Inia (Inia amazonica)

[708] Die Inia der Guarayos, Bufeo der Spanier Bonto der Brasilianer (Inia amazonica, Delphinus amazonicus, Inia boliviensis), Vertreter der Sippe der Langschnauzendelfine (Inia) ist ein zu unserer Unterfamilie gehöriger Wal, dessen Schnauze zu einem schmalen, rundlichen, stumpfen, steifbehaarten Schnabel sich verlängert hat, welcher in jeder Kinnlade sechsundsechzig oder achtundsechzig spitze Zähne mit gekrümmten und kräftigen Kronen zeigt.


Inia (Inia amazonica). 1/16 natürl. Größe.
Inia (Inia amazonica). 1/16 natürl. Größe.

Der schlanke Leib trägt lange, am oberen Ende ausgeschnittene und gegen die Spitze zu sichelförmig verschmälerte Brustfinnen, eine nicht lappige Schwanzflosse und eine sehr niedere Fettflosse auf dem Rücken. Die Leibeslänge schwankt zwischen 2 bis 3 Meter; bei einem Thiere von 2 Meter Länge wird die Rückenfinne 40 Centim. lang und gegen 5 Centim. hoch, die Brustfinne 41 Centim. lang und 16 Centim. breit, und die Schwanzfinne endlich 47 Centim. breit. Das Weibchen soll nur halb so groß werden. Auf der ganzen Oberseite ist die Inia blaßbläulich, auf der Unterseite rosenröthlich gefärbt; doch [708] gibt es mancherlei Abweichungen: man trifft manchmal durchaus röthliche und bisweilen auch ganz schwärzliche an. Neuerdings hat man mehrere verwandte Arten unterschieden.

So viel man bis jetzt weiß, bewohnt das beachtungswerthe Geschöpf fast alle Flüsse Südamerikas zwischen dem 10. und 17. Grade südlicher Breite. In dem Amazonenstrome und seinen Nebenflüssen wie im Orinoco ist er allenthalben eine bekannte Erscheinung. In seinen Bewegungen soll er sich von den Seedelfinen unterscheiden, langsamer und weniger lebhaft sein, ruhiger schwimmen, oft an die Oberfläche kommen, um zu athmen, und gewöhnlich nur zu kleinen Gesellschaften sich vereinigen; doch bestätigt Humboldt erstere Angaben nicht, sah auch ihrer viele zusammen. »Die Luft«, sagt er, »wurde wieder still, und alsbald fingen große Wale aus der Familie der Spritzfische, ganz ähnlich den Delfinen unserer Meere, an, in langen Reihen an der Oberfläche sich zu tummeln. Die Krokodile, langsam und träge, schienen die Nähe dieser lärmenden, in ihren Bewegungen ungestümen Thiere zu scheuen; wir sahen sie untertauchen, wenn die Spritzfische ihnen nahe kamen. Daß Wale so weit von den Küsten vorkommen, ist sehr auffallend; man trifft sie zu allen Jahreszeiten an, und keine Spur scheint anzudeuten, daß sie zu bestimmten Zeiten wandern wie die Lachse. Die Spanier nennen sie, wie die Seedelfine, Toninas; ihr indianischer Name ist Orinocua.« Ein anderes Mal erzählt er: »Im dicksten Walde vernahmen wir zu unserer größten Ueberraschung einen sonderbaren Lärm. Wir schlugen an die Büsche, und da kam ein Schwarm anderthalb Meter langer Toninas zum Vorschein und umgab unser Fahrzeug. Die Thiere waren unter den Aesten eines Baumes versteckt gewesen. Sie machten sich durch den Wald davon und warfen dabei die Wasserstrahlen, nach denen sie in allen Sprachen Blas- oder Spritzfische heißen. Ein sonderbarer Anblick mitten im Lande, drei- bis vierhundert Meilen von den Mündungen des Orinoco und Amazonenstromes. Ich bin immer noch der Ansicht, daß diese Delfine von denen des Meeres gänzlich verschiedene Arten sind«.

Schomburgk beobachtete Flußdelfine, welche er als Inias ansehen zu dürfen glaubte, in den Flüssen Tukutu und Zuruma in Guiana, wohin sie, seiner Meinung nach, leicht gekommen sein konnten, indem sie ihren Weg vom Amazonenstrome aus durch den Rio Negro und Rio Branco nach dem mit ihnen verbundenen Takutu genommen hatten. Sie erschienen besonders häufig während und kurz nach der Regenzeit, wenn die vermehrte Wassermasse die Stromschnellen noch bedeckt. »Nicht selten erschienen ihrer sechs bis acht, paarweise sich zusammenhaltend, zu gleicher Zeit, entweder pfeilschnell nahe der Oberfläche umherschwimmend, oder in ewigem Wechsel auf- und niedertauchend, wobei sie nicht allein ihre spitzige Schnauze, sondern meist auch einen großen Theil ihres Leibes über das Wasser erhoben. Sowie der Kopf über der Oberfläche sichtbar ward, trieben sie unter lautem Geräusche, welches viele Aehnlichkeit mit dem Schnauben der Pferde hatte, das beim Schlucken in die Schnauze getretene Wasser als feinen Regen aus den Spritzlöchern, was dem stillen Landschaftsbilde einen ungemeinen Reiz verlieh.«

