre. Die Länge des Thieres beträgt 25 bis 30 Centim., die des Schwanzes 2,5 Centim., die Höhe am Widerrist ungefähr 12 bis 15 Centim. Das Weibchen unterscheidet sich vom Männchen außer seiner etwas bedeutenderen Größe durch spitzigere Schnauze, stärkeren Leib und lichtere, mehr grauliche Färbung; auch ist die Stirn bei ihm gewöhnlich nicht so tief herab mit Stacheln besetzt, und der Kopf erscheint hierdurch etwas länger. An den meisten Orten unterscheiden die Leute zwei Abarten des Igels: den Hundsi gel, welcher eine stumpfere Schnauze, dunklere Färbung und geringere Größe haben soll, und den Schweinsigel, dessen hauptsächlichste Kennzeichen in der spitzigeren Schnauze, der helleren Färbung und der bedeutenderen Größe liegen sollen. Diese Unterschiede beruhen offenbar bloß auf zufälligen Eigenthümlichkeiten; auch sind die Ansichten der so fein unterscheidenden naturkundigen Alleswisser keineswegs dieselben, und wenn man der Sache genau auf den Grund geht, wird man regelmäßig mit geheimnisvollen Bemerkungen abgespeist, aus denen, trotz aller Bemühungen, kein Sinn zu entnehmen ist. »Ich erinnere mich noch sehr wohl«, sagt Vogt, »daß mir die Bauern in der Wetterau, in dem Geburtsdorfe meines Vaters, wo wir gewöhnlich die Ferien zubrachten, mit Abscheu von den Franzosen erzählten, sie hätten sogar Hundsigel am Spieße gebraten und mit großer Befriedigung verzehrt. Wir suchten damals alle Igel zusammen, deren wir habhaft werden konnten, um den Unterschied kennen zu lernen: der alte Bauer aber, welcher unser Orakel war, erklärte sie insgesammt für uneßbare Hundsigel und fügte endlich mit boshaftem Lächeln hinzu, daß die Schweinsigel wohl viel eher an anderen Orten als im Felde zu finden seien.«

Das Verbreitungsgebiet des Igels erstreckt sich nicht bloß über ganz Europa, mit Ausnahme der kältesten Länder, sondern auch über den größten Theil von Nordasien: man findet ihn in Syrien wie in West-und Südostsibirien, und zwar in einem Zustande, welcher von großer Behäbigkeit zeigt; denn er erlangt dort wie in der Krim eine viel bedeutendere Größe als bei uns. In den europäischen Alpen kommt er bis zum Krummholzgürtel, einzeln bis über 2000 Meter über dem Meere vor, im Kaukasus steigt er noch um tausend Meter höher empor. Er findet sich ebensowohl in flachen wie in bergigen Gegenden, in Wäldern, Auen, Feldern, Gärten, und ist in ganz Deutschland eigentlich nirgends selten, aber auch nirgends häufig. Weit zahlreicher tritt er in Rußland auf, wo er, wie es scheint, besonders geschont wird, und Fuchs und Uhu, seine Hauptfeinde aus dem Thierreiche, so viele andere Nahrung haben, daß sie ihn in Frieden lassen können. Laubholz mit dichtem Gebüsch oder faule, an der Wurzel ausgehöhlte Bäume, Hecken in Gärten, Haufen von Mist und Laub, Löcher in Umhegungsmauern, kurz Orte, welche ihm Schlupfwinkel gewähren, wissen ihn zu fesseln, und hier darf man auch mit ziemlicher Sicherheit darauf rechnen, ihn jahraus jahrein zu finden. Will man ihn hegen und pflegen, so muß man sein hauptsächlichstes Augenmerk auf Anlegung derartiger Zufluchtsorte richten. »Früher«, sagt Lenz, »hatte ich in meinem Garten mit Stroh gefüllte, in Abtheilungen gebrachte und mit niederen Gängen versehene Häuschen für die Igel, stellte ihnen auch Milch zum Trinken hin und kaufte zu ihrer Vermehrung neue. Sie zogen aber meinen Zaun und noch mehr einen großen, aus Reisich und Dornen aufgebauten Haufen vor, und durch das Anschaffen neuer brachte ich gar keine Vermehrung zu Stande, wahrscheinlich weil sie, ihre Heimat suchend, entflohen. Später habe ich in dem genannten Garten ein zweihundert Schritt langes Wäldchen angelegt, dessen Buschwerk dicht in einander schließt und wo alle geringen Lücken jährlich mit Dornen beworfen werden, so daß sich weder ein Mensch, noch ein Hund darin herumtreiben kann. Hier steht eine Anzahl Kästchen, welche unten und an einer Seite offen sind und den Igeln eine gute Winterherberge geben. Dieses Wäldchen behagt ihnen gar sehr, und neben [246] ihnen tummeln sich Drosseln, Rothkehlchen, Zaunkönige, Goldammern und Grasmücken lustig herum. Ich möchte anrathen, da, wo es angeht, ähnliche Schlupfwinkel für den unschuldig Geächteten anzulegen. Aus dem folgenden mag hervorgehen, warum.

