Guacharo (Steatornis caripensis)

[356] Der Fettschwalk oder Guacharo der Venezuelaner (Steatornis caripensis, Caprimulgus caripensis) erreicht eine Länge von fünfundfunfzig Centimeter und doppelte Breite. Sein [356] Leib ist sehr schlank, der Kopf breit, der Schnabel länger als breit und frei, längs der Firste in starkem Bogen hin abgekrümmt und zu einer vorragenden, überhängenden Spitze ausgezogen, der Rand vor derselben gezahnt, der Unterschnabel an der Wurzel bogig hervortretend, an der zusammengedrückten Spitze schief abgestutzt, das große einförmige Nasenloch seitlich in der Mitte und frei gelegen, der Fuß sehr kräftig, der Lauf kurz und nackt, ohne Beschilderung, nur halb so lang als die mittlere und äußeren, jener fast gleichen Zehen, der Flügel sehr lang mit weit vorragender Spitze. Im Fittige ist die vierte und fünfte Schwinge die längste, die dritte und sechste ansehnlich kürzer, die erste mäßig verkürzt und an Länge der siebenten gleich. Der Schwanz ist bedeutend kürzer als der Flügel, stark abgerundet und aus steifen, am Ende breiten Federn gebildet, das übrige Gefieder endlich hart und steif, in der Zügelgegend zu langen, den Schnabel überragenden Borsten umgestaltet, so daß das Gesicht wie bei den Eulen mit einem Schleier umgeben wird. Kleine Borstenfedern besetzen auch das Lid und schützen das große, halbkugelige Auge. Die Speiseröhre erweitert sich nicht kropfartig; der Magen ist sehr muskelkräftig; der Darmschlauch mehr als doppelt so lang als der Leib. Eine Fettschicht breitet sich unter der Haut aus und umgibt die Eingeweide in solcher Stärke, daß man sagen kann, sie seien in Fett eingebettet. Die Färbung des Gefieders ist ein schönes Kastanienbraun; die Zeichnung besteht aus der Oberseite in sehr verwaschenen, undeutlichen Spritzpunkten, auf dem Mantel, den Schultern und Armschwingen in schmalen, schwach angedeuteten dunkleren Querlinien, auf dem Oberkopfe in sehr kleinen, auf der Unterseite, den Flügeln und den oberen Schwanzdecken in deutlichen lanzettförmigen gelblichweißen, sehr schmal gesäumten Flecken auf der Schaftmitte, welche auf den mittleren Oberflügeldeckfedern und am Außenrande der beiden ersten Armschwingen größer werden und eine mehr tropfenförmige Gestalt annehmen. Die dunkelbraune Innenfahne der Schwingen zeigt drei bis vier rostweißliche Randflecken; die braunschwarzen Federn sind außen mit acht schmalen, innen mit acht sehr breiten schwarzbraunen Querbinden und sechs regelmäßigen Randflecken gezeichnet, erstere schwarz auf der Außenfahne der äußersten Feder jederseits zu vieren zusammen und erhalten ober- und unterseits einen schmalen dunklen Saum. Das Auge ist dunkel-, der Schnabel röthlichbraun, der Fuß gelbbräunlich. Beide Geschlechter unterscheiden sich nicht durch die Färbung.

Alexander von Humboldt entdeckte den Guacharo im Jahre 1799 in der großen Felsenhöhle von Caripe; spätere Reisende fanden ihn aber auch in anderen dunklen Felsklüften oder Höhlungen, wie solche in den Andes sehr häufig vorkommen. Die Kunde, welche wir über das Leben und Treiben des merkwürdigen Vogels erhalten haben, ist ziemlich ausführlich; doch bleibt immerhin noch manches aufzuklären. Gewiß ist, daß man keinen Vogel weiter kennt, welcher lebt wie der Guacharo. Dies wird aus dem folgenden, welches eine Zusammenstellung der wichtigsten Angaben von Humboldt, Funck, Groß und Göring ist, zur Genüge hervorgehen.