Durch Bates erfahren wir, daß der Amazonenstrom von mindestens drei verschiedenartigen Delfinen bewohnt wird, und daß diese Wale überall zahlreich, hier und da aber in überraschender Menge auftreten. »An den breiteren Stellen des Strombettes«, sagt der treffliche Beobachter, »von seiner Mündung an bis zu funfzehnhundert englischen Meilen aufwärts, hört man beständig, namentlich aber bei Nacht, eine oder die andere Art rollen, blasen und schnarchen, und gerade diese Laute tragen nicht wenig dazu bei, im Busen des Reisenden das Gefühl der Meeresweite und Meeresöde hervorzurufen. Die Art und Weise des Auf- und Niedersteigens unterscheidet den Bonto sofort von dem mit ihm den unteren Lauf des Stromes theilenden Tucuxi (Steno Tucuxi). Während letzterer beim Emporkommen in wagerechter Lage sich erhebt, so daß seine Rückenfinne zuerst sichtbar wird, athmet und dann, den Kopf voran, gefällig oder sanft in die Tiefe zurücksinkt, zeigt ersterer beim Aufsteigen zunächst seinen Kopf, athmet und taucht unmittelbar darauf wieder den Kopf unter, worauf nach und nach die ganze Außenlinie des gebogenen Rückens und seine Finne zum Vorscheine kommt. Abgesehen von dieser ihm eigenthümlichen Bewegungsart, weicht [709] er auch darin vom Tucuxi ab, daß er sich immer paarweise hält.« Nach dieser Schilderung dürfen wir also den Bonto mit dem Braunfische unserer Meere vergleichen.

Anderwärtigen Berichten entnehme ich, daß die Inia sich fast stets nahe der Oberfläche des Wassers aufhält und nicht selten die lange, schnabelartige Schnauze hervorstreckt und die erhaschte Beute über dem Wasser verschlingt. Die Nahrung besteht hauptsächlich aus kleinen Fischen; nebenbei sollen sie aber auch allerlei Baumfrüchte, welche von den Zweigen in die Flüsse fallen, nicht verschmähen. Am liebsten halten sich die Inias in den klaren und tiefen Buchten ihrer Wohngewässer oder aber da auf, wo Flüsse in die Ströme münden, offenbar nur deshalb, weil solche Stellen die meisten Fische beherbergen. Sie verursachen argen Lärm und werden dadurch den Reisenden oft lästig. Wie man beobachtet hat, ziehen sie gern dem Feuer nach und sammeln sich manchmal um ein solches in so großer Menge, daß die am Ufer Lagernden genöthigt sind, das Feuer auszulöschen, um ruhig schlafen zu können.

Ueber die Zeit der Paarung und die Dauer der Tragzeit weiß man nichts. Das Weibchen welches D'Orbigny untersuchte, warf während der letzten sechs Stunden seines Lebens ein Junges von kaum mehr als einem Fuß Länge. Außerdem erfuhr man noch, daß die Mutter ihr Kind mit derselben Zärtlichkeit behandelt wie andere Delfine.

Die Inia wird von den Eingeborenen nicht verfolgt. Ihr Fleisch soll hart, ihr Speck gering, ihre Haut höchstens zur Verfertigung von Schilden geeignet, der Fang also wenig lohnend sein. Auf die Geringfügigkeit des Nutzens, welchen sie gewährt, begründet sich die ihr zu Theil werdende Schonung aber nicht, vielmehr auf absonderliche Anschauungen über ihr Wesen und Sein. Geheimnisvolle Erzählungen gehen, wie Bates noch mittheilt, über sie unter den Eingeborenen von Munde zu Munde. In den Augen der Bewohner Egas ist sie nichts anderes als eine verführerische Nixe, befähigt, in Gestalt eines wunderschönen, mit lang herabwallenden Haaren besonders geschmückten Weibes aufzutreten, um junge, unerfahrene Männer vom Pfade der Tugend ab- und ins Verderben zu locken. So zieht sie nachts durch die Straßen von Ega, und mehr als Einer ließ sich fesseln von ihren hohen Reizen. Hoffnungsvoll folgte er der Sirene bis zum Ufer des Stromes und liebestrunken sank er dort in ihre Arme; mit gellendem, siegjubelndem Schreie aber stürzte sie sich mit dem umstrickten Buhlen in die lebenvernichtenden Fluten. Ueber kein Thier des Amazonenstromes fabelt man mehr als über den Bonto, ob nach eigener Erfindung, ob nach den Einflüsterungen der spanischen Geistlichen, vermag Bates nicht zu entscheiden. Niemand tödtet einen Flußdelfin absichtlich, niemand verwendet den zur Füllung der Lampen vorzüglich geeigneten Thran eines solchen, weil eine mit Bontofett genährte Lampe, anstatt zu leuchten, Blindheit verursacht, mindestens sonstwie gefährdet. Mehrere Jahre bemühte sich Bates vergeblich, einen Indianer zu überreden, Bontos für ihn zu fangen, und als er endlich, die Kassenebbe eines armen Schelmes benutzend, einen Fischer fand, welcher sich zu solcher Jagd überreden ließ, geschah dies nur auf Kosten der Seelenruhe des abergläubischen Mannes, welcher später reuevoll erklärte, seit der Zeit des verhängnisvollen Todtschlages vom Glücke verlassen worden zu sein.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 708-710.
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