Der Igel ist ein drolliger Kauz und dabei ein guter, furchtsamer Gesell, welcher sich ehrlich und redlich, unter Mühe und Arbeit durchs Leben schlägt. Wenig zum Gesellschafter geeignet, findet er sich fast stets allein oder höchstens in Gemeinschaft mit seinem Weibchen. Unter den dichtesten Gebüschen, unter Reisichhaufen oder in Hecken hat sich jeder einzeln sein Lager aufgeschlagen und möglichst bequem zurechtgemacht. Es ist ein großes Nest aus Blättern, Stroh und Heu, welches in einer Höhle oder unter dichtem Gezweige angelegt wird. Fehlt es an einer schon vorhandenen Höhle, so gräbt er sich mit vieler Arbeit eine eigne Wohnung und füttert diese aus. Sie reicht etwa 30 Centim. tief in die Erde und ist mit zwei Ausgängen versehen, von denen der eine in der Regel nach Mittag, der andere gegen Mitternacht gelegt ist. Allein diese Thüren verändert er wie das Eichhorn, zumal bei heftigem Nord- oder Südwinde. In hohem Getreide gräbt er sich selten eine Höhle, sondern macht sich bloß ein großes Nest. Die Wohnung des Weibchens ist fast immer nicht weit von der des Männchens, gewöhnlich in einem und demselben Garten. Es kommt wohl auch vor, daß beide Igel in der warmen Jahreszeit in ein Nest sich legen; ja zärtliche Igel vermögen es gar nicht, von ihrer Schönen sich zu trennen, und theilen regelmäßig das Lager mit ihr. Dabei spielen sie allerliebst miteinander, necken und jagen sich gegenseitig, kurz, kosen zusammen, wie Verliebte überhaupt zu thun pflegen. Wenn der Ort ganz sicher ist, sieht man die beiden Gatten wohl auch bei Tage ihre Liebesspiele und Scherze treiben, an halbwegs lauten Orten aber erscheinen sie bloß zur Nachtzeit. Man hört, wie ich oben andeutete, ein Geraschel im Laube und sieht den Igel plötzlich in schnurgerader Richtung weglaufen, trotz der schnell trippelnden Schritte langsam und ziemlich schwerfällig. Dabei schnuppert er mit der Nase wie ein Spürhund auf dem Boden und beriecht jeden Gegenstand, welchen er unterwegs trifft, sehr sorgfältig. Bei solchen Wanderungen trieft ihm beständig Speichel aus Mund und Nase, und man behauptet, daß er den Rückweg nach seiner Wohnung durch das Wittern dieser Flüssigkeit wieder auffinde. Ich glaube nicht daran, weil ich die große Ortskenntnis des Thieres oft bemerken konnte. Hört unser Stachelheld auf seinem Wege etwas verdächtiges, so bleibt er stehen, lauscht und wittert, und man sieht dabei recht deutlich, daß der Sinn des Geruchs bei weitem der schärfste ist, zumal im Vergleiche zum Gesicht. Nicht selten kommt es vor, daß ein Igel dem Jäger auf dem Anstande geradezu bis vor die Füße läuft, dann aber plötzlich stutzt, schnüffelt und nun eiligst Reißaus nimmt, falls er nicht vorzieht, sogleich seine Schutz-und Trutzwaffe zu gebrauchen, nämlich zur Kugel sich zusammenzuballen. Von der früheren Gestalt des Thieres bemerkt man sodann nichts mehr; es bildet jetzt vielmehr einen eiförmigen Klumpen, welcher an einer Seite eine Vertiefung zeigt, sonst aber ringsum ziemlich regelmäßig gerundet ist. Die Vertiefung führt nach dem Bauche zu, und in ihr liegen dicht an denselben gedrückt die Schnauze, die vier Beine und der kurze Stummelschwanz. Zwischen den Stacheln hindurch hat die Luft ungehinderten Zutritt, und somit wird es dem Igel leicht, selbst bei längerem Aushalten in seiner Stellung zu athmen. Diese Zusammenrollung verursacht ihm keine Anstrengung; denn Hautmuskeln, welche dieselbe bewirken, sind bei ihm in einer Weise ausgebildet wie bei keinem anderen Thiere und wirken gemeinschaftlich mit solcher Kraft, daß ein an den Händen gehörig geschützter Mann kaum im Stande ist, den zusammengekugelten Igel gewaltsam aufzurollen. Einem solchen Unternehmen bieten nun auch die Stacheln empfindliche Hindernisse. Während bei der ruhigen Bewegung des Thieres das Stachelkeid hübsch glatt aussieht und die tausend Spitzen, im ganzen dachziegelartig geordnet, glatt übereinander liegen, sträuben sie sich, sobald der Igel die Kugelform annimmt, nach allen Seiten hin und lassen ihn jetzt als eine furchtbare Stachelkugel erscheinen. Einem einigermaßen Geübten wird es gleichwohl nicht schwer, auch dann noch einen Igel in den Händen fortzutragen. Man setzt die Kugel in die Lage, welche das Thier beim Gehen einnehmen würde, streicht von vorn nach hinten leise die Stacheln zurück und [247] wird nun nicht im mindesten von ihnen belästigt. Will man sich einen Spaß machen, so setzt man den Igel auf einen Gartentisch und sich still daneben, um das Aufrollen zu beobachten. Nicht leichter kann man eine größere Abwechselung in den Gesichtszügen wahrnehmen, als sie jetzt stattfindet. Obgleich der Geist natürlich sehr wenig mit diesen Veränderungen des Gesichtsausdrucks zu thun hat, sieht es doch so aus, als durchliefen das Igelgesicht in kürzester Zeit alle Ausdrücke von dem finstersten Unmuthe an bis zur größten Heiterkeit. Falls man sich ruhig verhält, denkt der zusammengerollte Igel nach geraumer Zeit daran, sich wieder auf den Weg zu machen. Ein eigenthümliches Zucken des Felles verkündet den Anfang seiner Bewegung. Leise schiebt er den vorderen und hinteren Theil des Stachelpanzers auseinander, setzt die Füße vorsichtig auf den Boden und streckt sachte das Schweineschnäuzchen vor. Noch ist die Kopfhaut dick gefaltet, und finsterer Zorn scheint auf seiner niederen Stirne sich auszudrücken; selbst das so harmlose Auge liegt unter buschigen Brauen tief versteckt. Mehr und mehr glättet sich das Gesicht, weiter und weiter wird die Nase vorgeschoben, weiter und weiter der Panzer zurückgedrückt, endlich hat man auf einmal das gemüthliche Gesicht in seiner gewöhnlichen, behäbigen oder harmlosen Ruhe vor sich, und in diesem Augenblicke beginnt auch der Igel seine Wanderung, gerade so, als ob es für ihn niemals eine Gefahr gegeben hätte. Stört man ihn jetzt zum zweiten Male, so rollt er sich blitzschnell wieder zu sammen und bleibt etwas länger als das vorige Mal gekugelt. Sehr hübsch sieht es aus, wenn man von Zeit zu Zeit einen abgebrochenen, kurzen Ruf ausstößt. Der Laut berührt den Igel wie ein elektrischer Schlag; er zuckt bei jedem zusammen, auch wenn man ihm zehnmal in der Minute zuruft. Der bereits ganz an den Menschen gewöhnte Igel macht es geradeso, selbst wenn er eben beim Ausleeren einer Milchschüssel sein sollte. Wiederholt man aber die Neckerei, so kriegt er das Ding endlich satt und rollt sich entweder für eine ganze Viertelstunde lang zusammen, oder aber – gar nicht mehr, gerade als wisse er, daß man ihn doch nur foppen wolle. Anders ist es freilich, wenn man sein Ohr mit gellenden Tönen beleidigt. Ein Igel, vor dessen Ohr man mit einem Glöckchen klingelt, zuckt fort und fort bei jedem Schlage gleichsam krampfhaft zusammen. Klingelt man nah bei einem Ohre, so zuckt er seinen Panzer auf der betreffenden Seite herab, bei größerer Entfernung zieht er die Stirnhaut gerade nach vorn. Immer erfolgt dieses Zucken in demselben Augenblicke, in welchem der Klang laut wird; man kann ihn ganz nach Belieben sich verneigen lassen. Wenn ihn einer seiner Hauptfeinde, ein Hund oder ein Fuchs aufstöbert, kugelt er sich eiligst ein und bleibt unter allen Umständen in seiner Lage. Er merkt an dem wüthenden Bellen oder Knurren der Verfolger, daß sie ihm in ernster Absicht zu Leibe gehen, und hütet sich wohl, irgend eines seiner anererbten Vorrechte sich zu entäußern. Mittel gibt es freilich noch genug, den Igel augenblicklich dahin zu bringen, daß er seine Kugelgestalt aufgibt. Wenn man ihn mit Wasser begießt oder in das Wasser wirft, rollt er sich sofort auf: das weiß nicht bloß der Schelm Reinecke, sondern auch mancher Hund zum Nachtheile unseres Thieres anzuwenden. Auch Tabaksrauch, den man ihm zwischen den Stacheln durch in die Nase bläst, bewirkt dasselbe; denn seinem empfindlichen Geruchswerkzeuge ist der Rauch etwas ganz entsetzliches: er wird förmlich berauscht von ihm, streckt sich augenblicklich, hebt die Nase hoch auf und taumelt wankenden Schrittes davon, bis ihn einige Züge reiner, frischer Luft wieder einigermaßen erquickt haben. In seiner Zusammenkugelung besteht die einzige ihm mögliche Abwehr gegen Gefahren, denen er ausgesetzt ist. Auch wenn er, wie es bei dem täppischen Gesellen häufig vorkommt, einmal einen Fehltritt thut, über eine hohe Gartenmauer herunterfällt oder plötzlich an einem steilen Abhange ins Rollen kommt, kugelt er sich augenblicklich zusammen und stürzt jetzt mit erstaunlicher Schnelligkeit den Abhang oder die Mauer hinab, ohne sich im geringsten weh zu thun. Man hat beobachtet, daß er von mehr als sechs Meter hohen Wallmauern herabgefallen ist, ohne sich zu schaden.