»In einem Lande«, sagt Humboldt, »wo man so großen Hang zum wunderbaren hat, ist eine Höhle, aus welcher ein Strom entspringt, und in welcher tausende von Nachtvögeln leben, mit deren Fett man in den Missionen kocht, natürlich ein unerschöpflicher Gegenstand der Unterhaltung und des Streites. Kaum hat daher der Fremde in Cumana den Fuß ans Land gesetzt, so hört er zum Ueberdrusse vom Augensteine von Araya, vom Landmanne in Arenas, welcher sein Kind gesäugt, und von der Höhle der Guacharos, welche mehrere Meilen lang sein soll. Lebhafte Theilnahme an Naturmerkwürdigkeiten erhält sich überall, wo in der Gesellschaft kein Leben ist, wo in trübseliger Eintönigkeit die alltäglichen Vorkommnisse sich ablösen, bei denen die Neugierde keine Nahrung findet.

Die Höhle, welche die Einwohner eine Fettgrube nennen, liegt nicht im Thal von Caripe selbst, sondern drei kleine Meilen vom Kloster gegen West-Süd- West. Sie mündet in einem Seitenthale aus, welches der Sierra de Guacharo zuläuft. Am achtzehnten September brachen wir nach der Sierra auf, begleitet von den indianischen Alcalden und den meisten Ordensmännern des Klosters. Ein schmaler Pfad führte zuerst anderthalb Stunden lang südwärts über lachende, schön beraste Ebenen; dann wandten wir uns westwärts an einen kleinen Flusse hinauf, welcher aus der Höhle [357] hervorkommt. Man geht dreiviertel Stunden lang aufwärts, bald im Wasser, welches nicht tief ist, bald zwischen dem Flusse und einer Felswand auf sehr schlüpfrigem, morastigem Boden. Zahlreiche Erdfälle, umherliegende Baumstämme, über welche die Maulthiere nur schwer hinüber kommen, machen dieses Stück des Weges sehr ermüdend.

Wenn man am Fuße des hohen Guacharoberges nur noch vierhundert Schritte von der Höhle entfernt ist, sieht man den Eingang noch nicht. Der Bach läuft durch eine Schlucht, welche das Wasser eingegraben, und man geht unter einem Felsenüberhange, so daß man den Himmel gar nicht sieht. Der Weg schlängelt sich mit dem Flusse, und bei der letzen Biegung steht man auf einmal vor der ungeheueren Mündung der Höhle. Der Anblick hat etwas großartiges selbst für Augen, welche mit der malerischen Scenerie der Hochalpen vertraut sind; denn der gewaltige tropische Pflanzenwuchs verleiht der Mündung eines solchen Erdlochs ein ganz eigenes Gepräge. Die Guacharohöhle öffnet sich an einer senkrechten Felsenwand. Der Eingang ist nach Süden gekehrt; es ist eine Wölbung fünfundzwanzig Meter breit und zweiundzwanzig Meter hoch. Auf dem Felsen über der Grotte stehen riesenhafte Bäume; der Mamei und der Genipabaum mit breiten, glänzenden Blättern strecken ihre Aeste gerade gen Himmel, während die des Courbaril und der Erythrina sich ausbreiten und ein dichtes grünes Gewölbe bilden. Pothos mit saftigen Stengeln, Oxalis und Orchideen von seltsamem Bau wachsen in den dürrsten Felsspalten, während vom Winde geschaukelte Rankengewächse sich vor dem Eingange der Höhle zu Gewinden verschlingen. Welch ein Gegensatz zwischen dieser Höhle und jenen im Norden, die von Eichen und düsteren Lärchen beschattet sind!

Aber diese Pflanzenpracht schmückt nicht allein die Außenseite des Gewölbes; sie dringt sogar in den Vorhof der Höhle ein. Mit Erstaunen sahen wir, daß sechs Meter hohe, prächtige Helikonien mit Pisangblättern, Pragapalmen und baumartige Arumaten die Ufer des Baches bis unter die Erde säumten. Die Pflanzenwelt zieht sich in die Höhle von Caripe hinein wie in die tiefen Felsspalten in den Andes, in denen nur ein Dämmerlicht herrscht, und sie hört erst dreißig bis vierzig Schritte vom Eingang auf. Wir maßen den Berg mittels eines Strickes, und waren gegen anderthalbhundert Meter weit gegangen, ehe wir nöthig hatten, die Fackeln anzuzünden. Das Tageslicht dringt so weit ein, weil die Höhle nur einen Gang bildet, welcher sich in derselben Richtung von Südost nach Nordwest hineinzieht. Da, wo das Licht zu verschwinden anfängt, hört man das heisere Geschrei der Nachtvögel, welche, wie die Eingeborenen glauben, nur in diesen unterirdischen Räumen zu Hause sind.

