Fünfte Ordnung: Die Edelfische[197] (Physostomi)

Bei genauerer Untersuchung der von Cuvier unter dem Namen »Weichflosser« vereinigten Fische fand Johannes Müller, daß eine namhafte Anzahl derselben sich durch einen von der Schwimmblase ausgehenden Luftgang von den übrigen unterscheidet. Auf dieses Merkmal gründet er die Ordnung, mit welcher wir uns nunmehr zu beschäftigen haben werden, und auf dieses Merkmal bezieht sich auch der wissenschaftliche Name, welchen ich nicht habe übersetzen wollen, weil es mir nicht nothwendig erscheint, daß der deutsche und der wissenschaftliche Name wirklich ein und dasselbe bedeuten. Edelfische nenne ich die »Mund- oder Schwimmbläser«, weil zu ihnen wirklich die edelsten aller Fische und weitaus der größte Theil unserer Flußfische gehören. Rücksichtlich der Bedeutsamkeit des angegebenen Merkmales können die Ansichten verschieden sein. »Es liegt«, sagt Johannes Müller selbst, »die Bemerkung nahe, daß es mißlich sei, die Schwimmblase bei der Eintheilung zu benutzen, da gerade dieses Organ so sehr variire. Hierauf antworte ich, daß auf die Gegenwart der Schwimmblase unter keinen Umständen ein Werth zu legen, daß aber ihr Bau, sofern sie gegen wärtig, unabänderlichen Gesetzen unterworfen ist, welche wir kennen, sobald wir die wahren Ordnungen und Familien der Fische kennen. Nach diesem Gesetze ist sie unter allen hierher gehörigen Fischen mit einem Luftgange versehen, sobald sie überhaupt da ist; nach diesem Gesetze ist sie beim Karpfen und Salmler in die Quere getheilt und bei den Familien der Karpfen, Salmler und Welse, sofern sie vorhanden, ohne Ausnahme mit dem Gehörorgane durch eine Reihe von Gehörknöchelchen verbunden. Der Name Physostomi ist von einem Hauptcharakter der Ordnung hergenommen; er soll keinen alleinherrschenden Charakter ausdrücken.« Anderweitige Kennzeichen liegen in den stets getrennten Schlundknochen, den kammförmigen Kiemen, den weichen Flossen, der Stellung der Bauchflossen, falls sie vorhanden, hinter den Brustflossen und der Bekleidung, welche bei allen schuppentragenden Arten aus Rundschuppen besteht. Die Gestalt rechtfertigt den von mir gewählten deutschen Namen in jeder Hinsicht. Die Edelfische sind regel- und ebenmäßig gebaut, ihr Leib ist gestreckt, walzig oder zusammengedrückt; ihr Kopf und die Flossen stehen im rechten Verhältnisse zur Körpergröße. Beschuppung und Färbung zeichnen sich zwar nicht durch besonders auffallende Gestaltung und Pracht, aber doch durch Zierlichkeit und Gefälligkeit aus.

An Reichhaltigkeit der Formen steht diese Ordnung der reichsten von allen, jener der Stachelflosser, wenig nach; an Vielzahl der Arten hingegen kommt sie, nach dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnis wenigstens, der genannten Abtheilung nicht gleich; doch darf man wohl annehmen, daß gerade sie durch zukünftige Entdeckungen wesentlich bereichert werden wird. Die Edelfische [197] gehören, wenn auch nicht gänzlich, so doch hauptsächlich den süßen Gewässern an und bevölkern die Binnenseen, Teiche, Bäche und Ströme aller Erdtheile und Länder. Nun kennt man nicht einmal die europäischen Arten hinlänglich, geschweige denn diejenigen, welche in den Süßgewässern der übrigen Erdtheile herbergen; es ist also sehr erklärlich, daß unsere Kenntnis gerade hinsichtlich dieser Fische in jedem Jahre wesentlich bereichert wird, daß jeder Reisende, welcher irgend einen der großen fremdländischen Ströme genauer durchfischt, neue Arten entdeckt. So haben, um ein Beispiel anzuführen, die neuerlichen Forschungen des berühmten Agassiz über den Fischreichthum des Amazonenstromes erst Licht verbreitet; denn diesem einen Fischkundigen und seinen Gehülfen gelang es, falls die amerikanischen Berichte nicht gelogen, in dem Riesenstrome gegen zwölfhundert Fischarten zu erbeuten, von denen der größte Theil noch gänzlich unbekannt gewesen sein soll und vorwiegend zu unserer Ordnung zählen dürfte.

Eine allgemeine Schilderung der Lebensweise, Sitten und Gewohnheiten, der Nahrung und Fortpflanzung der Edelfische glaube ich übergehen zu können, weil ich hierüber dasselbe sagen müßte, was man bezüglich der ganzen Klasse überhaupt mittheilen kann. Innerhalb dieser Ordnung machen sich bei verschiedenen Gliedern so ziemlich alle Eigenthümlichkeiten der Fische bemerklich. Es gibt Edelfische, welche streng an das Wasser gebunden sind, und andere, denen längeres Verweilen auf festem Lande nicht schadet, solche, welche weite Reisen zu Wasser, und andere, welche Wanderungen über Land ausführen; die Ordnung zählt kühne Räuber und harmlose Gewürm- und Pflanzenfresser, Arten, welche sich durch außerordentliche Fruchtbarkeit auszeichnen, und andere, deren Vermehrungsfähigkeit verhältnismäßig gering ist, solche, welche Eier legen, und solche, welche lebende Junge zur Welt bringen; wir entnehmen ihr unsere köstlichsten Tafelfische und verschmähen das Fleisch gewisser Mitglieder gänzlich.

Für die Binnenländer sind die Edelfische bedeutsamer als alle übrigen Klassenverwandten, und es ist mindestens bemerkenswerth, daß der wichtigste aller Seefische, der Häring, zu ihnen zählt. Ihre Bedeutung würde noch viel größer sein, wollte man sich endlich dazu verstehen, den bisher rücksichtslos verfolgten Fischen rechtzeitigen Schutz zu gewähren und in entsprechender Weise, unter anderem durch künstliche Fischzucht, für Vermehrung der so wichtigen Thiere zu sorgen. Auf sie insbesondere gründet sich die gerechte Klage von dem Abnehmen der Fische, und sie sind es, bei denen am ersten noch Abhülfe möglich ist. Die Zeit wird kommen, in welcher jeder Bauer begreift, daß es zur Bevölkerung unserer Flüsse ebenso nothwendig menschlicher Nachhülfe bedarf wie zur Erzielung einer Schafherde oder eines Geflügelstammes, daß der vernünftige Mensch seine eigene Kraft anwenden muß, um der drohenden, ja bereits eingetretenen Verarmung zu steuern.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 197-198.
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