Der Igel ist keineswegs ein ungeschickter und tölpischer Jäger, sondern versteht Jagdkunststücke auszuführen, welche man nimmermehr ihm zutrauen möchte. Allerdings besteht die Hauptmasse seiner Nahrung aus Kerbthieren, und eben hierdurch wird er so nützlich. Allein er begnügt [248] sich nicht mit solcher, so wenig nährenden Kost, sondern erklärt auch anderen Thieren den Krieg. Kein einziger der kleinen Säuger oder Vögel ist vor ihm sicher, und unter den niederen Thieren haust er in arger Weise. Außer der Unmasse von Heuschrecken, Grillen, Küchenschaben, Mai- und Mistkäfern, anderen Käfern aller Art und deren Larven, verzehrt er Regenwürmer, Nacktschnecken, Wald- oder Feldmäuse, kleine Vögel und selbst Junge von großen. Man sollte nicht denken, daß er wirklich im Stande wäre, die kleinen, behenden Mäuse zu fangen; aber er versteht sein Handwerk und bringt selbst das unglaublich scheinende fertig. Ich habe ihn einmal bei seinem Mäusefang beobachtet und mich über seine Pfiffigkeit billig gewundert. Er strich im Frühjahre im niederen Getreide hin und blieb plötzlich vor einem Mäuseloche stehen, schnupperte und schnüffelte daran herum, wendete sich langsam hin und her und schien sich endlich überzeugt zu haben, auf welcher Seite die Maus ihren Sitz hatte. Da kam ihm nun sein Rüssel vortrefflich zu statten. Mit großer Schnelligkeit wühlte er den Gang der Maus auf und holte sie so auch wirklich nach kurzer Zeit ein; denn ein Quieken von Seiten der Maus und behagliches Murmeln von Seiten des Igels bewies, daß dieser sein Opfer gefaßt hatte. Nun wurde mir freilich sein Mausefang klar; wie er es aber anstellt, in Scheunen und Ställen das behende Wild zu übertölpeln, erfuhr ich erst neuerdings durch meinen Freund Albrecht. Beim Umherlaufen im Zimmer wurde ein von diesem Beobachter gepflegter Igel plötzlich eine naseweise Maus gewahr, welche sich aus ihrem Loche hervorgewagt hatte. Mit unglaublicher Schnelligkeit, obschon mit einem gewissen Ungeschick, schoß er auf dieselbe los und packte sie, bevor sie Zeit hatte, zu entrinnen. ›Die fabelhaft flotte Bewegung des anscheinend so plumpen Thieres, welche ich später noch öfters beobachtete‹, schreibt mir mein Freund, ›brachte mich stets zum Lachen; ich weiß sie mit nichts richtig zu vergleichen. Fast war es wie ein abgeschossener Pfeil von Rohr, welcher vom Winde rechts und links getrieben wird, aber trotzdem wieder an die rechte Bahn kommt.‹«