Schwer macht man sich einen Begriff von dem furchtbaren Lärm, welchen tausende dieser Vögel im dunkeln Inneren der Höhle verursachen. Er läßt sich nur mit dem Geschrei unserer Krähen vergleichen, welche in den nordischen Tannenwäldern gesellig leben und auf Bäumen nisten, deren Wipfel einander berühren. Das gellende, durchdringende Geschrei der Guacharos hallt wieder vom Felsgewölbe, und aus der Tiefe der Höhle kommt es als Echo zurück. Die Indianer zeigten uns die Nester der Vögel, indem sie Fackeln an eine lange Stange banden. Sie staken zwanzig bis dreiundzwanzig Meter hoch über unseren Köpfen, in trichterförmigen Löchern, von denen die Decke wimmelt. Je tiefer man in die Höhle hineinkommt, je mehr Vögel das Licht der Kopalfackeln aufscheucht, desto stärker wird der Lärm. Wurde es ein paar Minuten ruhiger um uns her, so erschallte von weither das Klagegeschrei der Vögel, welche in anderen Zweigen der Höhle nisteten. Die Banden lösten sich im Schreien ordentlich ab.

Der Guacharo verläßt die Höhle bei Einbruch der Nacht, besonders beim Mondscheine. Er frißt sehr harte Samen, und die Indianer behaupten, daß er weder Käfer noch Nachtschmetterlinge angehe; auch darf man nur die Schnäbel des Guacharo und des Ziegenmelkers vergleichen, um zu sehen, daß beider Lebensweise ganz verschieden sein muß.

Jedes Jahr um Johannistag gehen die Indianer mit Stangen in die Cueva del Guacharo und zerstören die meisten Nester. Man schlägt jedesmal mehrere tausend Vögel todt, wobei die alten, als wollten sie ihre Brut vertheidigen, mit furchtbarem Geschrei den Indianern um die Köpfe [358] fliegen. Die jungen, welche zu Boden fallen, werden auf der Stelle ausgeweidet. Ihr Bauchfell ist stark mit Fett durchwachsen, und eine Fettschicht läuft vom Unterleibe zum After und bildet zwischen den Beinen des Vogels eine Art Knopf. Daß körnerfressende Vögel, welche dem Tageslichte nicht ausgesetzt sind und ihre Muskeln wenig brauchen, so fett werden, erinnert an die uralten Erfahrungen beim Mästen der Gänse und des Viehes: man weiß, wie sehr dasselbe durch Dunkelheit und Ruhe befördert wird. Die europäischen Nachtvögel sind mager, weil sie nicht, wie der Guacharo, von Früchten, sondern vom dürftigen Ertrage ihrer Jagd leben. Zur Zeit der ›Fetternte‹, wie man in Caripe sagt, bauen sich die Indianer aus Palmblättern Hütten am Eingange oder im Vorhofe der Höhle. Wir sahen noch Ueberbleibsel derselben. Hier läßt man das Fett der jungen, frisch getödteten Vögel am Feuer aus und gießt es in Thongefäße. Dieses Fett ist unter dem Namen Guacharoschmalz oder Oel bekannt. Es ist halbflüssig, hell und geruchlos, und so rein, daß man es länger als ein Jahr aufbewahren kann, ohne daß es ranzig wird. In der Klosterküche zu Caripe wurde kein anderes Fett gebraucht als das aus der Höhle, und wir haben nicht bemerkt, daß die Speisen irgend einen unangenehmen Geruch oder Geschmack davon bekämen.

