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[77] Die Blatthörner, Blatthornkäfer (Lamellicornia, Scarabaeidae) bilden die sich unmittelbar anschließende Familie, von der man ungefähr sechstausendfünfhundertundfunfzig Arten kennt, welche sich über alle Erdtheile ausbreiten, am wenigsten in Australien, am stärksten in Afrika vertreten sind; in Europa leben davon dreihundertfünfundachtzig. Abgesehen von diesem Reichthume, mit welchem, wie sich erwarten läßt, große Mannigfaltigkeit in der äußeren Erscheinung verbunden ist, zeichnet sich die Familie vor allen anderen durch die Größe und Schönheit der Formen, wie durch Farbenpracht aus; denn sie enthält die Riesen unter den Käfern. Ferner finden wir in keiner Familie einen so gewaltigen Unterschied zwischen den zwei Geschlechtern ein und derselben Art, wie hier. Die Männchen weichen nicht nur durch Auswüchse am Kopfe oder an dem Halsschilde, oder an beiden zugleich, sondern in einzelnen Fällen in Farbe und Skulptur so wesentlich von dem anderen Geschlechte ab, daß man Bedenken tragen könnte, sie für zusammengehörig anzuerkennen, und merkwürdigerweise prägen sich diese Unterschiede am schärfsten aus bei den größten Arten, mindern sich und verschwinden fast gänzlich, je kleiner dieselben werden. Dieses Gesetz gilt nicht allein für die verschiedenen Arten, sondern auch für die verschiedenen Einzelwesen ein und derselben Art. Wie bei den Hirschkäfern, so kommen auch hier, besonders bei den riesigeren Blatthörnern, durch Verkümmerung der Larven kleinere, unentwickeltere Formen vor; gehören diese dem männlichen Geschlechte an, so werden sie insofern ihren Weibchen ähnlicher, als die Hörner, Zapfen, Leisten, Gabeln oder welcher Art sonst der sie auszeichnende Schmuck an den vorderen Körpertheilen sein möge, mehr oder weniger zurücktreten und bisweilen eben nur noch angedeutet sind.
Bei allen diesen Unterschieden stimmen diese tausende von Käfern in dem Baue ihrer mittellangen Fühler überein. An jedes der drei bis sieben letzten, sehr kurzen Glieder setzt sich ein dünnes Blättchen, beim Männchen häufig länger als beim Weibchen, als nach vorn gerichteter Anhang an, und jedes schmiegt sich in der Ruhe dicht an das benachbarte. Auf solche Weise entsteht die sogenannte Blätterkeule. Sobald der Käfer sich zum Fluge anschickt, überhaupt lebendiger in seinen Bewegungen wird, spreizen sich jene Blättchen wie ein Fächer auseinander, und hierin liegt der wesentliche Unterschied zwischen den Blatthorn- und Kammhornkäfern. Sodann stehen die Augen zur Seite des Kopfes, werden vom Wangenrande mehr oder weniger durchsetzt, die Beine, besonders die vorderen, erweisen sich zum Graben geschickt, indem ihre Schienen breit und nach außen gezähnt sind, die Schenkel sind dick und kräftig, die Hüften walzig. Die Füße bestehen immer aus fünf Gliedern, weichen jedoch in der Klauenbildung vielfach von einander ab. Infolge dieses Baues sind sie alle unbeholfene, sperrbeinige Fußgänger, viele von ihnen geschickte Gräber, die meisten trotz des schwerfälligen Körpers bei kräftiger Entwickelung ihrer Flügel gewandte und ausdauernde Flieger.
Die weichen, gekrümmten und meist faltigen, dabei aber feisten Larven haben sechs Beine, ziemlich lange, viergliederige Fühler, keine Augen und eine sackartig ausgedehnte Hinterleibsspitze mit querer Afteröffnung; die von der Larve des Maikäfers genommene Bezeichnung »Engerling« wendet man auf sie alle an, da sie in der allgemeinen Körpertracht mit ihr übereinstimmen. Wegen ihrer eingekrümmten Körperform können sie trotz der sechs Beine nicht gehen, sondern sich nur grabend in der Erde oder in faulendem Holze fortbewegen, und fühlen sich ungemein unbehaglich, sobald man sie dieser Umgebung entzieht. Sie sowohl wie die Käfer ernähren sich nur von Pflanzenstoffen, und gewisse unter ihnen können unter Umständen den Kulturgewächsen erheblichen Schaden zufügen, während andere sich nur an bereits abgestorbene halten und dadurch deren [77] Umsetzung in Dammerde beschleunigen. Wie wir überall Ausnahmen von der Regel finden, so kommen auch hier Käfer und Larven vor, welche sich von Aas ernähren.
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