Weit bedeutsamer als solche Räubereien sind die Gefechte, welche er den Schlangen liefert. Er beweist dabei einen Muth, den man ihm nicht zutrauen sollte. Lenz hat hierüber vortreffliche Beobachtungen gemacht. »Am 24. August«, berichtet er, »that ich einen Igel in eine große Kiste, in welcher er zwei Tage später sechs mit kleinen Stacheln versehene Junge gebar, welche er fortan mit treuer Mutterliebe pflegte. Ich bot ihm, um seinen Appetit zu prüfen, recht verschiedenartige Nahrung an und fand, daß er Käfer, Regenwürmer, Frösche, selbst Kröten, diese jedoch nicht so gern, Blindschleichen und Ringelnattern mit großem Behagen verzehrte. Mäuse waren ihm das allerliebste; Obst aber fraß er nur dann, wenn er keine Thiere hatte, und da ich ihm einst zwei Tage gar nichts als Obst gab, fraß er so spärlich, daß zwei seiner Jungen aus Mangel an Milch verhungerten. Hohen Muth zeigte er auch gegen gefährliche Thiere. So ließ ich einmal acht tüchtige Hamster in seine Kiste, bekanntlich bitterböse Thiere, mit denen nicht zu spaßen ist. Kaum hatte er die neuen Gäste gerochen, als er zornig seine Stacheln sträubte und, die Nase tief am Boden hinziehend, einen Angriff auf den nächsten unternahm. Dabei ließ er ein eignes Trommeln, gleichsam den Schlachtmarsch, ertönen, und seine gesträubten Kopfstacheln bildeten zum Schutz und Trutz einen Helm. Was half es dem Hamster, daß er fauchend auf den Igel biß: er verwundete sich nur den Rachen an den Stacheln, so daß er von Blut triefte, und bekam dabei soviel Stöße vom Stachelhelm in die Rippen und soviel Bisse in die Beine, daß er erlegen wäre, wenn ich ihn nicht entfernt hätte. Nun wandte sich der Stachelheld auch gegen die anderen Feinde und bearbeitete sie ebenso kräftig, bis ich sie entfernte.

Doch wir gehen zur Hauptsache über und folgen unserem Helden zum Otternkampfe. Staunend über seine Thaten, müssen wir zugestehen, daß wir nicht den Muth haben, ihm es nachzuthun. Am 30. August ließ ich eine große Kreuzotter in die Kiste des Igels, während er seine Jungen ruhig säugte. Ich hatte mich im voraus davon überzeugt, daß diese Otter an Gift keinen Mangel litt, da sie zwei Tage vorher eine Maus sehr schnell getödtet hatte. Der Igel roch sei sehr bald (er folgt nie dem Gesicht, sondern immer dem Geruch), erhob sich von seinem Lager, tappte[249] unbehutsam bei ihr herum, beroch sie, weil sie ausgestreckt dalag, vom Schwanze bis zum Kopfe und beschnupperte vorzüglich den Rachen. Sie begann zu zischen und biß ihn mehrmals in die Schnauze und in die Lippen. Ihrer Ohnmacht spottend, leckte er sich, ohne zu weichen, behaglich die Wunde und bekam dabei einen derben Biß in die herausgestreckte Zunge. Ohne sich beirren zu lassen, fuhr er fort, das wüthende und immer wieder beißende Thier zu beschnuppern, berührte sie auch öfter mit der Zunge, aber ohne anzubeißen. Endlich packte er schnell ihren Kopf, zermalmte ihn, trotz ihres Sträubens, sammt Giftzähnen und Giftdrüsen zwischen seinen Zähnen und fraß dann weiter bis zur Mitte des Leibes. Jetzt hörte er auf und lagerte sich wieder zu seinen Jungen, die er säugte. Abends fraß er das noch übrige und eine junge, frischgeborene Kreuzotter. Am folgenden Tage fraß er wieder drei frischgeborene Ottern und befand sich nebst seinen Jungen sehr wohl. Auch war an den Wunden weder eine Geschwulst noch sonst derartiges zu sehen.

Am 1. September ging es wieder zur Schlacht. Er näherte sich, wie früher, der Otter, beschnupperte sie und bekam mehrere Bisse ins Gesicht, in die Borsten und Stacheln. Während er so schnupperte, besann sich die Otter, welche sich bis jetzt vergeblich bemüht und auch tüchtig an seinen Stacheln gestochen hatte, und suchte sich aus dem Staube zu machen. Sie kroch in der Kiste umher; der Igel folgte ihr schnuppernd nach und erhielt, so oft er ihrem Kopfe nahe kam, tüchtige Bisse. Endlich hatte er sie in der Ecke, wo seine Jungen lagen, ganz in der Enge; sie sperrte den Rachen mit gehobenen Giftzähnen weit auf, er wich nicht zurück, sie fuhr zu und biß so heftig in seine Oberlippe, daß sie eine Zeitlang hängen blieb. Er schüttelte sie ab, sie kroch weg, er wieder nach, und dabei bekam er wieder einige Bisse. Dies hatte wohl zwölf Minuten gedauert; ich hatte zehn Bisse gezählt, welche er in die Schnauze erhalten, und zwanzig, welche seine Borsten oder die Luft getroffen hatten. Ihr Rachen, von den Stacheln verletzt, war vom Blute geröthet. Er faßte jetzt ihren Kopf mit den Zähnen, aber sie riß sich wieder los und kroch weg. Ich hob sie nun am Schwanze heraus, packte sie hinter dem Kopfe und sah, da sie sogleich den Rachen aufsperrte, um mich zu beißen, daß ihre Giftzähne noch in gutem Stande waren. Als ich sie wieder hineingeworfen, ergriff er ihren Kopf nochmals mit den Zähnen, zerknirschte ihn und fraß ihn dann langsam, ohne sich viel um ihr Krümmen und Winden zu kümmern, auf, worauf er zu seinen Jungen eilte und sie säugte. Alte und Junge blieben gesund, und keine Spuren von üblen Folgen waren zu sehen.