Die Menge des gewonnenen Oeles steht mit dem Gemetzel, das die Indianer alle Jahre in der Höhle anrichten, in keinem Verhältnisse. Man bekommt, scheint es, nicht mehr als einhundertfunfzig bis einhundertsechzig Flaschen ganz reines Fett; das übrige weniger helle wird in großen irdenen Gefäßen aufbewahrt. Dieser Gewerbszweig der Eingeborenen erinnert an das Sammeln des Taubenfettes in Carolina, von dem früher mehrere tausend Fässer gewonnen wurden. Der Gebrauch des Guacharofettes ist in Caripe uralt, und die Missionäre haben nur die Gewinnungsart geregelt. Die Mitglieder einer indianischen Familie behaupten, von den ersten Ansiedlern im Thale abzustammen, und als solche rechtmäßige Eigenthümer der Höhle zu sein: sie beanspruchen das Alleinrecht des Fettes; aber infolge der Klosterzucht sind ihre Rechte gegenwärtig nur noch Ehrenrechte. Nach dem System der Missionäre haben die Indianer Guacharoöl für das ewige Kirchenlicht zu liefern; das übrige, so behauptet man, wird ihnen abgekauft.

Das Geschlecht der Guacharos wäre längst ausgerottet, wenn nicht mehrere Umstände zur Erhaltung desselben zusammenwirkten. Aus Aberglauben wagen sich die Indianer selten weit in die Höhle hinein. Auch scheint derselbe Vogel in benachbarten, aber dem Menschen unzugänglichen Höhlen zu nisten. Vielleicht bevölkert sich die große Höhle immer wieder mit Siedlern, welche aus jenen kleinen Erdlöchern ausziehen; denn die Missionäre versicherten uns, bis jetzt habe die Menge der Vögel nicht merkbar abgenommen.

Man hat junge Guacharos in den Hafen von Cumana gebracht; sie lebten da mehrere Tage, ohne zu fressen, da die Körner, die man ihnen gab, ihnen nicht zusagten. Wenn in der Höhle den jungen Vögeln Kropf und Magen aufschneidet, findet man mancherlei harte, trockene Samen darin, welche unter dem seltsamen Namen ›Guacharosamen‹ ein vielberufenes Mittel gegen Wechselfieber sind. Die Alten bringen diese Samen den Jungen zu. Man sammelt sie sorgfältig und läßt sie den Kranken in Cariaco und anderen tief gelegenen Fieberstrichen zukommen.

Die Höhle von Caripe behält auf vierhundertzweiundsechzig Meter dieselbe Richtung, dieselbe Breite und die anfängliche Höhe. Wir hatten viele Mühe, die Indianer zu bewegen, daß sie über das vordere Stück hinausgingen, welches allein sie jährlich zum Fettsammeln besuchen. Es bedurfte des ganzen Ansehens der Geistlichen, um sie bis zu der Stelle zu bringen, wo der Boden rasch unter einem Winkel von sechzig Grad steigt, und der Bach einen unterirdischen Fall bildet. Jemehr die Decke sich senkte, um so gellender wurde das Geschrei der Guacharos, und endlich konnte kein Zureden die Indianer vermögen, noch weiter in die Höhle hineinzugehen. Wir mußten uns der Feigheit unserer Führer gefangen geben und umkehren. Auch sah man überall so ziemlich das nämliche.

Diese von Nachtvögeln bewohnte Höhle ist für die Indianer ein schauerlich geheimnisvoller Ort; sie glauben, tief hinten wohnen die Seelen ihrer Vorfahren. Der Mensch, sagen sie, soll Scheu tragen vor Orten, welche weder von der Sonne, Zis, noch vom Monde, Nuna, beschienen werden. Zu [359] den Guacharos gehen, heißt so viel, als zu den Vätern versammelt werden, sterben. Daher nehmen auch die Zauberer, Piaches, und die Giftmischer, Imorons, ihre nächtlichen Gaukeleien am Eingange der Höhle vor, um den Obersten der bösen Geister, Ivorokiamo, zu beschwören. So gleichen sich unter allen Himmelsstrichen die ältesten Mythen der Völker, vor allen solche, welche sich auf zwei die Welt regierende Kräfte, auf den Aufenthalt der Seelen nach dem Tode, auf den Lohn der Gerechten und die Strafe der Bösen beziehen. Die Höhle von Caripe ist der Tartarus der Griechen, und die Guacharos, welche unter kläglichem Geschrei über dem Wasser flattern, mahnen an die stygischen Vögel.«