Seitdem hat der Igel oftmals mit demselben Erfolge gekämpft, und immer zeigte es sich, daß er den Kopf jedesmal zuerst zermalmte, während er dies bei giftlosen Schlangen ganz und gar nicht berücksichtigte. Was von der Mahlzeit übrig blieb, trug er gern in sein Nest und verspeiste es dann zu gelegnerer Zeit.«

Diese Beobachtungen sind unzweifelhaft in jeder Hinsicht merkwürdig. Nach physiologischen Gesetzen läßt es sich nicht einsehen, wie ein warmblütiges Thier so ruhig Bisse aushalten kann, deren Wirkung bei anderen seiner Klasse sogleich Zersetzung des Blutes hervorruft und dadurch den Tod nach sich zieht. Man muß nur bedenken, daß der Biß einer Kreuzotter Säugethiere tödtet, welche wenigstens die dreißigfache Größe und das dreißigfache Gewicht des Igels haben, anscheinend also auch weit stärker sein müßten, als er es ist. Aber unser Stachelheld scheint wirklich giftfest zu sein; denn er verzehrt nicht bloß Giftschlangen, deren Gift bekanntlich nur dann schadet, wenn es unmittelbar in das Blut übergeführt wird, sondern auch Thiere, welche dann giftig wirken, wenn sie in den Magen kommen, wie z.B. die allbekannten spanischen Fliegen, deren Leib ja schon auf der äußeren Haut heftige Entzündungen hervorruft, und deren Genuß anderen Thieren unfehlbar den Tod bringen würde.

Der geringe Schaden, welchen der Igel anrichtet, kann gegenüber dem von ihm gebrachten Nutzen kaum in Betracht kommen, zumal jener noch keineswegs genügend erwiesen ist. Man behauptet, daß der Igel leidenschaftlich gern Hühnereier fresse und diese nicht nur sehr geschickt aufzufinden verstehe, sondern auch höchst pfiffig ausschlürfe, ohne von ihrem Inhalt etwas zu [250] verschütten; denn man will gesehen haben, daß er das Ei vorsichtig auf den Boden lege, mit seinen Vorderbeinen halte, eine kleine Oeffnung durch die Schale beiße und den Inhalt sodann bedächtig auslecke. Außerdem geben ihm Hühnerzüchter schuld, daß er, wenn er zu gelegener Zeit in einen Hühnerstall kommen könne, unter dem Hausgeflügel Schaden anrichte, und Einer will sogar einen Igel gefunden haben, welcher fünfzehn Hühner in einer Nacht umgebracht und eine davon gefressen haben soll. Der Beweis für die Wahrheit dieser Angabe ist nicht stichhaltig. Nachdem nämlich der Eigenthümer den Schaden gemerkt hatte, legte er rings um den Stall Tellereisen, und am folgenden Morgen fand man drei Igel in diesen Fallen, welche nun die Missethat irgend eines schlauen Marders auf sich nehmen mußten; denn jedenfalls war letzterer der Urheber jener Schandthat gewesen, welche jetzt den wahrscheinlich auf Mäusefang umherstreifenden, ungeschickt genug in die Falle tappenden Igeln zur Last gelegt wurde. Daß unser Stachelritter ein Küchlein verzehrt oder selbst ein erwachsenes Huhn, ein Kaninchen und sonst ein anderes kleines Thier abzuwürgen vermag, wenn er es erlangen kann, auch gute Lust zeigt, gelegentlich solche Beute zu machen, soll nicht in Abrede gestellt werden. Erst vor kurzem empfing ich von Becker, einem ostfriesischen Arzte, Bericht über einen Igel, welcher am hellen Tage einer Schar von erwachsenen Hühnern in eiligem, schnurgeraden Laufe nachjagte. Aber die Hühner bekundeten nicht eben Angst vor diesem Feinde. »Wenn der Igel«, sagt Becker, »die ersehnte Beute fast erreicht hatte, flog die betreffende Henne gackernd in die Höhe, und der borstige Held kollerte dann jedesmal vier bis fünf Schritte über sein Ziel hinaus, was unendlich komisch aussah. Unter Ausstoßung eines Lautes, welchen ich am besten mit dem Schnarren einer Kindertrompete vergleichen möchte, raffte sich der geprellte Igel ärgerlich wieder auf, um die Verfolgung fortzusetzen, und trieb so die Hühner durch den ganzen, großen Garten. Der Hahn, an welchen jener sich übrigens niemals wagte, schien in den mindestens zwanzigmal wiederholten Angriffen des beutesüchtigen Räubers etwas besonders gefährliches nicht zu sehen; er warnte seine Schutzbefohlenen zwar von Zeit zu Zeit, unternahm jedoch sonst nichts gegen den Ruhestörer.« Ein Räuber also ist der Igel freilich, aber durchaus kein schädlicher gegenüber den von uns gepflegten und gehegten Thieren.

Die Paarzeit des Igels währt von Ende März bis zu Anfang Juni. Auch er zeigt sich, wenn er mit seinem Weibchen zusammen ist, sehr erregt. Er spielt nicht nur mit seiner Gattin, sondern stößt außerdem Laute aus, welche man sonst nur bei der größten Aufregung vernimmt. Ein dumpfes Gemurmel oder heiser quiekende Laute oder auch ein helles Schnalzen scheint behagliche Stimmung auszudrücken, während ein eigenthümliches Trommeln, wie der Dachs es hören läßt, ein Zeichen von gestörter Gemüthlichkeit, Wuth oder Angst ist. Alle diese Laute werden aber gerade bei der Paarungszeit vernommen; denn der Igel hat ebenfalls seine Noth, um ein Weib an sich zu fesseln. Unberufene Nebenbuhler drängen sich auch in sein Gehege und machen ihm den Kopf warm, zumal sein Weibchen sich keineswegs in den Schranken einer gebührenden Treue hält. Sieben Wochen nach der Paarung wirft letzteres seine drei bis sechs, in seltenen Fällen wohl auch acht, blinden Jungen in einem besonders hierzu errichteten, schönen, großen und gut ausgefütterten Lager unter dichten Hecken, Zäunen, Laub- und Mooshaufen oder in Getreidefeldern. Die neugeborenen Igelchen sind etwa 6,5 Centim. lang, sehen anfangs weiß aus und erscheinen fast ganz nackt, da die Stacheln erst später zum Vorschein kommen. Daß sie schon bei der Geburt vorhanden sind, hat Lenz bei den Igeln gesehen, welche in seinem Zimmer geboren wurden. »Die Sache«, sagt er, »gibt auch bei der Geburt gar keinen Anstoß. Die Stacheln stehen auf einer sehr weichen, federnden Unterlage; der Rücken ist noch ganz zart, und jeder Stachel, den man z.B. mit dem Finger berührt, sticht Einen gar nicht, sondern drückt sich rückwärts in den weichen Rücken, aus dem er jedoch gleich wieder hervorkommt, sobald man die Fingerspitze wegthut. Nur wenn man den Stachel von der Seite mit dem Nagel oder mit einem eisernen Zängelchen faßt, fühlt man, daß er hart ist. Da nun die Thierchen gewöhnlich mit dem Kopfe vorweg geboren werden und die Stacheln etwas nach hinten gerichtet sind, ist an eine Verletzung der Alten nicht zu denken.«

[251] Um das Maul haben die Neugebornen Borsten, im übrigen sind sie unbehaart und ihre Augen und Ohren geschlossen. Schon binnen den ersten vierundzwanzig Stunden treten die Stacheln auf eine Länge von 9 Millim. hervor. Anfangs sind sie ganz weiß, nach einem Monate aber hat der junge Igel ganz die Farbe des alten. Dann frißt er schon allein, obgleich er auch noch saugt. Erst ziemlich spät erlangt er die Fertigkeit, sich zusammenzurollen und die Kopfhaut bis gegen die Schnauze herabzuziehen. Die Mutter trägt schon frühzeitig Regenwürmer und Nacktschnecken sowie abgefallenes Obst als Nahrung in das Lager und führt die kleine Brut später wohl auch abends mit sich aus. Im Freileben beweist sie sich gegen ihre Jungen jedenfalls zärtlicher als in der Gefangenschaft; denn hier frißt sie, wie ich zu meinem Befremden erfahren mußte, zuweilen die ganze Schar ihrer Kinder mit der ihr überhaupt eignen Seelenruhe auf, der reichlichsten und leckersten Speise ungeachtet!

Gegen den Herbst hin sind die jungen Igel soweit erwachsen, daß sich jeder einzelne selbst seine Nahrung aufsuchen kann, und ehe noch die kalten Tage kommen, hat jeder sich ein Schmerbäuchlein angelegt und denkt jetzt, wie die Alten, daran, sich seine Winterwohnung herzurichten. Diese ist ein großer, wirrer, aus Stroh, Heu, Laub und Moos bestehender, im Innern aber sehr sorgfältig ausgefütterter Haufen. Die Stoffe trägt der Igel auf seinem Rücken nach Hause und zwar auf sehr sonderbare Weise. Er wälzt sich nämlich in dem Laube herum, dort, wo es am dichtesten liegt, und spießt sich hierdurch eine Ladung auf die Stacheln, welche ihm dann ein ganz großartiges Ansehen verleiht. In ähnlicher Weise schafft er auch Obst nach Hause. Man hat dies oft bezweifelt, Lenz aber hat es gesehen, und einem solchen Beobachter gegenüber wäre fernerer Zweifel ein Frevel, dessen wir uns nicht schuldig machen wollen.

Mit Eintritt des ersten, starken Frostes vergräbt sich der Igel tief in sein Lager und bringt hier die kalte Winterzeit in einem ununterbrochenen Winterschlafe zu. Die Fühllosigkeit des Thieres, welche schon, wenn es am regsten sich bewegt, bedeutend ist, steigert sich jetzt noch in merkwürdiger Weise. Nur wenn man ihm sehr arg mitspielt, erwacht es, wankt ein wenig hin und her und fällt dann augenblicklich wieder in seinen Todtenschlaf zurück. Man hat solchen Igeln während des Winterschlafes den Kopf abgeschnitten, und dabei bemerkt, daß das Herz nach der Enthauptung noch längere Zeit fortschlug. Bei einer Gelegenheit war nicht bloß das Gehirn, sondern auch das Rückenmark durchschnitten; gleichwohl schlug das Herz noch zwei Stunden fort. Tiefe Verwundungen in der Brust führen bei einem schlafenden Igel den Tod oft erst nach mehreren Tagen herbei. Der Winterschlaf währt gewöhnlich bis zum März.

Die jungen Igel sind im ersten Jahre noch nicht fortpflanzungsfähig, sondern treiben sich während des ganzen nächsten Sommers einzeln umher. Im zweiten Lebensjahre aber paaren sie sich und leben in lockerem Verbande mit ihren Weibchen bis zum Winter, wo dann jeder abgesondert für sich ein Lager bezieht. Unter günstigen Verhältnissen dürfte der freilebende Igel sein Alter auf acht bis zehn Jahre bringen.