Durch Funck, welcher dieselbe Höhle besuchte, erfahren wir, daß die Guacharos nach eingetretener Dunkelheit ihre Höhle verlassen, und unter rabenartigem Geschrei wie unter Klappen mit dem Schnabel nach Nahrung ausfliegen. Letztere besteht ausschließlich aus Früchten. Sie verschlucken solche von der Größe der Taubeneier, speien aber die Kerne wieder aus. Die Nester sollen aus Thon zusammengebaut und napfförmig sein, und das Gelege aus zwei bis vier Eiern bestehen. Ein Guacharo mit Nest und Eiern wurde von Hautessier an die Pariser Akademie eingesandt und dabei bemerkt, daß das Nest aus den in Form von Gewöllen ausgewürgten Resten der Früchte, welche der Vogel verzehrt, hergestellt sein soll. Der Guacharo, meint der Berichterstatter, knete diesen Niststoff mit den Füßen zusammen, so daß das ganze Nest einem Lohballen gleicht und wie ein solcher brennt. Auch ein anderer Berichterstatter beschreibt das Nest in ähnlicher Weise, fügt aber noch hinzu, daß sein Rand mit Flaum umgeben sei. König-Warthausen kann seine Bedenken gegen die Art und Weise des Nestbaues nicht unterdrücken und schließt, daß die massenhaft in jenen Höhlen hausenden Vögel in Spalten, Löchern und Vorsprüngen, welche ebensogut ihre täglichen Sitz-als Nistplätze sind, ihre Gewölle auswerfen und unbekümmert um diese ihre Eier dorthin legen, wo sie Platz finden. Durch den fortwährenden Aufenthalt an jenen Stellen und durch das Sitzen auf dem Neste muß die Masse sehr fest werden, ohne daß eines besonderen Knetens bedürfte. »Aus scharf begrenzter Umhüllung abgehoben, wird eine solche Unterlage leicht das Aussehen absichtlicher Bereitung erhalten. Unter der Federbekleidung des Randes ist kaum ein regelmäßiger Dunenkranz wie bei Entennestern zu verstehen. Die Federn können auch dort, wo sie eine Niststelle häufiger umgeben, leicht durch Zufall hinzugekommen sein.« Ein Nest, welches ist sah, schien absichtlich erbaut, also nicht vorgefunden und gelegentlich benutzt worden zu sein. Die nach außen gerundete, sehr dicke, in der Mitte schwach muldig vertiefte Masse ähnelte allerdings einem Lohkuchen. Sie enthielt viele Fruchtreste, welche offenbar ausgewürgt sein mußten, da die chemische Untersuchung Harnsäure nicht nachzuweisen vermochte. Die Mulde war so regelmäßig, daß sie nur absichtlich ausgetieft, nicht aber zufällig entstanden sein konnte. Die Eier, welche an Größe denen einer Haustaube ungefähr gleichkommen, weichen, nach König-Warthausen, von denen der echten Ziegenmelker ebensowohl in der Gestalt wie in der Färbung ab. Ihre größte Breite liegt an dem Mittel der Längenaxe, so daß von dem stumpfen Ende die Bahn nach der mehr oder minder augenfälligen Spitze ziemlich schroff abfällt, wodurch sie an Falkeneier, namentlich an diejenigen der Rohrweihe erinnern. Ihre Schale ist mäßig stark, kalkweiß, mit bräunlichen, vom Neste herrührenden Flecken gezeichnet, inwendig dagegen gelblichgrün.

Groß besuchte die Schlucht von Icononzo in Neugranada, welche einen Sandsteinfelsen durchbricht, gegen eine halbe englische Meile lang, zehn bis zwölf Meter breit ist, und in der Tiefe von achtzig bis hundert Meter von einem wilden Bergstrome durchtost wird. In der grauenhaften Tiefe, aus welcher das Toben des Stromes dumpf heraufhallt, unmittelbar über den mit rasender Eile dahinstürzenden Wellen, hausen ebenfalls Guacharos. Groß ließ sich an Seilen hinab, fußte auf einem schmalen Vorsprunge und wurde sofort von einer Unzahl der nächtlichen Vögel förmlich angefallen, weil es galt, die Nester zu vertheidigen. Die gespensterhaften Thiere umschwirrten den Forscher so nahe, daß sie ihn im Vorüberfliegen mit den Flügelspitzen berührten, und das Geschrei der hunderte und tausende dieser Thiere war geradezu betäubend. Groß erlegte in weniger als einer [360] Stunde gegen vierzig Guacharos, die am Ausgange der Schlucht aufgestellten Indianer fanden aber nicht einen einzigen derselben in den Wellen des Flusses auf; deshalb ließ Groß im nächsten Jahre in der Tiefe des Spaltes ein Netz aufspannen, dazu bestimmt, die von ihm getödteten und herabstürzenden Vögel aufzufangen. Auf diese Weise gelang es ihm, mehrere Guacharos zu erhalten. Die Beobachtungen, welche gelegentlich dieser Jagd angestellt wurden, lassen sich in der Kürze zusammenstellen, wie folgt:

Der Fettschwalk schwebt leichten Fluges rasch dahin und breitet dabei Flügel und Schwanz fächerförmig aus, ohne viel mit den Flügeln zu schlagen. Jede andere Bewegung erscheint äußerst unbehülflich. Der Gang ist ein trauriges Fortkriechen, wobei der Vogel seine Flügel mit zu Hülfe nehmen muß. Im Sitzen erhebt er den Vordertheil des Leibes, senkt aber den Kopf so tief nach unten, daß es aussieht, als hinge derselbe einfach herab; gewöhnlich stützt er sich dazu noch auf die Handgelenke seiner beiden Flügel. Beim Fortkriechen richtet er den Schwanz ein wenig auf, schiebt den Kopf vorwärts, und sucht sich durch allerlei Schwenkungen und sonderbare schlangenhafte Bewegungen des Kopfes und Halses im Gleichgewichte zu erhalten. Fliegend und noch mehr bei Erregung läßt er seine heiser krächzende, aber doch laute Stimme hören, welche so eigenthümlich und widerlich ist, daß sie auch in einer freundlicheren Umgebung unangenehm oder grauenhaft wirken müßte. Die Nahrung besteht gewiß aus Früchten, deren Körner jedoch nicht ausgespieen, sondern mit dem Kothe ausgeschieden werden. Um die Nester herum häufen die freßwüthigen Jungen nach und nach Schichten von Koth und Samen an, welche bis fünfundzwanzig Centimeter hoch werden können und allerdings wie die Wände eines Napfes erscheinen. Aus Lehm oder ähnlichen Stoffen erbaut sich der Guacharo sein Nest nicht. Er legt seine weißen birnförmigen Eier ohne jegliche Unterlage in Felsenritzen. Männchen und Weibchen brüten abwechselnd. Die Jungen sind Mißgestalten der traurigsten Art; sie vermögen sich auch nicht eher zu bewegen, als bis ihr Gefieder sich vollkommen entwickelt hat. Ihre Gefräßigkeit ist ungeheuer groß. Wenn sie erregt werden, fallen sie einander wüthend an, packen mit ihrem Schnabel alles, was in den Bereich desselben geräth, sogar ihre eigenen Füße oder Flügel, und lassen das einmal ergriffene nur höchst ungern wieder los. Groß versuchte einige von denen, welche er aus den Nestern nahm, aufzuziehen, war jedoch nicht im Stande, die geeignete Nahrung herbeizuschaffen, und verlor deshalb seine gefangenen nach wenigen Tagen wieder.

Abgesehen von Taylor, welcher einen Brutplatz auf Trinidad besuchte und davon eine ziemlich lange, jedoch inhaltslose Beschreibung gibt, schildert neuerdings Göring mehrere von ihm besuchte Höhlen und das Treiben der Vögel in anschaulicher Weise. »Die Mittheilungen über den Guacharo im ›Thierleben‹«, so schreibt er mir, »sind gut; insbesondere gefallen mir die von Groß herrührenden Angaben über den Vogel. Wesentliches über das Leben des Guacharo glaube ich nicht hinzufügen zu können, beschränke mich daher auf das nachstehende. Humboldt sagt mit vollem Rechte, daß sich diese Vögel nicht zu vermindern scheinen, weil sie sich aus anderen, den Menschen unzugänglichen Höhlen ersetzen. Letztere sind dieselben, welche ich mit den Chacmas aufgesucht habe, um sie zu zeichnen. Sie befinden sich im Südosten von Caripe in den Gebirgen von Terezen und Punceres. Die Abbildung, welche für das ›Thierleben‹ zu zeichnen mir besondere Freude bereitet hat, stellt den Eingang in die sogenannte kleine Höhle dar.