Um einen Igel zu zähmen, braucht man ihn bloß wegzunehmen und an einen ihm passenden Ort zu bringen. Hier gewohnt er bald ein und verliert in kürzester Zeit alle Scheu vor dem Menschen. Nahrung nimmt er ohne weiteres zu sich, sucht auch selbst in Haus und Hof oder noch mehr in Scheunen und Schuppen nach solchen umher. Tschudi bezweifelt zwar, daß er zum Mäusefang gebraucht werden kann, weil er einen Igel besaß, welcher mit einer Maus zugleich aus einer Schüssel fraß. Dies beweist jedoch nichts, da zahlreiche Beobachtungen dargethan haben, daß der Igel ein ganz tüchtiger Mäusejäger ist. In manchen Gegenden wird er zu diesem Geschäft gerade sehr gesucht und namentlich in Niederlagen verwendet, in denen man keine Katze halten mag, weil diese oft die üble Gewohnheit hat, mit ihrem stinkenden Harn kostbare Zeuge zu verderben. Auch ich habe Igel im Käfige gehalten, welche tagelang mit Mäusen zusammenlebten und mit ihnen Semmelmilch fraßen; schließlich fiel es ihnen aber doch ein, ihre Kameraden abzuwürgen und zu verspeisen. Zur Vertilgung lästiger Kerbthiere, zumal zum Aufzehren der häßlichen Küchenschaben, [252] eignet sich der Igel vortrefflich, liegt seinem Geschäfte auch mit größtem Eifer ob. Wenn er nur einigermaßen freundlich und verständig behandelt wird, und für ein verborgenes Schlupfwinkelchen gesorgt worden ist, verursacht die Gefangenschaft ihm durchaus keinen Kummer.

»Ein Igel«, erzählt Wood, »welcher einige Jahre in unserem Hause lebte, mußte ein wirkliches Nomadenleben führen, weil er beständig von unseren Freunden zur Vertilgung von Küchenschaben entliehen wurde und so ohne Unterlaß von einem Hause zum anderen wanderte. Das Thier war bewundernswürdig zahm, und kam selbst bei hellem lichten Tage, um seine Milchsemmeln zu verzehren. Nicht selten unternahm er kleine Lustwanderungen im Garten, steckte hier, nach Nahrung spürend, seine scharfe Nase in jedes Loch, in jeden Winkel oder drehte jedes abgefallene Blatt auf seinem Wege um. Sobald er einen fremden Fußtritt hörte, kugelte er sich sofort zusammen und verharrte mehrere Minuten in dieser Lage, bis die Gefahr vorüber schien. Vor uns fürchtete er sich bald nicht im geringsten mehr und lief auch in unserer Gegenwart ruhig auf und nieder. Wahrscheinlich würde das hübsche Thier noch länger gelebt haben, hätte nicht ein unvorhergesehener Zufall ihm sein Leben genommen. In dem Gartenschuppen wurden nämlich stets eine große Menge von Bohnenstangen aufbewahrt und gewöhnlich sehr liederlich übereinander geworfen. Der hierdurch entstehende Reisichhaufen übte auf unseren Igel eine besondere Anziehungskraft. Wir durften, wenn er einige Tage verschwunden war, sicher darauf rechnen, ihn dort zu finden. Als wir ihn eines Morgens ebenfalls suchten, fanden wir den armen Burschen an der Gabel einer Stange erhängt. Er hatte wahrscheinlich auf den Haufen klettern wollen, war aber heruntergefallen, zwischen die Gabel eingepreßt worden, und hatte sich nicht befreien können. Der Kummer über diesen Verlust war groß, und niemals haben wir wieder einen so gemüthlichen Hausgenossen gehabt als ihn.«

Unangenehm wird der im Hause gehaltene Igel durch sein langweiliges Gepolter bei Nacht. Sein täppisches Wesen zeigt sich bei seinen Streifereien wie bei jeder Bewegung. Von dem geisterhaften Gange der Katzen bemerkt man bei ihm nichts. Auch ist er ein unreinlicher Gesell, und der widrige, bisamähnliche Geruch, den er verbreitet, keineswegs angenehm. Dagegen erfreut er wieder durch seine Drolligkeit. Leicht gewöhnt er sich an die allerverschiedenartigste Nahrung und ebenso an ganz verschiedenartige Getränke. Milch liebt er ganz besonders, verschmäht aber auch geistige Getränke nicht und thut nicht selten hierin des Guten zu viel. Dr. Ball erzählt von seinen gefangenen Igeln mancherlei lustige Dinge, unter anderen auch, daß er dieselben mehr als einmal in Rausch versetzte. Er gab einem starken Wein oder Branntwein zu trinken, und der Igel nahm davon solche Mengen zu sich, daß er sehr bald vollkommen betrunken wurde. Ein frischgefangener Igel soll nach dem ersten Rausche, den er gehabt, augenblicklich zahm geworden sein, und der genannte Beobachter hat deshalb späterhin alle seine Igel zunächst mit süßem Branntwein, Rum oder Wein bewirtet. »Mein stacheliger Freund«, sagt er, »benahm sich ganz wie ein trunkener Mensch. Er war vollkommen von Sinnen, und sein sonst so dunkles, aber harmloses Auge bekam einen eigenthümlichen, unsicheren Blick und einen merkwürdigen Glanz, kurz, ganz und gar den Ausdruck, welchen man bei Trunkenen überhaupt wahrnimmt. Er stolperte, ohne uns im geringsten zu beachten, in der merkwürdigsten und lächerlichsten Weise, wankte, fiel bald auf diese, bald auf jene Seite und geberdete sich in einer Weise, als wollte er sagen: geht mir nur Alle aus dem Wege, denn ich brauche heute viel Platz. Mehr und mehr nahm dann seine Hülflosigkeit überhand; er wankte häufiger, fiel öfter und war schließlich so vollkommen betrunken, daß er alles über sich ergehen ließ. Wir konnten ihn hin- und herdrehen, seinen Mund aufmachen, ihn an den Haaren zupfen, er rührte sich nicht. Nach zwölf Stunden sahen wir ihn wieder umherlaufen. Er war vollkommen gebändigt, und seine Stacheln blieben jetzt, wenn wir uns ihm näherten, stets in schönster Ordnung liegen.«

Auch Albrecht hat seinen gefangenen Igel öfters durch Vorsetzen geistiger Getränke in einen Rausch versetzt und ähnliche Beobachtungen gemacht wie Ball.