Es ist in der That sehr schwer, zu diesen Höhlen zu gelangen. Kein Weg führt durch den üppigen Urwald, welcher die Berge mit ihren unzähligen Schluchten bedeckt. Die Höhlen sind von Caripe in gerader Linie kaum weiter als sechs Wegestunden entfernt; wir aber brauchten zwei volle Tage, um den Rio Arcacuar zu erreichen. Dieser Bergfluß nimmt das Wasser auf, welches aus den Höhlen strömt. Letztere befinden sich auf der uns entgegengesetzten Seite des Flusses, welcher zur Zeit unseres Besuches infolge anhaltender Regengüsse so angeschwollen war, daß wir zwei Tage warten mußten, ehe es uns möglich wurde, an das andere Ufer zu gelangen. Schon am ersten Abende, welchen wir im Walde zubrachten, hörten wir das Geschrei der Guacharos. Mit Beginn der Dämmerstunde schwärmten sie aus. Hoch über die riesigen Baumkronen des dichten Waldes [361] erhoben sie sich und erfüllten die Luft mit ihren Rufen, welche uns um so schauerlicher in die Ohren klangen, als die Schluchten und Thäler des Gebirges ein tausendfältiges Echo zurückgaben. In das krähenartige, aber viel lautere und gellendere Geschrei mischt sich schnelles Schnabelgeklapper und trägt nur dazu bei, das ganze noch unheimlicher erscheinen zu lassen. An einem mondhellen Abende schienen tausende von Guacharos ihre unterirdischen Wohnungen verlassen zu haben; denn das Geschrei steigerte sich zu einem so entsetzlichen Lärme, daß alle anderen nächtlichen Thierstimmen des Waldes dagegen verstummten, daß es uns vorkommen wollte, als ob ein schrecklicher Kampf in den Lüften über uns ausgefochten würde. Nach und nach erst minderte sich der Höllenlärm, weil die Vögel, wie es schien, in die Baumkronen einfielen, um hier Früchte zu suchen. Wenigstens glaube ich, daß der Guacharo nur dann sein Geschrei ertönen läßt, wenn er fliegt.

Die Nester, welche ich gesehen habe, hatten mehr oder weniger die Form eines trockenen Kuhfladens von dunkelbrauner Farbe. Die Masse bestand aus der lockeren Erde von dem Grunde der Höhle und taubeneiergroßen Samen, welche die Guacharos wieder von sich gegeben hatten. Die Form des Nestes richtet sich natürlich nach den Ritzen, den Vertiefungen, Höhlungen, in welche diese Vögel bauen. Ich habe nur zwei Eier angetroffen, glaube aber, daß die Angabe im ›Thierleben‹ richtig ist. Von dem unbeholfenen Körper eines jungen Guacharo kann man sich kaum eine Vorstellung machen. Der ganze Vogel ist nur ein unbeschreiblicher Fettklumpen. Ich zergliederte mehrere von ihnen und fand, daß ihre Magen bereits mit fast taubeneigroßen Samen gefüllt und diese in eine feuchte, blaß rosenfarbige Masse gehüllt waren. Alle Fettklumpen, wie ich die Jungen nennen will, um sie am besten zu bezeichnen, hatten weißgelbliche Färbung und zeigten nur die ersten Spuren von Federn. Einige von den Nestjungen haben wir gegessen. Sie waren so außerordentlich fett, wie ihr äußeres Ansehen vermuthen ließ, und es wurden deshalb auch nur einzelne Theile ihrer zerstückelten Leiber in der Suppe mit abgekocht, um diese zu schmalzen. In den Augen der Chacmas aber galten die Jungen als ein außerordentlich schmackhaftes Gericht.

Später habe ich den Guacharo noch in der Nähe von Caracas, etwa zwei Stunden östlich von der Stadt, gefunden und ebenso in der Provinz Merida am Rio Capaz, einem bisher noch unbekannten Brutplatze, aufgesucht. Der letztgenannte Fluß und der Rio Guayre bei Caracas brechen sich durch enge Schluchten Bahn, welche dem Guacharo günstigen Aufenthalt gewähren. Das Vorkommen des Guacharo auf der Insel Trinidad ist bekannt und ich will deshalb nur noch erwähnen, daß der Einflug in seine an der gebirgigen Nordküste gelegenen unterirdischen Wohnungen hier zum Theil vom Meere aus stattfindet.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 356-362.
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