[253] Der Igel hat außer dem unwissenden, böswilligen Menschen noch viele andere Feinde. Die Hunde hassen ihn aus tiefster Seele und verkünden dies durch ihr anhaltendes, wüthendes Gebell. Sobald sie einen Igel entdeckt haben, versuchen sie alles mögliche, um dem Stachelträger ihren Grimm zu zeigen. Der aber verharrt in seiner leidenden Stellung, solange sich der Hund mit ihm beschäftigt, und überläßt es diesem, sich eine blutige Nase zu holen. Die Wuth des Hundes ist wahrscheinlich größtentheils in dem Aerger begründet, dem Gepanzerten nicht nur nichts anhaben zu können, sondern sich selbst zu schaden. Manche Jagdhunde achten die Stacheln übrigens nicht, wenn sie ihren Grimm an dem Igel auslassen wollen. So besaß ein Freund von mir eine Hühnerhündin, welche alle Igel, die sie auffand, ohne weiteres todt biß. Als mit zunehmendem Alter ihre Zähne stumpf wurden, konnte sie diese Heldenthaten der Jugend nicht mehr vollbringen; ihr Haß blieb aber derselbe, und sie nahm fortan jeden Igel, welchen sie entdeckte, in das Maul, trug ihn nach einer Brücke und warf ihn dort wenigstens noch ins Wasser. Der Fuchs soll, wie versichert wird, dem Igel eifrig nachstellen und ihn auf niederträchtige Weise zum Aufrollen bringen, indem er die Stachelkugel mit seinen Vorderpfoten langsam dem Wasser zuwälzt und sie da hineinwirft oder sie so dreht, daß der Igel auf den Rücken zu liegen kommt, und ihn sodann mit seinem stinkenden Harn bespritzt, worauf sich der arme Geselle verzweifelt aufrollt, im gleichen Augenblicke aber von dem Erzschurken an der Nase gefaßt und getödtet wird. Auf diese Weise gehen viele Igel zu Grunde, zumal in der Jugend. Aber sie haben einen noch gefährlicheren Feind, den Uhu. »Nicht weit von Schnepfenthal«, erzählt Lenz, »steht ein Felsen, der Thorstein, auf dessen Höhe Uhus ihr Wesen zu treiben pflegen. Dort habe ich öfters außer dem Miste und den Federn dieser Eulen auch Igelhäute, und nicht bloß diese, sondern selbst die Stacheln der Igel in den Gewöllen, welche die Uhus ausspeien, gefunden. Wir heben hier eins dieser Gewölle als eine Seltenheit im Kabinet auf, welches fast ganz aus Stacheln des Igels besteht. Die Krallen und der Schnabel des Uhu sind lang und unempfindlich, so daß er mit großer Leichtigkeit durch das Stachelkleid des Igels greifen kann. Vor nicht gar langer Zeit gingen unsere Zöglinge unweit Schnepfenthal bei trübem Wetter spazieren. Da kam ein Uhu angeflogen, welcher einen großen Klumpen in den Füßen hielt. Die Knaben erhoben ein lautes Geschrei, und siehe, der Vogel ließ seine Beute fallen. Es war ein großer, frischblutender, noch lebenswarmer Igel.« Noch mehr Igel, als den genannten Feinden zum Opfer fallen, mögen eine Beute des Winters werden. Die unerfahrenen Jungen wagen sich oft, vom Hunger getrieben, noch im Spätherbste mit der beginnenden Nacht aus ihren Verstecken hervor und erstarren in der Kühle des Morgens. Viele sterben auch während des Winters, wenn ihr Nest dem Sturm und Wetter zu sehr ausgesetzt ist. So geht in manchem Garten oder Wäldchen in einem Winter zuweilen die ganze Brut zu Grunde.

Auch noch nach seinem Tode muß der Igel dem Menschen nützen, wenigstens in manchen Gegenden. Sein Fleisch wird wahrscheinlich bloß von Zigeunern und ähnlichem umherstreifenden Gesindel verzehrt, also doch gegessen, und man hat sogar eine eigne Zubereitungsweise erfunden. Der Igel wird von dem wahren Kochkünstler mit einer dicken Lage gut durchgekneteten, klebrigen Lehms überzogen und mit dieser Hülle übers Feuer gebracht, hierauf sorgfältig in gewissen Zeiträumen gedreht und gewendet. So bald die Lehmschicht trocken und hart geworden ist, nimmt man den Braten vom Feuer, läßt ihn etwas abkühlen und bricht dann die Hülle ab, hierdurch zugleich die sämmtlichen Stacheln, welche in der Erde stecken bleiben, entfernend. Bei dieser Zubereitungsart wird der Saft vollkommen erhalten und ein nach dem Geschmacke der genannten Leute ausgezeichnetes Gericht erzielt. In Spanien wurde er früher, zumal während der Fastenzeit, häufig genossen, weil ihm von den Pfaffen seine Stellung in der Klasse der Säugethiere abgesprochen, und er, wer weiß für welches Thier erklärt wurde. Bei den Alten spielte er auch in der Arzneikunde seine Rolle. Man gebrauchte sein Blut, seine Eingeweide, ja selbst seinen Mist als Heilmittel oder brannte das ganze Thier zu Asche und verwendete diese in ähnlicher Weise wie die Hundeasche. Selbst heutzutage wird sein Fett noch als besonders heilkräftig angesehen. Die Stachelhaut benutzten [254] die alten Römer zum Karden ihrer wollenen Tücher, und man trieb deshalb mit Igelhäuten lebhaften Handel, welcher so bedeutenden Gewinn abwarf, daß er durch Senatsbeschlüsse geregelt werden mußte. Außerdem wandte man den Stachelpelz als Hechel an. Heutigen Tags noch sollen manche Landwirte von dem Igelfell Gebrauch machen, wenn sie ein Kalb absetzen wollen, dem noch sauglustigen Thiere nämlich ein Stückchen Igelfell mit den Stacheln auf die Nase binden und es dann der Mutter selbst überlassen, den Säugling, welcher ihr äußerst beschwerlich fällt, von sich abzutreiben und an anderes Futter zu gewöhnen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 245-255.
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